Protokoll der Sitzung vom 03.02.2016

Tagesordnungspunkt 8

Europäische Migrationsagenda und

gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa

Drucksache 6/2803, Antrag der Fraktionen CDU und SPD

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es beginnen die einreichenden Fraktionen CDU und SPD, danach folgen DIE LINKE, AfD und GRÜNE; außerdem hat der Sächsische Ausländerbeauftragte um das Wort gebeten. Ich werde ihm das Wort nach der Aussprache der Fraktionen vor der Staatsregierung erteilen. Ich rufe nun die CDU-Fraktion auf; Herr Abg. Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird wohl zurzeit kein Thema geben, das die Einwohner des Freistaates Sachsen, aber vielleicht auch viele in ganz Europa, seit Monaten so bewegt wie die Zuwanderungs- und Flüchtlingsfrage. Es ist das Thema, das die Gesellschaft bei uns spaltet und vor eine riesige Zerreißprobe stellt: die Frage der Migration. Der von der Koalition vorgelegte und zu diskutierende Antrag mag bereits vom September 2015 stammen, aber er hat an Aktualität dennoch nichts verloren.

Ursprünglich war die Europäische Union der Auffassung, sie werde die Flüchtlingskrise, die sich seit der Destabilisierung von Nordafrika bereits angedeutet hatte, schnell lösen.

Vorgesehen war ein Maßnahmenpaket – zur Rettung von Menschenleben im Mittelmeer, Reduzierung der irregulären und illegalen Migration, Verteilung der Flüchtlinge in Europa, Stärkung der Asylpolitik, Steuerung der Migrationsströme, eine neue Politik der legalen Einwanderung, Bekämpfung der Schleuserbanden und des Menschenhandels und Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union.

Seit Monaten erleben wir aber etwas völlig anderes. Die Drittstaatenregelung als geltendes Recht findet keine Anwendung. Das Dubliner Abkommen wird damit nicht mehr eingehalten. Viele Bürger fragen sich, warum die im Grundgesetz verankerte Drittstaatenregelung selbst von Deutschland nicht beachtet wird. Die Sicherung der Außengrenzen funktioniert nicht. Damit sind das Dublin- und das Schengen-System fast gänzlich unwirksam, jedenfalls untauglich, die aktuellen Probleme zu lösen.

Hier zeigt sich, dass die Flüchtlingsfrage nicht allein eine Frage aus dem sozialen oder humanitären Ansatz heraus ist, sondern sie ist auch eine Frage, die die Sicherheitsinteressen berührenden Themen Europas umfasst. Die Kluft, meine sehr geehrten Damen und Herren, zwischen geltendem Recht und der Einhaltung von Recht darf sich nicht weiter vergrößern und darf nicht zur Aussetzung der rechtsstaatlichen Ordnung führen. Demokratie, Recht und Freiheit sind die Grundlagen Europas und die einzigen Garanten, Menschen in Not zu helfen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Deshalb darf der Rechtsstaat nicht geschwächt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bezüglich der Europäischen Migrationsagenda steht nicht die Frage: Rechtsstaat oder Humanismus?, sondern nur: Rechtsstaat und Humanismus werden Europa weiter zusammenhalten.

(Beifall bei der CDU)

Nur wer selbst auf rechtsstaatlichen Fundamenten steht, kann anderen helfen. Vorschläge haben wir genug aus Brüssel vernommen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Es werden noch mehr kommen!)

Nun muss endlich gehandelt werden. Die zurückliegenden Monate haben auch die Grenzen der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union beschrieben. Das sicherheitspolitische Chaos hat zum Vertrauensverlust bei vielen Bürgern geführt. Wenn die europäischen Systeme bei der Sicherung der Außengrenzen nicht funktionieren, dann müssen die Nationalstaaten handeln. Wir brauchen Grenzregelungen, die nationale Sicherheitsinteressen beachten und damit die Handlungsfähigkeit Europas erhalten, denn nur so kann auch die nationale Souveränität der Staaten Europas erhalten bleiben.

Rechtsfreie Räume an den Grenzen gefährden die Integrität aller Staaten Europas und dürfen nicht länger geduldet werden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wer jetzt nicht handelt, gefährdet die Existenz der Europäischen Union. Wir fordern deshalb, die Mittel für die Menschen, die in Flüchtlingslagern, unter anderem in Jordanien, im Libanon und in der Türkei, leben, müssen deutlich verbessert werden. Die Menschen brauchen in den Flüchtlingslagern eine Perspektive, die Zeit zu überbrücken, bis es zu einer Befriedung in Nordafrika gekommen ist. Dazu muss die Europäische Union mehr Anstrengungen als bisher an den Tag legen und diese Bleibeperspektive auch ermöglichen. Diesbezüglich soll sich Europa für menschenwürdige Rahmenbedingungen einsetzen, damit es später noch Bürger gibt, die Syrien wieder aufbauen.

Die Ursachen der Flüchtlingswanderung müssen beseitigt werden. Dazu sind noch mehr außenpolitische Aktivitäten notwendig. Wir brauchen eine Befriedung von Syrien und der anderen Staaten Nordafrikas. Europa muss den Kriegsflüchtlingen klar signalisieren: Ihr werdet beim Wiederaufbau in Syrien gebraucht, und dazu werden wir,

damit das umgesetzt werden kann, eine nachhaltige Entwicklungshilfe leisten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hierzu erwarte ich deutlich mehr Klarheit aus Brüssel, aber auch den Willen der Nationalstaaten Europas zur Umsetzung. Das Asylrecht darf nicht mit dem Einwanderungsrecht verwechselt oder gar vermischt werden.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ein gemeinsames europäisches Asylrecht wird auch künftig nicht anwendbar sein. Wir erleben es derzeit: Der Grund für die Nichtanwendbarkeit sind die wirtschaftlichen Unterschiede in den einzelnen Ländern. Es muss sich niemand einbilden, dass die derzeitige Situation in Deutschland vergleichbar mit der in vielen europäischen Staaten ist. In Spanien, in Portugal, in Italien und in Griechenland gibt es hohe Arbeitslosenzahlen. Es gibt eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Auf einem angespannten Arbeitsmarkt wird eine Akzeptanz zu diesem Thema viel schwieriger zu erreichen sein, als es sich auf der Diskussionslinie in Brüssel manchmal erklärbar darstellt.

Fragwürdig ist es allemal, wenn die Flüchtlinge über ihren Aufenthaltsort selbst entscheiden dürfen und nicht an geltendes Recht gebunden bleiben. Wir werden dieses Problem des Aufenthaltsortes später nicht lösen können, wenn die Flüchtlinge selbst entscheiden, in welchen Staat sie gehen können, sondern es muss, wenn es zu einer gerechten Verteilung von Flüchtlingen auf die Staaten Europas kommt, zu Klarheit über den Verbleib der jeweiligen Flüchtlinge in den zugeteilten Staaten kommen. Ansonsten ist es wieder ein Papiertiger, über den man viel redet, der aber nicht umgesetzt werden kann.

Der Schutz der EU-Außengrenzen muss endlich gewährleistet werden. Wenn der Schutz der EU-Außengrenzen nicht gewährleistet ist, dann gibt es keine Freizügigkeit in Europa, weil sich das Europa der Freizügigkeit darauf gründet, dass es Außengrenzensicherung geben muss. Ohne Außengrenzensicherung funktioniert keine Freizügigkeit. Bis das erreicht ist, brauchen wir nationale Grenzkontrollen und Verfahren der Registrierung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede Nation hat ein Recht zu wissen, wer sich in ihrem Staatsgebiet aufhält. Es kann nicht sein, dass nach Schätzungen in Deutschland über 300 000 erwachsene Personen und über 5 000 unbegleitete Minderjährige durch Schlepper nach Deutschland gebracht wurden und hier über Jahre hinweg ausgebeutet werden sollen. Viele sind mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt worden und werden Opfer von Zwangsprostitution und Zwangsarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat.

Bisher sind nur bei den Schleppern die Kuriere des Schleppergeschäfts gefasst und verurteilt worden. Diejenigen, die diese Form der OK koordinieren und dabei Hunderte Millionen Euro verdienen, können sich weiterhin frei bewegen, weil sie keinem Verfolgungsdruck ausgesetzt sind. Deshalb brauchen wir deutliche Maß

nahmen gegen OK, gegen Schleusung und gegen Menschenhandel.

Neben den Grenzkontrollen brauchen wir endlich klare, geordnete Verfahren der Registrierung beim Übertritt in den europäischen Raum. Dies wird von Griechenland nicht besser geleistet werden, als das Italien schafft. Deshalb brauchen wir einen verstärkten Ansatz und eine klare Registrierung beim Eintritt in die Europäische Union. Die illegale Einwanderung muss unterbunden werden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wir alle wissen, dass wir die Belastungsgrenze bei der Aufnahme erreicht haben und dringend eine Kurskorrektur benötigen. Sie dürfen nicht vergessen: Die eigentliche Aufgabe der Migration, die sich anschließt, ist doch die Integration von Menschen mit Bleibeperspektive. Diese Aufgabe steht vor Deutschland und den anderen europäischen Staaten.

Dabei gibt es Grundsätze, die nicht verhandelbar sind: die Demokratie, die Verfassung, die unser Land zusammenhält, und die Rechte der Frauen. Wer zu uns kommt, hat das Recht und die Regeln zu achten und einzuhalten, die in unserem Staat gelten. Insbesondere die Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar.

(Beifall bei der CDU)

Die Scharia hat in unserem Rechtssystem nichts zu suchen.

(Beifall bei der CDU – Sebastian Fischer, CDU: Richtig!)

Ich erwarte vom EU-Gipfel im Frühjahr umsetzbare Entscheidungen, die über den 17-Punkte-Plan vom Oktober 2015 hinausgehen.

Lassen Sie mich schließen. Frau Dr. Charlotte Knobloch hat unlängst gesagt: „Ich appelliere an Sie als Demokraten, die Demokratie und Freiheit und den Erhalt unserer Kultur und unserer jüdisch-christlichen Werte noch viel stärker auf die Agenda zu setzen. Ständig ist zu hören, wie darüber debattiert wird, wie sich unser Land nun verändern wird. Ich bin der festen Überzeugung: Unser Land darf sich nicht verändern.“

(Beifall bei der CDU)

Auch Europa darf sich nicht verändern. Wer zu uns kommt, will im Werte- und Rechtssystem Europas zu Hause sein. Nur das kann die Antwort an die Bürger, die in Europa leben, sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre hochgeschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Für die SPDFraktion Herr Baumann-Hasske; bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schiemann, wir sind in vielen Dingen einer Meinung, was diese Fragen betrifft. Aber es gibt eine ganze Reihe von Fragen, in denen wir uns deutlich unterscheiden.

Wir müssen uns darüber klar sein, dass Integration in unserem Land vom ersten Tag an stattfinden muss. Ich denke auch, dass wir nicht darauf bestehen können, dass sich unsere Gesellschaft nicht verändert.

Daran möchte ich anknüpfen: Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Monaten schon verändert, auch nicht unbedingt zu ihrem Besten. Denn wir haben eine ganze Menge Hetze in unserer Gesellschaft und müssen uns täglich damit auseinandersetzen, statt uns um unsere Aufgaben zu kümmern, die die Integration mit sich bringt.

(Beifall des Abg. Jörg Vieweg, SPD)

Die Gesellschaft wird sich natürlich weiter verändern, meine Damen und Herren. Wir haben Millionen Flüchtlinge aufgenommen, von denen zwar ein erheblicher Teil eines Tages nach Hause zurückkehren wird, aber es werden noch sehr viele kommen.

Wir müssen uns bei allen Maßnahmen im Klaren sein, die wir ergreifen, dass wir nicht unsere eigene Wertebasis ernsthaft infrage stellen dürfen; denn dann verändert sich unser Land erst recht. Wenn wir bei unseren Werten bleiben wollen und die mäßige Veränderung unseres Landes, die durch die Situation geboten ist, verfolgen wollen, müssen wir zusehen und akzeptieren, dass sich unsere Gesellschaft in einem ständigen Änderungsprozess befindet.