Protokoll der Sitzung vom 08.07.2015

Ich habe als Sozialarbeiter in meiner Heimatstadt die sozialen Strukturen nach der Wende mit aufgebaut. Ich weiß, wie das ist, wenn man sich von Sparhaushalt zu Sparhaushalt hangelt, von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung. Das ist in Sachsen in vielen Bereichen sozialer Arbeit nach 25 Jahren nicht anders geworden, meine Damen und Herren. Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen aus der sozialen Arbeit, die diese Tendenz zur Selbstausbeutung nach wie vor betreiben, weil es nicht anders geht.

Der Wert und der Mehrwert im Sozial-, im Pflegebereich wird nach wie vor nicht richtig anerkannt. Ich habe zum Beispiel in den Bereichen Jugendstraffälligenhilfe, Wohnungslosenhilfe, Suchtkrankenhilfe gearbeitet. Viele

Menschen, die dort arbeiten, die mit Menschen, die in Not geraten sind, arbeiten, nehmen schlechte Arbeitsbedingungen einfach in Kauf. Das ist ein großes Problem, zum Beispiel hohe körperliche und psychische Belastung. Wenn man mit Alkoholabhängigen arbeitet, sieht man sehr viel Schlimmes. Wer mit Crystal-Konsumenten zu tun hat, weiß, welche schlimmen Folgen das zum Beispiel für die Kinder in den Familien hat. Wenn es um Vernachlässigung, um Kindeswohlgefährdung geht, brauchen wir handlungsfähige Fachkräfte, die auch handeln können und nicht mit dem Rücken an der Wand stehen und die auch

ordentlich Rückhalt von den Trägern und den Jugendämtern haben.

Wenn Sie sich anschauen, was es zum Beispiel an prekären Beschäftigungsverhältnissen im Bereich der Jugendhilfe gibt, zu welchen Risiken das bei der Altersabsicherung führt – stabile Projektarbeit ist da nicht möglich. Zum Beispiel läuft bei der Schulsozialarbeit die Förderung aus. Die neue hat noch nicht begonnen. Es entstehen Zeiten, in denen man sich arbeitslos melden muss. Kleine Träger können das nicht überbrücken. Das ist nicht attraktiv, und so kann man keine leistungsfähigen Fachkräfte entwickeln, meine Damen und Herren.

Wir haben in vielen Bereichen nach 25 Jahren nach wie vor Felder, die nicht gleichförmig finanziert sind. Beispiel: Täter-Opfer-Ausgleich – eine sehr wichtige Maßnahme im Bereich der Jugendstraffälligenhilfe, spart enorme Kosten im Justizhaushalt. Das ist aber in den Landkreisen nicht gleichförmig vorrätig und wird auch nicht angeboten. Es gibt in diesem Bereich teilweise keine Angebote. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn junge Menschen in eine kriminelle Karriere einsteigen, sind die gesellschaftlichen Kosten, die danach folgen, gigantisch. Wir haben enorme Lohnunterschiede. Freie Träger können oft nicht auskömmlich und tarifgebunden zahlen.

Die Redezeit geht zu Ende.

Die Mitarbeiter verzichten dann auf ihre Bezahlung deshalb möchte ich es noch einmal sehr deutlich machen: „Gute Löhne für soziale Arbeit – Das muss drin sein!“ Ja, aber das reicht nicht. Gute Arbeitsbedingungen, langfristige Finanzierungsperspektiven, ausreichend Personal und gesellschaftliche Anerkennung – das gehört alles dazu.

Die Redezeit ist zu Ende.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit Herrn Kollegen Zschocke sind wir am Ende der ersten Rednerrunde angekommen. Die antragstellende Fraktion, DIE LINKE, eröffnet eine zweite Runde. Das Wort hat jetzt Herr Kollege Brünler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen gab es in Deutschland etwas, was es schon relativ lange nicht mehr gab: Es gab wochenlang Streiks, vor allem in den Dienstleistungsberufen, nicht zuletzt auch von Mitarbeitern aus den sozialen Berufen. Wochenlang waren alles in allem eine viertel Million Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Kinderpfleger im Ausstand. Das hatte durchaus Auswirkungen auf Millionen von Menschen in diesem Land. Sie standen vor geschlossenen Kindertagesstätten und mussten ihren Tagesplan umwerfen; dennoch

hatten viele Eltern Verständnis für die Forderungen der Erzieher und erklärten sich solidarisch.

Die Forderung: eine Eingruppierung in höhere Lohngruppen, im Durchschnitt 10 % mehr Gehalt. Waren doch die bisherigen Eingruppierungsmerkmale von 1991 – etwas populistisch gesagt – aus dem letzten Jahrhundert, aber zumindest den heutigen Anforderungen an die Tätigkeit bei Weitem nicht mehr angemessen.

Vor circa zwei Wochen gab es hierzu einen Schlichterspruch. Die Ergebnisse entsprachen alles in allem nicht wirklich den Vorstellungen der Streikparteien. Ver.di lässt im Moment darüber abstimmen und hat für den 13. August neue Verhandlungen angekündigt.

Nichtsdestotrotz: Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen oder Beschäftigte in der Behindertenhilfe – oftmals sind es Frauen, die für ihre Tätigkeit allerhöchsten Respekt genießen, aber die eine Tätigkeit ausüben, die tatsächlich immer schwerer wird. Die Arbeitsverdichtung nimmt zu, und oftmals ist schlichtweg zu wenig Personal vorhanden.

Da, lieber Kollege Zschocke, sind wir in der Tat bei Ihnen: Es geht nicht nur um Löhne und Gehälter, nein, es geht konkret auch um Arbeitsbedingungen. Es geht um steigende Anforderungen, die sich auf der Gehaltsabrechnung nicht wiederfinden lassen. Halb anerkennend, halb mitleidig bekommen die Betroffenen oft gesagt: Was du hier machst, finde ich toll, aber ich würde diesen Job für das Geld nicht machen.

Herr Kollege Krauß, es ist eben kein Zeichen dafür, dass die Attraktivität in diesen Berufen steigt, wenn Sie sagen, dass die freien Stellen im Bereich der Altenhilfe zunehmen. Das Gegenteil ist eher der Fall. Physische und psychische Belastungen im Sozial- und Erziehungsdienst sind eben doch überproportional im Vergleich zu anderen Berufsgruppen.

Lassen Sie es mich an einem Beispiel aus meiner Heimatstadt Chemnitz kurz darlegen. Es geht dort um die Kindertagesstätten, aber das ist kein Chemnitzer Spezifikum, sondern steht hier nur exemplarisch. Jede fünfte Erzieherin in Chemnitz sagt, sie sei an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Wir haben eine Krankenstandsquote von rund 10 % und 39 Ausfalltage pro Erzieherin; jede siebente davon ist inzwischen langzeitkrank. Chronischer Personalmangel, systematische Überforderung und in der Folge natürlich schlechtere Qualität der Leistungserbringung, allerdings – darauf lege ich Wert – nicht, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht wollen oder schlecht arbeiten können, nein, sondern weil die Arbeitsbedingungen es verhindern.

Meine Damen und Herren! Ich habe bewusst gesagt, Pflegerinnen und Erzieherinnen. Der Anteil von Frauen in diesen Berufen ist überdurchschnittlich hoch, die Bezahlung aber unterdurchschnittlich niedrig. Es ist ein Stück weit die Henne-Ei-Debatte: Gehen so wenige Männer in diese sozialen Berufe, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind, oder sind die Arbeitsbedingungen so

schlecht, weil so wenige Männer in diese Berufe gehen? Das heißt unterm Strich: Wird weibliche Arbeit unterschwellig von der Gesellschaft anders eingestuft als männliche? Ich glaube, es ist beides.

In der Endkonsequenz haben wir eine Lohnlücke von 22 % zwischen Männern und Frauen, was deutlich über dem europäischen Schnitt liegt. Das stellt hier fast einen Spitzenwert dar und schlägt sich natürlich auch in den Lohn- und Arbeitsbedingungen in sozialen Berufen nieder.

Hier beißt die Maus keinen Faden ab: Qualifizierte Arbeit verlangt qualifizierte Entlohnung. Qualifizierte Arbeit verlangt Rahmenbedingungen, die qualifizierte Leistungen ermöglichen. In anderen Branchen, oftmals sogenannten Männerberufen, wie dem Metallbereich, ist das alles nicht strittig. Aber im Sozial- und Erziehungsdienst oder in der Pflege wird dies zum Thema gemacht. Mehr Gehalt und nicht nur warme Worte sind nötig und vor allem auch mehr Bereitschaft von Männern, in diesen Berufen zu arbeiten. Vielleicht gibt es dann tatsächlich eine Wechselwirkung, dass die Arbeitsbedingungen so angemessen sind, wie sie sein müssen.

Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den sozialen Berufen kostet Geld, das ist unstrittig. Aber es geht im Sozialbereich schlicht um Arbeitsbedingungen, die es ermöglichen, sich um andere Menschen zu kümmern, ohne sie einfach abzufertigen. Es geht um die Frage, ob soziale Arbeit durchökonomisiert werden kann oder soll wie eine Autofabrik oder ob sie einen ganz anderen Wert schafft, der sich nicht immer nur in Cent und Euro messen lässt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Kollege Brünler eröffnete eine zweite Rednerrunde zu diesem Antrag.

(Alexander Krauß, CDU, steht am Mikrofon)

Eine Kurzintervention? – Redezeit wäre noch vorhanden. Bitte, Herr Kollege Krauß.

In der Tat eine Kurzintervention. Es handelt sich um schwere Jobs. Ich möchte der Vollständigkeit halber die Zahlen des Statistischen Landesamtes zu den Gehältern nennen, damit man einschätzen kann, wie soziale Arbeit in Sachsen bezahlt wird: Im Jahr 2014, Gesundheits- und Sozialberufe, Vollzeitbeschäftigter: Monatsgehalt 3 279 Euro. Im Vergleich zum produzierenden Gewerbe: Dort verdient man 450 Euro weniger. Bei den Erziehern in Unterrichtberufen – da sind auch die Lehrer dabei – sind es Durchschnittsgehälter von 4 178 Euro.

Das zur Vollständigkeit, damit man sich ein Bild machen kann: Sind sie ganz schlecht bezahlt? Oder kann man sagen: Ganz so miserabel, wie es mitunter dargestellt

wird, dass wir über Mindestlohn reden – über 1 360 Euro –, ist es vielleicht doch nicht.

(Zuruf von LINKEN: Sind da die Ärzte mit drin? Sind die Teilzeitbeschäftigten mit drin?)

Herr Brünler, Sie könnten auf diese Kurzintervention noch reagieren. – Bitte.

Nur ganz kurz. Die Zahlen, die Sie vorgelesen haben, will ich nicht in Zweifel ziehen. Aber, wie es immer mit Statistiken ist: Im Durchschnitt war der Teich einen halben Meter tief und trotzdem ist die Kuh in der Mitte ertrunken. Wenn Sie Akademiker mit Pflegern in einen Topf werfen, ist es klar, dass Sie auf die entsprechenden Durchschnittswerte kommen.

(Beifall bei den LINKEN)

Es geht weiter in der zweiten Rednerrunde. Will die SPD noch einmal das Wort ergreifen? – Nein. Die AfD hat keine Redezeit mehr. Die GRÜNEN auch nicht. Will die einbringende Fraktion, DIE LINKE, eine dritte Rednerrunde eröffnen? – Bitte. Für die einbringende Fraktion ergreift Frau Kollegin Klepsch das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben wir in den letzten Wochen erlebt? Wir haben nicht nur Lokführer- und Pilotenstreiks erlebt, sondern wir haben auch den ersten unbefristeten Streik von Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen im vereinten Deutschland überhaupt erlebt. Ich glaube, es war richtig, dass es diesen Streik gab. Warum gab es diesen Streik? Weil der KitaSektor, weil der Bereich der Betreuungsdienste inzwischen so groß geworden ist, dass dort auch eine Macht dahinter steht, dass es viele Tausende Beschäftigte sind, die sich dort das Recht herausnehmen zu streiken, und weil es weh tut.

Ich glaube, ein Streik muss auch manchmal weh tun. Warum? Zum einen hat der öffentliche Dienst eine Leitfunktion. Die Tarifabschlüsse, die dort beschlossen werden, greifen später bei der Landschaft der freien Träger. Volkmar Zschocke hat schon darauf hingewiesen, wie schwierig dort zum Teil die Entlohnung der Beschäftigten in den verschiedenen Berufsgruppen ist. Nur wenn im öffentlichen Dienst für den Sozial- und Erziehungsdienst auch die Tarife kontinuierlich steigen, wie sie in anderen Berufsgruppen steigen, dann können auch die Beschäftigten bei den freien Trägern nachziehen und gut bezahlt werden – wenn sie sich nicht von unterfinanzierten Kommunen und Kämmerern herunterhandeln lassen. Das muss man auch dazusagen.

Auch wenn wir uns einig sind, dass im Bereich Sozial- und Erziehungsdienst gute und wertvolle Arbeit geleistet wird, ist es notwendig zu sagen: Es ist ein Unterschied, ob wir über Mindestlohn reden, Herr Krauß, oder über hoch qualifiziertes Personal, das Abitur hat, das zum großen

Teil auch eine Fachhochschul- oder Hochschulausbildung hat und sich selbstverständlich nicht an der Lohnuntergrenze des Mindestlohnes orientieren sollte, sondern an anderen akademischen Berufen.

(Alexander Krauß, CDU: Deswegen habe ich auch nicht über Mindestlohn gesprochen!)

Genau deshalb, weil die Anforderungen in diesen Bereichen gestiegen sind. Da Sie darauf verwiesen haben, dass Sachsen großzügigerweise die Altenpflegeausbildung übernimmt, möchte ich Ihnen ins Stammbuch schreiben: Es ist ein Armutszeugnis und ein hilfloses Reagieren auf eine verfehlte Bildungspolitik im Berufsschulbildungsbereich. Warum müssen die Jugendlichen auch noch Schulgeld bezahlen, wenn sie eine Altenpflegeausbildung machen wollen?

Der Sektor im Bereich Altenpflegeausbildung war in den letzten 25 Jahren einem Markt ausgesetzt. Das war falsch. Ich fordere an dieser Stelle die Landesregierung noch einmal auf, mit Blick auf diese Pflegeberufe zu schauen, an welcher Stelle wir die staatliche Berufsschulausbildung stärken können, anstatt über Umwege die Pflegeausbildung zu finanzieren. Das ist ein anderes Thema.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich hatte gesagt, dass ein Streik wehtun muss. Es war für alle Eltern eine Belastung. Es war auch für meine Familie eine Belastung, als die Kinderkrippe an vielen Tagen geschlossen war. Anders wird man offensichtlich in der Politik in Deutschland nicht gehört.

Ich möchte noch ein anderes Beispiel nennen: Wenn das Jugendamt oder der Allgemeine Soziale Dienst streiken, dann tut das kaum jemandem weh, für die Familien, die nicht betreut werden, ist es aber schwierig. Die öffentliche Empörung oder der Druck sind bei Weitem nicht so groß, als wenn die Kitas streiken. Insofern habe ich großen Respekt davor, dass die Gewerkschaften und Erzieherinnen diesen Streik so lange durchgehalten haben. Vielleicht ist es nach 25 Jahren Demut endlich richtig, sich als Beschäftigter nicht mehr einreden zu lassen, dass es genug andere Leute gebe, die den gleichen Job machen würden, sondern die Situation des drohenden Fachkräftemangels zu nutzen, um zu sagen, dass soziale Arbeit mehr wert ist und sie mehr verdienen möchten.

Wir sind kein armes Land, das wissen Sie. Alle Berichte über Armut und Reichtum aus den letzten Jahren und Monaten bestätigen das. Die oberen 10 % haben so viel, dass durch eine kluge Steuerpolitik und ein Umdenken in der Steuerpolitik mehr Geld für den öffentlichen Sektor und die Finanzierung von Gehältern im Sozial- und Erziehungsdienst zur Verfügung stünde. Insofern fordere ich Sie auf – das betrifft vor allen Dingen die Kollegen aus der Koalition –, auf Bundesebene über eine andere Steuerpolitik nachzudenken. Es ist nicht so, dass das Geld nicht vorhanden wäre. Es ist in unserem Land, wie so oft, nur falsch verteilt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)