Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor der Einführung des Mindestlohns gab es viele Cassandra-Rufe. Ich möchte einmal ein Beispiel nennen: Prof. Sinn, den ich persönlich sehr schätze, vom Ifo-Institut. Er ist ein kluger Kopf. Er hat die Gefahr gesehen, dass 900 000 Arbeitsplätze wegfallen würden. Die Einführung des allgemeinen
Mindestlohns ist nun ein Jahr her. Seit dem Jahr 1996 gibt es bereits branchenspezifische Mindestlöhne. Man kann in der Tat einmal eine Bilanz ziehen.
Wie sieht die Realität aus? Im vergangenen Jahr ist in Deutschland und auch in Sachsen die Beschäftigung gestiegen. Minijobs wurden in sozialversicherungspflichtige Stellen umgewandelt. Es gab ein Lohnplus, gerade bei den Geringverdienern, wovon in Sachsen jeder siebente Arbeitnehmer profitiert hat. Sie haben vorher unter 8,50 Euro verdient. Klar ist aber auch, dass nicht jeder
automatisch mehr bekommen hat. Es gab auch Unternehmen, die zum Beispiel die Jahresendprämie umgewandelt und auf die Monatsscheiben umgelegt haben, sodass der Arbeitnehmer nicht unbedingt mehr verdient hat. Es gab auch in manchen Bereichen leicht gestiegene Preise, zum Beispiel bei den Taxiunternehmen. Das hat aber nicht dazu geführt, dass die Leute nicht mehr mit dem Taxi fahren. Man muss dies aber als eine Auswirkung mit benennen. Das sind die Fakten.
Wie ist dies zu bewerten? Für uns als Union war wichtig, dass wir dem Ziel näher kommen, dass jemand der arbeitet, am Monatsende mehr hat als jemand, der nicht arbeitet. Wir wissen, dass das vor der Einführung des Mindestlohns nicht unbedingt der Fall war. Wenn jemand 5 oder 6 Euro verdient, hat er dafür einen ganzen Monat lang gearbeitet. Am Monatsende hatte er aber genau so viel in der Tasche wie jemand, der nicht gearbeitet und im Unterhemd zum Fenster hinaus- und zugeschaut hat, wie der Arbeitende zur Arbeit gegangen ist. Das kann nicht sein. Ich möchte, dass jemand, der arbeitet, mehr hat als jemand, der nicht arbeitet.
Die nächste Frage, mit der wir uns heute beschäftigen dürfen, ist folgende: Wie geht es nun weiter? Bereits an verschiedenen Stellen hört man, wie sich der Mindestlohn weiterentwickeln soll. Es gibt auf der einen Seite Gewerkschaften, die sagen, dass 8,50 Euro nicht ausreichen würden. Auf der anderen Seite – aufseiten der Wirtschaft – gibt es Leute, die sagen, dass man es mit der Erhöhung nicht übertreiben sollte. Vor Kurzem fand der Neujahrsempfang der Vereinigung der sächsischen Wirtschaft statt. Dort appellierte ein Redner an die Politik, bei dem Mindestlohn aufzupassen.
Ich will aber ganz deutlich sagen: Damit hat er den falschen Adressaten erwischt, weil wir zum Glück die Regelung eingeführt haben, dass ab 2017 eine Mindestlohnkommission, paritätisch besetzt mit Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, die Höhe des Mindestlohnes festlegt. Wer also künftig ein Problem mit der Höhe des Mindestlohnes hat, weil er zu hoch oder zu niedrig ist, der möge sich bitte nicht an uns wenden, sondern an die Gewerkschaften und an die Arbeitgeberverbände, weil sie das aushandeln. Ich halte es für gut, dass sie das aushandeln und es nicht die Politik festlegt;
denn die Experten auf diesem Gebiet sind eindeutig die Gewerkschaften und die Arbeitgeber. Sie haben 60 000 Tarifverträge abgeschlossen, und sie wissen, was die richtige Höhe ist. Wir wissen: Wenn der Mindestlohn zu niedrig ist, dann wirkt er nicht; wenn er aber zu hoch ist, dann fallen Arbeitsplätze weg. Deswegen ist wichtig, dass wirklich der richtige Punkt ausgehandelt wird, an dem man sagt, da wirkt der Mindestlohn, aber er führt nicht zum Wegfall von Beschäftigung. Dies können diese beiden sehr gut machen.
Es war übrigens auch eine Forderung, die die sächsischen Industrie- und Handelskammern an die Politik hatten,
dass eine Kommission die Höhe des Mindestlohnes festlegt. Das ist auch die Position der CDU/CSU gewesen, und wir sind froh, dass wir dies in dem zweiten Schritt umgesetzt haben und jetzt bis zum 30. Juni ein Vorschlag von Arbeitgebern und Arbeitnehmern kommen wird, wie man den Mindestlohn ausgestaltet, der dann ab 1. Januar 2017 auch wirken wird.
Wir werden, meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich auch über den Begriff Bürokratie bei der Einführung des Mindestlohnes noch einmal sprechen müssen. Darauf wird für den Bereich der Gastronomie Thomas Colditz noch einmal stärker eingehen. Uns als Union war wichtig: Wenn man Gesetze macht, dann müssen sie nach Möglichkeit unbürokratisch sein, und sie sollen nicht zu einer bürokratischen Belastung führen.
Bürokratisch ist für mich nicht automatisch die Tatsache, dass man eine Arbeitszeit dokumentiert. Das habe ich persönlich, als ich Arbeitnehmer war, auch gemacht; ich habe aufgeschrieben, wann ich zur Arbeit gekommen und wann ich gegangen bin. Aber man kann schon die Frage stellen, ob bei jemandem, der knapp 3 000 Euro verdient, wirklich die Gefahr besteht, dass er den Mindestlohn unterschreitet. Deswegen konnten wir es dann durchsetzen, dass wir diese Grenze bei 2 000 Euro eingezogen haben und dass man zum Beispiel bei mithelfenden Familienangehörigen das Dokumentieren der Arbeitszeit nicht unbedingt kontrollieren muss. Wenn der Ehemann der Arbeitgeber ist, muss man nicht kontrollieren, wann die Ehefrau zur Arbeit gegangen ist.
Ich halte es für gut, dass wir da bei der Bürokratie wirklich noch einmal gedrückt haben und dafür gesorgt haben, dass es weniger Bürokratie gibt.
Die einbringende CDU hatte gerade das Wort durch Herrn Kollegen Krauß, und jetzt ergreift für die ebenfalls einbringende SPD-Fraktion Kollege Homann das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Jahr Mindestlohn in Sachsen, das ist das Thema der heutigen Debatte, und es ist eine Erfolgsmeldung; denn ein Jahr Mindestlohn in Sachsen hat auf dem sächsischen Arbeitsmarkt einige Sachen verbessert.
Ein Jahr Mindestlohn heißt, es gibt seit einem Jahr einen einheitlichen flächendeckenden Mindestlohn, bei dem es
eben, anders als in anderen Bereichen, zwischen Ost und West keinen Unterschied mehr gibt. Ein Jahr Mindestlohn heißt auch, dass wir gemeinsam nach langem Ringen einen wichtigen Schritt gemacht haben, in dem Gewerkschaften gemeinsam mit den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unter Mithilfe der Opposition
ein wichtiges Thema, eine wichtige Reform umgesetzt haben. Ich sage deswegen, dass der Mindestlohn ein Erfolgsprojekt ist, weil er allein in Sachsen 250 000 Menschen dabei hilft, ihr eigenes Leben zu gestalten.
Herr Krauß hat es angesprochen: Es wurde im Vorfeld eine ganze Menge von Horrorszenarien gezeichnet. Es wurde gesagt, das große Jobsterben werde kommen, das Entstehen von Jobs werde abgewürgt. Wir müssen ganz ehrlich feststellen: Das Gegenteil ist eingetreten. Es gibt eben kein großes Jobsterben in Deutschland oder in Sachsen, und auch der Aufbau von neuen sozialversicherungspflichtigen Jobs hat sich fortgesetzt. Dies hat auch heute der Chef der Bundesagentur in Sachsen, Herr Schuberth, noch einmal klargestellt. Im letzten Jahr sind in Sachsen 27 000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden, und das ist gut für unser Land, wenn die Menschen in Arbeit sind.
Es hat sich noch mehr verändert. Wir sehen heute, dass rund 19 000 Menschen weniger als im Vorjahresmonat arbeitslos sind. Wir haben damit die niedrigste Arbeitslosenquote seit 24 Jahren. Das Beispiel Mindestlohn zeigt auch, dass sich Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt und Vollbeschäftigung nicht widersprechen müssen. Wir können beides schaffen.
Viele Studien zeigen außerdem, dass sich die Beschäftigungsstruktur verändert. Wenn wir uns alle über prekäre Beschäftigung unterhalten haben, dann haben wir nicht nur darüber gesprochen, dass in manchen Bereichen die Löhne zu niedrig sind; vielmehr haben wir ebenso darüber gesprochen, dass der Trend zu Minijobs, zur prekären Beschäftigung eben auch mehrere Gesichter hat. Deshalb ist es gut, dass sich die Beschäftigungsstruktur auch durch die Einführung des Mindestlohnes dahin gehend weiterentwickelt hat, dass wir wegkommen von den Minijobs und dass im letzten Jahr aus vielen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen vollwertige sozialversiche
rungspflichtige Jobs entstanden. Auch das ist eine positive Folgeerscheinung der Einführung des Mindestlohnes.
Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass prognostiziert wurde, mit der Einführung des Mindestlohnes werde die Schwarzarbeit in Deutschland neue Höhenflüge erleben. Was erleben wir? Die Schwarzarbeit in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren, weil
Ich habe jetzt viele Zahlen genannt, aber ich glaube, einer der wichtigsten Aspekte des Mindestlohns bewegt sich abseits ökonomischer Argumente und blanker Zahlen. Ich glaube, die Einführung des Mindestlohns ist als Allererstes eine Frage der Würde, sodass die Menschen, die jeden Tag arbeiten, von dem Geld, das sie verdienen, auch leben können. Das hat etwas mit Freiheit und mit Würde zu tun.
Ein weiterer Aspekt ist das Thema Leistungsgerechtigkeit. Deshalb glaube ich, dass der Mindestlohn auch in seiner gesellschaftlichen Wirkung, indem er Menschen den Wert ihrer eigenen Arbeit wieder stärker spüren lässt, nicht nur für mehr Geld in den Taschen, sondern eben auch für mehr Zufriedenheit sorgt. Deshalb ist der Mindestlohn ein Erfolg für Sachsen und für Deutschland.
Die einbringende Fraktion der SPD war am Rednerpult durch Herrn Kollegen Homann vertreten. Als Nächster spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Tischendorf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Unternehmen, deren Existenz lediglich davon abhängt, ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen, sollen in diesem Land kein Recht mehr haben, ihre Geschäfte weiter zu betreiben.“
„Mit einem zum Leben ausreichenden Lohn meine ich mehr als das bloße Existenzminimum; ich meine Löhne, die ein eigenständiges Leben ermöglichen.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Zitat werden Sie von mir schon einmal gehört haben; ich habe es schon einmal vorgetragen. Wissen Sie noch, von wem dieses Zitat stammt? Es stammt von Roosevelt; das hat er 1933 vor Vertretern der amerikanischen Wirtschaft gesagt.
Während Sie in der Koalition hier Ihr einjähriges Jubiläum feiern, feiern wir als Fraktion DIE LINKE und ich persönlich unser bzw. mein zehnjähriges. Am 11. Mai 2006 habe ich das erste Mal hier gestanden und Ihnen dieses Zitat vorgetragen. Ich hatte mir damals vorgenommen, für den Mindestlohn zu werben. Sie werden sich erinnern: Ich hatte am Beispiel von England, das 1999 den Mindestlohn eingeführt hat, deutlich gemacht, was die Vorzüge sind.
Ich habe die Low-Pay-Commission angesprochen, Herr Kollege Krauß, Sie waren damals schon dabei. Darauf habe ich auch hingewiesen. Heute kann ich mir alle Argumente sparen, denn Sie haben sie ja schon alle positiv benannt. Damit fällt für mich weg, das zu erwähnen, was meine Vorredner schon getan haben.
Ich möchte Sie aber daran erinnern, was damals die Kollegen von der CDU zum Mindestlohn in ihren Redebeiträgen für einen Schwachsinn losgelassen haben. Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich zitieren. Andreas Hähnel von der CDU – er ist nicht mehr anwesend –: „Die PDS präsentiert uns mit ihren Mindestlohnforderungen wieder eine glänzende Anleitung dazu, wie man Massenarbeitslosigkeit erzeugen und Betriebspleiten erfolgreich organisieren kann.“
Im Protokoll steht, dass er unter Beifall und Gelächter der CDU noch anfügte: „Wenn Sie den Mindestlohn testen wollen, dann wandern Sie doch einfach nach Kuba zu Ihren kommunistischen Schwestern aus.“