Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! In den vergangenen rund 25 Jahren ist im Freistaat Sachsen das Durchschnittsalter von 39,4 Jahren auf 46,5 Jahre angestiegen. Dieser Alterungsprozess wird anhalten. Nach den Prognosen des Statistischen Landesamtes wird der Altersdurchschnitt bis zum Jahr 2025 auf über 50 Jahre steigen. Dann wird voraussichtlich jeder dritte Sachse über 65 Jahre alt sein. Der Anteil der über 80-Jährigen wird bei circa 10 % liegen. Wer heute als Mädchen in Sachsen zur Welt kommt, der kann mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von knapp 84 Jahren rechnen. Sachsen ist im Bundesvergleich im Hinblick auf die Bevölkerung das zweitälteste Bundesland.
Während einerseits die hohe Lebenserwartung ein deutlicher Indikator für gute Lebensbedingungen ist, muss sich eine alternde Bevölkerung aber auch den sich daraus ergebenden Problemen stellen. Die Justiz ist damit im Prinzip heute schon konfrontiert.
Der Antrag der Fraktionen CDU und SPD weist zu Recht darauf hin, dass die Zahl der gerichtlich angeordneten Betreuungen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Damit sind nicht nur Kosten und ein hoher Aufwand für die Betreuungsgerichte und die mit der Wahrnehmung der Betreuung betrauten Personen verbunden. Vor allem die Betroffenen verlieren mit der angeordneten Betreuung zumindest einen Teil ihres bisher selbstbestimmten Lebens. Kann aber ein Betroffener seine Geschäfte nicht mehr selbst regeln, dann kann seine Teilhabe am Leben nur durch jemanden garantiert werden, der seine Interessen für ihn vertritt.
In dieser Phase ist es deshalb besonders wichtig, dass dem Betroffenen mit dem Betreuer jemand an die Seite gestellt wird, der sein Vertrauen genießt und dessen Ratschläge und Handeln er akzeptieren kann. Auch wenn die Berufsbetreuer hier sehr wertvolle und unentbehrliche Arbeit leisten und gerade komplexere Fälle in aller Regel in ihren Händen am besten aufgehoben sind, können vor allem Familienangehörige oder Bekannte des Betroffenen von Anfang an das notwendige Vertrauen aufbauen. Zu Recht entspricht deshalb der ehrenamtliche Betreuer dem Leitbild des Gesetzes.
Dieser steht aber selbst vor großen Herausforderungen. Er muss sich oft schnell dafür entscheiden, das Amt zu übernehmen, und muss ad hoc das Notwendige veranlassen. Nicht selten sind dann essenzielle Entscheidungen zu treffen, die den Betroffenen und seine Familie persönlich stark belasten, zum Beispiel die Unterbringung in einem Heim oder die Entscheidung über eine lebenswichtige Operation bzw. die Beantwortung der Frage, ob diese Operation den Interessen des Betroffenen entspricht.
Dabei braucht der Betreuer häufig selbst professionelle Begleitung. Diese Aufgabe kann die Justiz nicht leisten. Im Freistaat Sachsen gibt es dafür über 30 anerkannte Betreuungsvereine. Zu ihren Aufgaben gehört auch das Leisten sogenannter Querschnittsarbeit. Das heißt, die Betreuungsvereine werben und beraten ehrenamtliche Betreuer. Der Staat darf Vereine mit dieser wichtigen Aufgabe nicht alleinlassen. Auch wenn die Vereine selbst Betreuung durchführen und dafür von den Betreuten oder der Justiz eine Vergütung erhalten, kann nicht erwartet werden, dass die Vereine diese Aufgaben aus eigener wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erbringen können. Sie brauchen deshalb eine finanzielle Ausstattung, die einen nennenswerten Beitrag zur Deckung ihrer Ausgaben leistet.
Dieser Verantwortung ist sich die Staatsregierung bewusst. Wir haben deshalb in diesem Jahr damit begonnen, die bisherige Förderrichtlinie zu überarbeiten. Das Staatsministerium der Justiz wird im Ergebnis einer eingehenden Diskussion mit den Betreuungsvereinen die Förderrichtlinie neu fassen.
Hemmnisse, die die Vereine in den letzten Jahren davon abgehalten haben, zur Verfügung stehende Gelder in Anspruch zu nehmen, werden dabei gleich mit abgebaut. Dabei soll aber das hohe Beratungsniveau bei den Verei
nen weiter gewährleistet werden. Das Staatsministerium beabsichtigt, noch in diesem Herbst das Kabinett mit einer entsprechenden Vorlage zu befassen, sodass die Neuregelungen zum 01.01.2016 in Kraft treten können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein noch wichtigeres Ziel ist es aber, die Anordnung einer Betreuung zu vermeiden. Bund und Länder haben vor diesem Hintergrund in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen. Mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung haben sie Instrumentarien entwickelt und beworben, mit denen jeder bereits frühzeitig, das heißt weit vor dem Eintritt des Betreuungsfalls, bestimmen kann, wer für ihn die Entscheidungen in diesem Fall treffen kann und welche Vorgaben er dabei zu beachten haben wird.
Das Staatsministerium der Justiz unterstützt nicht nur ehrenamtliche Betreuer mit der von ihm herausgegebenen Broschüre „Wegweiser für ehrenamtliche Betreuer“, sondern informiert die Bürger mit der neu erschienenen Broschüre „Betreuung und Vorsorge“ über die Möglichkeiten, Vorsorge zu treffen. Diese Broschüre legen wir neu mit 100 000 Exemplaren auf. Das ist unter all den Angeboten, die wir für die Bürgerinnen und Bürger vorhalten, tatsächlich die am meisten nachgefragte. Es ist richtig, dass wir das auch so fortsetzen.
Die rechtliche Betreuung ist aber nicht nur gefragt, weil unsere Bevölkerung älter wird, auch aktuelle Entwicklungen beanspruchen dieses Institut zunehmend für zum Beispiel die Betreuung drogenabhängiger jüngerer Menschen. So schließt sich denn auch der Kreis zur größten aktuellen Herausforderung. Auch diejenigen, die aus Krisen- und Kriegsgebieten zu uns kommen, um Zuflucht zu finden, haben teils so dramatische Traumatisierungen und Belastungen erlebt, dass sie an psychischen Erkrankungen leiden. Auch hier kann die Anordnung einer Betreuung unumgänglich sein und darauf werden wir uns einstellen müssen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Schlusswort. Das ist nicht erforderlich. Dann kommen wir zur Abstimmung. Herr Wendt, Sie haben punktweise Abstimmung beantragt.
Wie soll das erfolgen? Nach den arabischen Punkten oder wollen Sie unter dem Punkt 1, dass ich die einzelnen Buchstaben abstimmen lasse?
Meine Damen und Herren! Aufgerufen ist zur Abstimmung über die Drucksache 6/2799, Punkt 1. Wer dem Buchstaben a seine Zustimmung geben möchte, zeigt das jetzt bitte an. – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Danke sehr. Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei Gegenstimmen
Ich rufe auf zur Abstimmung über Punkt b der Drucksache. Wer stimmt zu? – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Danke. Gibt es Stimmenthaltungen? – Auch hier ist bei Gegenstimmen ohne Enthaltungen die Mehrheit dafür.
Punkt c ist aufgerufen. Wer ist dafür? – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Enthaltungen? – Auch hier keine Enthaltungen, aber Gegenstimmen. Die Mehrheit ist für Punkt c.
Wer ist für Buchstabe d in Punkt 1? – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Hier stelle ich Einstimmigkeit fest.
Wer ist für Buchstabe e in Punkt 1? – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Auch hier ist Einstimmigkeit festzustellen.
Wer ist für Buchstabe f? – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Keine, also Einstimmigkeit.
Wer ist für Buchstabe g? – Danke sehr. Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Danke. Bei Stimmenthaltungen und ohne Gegenstimmen ist dem Buchstaben g in Punkt 1 entsprochen worden.
Ich rufe jetzt erst einmal zur Abstimmung über Punkt 2 auf. Wer ist dafür? – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier Stimmenthaltungen, keine Gegenstimmen. Punkt 2 ist mehrheitlich entsprochen worden.
Damit rufe ich zur Schlussabstimmung über die Drucksache 6/2799 auf. Wer ist dafür? – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Danke sehr. Ohne Gegenstimmen, aber mit Stimmenthaltungen ist die Drucksache 6/2799 beschlossen und der Tagesordnungspunkt 4 beendet.
Die Aussprache zum Antrag nehmen wir wie folgt vor: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt für die Fraktion die LINKE Frau Abg. Buddeberg. Bitte sehr, Frau Buddeberg, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Artikel 8 der Sächsischen Verfassung lautet: „Die Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ist Aufgabe des Landes.“ Mag sein, dass ich Sie langweile, wenn ich diesen Artikel hier schon wieder zitiere, aber ich muss Ihnen sagen, dass mir das herzlich egal wäre; denn dieser Artikel ist nicht dazu gedacht, zwischen Artikel 7 und Artikel 9 besonders hübsch auszusehen, er ist dazu gedacht, ernst genommen zu werden.
Solange das nicht geschieht – und aus Sicht der Fraktion DIE LINKE werden in Sachsen Gleichstellungsfragen nicht besonders ernst genommen –, werde ich weiter von hier vorn darauf hinweisen, zumal durch die Kommunikationswissenschaft bestätigt wird, dass mitunter eine hohe Wiederholungsfrequenz nötig ist, um eine Botschaft zu senden.
Wenn wir heute beantragen, ein ressortübergreifendes frauen- und gleichstellungspolitisches Handlungskonzept für den Freistaat Sachsen vorzulegen, dann wollen wir damit sicherstellen, dass dieser Verfassungsauftrag erfüllt
wird, indem die Arbeit in diesem Politikfeld auch in Sachsen systematisch geplant und gesteuert wird. Gleichstellungspolitik darf nicht länger ein Anhängsel des Sozialministeriums bleiben.
Alle Abgeordneten unter Ihnen, die sich ein klein wenig mit unserem Antrag beschäftigt haben, werden schon darauf warten, dass ich die SPD-Fraktion anspreche. Und richtig, dazu komme ich jetzt, denn, wie Sie sicher wissen, ist der Antrag in dieser Legislatur nicht ganz neu erarbeitet worden. Es gab bereits in der 5. Wahlperiode im Jahr 2010 einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen DIE LINKE und SPD mit dem verdächtig ähnlichen Titel „Ressortübergreifendes frauen- und gleichstellungspolitisches Handlungskonzept für den Freistaat Sachsen erarbeiten“. Damals fasste die SPD-Abgeordnete Deicke die Debatte wie folgt zusammen: „Wir können feststellen, die Staatsregierung hat auf dem Gebiet der Frauen- und Gleichstellungspolitik kein Konzept. Sie ist konzeptlos. Wenn unser Antrag abgelehnt wird, heißt das, sie will es auch bleiben.“ Nun, wir wissen, wie die Geschichte ausging. Der Antrag wurde abgelehnt. Die Staatsregierung blieb konzeptlos.
Seit dieser Debatte sind fast fünf Jahre ins Land gegangen. Was hat sich seitdem in der sächsischen Gleichstellungspolitik verändert? Zunächst einmal die Regierungskoalition. SPD statt FDP. Ein Fortschritt, wie ich finde. Wir wollen auch nicht in Abrede stellen, dass die Handschrift der SPD im Koalitionsvertrag sichtbar ist. Dort heißt es: „Gleichstellung von Frauen und Männern betrifft
alle Lebensbereiche und ist als Querschnittsaufgabe in allen Ministerien abzubilden. Frauen und Männer sollen ihre Aufgaben in Familie, Beruf und Gesellschaft gleichberechtigt und partnerschaftlich wahrnehmen können. Dazu müssen bestehende Ungerechtigkeiten beseitigt werden.“
Das klingt ambitioniert. Die halbe Stellungnahme der Staatsregierung zu unserem Antrag besteht aus Zitaten aus dem Koalitionsvertrag. Das Problem ist nur: All diese wohlklingenden Vorhaben sind weder mit konkreten Handlungsvorgaben unterlegt noch zeitlich eingeordnet. Dazu kommt, ein Koalitionsvertrag ist nur so gut wie die Regierung, die ihn umsetzt. Es bleibt die Frage, inwieweit der Koalitionspartner CDU die Vorhaben tatsächlich mitträgt. Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass die CDU beim Unterschreiben hinsichtlich mancher Passagen nicht nur mit den Zähnen geknirscht, sondern auch heimlich die Finger gekreuzt hat. Ähnliches haben wir vor zwei Wochen erst im Hinblick auf den Aktionsplan zur Vielfalt von Lebensweisen erlebt. Zur Anhörung im Sozialausschuss hat die CDU-Fraktion ausgerechnet Birgit Keller eingeladen und damit deutlich gemacht, was sie von den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorhaben hält, nämlich nichts.
Wahrscheinlich können wir froh sein, dass wir zu dem heute zur Diskussion stehenden Antrag keine Anhörung im Ausschuss beantragt haben. Wer weiß, wen die CDUFraktion dann als Sachverständigen eingeladen hätte. Rainer Brüderle vielleicht, der bekanntermaßen ausgewiesener Sexismusexperte ist.
(Beifall des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE – Henning Homann, SPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)