Mit verantwortungsvollem Blick auf die Ressourcen ist es deshalb erforderlich, meine Damen und Herren, differenziert auf vorhandenen Strukturen und Ansätzen – auch das wurde bereits erwähnt – aufzubauen. Dies wird Thema der Gespräche meines Hauses mit den Kommunen und weiteren Partnern sowie dem Landesjugendhilfeausschuss sein.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Vielen Dank erst einmal für die konstruktive Debatte. Ich denke, der Worte sind genug gewechselt. Ich freue mich auf das Konzept der Staatsregierung. Ich bin auch gespannt und bitte noch einmal recht herzlich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Damit können wir jetzt zur Abstimmung kommen. Ich stelle die Drucksache 6/2011 nun zur Beschlussfassung. Wer möchte zustimmen? – Wer ist dagegen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen, keinen Stimmen dagegen ist dem Antrag so mehrheitlich zugestimmt.
Hierzu können die Fraktionen wieder Stellung nehmen. Es beginnt die Linksfraktion. Danach folgen CDU, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun Frau Abg. Klepsch das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern haben wir hier ausführlich über das Thema Asyl und Integration diskutiert. Konfliktherde und Krisen spitzen sich weltweit zu oder werden zum Dauerzustand. Diese Entwicklung macht um Sachsen bekanntlich keinen Bogen.
Innenminister Ulbig stellte gestern sein Unterbringungskonzept für die Erstaufnahme von 5 000 erwachsenen Flüchtlingen vor. Worüber wir jedoch auch dringend sprechen müssen – das ist Gegenstand unseres Antrages –, ist die Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bzw. Asylbewerber, sogenannte UMA. Diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge fallen nicht unter die Asylgesetzgebung, sondern werden im Interesse der Wahrung des Kindeswohls als Subjekte des SGB VIII, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, behandelt. Das heißt in der Praxis, dass die UMA nach Ankunft in der Bundesrepublik durch die Jugendämter der Kommunen in Obhut genommen und analog zu jungen Menschen in den erzieherischen Hilfen betreut werden.
Bis vor drei oder vier Jahren waren die UMA bundesweit und auch in Sachsen eher ein spezielles Nischenthema in der Kinder- und Jugendhilfefachwelt. Noch vor fünf Jahren, 2010, gab es laut Statistik bundesweit 2 800 Inobhutnahmen von UMA, davon 84 in Sachsen, also eine eher verschwindend geringe Zahl. 2013 waren es bundesweit jedoch bereits 6 600 Inobhutnahmen, und im gleichen Jahr reisten auch in Sachsen 113 minderjährige Flüchtlinge ohne Eltern ein.
Aktuell geht man davon aus, dass sich circa 20 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufhalten und davon allein 5 000 in Bayern, die inzwischen in Turnhallen untergebracht werden müssen.
Was hat das nun mit Sachsen zu tun? Aufgrund der räumlichen und personellen Überforderung einzelner Bundesländer in der Inobhutnahme der UMA machte Bayern im September 2014 den Vorstoß über den Bundesrat und forderte eine bundesweite Verteilung der minderjährigen Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel, also nach dem Prinzip der Verteilung der erwachsenen Flüchtlinge.
Angesichts dieser Entwicklung legte meine Fraktion im April den Antrag vor, über den wir heute diskutieren. Vier Wochen später, am 29. Mai, antwortete das Sozialministerium in seiner Stellungnahme, Sachsen gehöre nicht zu den Haupteinreiseländern von unbegleiteten minderjährigen Ausländern, und man verwies darauf, dass es bislang noch keinen Gesetzentwurf des Bundes gebe.
Fasst man die Stellungnahme zu unserem Antrag kurz zusammen, muss ich leider unterstellen: Das Sozialministerium weiß nichts, es hat auch keinen Plan und die Kommunen sind wie immer zuständig. Mit Verlaub, Frau Staatsministerin Klepsch, das ist schon etwas ignorant oder blauäugig. Denn auch die Sächsische Staatsregierung wusste spätestens seit dem Beschluss der Ministerpräsidenten vom Oktober und Dezember 2014, dass die Länder auf einen entsprechenden Gesetzentwurf warten. Die Ministerpräsidenten haben sogar den Auftrag erteilt.
Die Länder, auch Sachsen, haben nach dem SGB VIII § 82 den Auftrag zur fachlichen Steuerung und Weiterentwicklung der Jugendhilfelandschaft auch in diesem Bereich. Besagter Gesetzentwurf trudelte nur wenige Tage nach der Stellungnahme zu unserem Antrag, nämlich am 9. Juni, in Sachsen ein. Immerhin drei Wochen später, in der letzten Juniwoche, richtete auch unser Sozialministerium eine Stabsstelle zum Thema ein, während Kommunen wie Leipzig, Dresden und auch der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge längst mit den praktischen Problemen konfrontiert sind. Auch in Sachsen mehren sich die Anzeichen, dass die UMA teilweise mehrere Tage oder Wochen im Kinder- und Jugendnotdienst zubringen müssen, einfach weil es keine geeignete Unterbringung gibt.
Nach einem Dreivierteljahr bundesweiter Debatte zum Thema minderjährige Flüchtlinge hier eine Stabsstelle einzurichten, das nenne ich vorausschauende Politik. Immerhin erfuhr auch der Landesjugendhilfeausschuss am 1. Juli in seiner Beratung davon. In dieser Sitzung wurde auf Antrag der LINKEN zwei Stunden vertieft über die Themen minderjährige Flüchtlinge, Migration und Integration diskutiert. Es war eine sehr gute Debatte, ein sehr guter Austausch. Das will ich betonen. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei Frau Köpping und Herrn Mackenroth bedanken, die sich als Integrationsministerin und als Ausländerbeauftragter die Zeit genommen hatten, mit dem Landesjugendhilfeausschuss über die aktuellen Herausforderungen zu sprechen. Im Unterausschuss II Kita hatte ich vorgeschlagen, dass wir Frau Köpping
einladen, lieber Kollege Schreiber. Ihr Vorschlag war, das in den großen Ausschuss zu heben. Insofern war es doch ein erfolgreiches gemeinsames Vorgehen.
Weitergehende Konzepte oder Handlungsleitlinien jenseits dieser einen Woche jungen Stabsstelle waren aber aus dem zuständigen Sozialministerium noch immer nicht zu vernehmen. Umso mehr wurden sie am 1. Juli von den kommunalen Beigeordneten und Jugendamtsleitern mit dem Verweis auf fehlende Unterbringungsplätze und fehlendes Fachpersonal für die Jugendlichen, die zum Teil durch Krieg und Flucht traumatisiert sind, eingefordert. Der Verweis auf ambulante Pflegestellen, wie im Punkt 3 der Stellungnahme, führt ins Leere; denn bereits heute gibt es zu wenige Pflegefamilien für Kinder, die Jugendämter aus deutschen Familien weg und in Obhut nehmen müssen. Hinzu kommt: Bei den minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen handelt es sich in der Regel nicht um niedliche kleine Mädchen, sondern zu 90 % um männliche Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren. Wenn jedoch – wie durch das Sozialministerium angenommen – ab dem nächsten Jahr nicht nur 150 dieser UMA, sondern 1 000 bis 1 500 nach Sachsen kommen, bedarf es einer Strategie, weil es um Unterbringungskapazitäten, Beschulung, pädagogisches Fachpersonal und auch um Investitionskosten in die Unterkünfte geht.
Es muss, verehrte Staatsregierung, auch im Interesse des Sozialministeriums sein, einheitliche Standards für die Alterseinschätzung der Jugendlichen für die Unterbringung und auch für die Betreuung der minderjährigen Flüchtlinge zu schaffen.
Kurzum: Meine Fraktion DIE LINKE ist der Auffassung, Sachsen benötigt dringend eine Strategie für die Unterbringung der Jugendlichen in den Kommunen, aber auch für die fachliche Steuerung durch das Landesjugendamt; da sind wir schon beim nächsten Problem. Das ist jetzt schon personell überfordert; und nicht einmal das nötige Personal für die regulären zahlreichen Betriebserlaubnisverfahren im Bereich Kindertagesbetreuung und Heime ist vorhanden, geschweige denn die personellen Ressourcen für eine neue Herausforderung wie die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge.
Ich will noch einmal betonen, es reicht nicht, 8,5 Millionen Euro im aktuellen Haushalt einzustellen und das Geld an andere Länder zu überweisen, wozu wir verpflichtet sind. Das funktioniert noch, aber nicht mehr in wenigen Monaten, denn diese UMA stehen quasi vor der Tür.
Frau Staatsministerin, ich fordere Sie auf: Bitte sitzen Sie das Problem nicht aus, sondern führen Sie eine konstruktive Debatte zum Gesetzentwurf der Bundesregierung – er liegt ja vor – und lassen Sie die kommunalen Jugendämter nicht allein mit der Herausforderung, sondern beginnen Sie zeitnah mit der Debatte über notwendige landesrechtliche Regelungen, wie in der Stellungnahme angemerkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Greifen Sie unsere Vorschläge auf und unterstüt
zen Sie unseren Antrag zum Wohle der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Auch das ist ein Teil gelebter Willkommenskultur, wie wir sie in Sachsen dringend brauchen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wissen es hier: Der Raum Deutschland erlebt gegenwärtig einen Zustrom an Asylbewerbern und Flüchtlingen wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Das stellt uns vor große Herausforderungen. Entsprechend dem Jahresbericht des UNHCR – der Kollege Homann ist gestern im Verlaufe des Tages schon darauf eingegangen – sind weltweit nahezu 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Dabei ist besonders alarmierend, dass die Hälfte davon Kinder sind. Wir erkennen quasi in dramatischer Form durch den ungebremsten Zustrom von Flüchtlingen und Asylsuchenden, welche Folgewirkungen die humanitären Katastrophen auch für uns in Deutschland haben.
Unbegleitete Minderjährige kommen nach Deutschland, weil sie vor Kriegshandlungen, Menschenrechtsverletzungen oder aus purer Not fliehen und Schutz und bessere Lebenschancen bei uns suchen. Manche verlieren ihre Angehörigen, andere werden auf der Flucht von ihren Eltern getrennt. Wieder andere werden von ihren Familien nach Europa geschickt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Inobhutnahmen aus dem Jahr 2013, dass uns im Vergleich zum Jahr 2008 sechs Mal so viel Jugendliche und Unbegleitete erreicht haben. Das sind junge Menschen, die in ihrem Heimatland oft Schreckliches erlebt haben. Sie kommen oftmals traumatisiert nach Deutschland, und sie brauchen deshalb Vertrauen, Perspektive und unsere Hilfe. Die massiv steigende Zahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen stellt einige Kommunen in Deutschland vor besonders große Herausforderungen.
Nach geltendem Recht ist das Jugendamt, in dessen Bereich sich der unbegleitete ausländische Jugendliche aufhält, zu dessen Inobhutnahme verpflichtet. Darum konzentriert sich die Zuständigkeit für Inobhutnahmen vor allem auf Jugendämter, die an sogenannten Einreiseknotenpunkten gelegen sind. Ein rechtlich geregeltes einheitliches Verfahren für die landesinterne oder bundesweite Verteilung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger besteht derzeit nicht. Es ist deshalb wichtig, diese Herausforderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen und die Belastungen solidarisch gerecht auf breite Schultern zu verteilen. Bund, Länder und Kommunen müssen hierbei an einem Strang ziehen.
Gegenwärtig plant der Bundesgesetzgeber die bundesweite Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Hierzu hat das zuständige Bundesministerium einen
Referentenentwurf zur Neuordnung der Rechtslage inklusive der anteiligen Verteilung auf die Bundesländer vorgelegt. Dieser soll in Kürze beschlossen werden und zum 01.01. nächsten Jahres in Kraft treten. In diesem Zusammenhang sind die Rolle und gegebenenfalls neue Aufgaben des Landesjugendamtes neu zu definieren.
Bei allen umsetzungstechnischen Fragen ist mir vor allem eins besonders wichtig: Unser Werteverständnis gebietet es, dass wir die Diskussion von den Kindern her führen müssen; nicht mathematische Logik und die bundesweite Verteilung mittels bloßem Verwaltungshandeln, sondern das Kindeswohl und Kindesinteresse müssen im Mittelpunkt stehen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge stellen eine besonders schutzbedürftige Gruppe dar. Dazu gehört, auf familiäre und persönliche Bedingungen, beispielsweise durch eine gemeinsame Fluchtgeschichte, Rücksicht zu nehmen. Diese Kinder und Jugendlichen haben wichtige Bezugspersonen verloren. Es ist deshalb für ihre Entwicklung besonders wichtig, dass die wenigen verbliebenen bzw. neu aufgebauten Bindungen nicht auch noch verloren gehen.
Die Einführung eines bundesweiten oder landesinternen Verteilungssystems setzt daher voraus, dass das sogenannte Primat der Kinder- und Jugendhilfe unangetastet bleibt und an der Primärzuständigkeit des Jugendamtes für Erstversorgung, Unterbringung, Clearingverfahren und an der anschließenden Hilfeleistung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach der Inobhutnahme festgehalten wird.
Mit dem vorliegenden Antrag beabsichtigt die einbringende Fraktion im ersten Teil des Antrages unter anderem die detaillierte und umfassende Berichterstattung zu Vorkehrungen und Maßnahmen in Sachsen, zu den personellen und sachlichen Ressourcen im Landesjugendamt, zu den bestehenden Organisationsformen der Unterbringung und Integration, zu den bestehenden Ressourcen der Jugendämter, zu den Kosten aus vorangegangenen Zeiträumen sowie zu den voraussichtlichen Fallzahlen bis zum Jahr 2018.
Gestatten Sie mir, dass ich aufgrund der Komplexität der Fragestellung kurz auf ausgewählte Schwerpunkte eingehe.
Sachsen muss – das haben wir schon vernommen – im nächsten Jahr voraussichtlich das Zehnfache an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aufnehmen. Prognosen rechnen derzeit mit einer Fallzahl von mehr als Tausend Personen. Vor dem Hintergrund der fachlichen und politischen Bedeutung dieser Thematik ist es zu begrüßen, dass der mit der kommunalen Ebene notwendige enge und ständige Abstimmungsprozess nunmehr institutionalisiert und über eine regelmäßig tagende Stabsstelle organisiert wird.
Man kann natürlich der Meinung sein, die Stabsstelle sei längst überfällig und das Ministerium könne das aussitzen. Ich halte es jedoch bei allem Zeitdruck für sachgerecht, konkrete Maßnahmen und Umsetzungsfragen auf Landesebene zu verabreden, wenn die zu erwartenden
Rahmenbedingungen auf Bundesebene gesetzt sind. Ausgehend vom Referentenentwurf des Bundes gelten neben den grundsätzlichen Fragen, wie Verfahren zur Verteilung von sogenannten Altfällen, Kostentragung und Beteiligung durch den Bund, Verzahnung zwischen Ausländerrecht und Kinder- und Jugendhilferecht, eine ganze Reihe konkreter offener Umsetzungs- und Auslegungsfragen in Bezug auf die vorgesehenen Regelungen. Diese müssen im weiteren Verfahren einer Klärung zugeführt werden, bevor die konkrete landesrechtliche Ausgestaltung beginnen kann.
Nachfolgend sollen einige benannt werden, zum Beispiel: Welche Prüfmaßstäbe werden an die Gefährdungsbeurteilung geknüpft? Werden dahin gehend gegebenenfalls Bestimmungen weitergehender Natur getroffen? Welche Methoden können genutzt werden, um verwandte Personen zu eruieren? Wer ist autorisiert, hierüber Aussagen zu treffen? Welche Anforderungen werden an die im Gesetzentwurf verankerte Gesundheitsprüfung gestellt? Wer ist autorisiert, die benannte ärztliche Stellungnahme zu erarbeiten? Gibt es Hinweise zur Ausstattung der Clearing- bzw. Inobhutnahmestellen, die dem besonderen Anspruch dieser Kinder und Jugendlichen gerecht werden? Usw. usf.