Protokoll der Sitzung vom 09.07.2015

Nachfolgend sollen einige benannt werden, zum Beispiel: Welche Prüfmaßstäbe werden an die Gefährdungsbeurteilung geknüpft? Werden dahin gehend gegebenenfalls Bestimmungen weitergehender Natur getroffen? Welche Methoden können genutzt werden, um verwandte Personen zu eruieren? Wer ist autorisiert, hierüber Aussagen zu treffen? Welche Anforderungen werden an die im Gesetzentwurf verankerte Gesundheitsprüfung gestellt? Wer ist autorisiert, die benannte ärztliche Stellungnahme zu erarbeiten? Gibt es Hinweise zur Ausstattung der Clearing- bzw. Inobhutnahmestellen, die dem besonderen Anspruch dieser Kinder und Jugendlichen gerecht werden? Usw. usf.

Aus den vorgenannten Punkten ergeben sich auch Erwartungen an das Sozialministerium bzw. die Landesgesetzgeber. So muss beispielsweise das Kinder- und Jugendhilfegesetz des Landes angepasst werden. Dabei stellt sich die Frage, wie eine Regelung zur Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nach dem Erstverfahren in Sachsen aussehen soll. Als denkbarer Lösungsansatz kommt eine Verteilung auf alle Landkreise und kreisfreien Städte nach einem festgelegten Schlüssel in Betracht. Zu klären ist auch, inwieweit Forderungen der kommunalen Spitzengremien berücksichtigt werden können. Diese und weitere in diesem Zusammenhang wichtige Fragen und Herausforderungen haben wir im Blick. Dabei wird die Staatsregierung die Jugendämter nicht im Regen stehen lassen und jederzeit fachliche Anleitung und Unterstützung ermöglichen.

Sachsen muss sich auf die veränderte Situation einstellen. Die Staatsregierung arbeitet derzeit mit hoher Priorität daran. Jetzt kommt es darauf an, dass die zügige Vorgabe des neuen rechtlichen Rahmens durch den Bund erfolgt.

Sie können sicher sein, dass auch uns das Thema genauso wichtig ist wie Ihnen. Aber der vorliegende Antrag greift im Wesentlichen Dinge auf, die bereits auf Verwaltungsebene im Fluss sind. Es gilt jetzt, die Dinge zu untersetzen und nicht zu berichten. Deshalb werden wir ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der SPD-Fraktion das Wort. Herr Abg. Homann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig

immer wieder zu betonen, dass die Hälfte aller Flüchtlinge auf der Welt Kinder und Jugendliche sind. Es ist für uns eine besondere Herausforderung, uns diesem Problem zu stellen. Es bedarf unseres besonderen Blickes, weil es Kinder sind, die, wie andere auch, vor Krieg, vor Armut, vor Naturkatastrophen oder vor Verfolgung fliehen. Das sind Gründe, die kein Alter kennen; sie betreffen Menschen, egal ob fünf, 25 oder 80 Jahre, die sich auf den Weg machen und eine neue Heimat suchen.

Aber es gibt auch kinder- und jugendspezifische Gründe für eine Flucht aus ihrer Heimat. Ohne Frage ist dieses immer mit Angst verbunden, Angst um das eigene Leben, zum Beispiel, weil sie ihre eigenen Eltern durch Krieg, Verschleppung oder Krankheit verloren haben, weil Schulbildung und Ausbildungsmöglichkeiten fehlen und ihnen jede Perspektive geraubt wird.

Es ist aber auch die Angst vor Praktiken wie der Genitalverstümmelung oder gar der Zwangsprostitution. In vielen Ländern gibt es Kinderarbeit, Sklaverei, Zwangsrekrutierung und Kindersoldaten. Das alles sind spezifische Gründe, die Kinder und Jugendliche vor Probleme stellen und die Fluchtursachen für sie darstellen. Wenn diese Kinder fliehen und sie sich gar allein auf den Weg machen müssen, so bedeutet das für sie den Verlust ihrer Heimat und nicht selten auch ihres Elternhauses. Das bedeutet, dass sie statt Liebe und Fürsorge Gewalt, Angst und Misstrauen erfahren. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen.

Hinter diesem recht bürokratischen Begriff unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbergen sich konkrete und oft schlimme Schicksale. Oft kommen diese Kinder traumatisiert zu uns, haben eine schwierige Lebensgeschichte und sind damit eine besondere Herausforderung, nicht nur bei Fragen der Unterkunft, sondern auch bei Fragen der seelischen und sozialen Betreuung. Wie wir diese Kinder aufnehmen, ist eine Frage der Menschlichkeit. Es ist vor allem auch ein Punkt, an dem wir sehen werden, wie wir mit den schwächsten und hilfebedürftigsten Menschen auf der Welt umgehen.

Für uns ist es deshalb unerlässlich, dass das Sozialministerium die aktuelle Entwicklung auf der Welt, aber eben auch die aktuellen Diskussionen zu den Gesetzgebungen auf Bundesebene intensiv begleitet und sich dort einmischt. Wir müssen frühzeitig kommunizieren. Wir müssen vor allem mit den Kommunen vor Ort zusammenarbeiten. Sie sind am Ende diejenigen, die mit den Kindern und Jugendlichen umgehen müssen. Es ist unsere Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diesen Kindern und Jugendlichen, wie auch allen anderen Kindern und Jugendlichen Sachsens, beste Startmöglichkeiten gegeben werden. Dazu gehören eine kindgerechte, verständnis- und liebevolle Betreuung, eine schnelle Integration in unser Bildungssystem und eine bestmögliche gesundheitliche Versorgung inklusive der Behandlung von erlittenen psychischen Belastungen und Traumata. Dazu gehört selbstverständlich auch eine möglichst dezentrale Unterbringung.

In Pflegefamilien können nicht nur die verloren gegangene Heimat, sondern auch der verloren gegangene Halt, das Vertrauen in die Zukunft und Ängste überwunden werden. Das ist eine große Herausforderung. Wenn auch die Unterkunft in Pflegefamilien mit Sicherheit die beste Form ist, dann wissen wir doch auch, dass es uns heute schon schwerfällt, genug Pflegefamilien zu organisieren.

Zur Aufnahme gehört auch, dass wir ihnen bestmögliche Chancen in der Ausbildung ermöglichen. Wenn wir ihnen eine Perspektive geben, dann können sie uns dabei helfen, unsere zukünftigen Herausforderungen zu meistern.

(Einzelbeifall bei den LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das alles gelingt nur, wenn in erster Linie alle Beteiligten am Kindeswohl orientiert sind und wir die Kindesinteressen dieser jungen Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Nationalität – in den Blick nehmen. Wir stehen alle in der Pflicht. Deshalb ist es grundsätzlich richtig, wenn wir das Thema heute im Sächsischen Landtag diskutieren.

Es war genauso richtig – ich muss sagen, dass es mir egal ist, wessen Idee es war –, dass wir am 1. Juli im Landesjugendhilfeausschuss dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir haben gemeinsam gesehen, dass wir noch vor großen Herausforderungen stehen. Wir haben in diesem Landesjugendhilfeausschuss die Arbeitsfelder konkret identifiziert, in denen noch Arbeit zu erledigen ist, bevor Anfang nächsten Jahres diese jungen Menschen zu uns kommen. Wir haben klare Arbeitsaufträge verteilt. Wir haben ebenfalls beschlossen, dass wir uns in diesem Jahr noch einmal mit Blick auf dieses Thema zusammensetzen. Ich finde es richtig, dass sich ein Landesjugendhilfeausschuss an dieser Stelle aktiv in diese Diskussion einbringt. Deshalb bedanke ich mich bei allen, die sich im Landesjugendhilfeausschuss in diesen Prozess eingebracht haben.

Es gehört aber ebenso dazu, dass der Prozess auf Bundesebene noch nicht abgeschlossen ist. Es sind also für uns noch einige Faktoren ungeklärt. Das Thema ist aus unserer Sicht richtig und wichtig. Es macht aber keinen Sinn, bevor dieses Verfahren auf Bundesebene endgültig abgeschlossen ist, landesrechtliche Regeln zu schaffen. Deshalb ist das Thema richtig und wichtig und eine Herausforderung für uns alle. Der Antrag der GRÜNEN kommt leider zu früh. Deshalb werden wir ihn ablehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zurufe von den GRÜNEN: Von den LINKEN!)

Von den LINKEN. Entschuldigung, für das Protokoll: Wir werden den Antrag der LINKEN trotzdem mit dem gleichen Bedauern ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Nun folgt die AfDFraktion. Herr Abg. Wendt, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um vorweg eines klarzustellen, möchte ich Folgendes sagen: Nicht nur die AfD beackert das Thema Asyl, sondern auch die Linksfraktion. Ich möchte das nur einmal klarstellen. Ich möchte nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht.

(Patrick Schreiber, CDU: Hä?)

Die Zahl der Asylbewerber steigt stetig.

(Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Stellen Sie eine Zwischenfrage, ich habe wenig Zeit.

Würden Sie mir bitte die Sitzungsleitung überlassen, Herr Wendt?

(Beifall des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Bisher wurde die Prognose von der Realität eingeholt. Die Asylbewerberzahlen werden auch weiter steigen. Die Prognosen – Sie wissen, wie es mit Prognosen ist – gehen momentan von über 20 000 Asylbewerbern im Jahr 2015 aus.

Das betrifft auch die Entwicklung bei den unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern, kurz UMA genannt. Mussten im Jahr 2013 bundesweit circa 6 600 UMA in Obhut genommen werden, so hat sich die Zahl im Jahr 2014 nahezu verdreifacht und liegt momentan bei 18 000 Obhutsfällen. Die Tendenz im Jahr 2015 ist stark steigend.

Aufgrund dieser Zahlen wurde ein Gesetzentwurf auf Bundesebene erarbeitet. Der neue Gesetzentwurf soll Klarheit schaffen und die Belastungen auf die Bundesländer mittels Königsteiner Schlüssel verteilen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn dieses Gesetz umgesetzt werden sollte – und dies ist absehbar –, dann sind wir in der Pflicht und müssen neben herkömmlichen Asylbewerbern auch für die Unterbringung von UMA sorgen. Wir sind verpflichtet, den UMA Zugänge zu Bildungsangeboten, Kindertageseinrichtungen und zu Unterstützungsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe zu gewähren, und – da sollten wir uns alle einig sein – eine dem Kindeswohl entsprechende bedarfsgerechte Versorgung dieses jungen Menschen muss sichergestellt werden, da es sich hier im Besonderen um einen schutzbedürftigen Personenkreis handelt.

Zurzeit befinden sich circa 150 UMA in Sachsen, die von den zuständigen Jugendämtern betreut werden. Die Zahl soll, wie schon mehrfach erwähnt, auf circa 1 500 im Jahr 2016 ansteigen. Das wäre eine Steigerung um das Zehnfache und würde alle Betroffenen vor große Herausforderungen stellen, deren Ausmaße bis dato nicht absehbar sind.

Die Stabsstelle, die erst vor zwei Wochen im SMS installiert wurde, soll sich dieser Herausforderung annehmen. Unseres Erachtens wurde dieser reichlich spät installiert. Schon jetzt sind die Jugendämter, Kommunen, Schulen, Kitas und so weiter völlig überlastet. Deshalb möchte ich

noch ein paar Punkte aufgreifen, die im Rahmen der letzten Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses zutage getreten sind und das ganze Ausmaß der Defizite und der Probleme aufzeigen sollen.

So ist die Traumaberatung, die übrigens nicht nur UMA zur Verfügung stehen soll, nicht flächendeckend vorhanden. Die Sozialpsychiatrischen Dienste der Kommunen sind bereits jetzt schon völlig überlastet, da es an Psychologen und Dolmetschern fehlt, die die Sprachfülle von über 100 verschiedenen Sprachen abdecken müssten. UMA sind schulpflichtig. Das stellt Schulen und Lehrer vor besondere Herausforderungen. Bereits jetzt sind Schulen und Lehrer komplett überlastet und mit Traumakindern an der Belastungsgrenze angelangt. So werden die Kinder, die in sogenannten DaZ-Klassen die deutsche Sprache erlernen, oft mit unzureichenden Deutschkenntnissen in die Regelklassen, die jetzt in einigen Städten bereits überfüllt sind, überführt.

Wenn wir hier in Sachsen vom erfolgreichen Projekt der Pflegefamilien sprechen, so kann ich Ihnen heute schon sagen, dass es faktisch keine Pflegefamilien mehr gibt, die Flüchtlingskinder aufnehmen können. Des Weiteren ist die Finanzierung dieses Personenkreises auch noch nicht geklärt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vergessen Sie zudem nicht, dass wir noch vor anderen Herausforderungen stehen und diese Themen – auch wenn sie unbequem sind – angesprochen werden müssen. Ich spreche hier von Ablehnung und Kriminalität derer, denen wir Hilfe anbieten. Kriminalstatistiken in Hamburg und Bremen belegen, dass circa 10 % der UMA stark straffällig sind, jegliche Kooperation ablehnen und sich zudem nicht an die hiesigen Vorschriften und Gesetze halten. Die Behörden sind dort völlig hilflos, da zum einen eine Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen nicht gewünscht und möglich ist und zum anderen diese von Menschenrechtsgruppen torpediert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nun möchte ich noch einmal auf die Arbeit unserer Staatsregierung eingehen. Die Asylpolitik in Sachsen respektive in Deutschland ist von Hilflosigkeit gekennzeichnet. Die Politik der Bundes- und der Staatsregierung ist in meinen Augen eine Bankrotterklärung, die mit einer Selbstaufgabe gleichzusetzen ist.

Wenn neue Flüchtlingsunterkünfte in einer Nacht-und- Nebel-Aktion aus dem Boden gestampft werden, wenn Menschen vor Ort mit den Problemen alleingelassen werden und die Belastungsgrenze bei Weitem überschritten ist, dann kann ich Ihnen, den Damen und Herren der Staatsregierung, konstatieren, dass Sie auf ganzer Linie versagt haben.

Mit der Nichtdurchsetzung geltenden Asylrechts, welches auch eine konsequente Rückführung von Abgelehnten vorsieht, werden wir nicht Herr der Lage, sondern taumeln wie ein angeschlagener Boxer weiter ohnmächtig von der einen Ecke in die andere.

(Lachen bei den LINKEN)

Beim Antrag der Linksfraktion werden wir uns der Stimme enthalten, da dieser Antrag etwas zu spät kommt, nicht weit genug greift und viele Anfragen mittels Kleiner Anfragen hätten gelöst werden können.

Ich fordere aber auch zum Wohle der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge die Landesregierung auf, aus der Lethargie zu erwachen und den ständigen Willensbekundungen Taten folgen zu lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Eine Kurzintervention; bitte, Herr Homann.

Es ist im Grunde genommen jetzt gerade genau das passiert, von dem ich mir eigentlich erhofft hatte, dass dies in einer Diskussion über Kinder, die nach Deutschland flüchten müssen, nicht geschieht. Ich finde das sehr schade. Wir führen hier gerade eine Debatte, die von sehr viel Würde getragen ist, wo wir uns in der Zielstellung sehr einig sind.

(André Wendt, AfD: Sie machen gerade die Würde kaputt!)