Protokoll der Sitzung vom 01.09.2015

(Beifall bei der CDU, der SPD, der AfD und der Staatsregierung)

Ich danke dem Herrn Staatsminister. Es folgt die Erklärung der Staatsministerin für Gleichstellung und Integration beim Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, Frau Petra Köpping. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! „Gemeinsam“ ist das Motto dieser Regierungserklärung. Deswegen stehen wir, Kollege Ulbig und ich, auch heute beide vor Ihnen; denn die Themen Asyl und Integration müssen wir auch stets zusammen denken. In der jetzigen Situation sollten wir sie auch gemeinsam angehen. Nur in dieser Gemeinsamkeit liegt die Chance zur Verbesserung der Situation.

Alle, die eine Verantwortung für die Gesamtaufgabe Asyl sehen, sind mit der derzeitigen Lage, mit dem derzeitigen Umgang mit den Geflüchteten, mit den fremdenfeindlichen Ausfällen und Übergriffen und dem damit verbundenen Bild Sachsens in der Öffentlichkeit ziemlich unzufrieden. Doch diese Unzufriedenen sagen auch: Fragen Sie nicht nur, was andere nicht tun, sondern fragen Sie sich, was Sie selbst bewegen und in welcher Verantwortung Sie etwas bewegen können.

Die Analyse unserer derzeitigen Lage können wir meiner Ansicht nach sehr kurz halten. Das Weltgeschehen er

reicht uns nicht mehr nur im Fernsehen, sondern kommt gerade in unseren Gemeinden, Stadtvierteln und Nachbarschaften an. Genau darauf waren wir nicht gut vorbereitet und müssen das nun alles schnellstens nachholen. Deshalb lassen Sie uns jetzt, wo es um das integrationspolitische „Wie weiter?“ geht, offen über das eben genannte „Wir“ sprechen.

Kollege Ulbig hat unsere Forderungen und Erwartungen an Europa und den Bund schon erläutert. Das ist richtig. Solidarität muss auch innerhalb der EU gelten. Der Bund hat richtigerweise drei große Aufgaben: Information über das deutsche Asylrecht im Ausland, Beschleunigung der Antragsverfahren und Bereitstellung von mehr Mitteln zum Gelingen der gesellschaftlichen Teilhabe der Ankommenden.

Wer die Eckpfeiler unserer sächsischen Integrationspolitik kennen möchte, der möge einfach in unseren Koalitionsvertrag schauen. Schon im Herbst letzten Jahres – keiner kannte islamophobe Abkürzungen und nur wenige erahnten die Flüchtlingszahlen – hat sich diese Koalition in ihrem Koalitionsvertrag auf ein progressives und verbessertes Verständnis von Teilhabe für unsere zugewanderten Menschen geeinigt. Dieser Abschnitt im Koalitionsvertrag ist übrigens ein über die Grenzen von Sachsen hinaus viel gelobtes Kapitel. Genau das setzen wir jetzt um und machen damit unsere integrationspolitischen Hausaufgaben.

Unser erstes Augenmerk galt der sozialen Betreuung der Flüchtlinge. Mit einer neu geschaffenen Förderrichtlinie geben wir den Landkreisen und kreisfreien Städten 4,6 Millionen Euro in diesem Jahr in die Hand, um ihre kommunale Flüchtlingssozialarbeit verbessern zu können. Im kommenden Jahr ist ebenfalls so viel vorgesehen. Damit verbessern wir nicht nur die Lage der Flüchtlinge, sondern es entsteht ein Netzwerk aus engagierten und vor Ort gut vernetzten Aktiven, die zu den Motoren von Austausch und Begegnung in unseren Städten und Gemeinden werden.

Den zweiten Blick haben wir auf die vielfältigen Integrationsprojekte in diesem Land geworfen. Erstmals fördert der Freistaat in Größenordnungen mit einer eigenen Förderrichtlinie die wunderbare und notwendige Integrationsarbeit von Vereinen, Kirchen, freien Trägern und Kommunen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

3,5 Millionen Euro stehen dafür in diesem Jahr und 4,5 Millionen Euro im nächsten Jahr zur Verfügung. Damit stehen Mittel für Patenschaften, ehrenamtliche Sprachkurse, Beratungsprojekte und die vielen kleinen und großen Aktivitäten vor Ort bereit. Auch den Bereich der psychosozialen Beratung und Begleitung von Geflüchteten können wir im Rahmen dieser Richtlinie fördern.

Ich bin sehr froh, dass wir als Land hier in eine so umfangreiche Unterstützung unserer haupt- und ehrenamtli

chen Aktiven einsteigen. Wir reden hier über nichts anderes als über das Fundament, auf dem wir alle weiteren Bemühungen aufbauen.

Wenn wir den sozialen Frieden und das Engagement vor Ort ausgleichen und bewahren können, ist uns ein großer Schritt zu einem weltoffenen Land gelungen.

Eine Idee anderer Bundesländer greifen wir ebenfalls auf: Wir werden den Asylsuchenden schon in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft in Sachsen eine erste Orientierung über die Bandbreite unseres Zusammenlebens vermitteln. Wir werden von unseren gesellschaftlichen Grundwerten bis hin zur Funktionsweise unserer Ticketautomaten informieren. Es gehören erste Sprachkenntnisse dazu. Wir erstellen dazu mit den Volkshochschulen ein eigenes sächsisches Wegweiserkonzept und starten in Kürze dazu ein Pilotprojekt.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Ja, je eher wir die Menschen auf ihren Aufenthalt bei uns vorbereiten, desto weniger Konflikte werden entstehen.

Ebenfalls sehr umfangreich in unserem Koalitionsvertrag beschrieben findet sich die Verbesserung der Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt. Hierzu wird es Ende des Monats auf Einladung des sächsischen Wirtschaftsministers Dulig und mir eine Fachtagung mit allen Arbeitsmarktakteuren geben. Dort wollen wir zeigen und beschreiben, wo und wie die guten Beispiele funktionieren und an welchen Stellen noch Hürden und Hindernisse existieren. Es ist der Höhepunkt gelingender Integration, wenn wir freie Ausbildungs- und Arbeitsplätze mit Migrantinnen und Migranten besetzen können.

Ein Thema, das ebenfalls im Koalitionsvertrag mit einem grundlegenden Satz verankert ist, ist natürlich der Zugang zum Spracherwerb. Wir stehen heute immer noch vor der Situation, dass erst diejenigen einen Zugang in die Integrationskurse des Bundes erhalten, die einen Aufenthaltstitel haben. Angesichts der Zugangszahlen und der hohen Schutzquote für viele Länder reicht dieses Kriterium für eine frühe sprachliche Integration in unser gesellschaftliches Zusammenleben nicht mehr aus.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Das hat im Laufe des Jahres auch der Bund bemerkt und steuert nach. Wir als Freistaat werden ergänzend zu den Möglichkeiten der Bundesregierung einen weiteren Zugang zum Erwerb der deutschen Sprache schaffen. So steht es im Koalitionsvertrag.

Wir bemerken gerade an vielen Stellen, dass es mit Geld und Projekten allein nicht getan ist. Wir benötigen auch die dafür ausgebildeten Menschen, die Dozentinnen und Dozenten, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Betreuerinnen und Betreuer. Wir setzen große Hoffnungen in deren Arbeit und verbinden damit große Erwartungen.

Doch wie finden wir all diese Menschen? In unserem Land leben viele gut ausgebildete und engagierte Migrantinnen und Migranten. Sie sind der beste Brückenbauer

für beide Seiten, sowohl für die Neuzuwanderer als auch für die Mehrheitsgesellschaft. Sie besitzen Kompetenzen, die wir heute an vielen Stellen dringend benötigen – von der Sprache bis hin zum Wissen, wie sich das interkulturelle Zusammenleben am besten gestalten lässt. Diesen Schatz sollten wir gemeinsam heben. Hier sollten wir alle demnächst gemeinsam weiterdenken und entsprechende Maßnahmen festlegen.

Um auch in der Staatsregierung immer wieder gemeinsame Wege zu finden, haben wir seit Ende 2014 zwei Gremien installiert: einen monatlich tagenden Lenkungsausschuss, der alle Ressorts und die Kommunen an einen Tisch bringt, und ein Verbändegespräch, das für einen landesweiten Austausch mit den Vereinen und Verbänden sorgt. Gerade den Lenkungsausschuss gilt es meiner Meinung nach noch einmal kräftig zu stärken; denn wir als Staatsregierung müssen uns einig sein und immer wieder unter Beweis stellen, dass die aktuelle Frage der höheren Flüchtlingszahlen keine einfache fachpolitische Frage des Inneren oder der Integration ist, sondern alle Ressorts betrifft.

Von der Verwaltung der Liegenschaften durch das Finanzministerium über den Umgang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Sozialministerium bis hin zu den DaZ-Klassen im Kultusministerium hat jedes Ressort seine eigenen Anstrengungen zu unternehmen. Im Lenkungsausschuss sind ebenso unsere sächsischen Kommunen vertreten, und ich möchte offen sagen: Wir haben die Landkreise, Städte und Gemeinden ebenfalls als Integrationsakteure wahrzunehmen, und wenn wir sie mit diesem Blick betrachten und ernst nehmen, dann können wir sie auch unterstützen: bei der sozialen Betreuung, bei der Schaffung von Arbeitsgelegenheiten, beim Aufbau von Integrationsnetzwerken und bei vielen weiteren Maßnahmen. Wir brauchen ein solidarisches Gemeinsam. Das rege ich auch in meinen zahlreichen Vor-OrtTerminen immer wieder an.

Um all dies zusammenzutragen, die Verantwortung aller Verantwortungsträger zu verdeutlichen und das Bild des vernunftvollen Landes Sachsen zu stärken, rege ich einen landesweiten Integrationsgipfel an, der das gemeinsame Vorgehen all jener, die an einem konstruktiven Austausch über das Wie des Umgangs mit Geflüchteten interessiert sind, in den Vordergrund stellt.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Staatsregierung)

Gerade als langjährige Bürgermeisterin, Landrätin und Landtagsabgeordnete sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auf der Tagesordnung steht nicht die Frage, ob wir die Menschen unterbringen wollen, sondern wie wir Ihnen schnellst- und bestmöglich in unseren Städten und Gemeinden eine – wenn auch manchmal nur vorübergehend – neue Heimat geben. Dafür hat jeder und jede Abgeordnete seine landespolitische Verantwortung zu tragen, und es darf weder ein Verhindern von Umzügen an gewissen Aufnahmestandorten geben noch eine Diskussion, wenn das Boot zu voll ist. Hier gilt es einzig und

allein, Haltung für das Grundrecht auf Asyl einzunehmen und sich für eine gelingende Unterbringung und Integration der Menschen bei uns in Sachsen einzusetzen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und der Staatsregierung)

Nach über 170 landesweiten Veranstaltungen allein im letzten Dreivierteljahr kann ich Ihnen nur sagen, dass jede einzelne Diskussion vor Ort gewinnbringend und sinnvoll war. Genau dies erachte ich als unsere verfassungsmäßige Pflicht, und es macht zudem in den allermeisten Fällen wahre Freude, mit den Menschen die Fragen von Integration zu diskutieren. Lassen Sie uns dabei sauber unterscheiden: Einerseits sprechen wir über den kurzfristigen, akuten Umgang mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen. Andererseits sprechen wir über die langfristige Teilhabe derer, die zu uns kommen, am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und letztendlich auch politischen Leben in Sachsen. Genau für diese langfristige Perspektive, die eine enorme gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt – nämlich mit dem Blick auf den Arbeitsmarkt, die Demokratie, das interreligiöse Miteinander, die schulische Bildung, den Ausbildungsmarkt, unsere Wirtschaft –, für diese Zukunft müssen wir uns erst noch richtig fit machen.

Wir stehen ganz am Anfang, wenn wir über interkulturelle Kompetenz in den Amtsstuben sprechen, über Trainings und Austausche für unsere Beamtinnen und Beamten, über den Ansatz von Diversity Management, letztlich über die wirklich gelebte Willkommenskultur in all unseren Ämtern und Behörden.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN)

Das ist eine Konsequenz von Integration, und es ist das Ziel und gleichzeitig die große Chance für den Sächsischen Landtag und die Staatsregierung sowie für unser Land.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in jedem Vor-OrtGespräch wird deutlich: Ohne Ehrenamt stößt hauptamtlicher Einsatz an seine Grenzen. Die vielen engagierten Menschen im Land übersetzen, begleiten, erklären, lehren, führen zusammen, beschwichtigen, beraten, motivieren und stärken mit einem Einsatzwillen, der einem teilweise übermenschlich vorkommt. Ohne dieses zivilgesellschaftliche Umfeld fällt es auch den Maltesern, den Johannitern, dem DRK – um nur einige Akteure zu nennen – schwer, die ihnen übertragene Herausforderung zu meistern. An dieser Stelle möchte auch ich noch einmal ein großes Dankeschön an alle Engagierten ausdrücken.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN)

Sie schließen im Moment nicht nur viele Lücken. Nein, ihnen gelingt auch, was einem Sprachkurs oder einer politischen Entscheidung nie möglich wäre: Sie nehmen die Menschen mit. Sie begleiten und unterstützen sie als

Mitmenschen und Mitglieder unserer Gesellschaft, unabhängig davon, wie lange sie bleiben werden. Dafür gebührt ihnen der ausdrückliche Dank der gesamten Staatsregierung, und ich sage deutlich: Wer dieses Engagement nicht aufbringen kann oder möchte, den soll man nicht zwingen, aber er verpasst etwas Wunderbares: ein offenherziges Miteinander und eine enorme Dankbarkeit. Wer dieses Engagement allerdings behindert, verunglimpft oder die Engagierten gar angreift, der stellt sich außerhalb unserer Gesellschaft und erntet meine Verachtung.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Ja, wir Sachsen liefern gerade in der Außenwirkung ein denkbar schlechtes Bild ab. Aber wir Sachsen – wir alle – haben es genauso in der Hand, unser Bild durch kluges und gemeinsames Handeln wieder zu verbessern; denn es gibt eine Welle der Hilfsbereitschaft, der Solidarität, der Vernunft, und noch nie war sie so groß. Wir alle sollten dieses Engagement unterstützen. Wir sollten Teil dieses Engagements sein und sogar mit gutem Beispiel vorangehen. Ich hoffe, wir haben Sie hierbei an unserer Seite.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Frau Staatsministerin Köpping und noch einmal Herrn Staatsminister Ulbig. – Wir kommen nun zur Aussprache. Die Reihenfolge in der ersten Runde ist geplant: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, GRÜNE; Staatsregierung, wenn gewünscht. Am Ende der Debatte hat der Ausländerbeauftragte um das Wort gebeten. Ich erteile nun der Fraktion DIE LINKE das Wort; bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, den Deutschland am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen entfesselte und der millionenfachen Tod und unfassbares Leid über die Menschen in Europa und in der Welt brachte. Dieser Tag – der Ministerpräsident erinnerte in seiner Rede ebenfalls daran – soll uns immerwährende Mahnung sein, dass Krieg immer nur Leid, Tod und Zerstörung über die Menschen bringt.

Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, sich nicht nur am heutigen Tag an den Werten des Friedens zu orientieren. Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit 1945 nicht mehr. Nur wenige finden den Weg nach Europa und nach Deutschland – trotz der aktuellen Schätzungen von 800 000 Menschen in diesem Jahr. Die allermeisten Menschen, die auf der Flucht sind, fliehen vor Krieg, Terror und Verfolgung.

Rechtspopulistische, neofaschistische Parteien und

Organisationen, aber auch viele Unorganisierte, oft fälschlicherweise „besorgte Bürgerinnen und Bürger“

oder „Asylkritiker“ genannt, hetzen gerade auch in Sachsen gegen Flüchtlinge und ihre Unterbringung. Diesem Hass gegen Geflüchtete müssen wir als Gesellschaft begegnen, indem wir dem Hass und dem Rassismus widersprechen, Gesicht zeigen, den Humanismus auf die Straße tragen, aber auch ganz konkret, indem wir Flüchtlinge willkommen heißen, uns engagieren und einbringen.