Protokoll der Sitzung vom 08.07.2015

(Beifall bei den LINKEN)

Frau Klepsch sprach für die einbringende Fraktion DIE LINKE. Gibt es aus den Fraktionen noch weiteren Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Damit kommt die Staatsregierung zu Wort. Das Wort ergreift Herr Staatsminister Dulig. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tarifautonomie ist nach Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich

garantiert. Die Staatsregierung kann und wird sich deshalb nicht in die laufenden Tarifverhandlungen einmischen. Aus diesem Grund werden heute weder das SMK noch das SMS zu laufenden Tarifverhandlungen für die Berufsgruppen des kommunalen Sozial- und Erziehungsdienstes zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber Stellung nehmen. Ich möchte daher Folgendes klarstellen: Lohnverhandlungen gehören in die Hände der Tarifpartner und nicht in die Hände der Politik.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

An diese verfassungsrechtlich gewährte Tarifautonomie werde ich mich natürlich halten. Es geht aber dem Titel der heutigen Aktuellen Debatte nach auch um mehr als den bloßen Tarifabschluss. Es geht um mehr. Es geht um mehr als 1 % mehr oder weniger für die über 240 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es geht um „Gute Arbeit“ und die gesellschaftliche Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe. Bezug nehmend darauf kann und möchte ich mich als sächsischer Arbeitsminister positionieren.

Ver.di hat vor Monaten die Kampagne „Richtig gut – aufwerten jetzt!“ mit dem Ziel gestartet, die Sozial- und Erziehungsberufe endlich in ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz und Wertschöpfung zu erhöhen. Diesem Ziel möchte ich mich anschließen und es ausdrücklich mit ganzem Herzen unterstützen. In der öffentlichen Wahrnehmung ging es vor allem um die Beschäftigten in den Kitas. Es geht aber auch um die Beschäftigten in der Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit, der Eingliederungshilfe in den Behinderteneinrichtungen und in vielen anderen sozialen Bereichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beschäftigen im Sozialbereich engagieren sich für die Menschen und die Gesellschaft. Deshalb haben sie Anerkennung, Wertschätzung und eine gute Entlohnung verdient. Es geht um den Wert ihrer Arbeit.

Wie wichtig dies ist, zeigen die akutellen Untersuchungen, bezogen auf ganz Deutschland. Demnach sind Beschäftigte in den Sozialberufen überproportional belastet, physisch und psychisch. Die Rahmenbedingungen sind im Vergleich mit anderen Branchen schlecht und die Entlohnung unterdurchschnittlich. Über die Hälfte der Beschäftigten arbeitet befristet oder in Teilzeit. Das Durchschnittsalter liegt bei deutlich über 50 Jahren. Bei den unter 25-Jährigen sind über 85 % befristet angestellt.

Je jünger die Beschäftigten sind, desto höher ist der Anteil an Befristungen.

Wie sollen unter diesen Rahmenbedingungen die notwendigen Fachkräfte in diesen Bereichen gehalten oder neu gewonnen werden? Dass Personal gebraucht und gesucht wird, wird in allen Bereichen sichtbar – von der Pflege bis zu den Erzieherinnen und Erziehern in den Kitas. Nun ist es relativ leicht, eine allgemeine Aufwertung zu fordern. Das wird von niemandem wohl ernsthaft in Frage gestellt. Wie kann das umgesetzt werden? Wie kann erreicht werden, dass die Erzieherinnen und Erzieher in ihrer wichtigen und anspruchsvollen Arbeit ebenso entlohnt werden, wie beispielsweise ein Metallfacharbeiter in der Automobilindustrie? Die oberste Forderung muss daher wie folgt lauten: Gebt den Altenpflegerinnen, den Erzieherinnen, den Krankenpflegerinnen, den Heilerzieherinnen, den Sozialarbeiterinnen und den Sozialpädagoginnen endlich mehr Geld. Speist sie nicht länger mit miesen Löhnen für harte und verantwortungsvolle Arbeit ab. Nur über eine gerechte Bezahlung werden die Berufe aufgewertet und attraktiver gemacht.

Darüber hinaus sehe ich folgende zentrale Ansätze zur Verbesserung der Rahmenbedingungen. Als erstes Stichwort möchte ich Folgendes nennen: equal pay. Sozial- und Erziehungsberufe sind immer noch überwiegend Frauenberufe. Diese werden immer noch schlechter als vergleichbare Männerberufe bezahlt. Hierbei muss es eine gesetzliche Regelung zur Entgeltgleichheit geben. Es geht also nicht allein darum, dass Arbeit gleich bezahlt wird. Es geht auch um den gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Nur so steigt der Wert von Arbeit.

(Annekatrin Klepsch, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Ich würde diese Zwischenfrage zulassen.

Herr Staatsminister, das mache ich. Gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Sie haben mir schon leise zugeflüstert, dass Sie dies gestatten würden. Bitte, Frau Kollegin Klepsch.

Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Staatsminister! Ich freue mich sehr, dass Sie gerade darauf verwiesen haben, dass insbesondere befristete Beschäftigungen im Bereich des Sozial- und Erziehungswesens nachteilig sind. Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie sich auch dafür einsetzen werden, dass wir beispielsweise auch auf Landesebene im Bereich des Europäischen Sozialfonds oder in anderen Bereichen, in denen wir soziale Arbeit finanzieren, von einer jahres- oder monatsweisen befristeten Beschäftigung wegkommen?

Es geht grundsätzlich darum, dass wir Befristungen reduzieren. Ich werde später in meiner Rede auch noch einmal gezielter darauf eingehen. Wir kommen aber auch nicht umhin festzustellen, dass wir gerade in bestimmten Bereichen der sozialen Arbeit Projektarbeit

haben. Das Wesen von Projekten ist, dass sie zeitlich befristet sind. Man kann deshalb nicht allgemein von Entfristungen reden. Es bleibt aber das politische Ziel, dass Befristungen die Ausnahme sein müssen.

Ich möchte in meinen Ausführungen mit der Frage fortfahren, welche Rahmenbedingungen weiterhin nötig sind. Das zweite Stichwort für mich ist die Befristung. Ich kann also daran anschließen. Der überwiegende Teil der Beschäftigten ist befristet angestellt. Das gilt vor allem bei den Berufseinsteigern. Hierbei wird durchschnittlich 20 % weniger bezahlt. Ebenso fehlen Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Damit wird die Familien- und Lebensplanung enorm erschwert. Das Berufsbild ist für viele unattraktiv. Deshalb muss die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wieder auf die Tagesordnung.

Das dritte Stichwort lautet für mich wie folgt: moderner Arbeitsschutz. Hohe Flexibilität, Stress, steigende Anforderungen und Erwartungen sowie Arbeiten an der Belastungsgrenze fallen darunter. Wer das bezweifelt, dem empfehle ich, einmal eine Woche in einer Kita zu arbeiten. Es braucht einen modernen Arbeitsschutz, der Arbeitgeber sensibilisiert sowie Freiräume und Auszeiten ermöglicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist allerhöchste Zeit, über gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen intensiv zu diskutieren. Genau aus diesem Grund haben wir im sächsischen Wirtschafts- und Arbeitsministerium die Kampagne „Gute Arbeit für Sachsen“ auf den Weg gebracht, die die Gleichwertigkeit von Wirtschaft und Arbeit garantiert. Denn für eine starke heimische Wirtschaft braucht es gute und engagierte Beschäftigte. Für gute Arbeit braucht es gute Leute, die dafür dann auch gutes Geld erwarten können. Gute Arbeit, gute Leute, gutes Geld – das gehört zusammen.

(Beifall bei der SPD)

Die Zeit der Niedriglohnstrategie in allen Bereichen ist endgültig vorbei. Nur über Qualität, Entlohnung und gute Rahmenbedingungen wird Sachsen die guten Fachkräfte für die Zukunft halten und neue finden können. Deshalb ist gute Arbeit eine zentrale Bedingung für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Sachsen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach über vier Wochen Streik, die für alle Beteiligten schwierig waren, liegt nun ein Schlichtungsergebnis vor. Mitte August wird es eine Entscheidung der betroffenen Tarifpartner geben. Selbst die kommunale Arbeitgeberseite hat viele Forderungen, zum Beispiel die Aufwertung, nicht wirklich infrage gestellt, vielmehr die Konsequenzen gefürchtet. Das heißt doch, dass es jetzt darum gehen muss, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Kommunen in die Lage versetzt werden, diese Aufwertung bezahlen zu können.

Wer eine gut arbeitende öffentliche Infrastruktur auch im Sozial- und Erziehungsbereich haben will, der muss sie finanziell und personell gut ausstatten. Hier dürfen sich

der Bund, die Länder und die Kommunen nicht aus der Verantwortung stehlen; eine zusätzliche Belastung der Eltern muss aber vermieden werden. Die Anforderungen in den Sozial- und Erziehungsberufen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, ohne dass sich das in angepassten Arbeitsbedingungen oder im Gehalt widerspiegelt. Hier soll und muss sich etwas ändern. Wir können nicht ständig wiederholen, Kinder seien uns das Wichtigste, sie seien unsere Zukunft, und gleichzeitig diejenigen, die sie tagtäglich umsorgen, sie betreuen, liebevoll pflegen und behütet aufwachsen lassen, mit Lippenbekenntnissen abspeisen.

Deshalb kann ich „Aufwerten jetzt!“ nur unterstreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche hier durchaus aus eigener Erfahrung. Ich bin selbst Sozialpädagoge, bin mit einer Sozialarbeiterin verheiratet, die in einer Kindertagesstätte arbeitet.

Wir haben die Debatte über die soziale Arbeit in Sachsen schon häufiger in den letzten Legislaturperioden geführt. Ich kann nur das wiederholen, was ich auch in der letzten Legislaturperiode schon – in einer anderen Rolle – gesagt habe: Jemand, der im Sozialbereich arbeitet, ist nicht Bittsteller gegenüber dem Staat in einer Gesellschaft. Es ist kein Akt der Barmherzigkeit, dass er von staatlichen Leistungen lebt, sondern er hat unsere Wertschätzung zu empfinden für die wertvolle gesellschaftliche Arbeit, die sie und er für uns tun.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei den LINKEN)

Man sollte nicht verkennen, dass die Sozialwirtschaft inzwischen in Sachsen die größte Branche ist und wir dementsprechend diesen Bereich mit einer anderen Wertschätzung und besseren Rahmenbedingungen unterstützen sollten.

Ich bin auch dafür, dass wir mittelfristig bundesweit eine Debatte führen, die schon häufiger aufgeflammt ist, aber bis jetzt noch nicht politisch umgesetzt wurde, nämlich die Diskussion um einen bundesweiten Flächentarifvertrag Soziales. Wir haben die Diskussion über unterschiedliches Arbeitsrecht. Deshalb ist es sicherlich sinnvoll, über einen Bundestarifvertrag Soziales zu sprechen. Mir ist auch bewusst, dass das bedeutet, dass wir bei der Frage der sozialen Arbeit immer auch über die Refinanzierung reden.

Gestatten Sie eine wahrscheinlich letzte Zwischenfrage?

Wenn ich an die Pflegeversicherung oder andere soziale Leistungen denke, dann hängen diese auch mit staatlichen Finanzierungssystemen zusammen. Deshalb ist mir bewusst, dass noch viele Aufgaben vor uns stehen.

Bitte.

Danke schön, Herr Präsident, und schönen Dank, Herr Staatsminister, dass Sie mir noch die Frage erlauben.

Ich denke, wir sind uns einig, dass es eine bessere Finanzierung und höhere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher geben soll und muss. Meine Frage ist: Halten Sie es bezüglich der Kommunen und des Landes für realistisch, dass es eine bessere Bezahlung geben kann, oder sehen Sie es nicht auch so, dass vielleicht der Bund ins Boot geholt werden muss, um eine gute Bezahlung und Finanzierung von Erzieherinnen und Erziehern zu gewährleisten?

Ich will hier eine Brücke schlagen. Die Kommunen werden es möglicherweise wirklich nicht schaffen. Sie haben das in Ihrem Redebeitrag auch benannt. Für den Freistaat Sachsen ist es vielleicht gut. Aber es geht nicht nur um Sachsen, sondern auch darüber hinaus.

Müssen nicht weitere Bereiche einbezogen werden, um hier die Finanzierung zu gewährleisten?

Ich kann hier nur das wiederholen, was ich schon in meiner Rede gesagt habe. Ich entlasse niemanden aus der Verantwortung, egal ob Bund, Kommunen oder uns als Land. Selbstverständlich stehen wir mit dem möglichen Tarifabschluss vor der Aufgabe, die Kommunen in die Lage zu versetzen, das zu finanzieren. Das ist unsere Verantwortung bei den Haushaltsverhandlungen.

Wir können nicht die unterschiedlichen Aufgaben miteinander vermischen. Deshalb bin ich sehr froh und dankbar, dass wir mit Manuela Schwesig eine Familienministerin haben, die sehr viel Geld in Kitas investiert, aber dabei auch berücksichtigt, welche Aufgaben der Bund hat, deshalb fließen da vor allem Investitionsgelder. Wir können uns aber nicht hinter dem Bund verstecken, sondern müssen selbst unserer Verantwortung gerecht werden, für eine finanzielle Absicherung bei den Erzieherinnen und Erziehern gemäß dem Tarifabschluss zu sorgen.

Etwas anders ist es bei den anderen Berufen. In der Pflege ist es vor allem eine Frage, die wir mit dem Bund zu klären haben, wie auskömmlich die Pflegeversicherung ist, wenn es um höhere Löhne geht. Da kann man tatsächlich den Bund nicht aus der Verantwortung entlassen. Da merken wir, dass wir bereits jetzt über dem Rahmen dessen sind, was damals in den Neunzigerjahren mit der Pflegeversicherung verhandelt wurde. Die jetzigen Löhne können durch die Pflegeversicherung nicht mehr refinanziert werden. Da ist ein großer Nachbesserungsbedarf beim Bund vorhanden.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Ja.

Frau Schaper.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Dulig, Sie sprachen davon, dass es ein Erfolg ist, dass die Sozial- und Gesundheitswirtschaft auf dem aufsteigenden Ast ist. Geben Sie mir recht, dass aus dieser Wertschöpfung, die dort vonstatten geht, nicht unbedingt eine Wertschätzung resultiert? Sehen Sie es tatsächlich als Gewinn an, dass aus der Not anderer viel Geld geschöpft werden kann? Sehen Sie es auch so, dass ein Gesundheits- oder Sozialunternehmen kein Wirtschaftsunternehmen sein sollte? Finden Sie wirklich, dass das ein Erfolg dieser Gesellschaft ist?

Ich versuche, Ihre Frage zu verstehen

(Lachen bei der CDU)

und dahin gehend zu beantworten, dass soziale Arbeit nicht allein unter ökonomischen Gesichtspunkten zu sehen ist, sondern soziale Arbeit immer etwas mit der Arbeit von Menschen mit Menschen zu tun hat, und zwar unabhängig von ihrem ökonomischen Nutzen. Das ist Punkt eins. Deshalb ist es nicht auf die Frage der Entlohnung und Bezahlung zu reduzieren, sondern bedarf tatsächlich der gesellschaftlichen Wertschätzung. Das ist Punkt zwei. Punkt drei ist, dass wir nicht verkennen sollten, dass inzwischen der Bereich der sozialen Arbeit eine so große Dimension angenommen hat, dass wir ihn in bestimmten Bereichen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehen sollten, und zwar auch im Sinne einer Aufwertung.

Die Leistungen für Menschen, die dort erbracht werden, darf man nicht außerhalb von ökonomischen Kategorien gering schätzen. Sie sind vielmehr inzwischen auch ein wirtschaftlicher Faktor. Allein, wenn ich mir anschaue, wie viele Menschen inzwischen in diesem Bereich tätig sind und was dort geleistet wird, dann ist das die größte Branche in Sachsen. Aber wir dürfen die Debatte über soziale Arbeit nicht allein auf ökonomische Maßstäbe zurückführen, sondern müssen sie natürlich vor allem gesellschaftspolitisch einordnen. Das ist unsere Aufgabe.

So differenziert würde ich versuchen, Ihre Frage zu beantworten.

Damit bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.