Wir müssen uns bei allen Maßnahmen im Klaren sein, die wir ergreifen, dass wir nicht unsere eigene Wertebasis ernsthaft infrage stellen dürfen; denn dann verändert sich unser Land erst recht. Wenn wir bei unseren Werten bleiben wollen und die mäßige Veränderung unseres Landes, die durch die Situation geboten ist, verfolgen wollen, müssen wir zusehen und akzeptieren, dass sich unsere Gesellschaft in einem ständigen Änderungsprozess befindet.
Das ist die Gesellschaft sowieso. Unsere Gesellschaft ist nicht mehr jene von vor fünf oder zehn Jahren. Sie hätte sich auch geändert, wenn keine Migranten zu uns gekommen wären. Aber nun sind sie gekommen, das ist auf der Basis unserer Werte und unserer Verfassung so, und zu ihrer Aufnahme sind wir auch verpflichtet.
Ich möchte kurz auf die Veranstaltung eingehen, die am gestrigen Abend in diesem Raum auf Einladung des Ausländerbeauftragten, Herrn Mackenroth, stattgefunden hat. Frau Prof. Dr. Christine Langenfeld hat ausführlich dargestellt, wie die rechtliche Situation ist. Das ist in dieser Runde allgemein akzeptiert worden.
Es gibt keine Verpflichtung irgendeiner Administration, an der deutschen Grenze Flüchtlinge zurückzuweisen. Wenn das nicht geschieht, dann ist das rechtmäßig. Es ist verfassungskonform, es steht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention im Einklang und es ist kein rechtloser Zustand. Die Politik hat die Möglichkeit, hier Ermessen auszuüben. Sie übt es so aus, dass die Menschen, die in Not sind, zu uns kommen können. Das ist kein rechtloser Zustand.
Das Problem ist: Wenn wir am laufenden Band auf der politischen offiziellen Ebene davon sprechen, dass plötzlich alle handlungsunfähig seien, dann verunsichern wir unsere Bürgerinnen und Bürger. Wir sind nicht hand
lungsunfähig. Wir arbeiten doch jeden Tag. Unsere Kommunen, unsere Verwaltungen arbeiten jeden Tag daran, diese große Aufgabe, die auf sie zugekommen ist, zu bewältigen. Das ist doch keine Handlungsunfähigkeit. Ich bitte Sie, das zu berücksichtigen.
Wir müssen uns heute damit auseinandersetzen, welche Rahmenbedingungen wir haben. Vor vielen Monaten haben wir – Herr Schiemann hat es erwähnt – diesen Antrag gestellt, und natürlich ist er noch aktuell. Wir haben diesen Antrag auch gestellt, damit wir die aktuellen Fakten bekommen und wissen, worüber wir sprechen. Mir wäre es sehr lieb, wenn wir im Anschluss an diese Diskussion doch wieder zu den Aufgaben kommen könnten, die sich uns stellen.
Die Rahmenbedingungen auf der Bundesebene und auf der europäischen Ebene, die internationalen Rahmenbedingungen, müssen bitte dort verhandelt werden. Dazu können wir uns äußern, aber ansonsten ist es unsere Aufgabe – die Aufgabe des Freistaates Sachsen –, mit den Personen, die zu uns kommen, umzugehen und diese Aufgaben zu bewältigen. Darum muss es gehen, meine Damen und Herren.
Morgen beginnt in London die Geberkonferenz „Supporting Syria and the Region“. Das ist die regionale Konferenz, um Mittel zu besorgen, damit in Syrien und der Region genügend Geld vorhanden ist, um Menschen zu helfen. In Syrien selbst sind aktuell 13,5 Millionen Personen hilfsbedürftig, davon sind 6 Millionen Kinder. In Jordanien, dem Libanon und der Türkei kommen 4,4 Millionen Flüchtlinge hinzu. Nach Schätzungen von UNHCR für 2016 werden circa 7,73 Milliarden Dollar notwendig sein, um in dieser Region Hilfe zu leisten. Es ist eine gewaltige Zahl, die da genannt wird. Wenn man es umrechnet, dann kommt man auf circa 1,20 Euro pro betroffener Person und Tag. Das ist sehr, sehr sparsam. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.
Man muss aber auch sagen: Wenn denn diese Konferenz erfolgreich ist, dann stehen zumindest die Mittel zur Verfügung, um dort einigermaßen menschenwürdige Verhältnisse herzustellen und auf diese Art und Weise dafür zu sorgen, dass die Menschen heimatnah oder sogar in ihrer Heimat bleiben. Es wird nicht etwa nichts getan.
Frontex ist momentan in Griechenland im Aufbau der sogenannten Hotspots und wird dafür sorgen, dass die Registrierung von Flüchtlingen verbessert wird, damit wir in Europa wieder zu geordneten Verhältnissen zurückkehren. Um auch damit nicht missverstanden zu werden, sei gesagt: Natürlich wollen wir geordnete Verhältnisse in Europa haben. Das ist ganz klar. Es ist eine gewisse Ausnahmesituation, die wir gegenwärtig haben. Das müssen wir so schnell wie möglich wieder in den Griff bekommen.
Aber es ist nicht so, dass man es gar nicht mehr beherrschen könnte. Wir beherrschen es doch jeden Tag. Es ist doch nicht so, dass hier mit einem Mal die Anarchie ausgebrochen wäre. Aber es ist natürlich ein Faktor, der verunsichert. Diese Unsicherheit – und das ist unsere
Meine Damen und Herren! Der EU-Gipfel in wenigen Wochen wird erneut darüber verhandeln, wie der europäische Verteilmechanismus aussehen kann. Wir alle hoffen, dass dabei etwas herauskommt und eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen in ganz Europa ermöglicht wird.
Das wird allerdings nur zu einer gewissen Gerechtigkeit führen und damit möglicherweise eine gewisse Empörung aus der Debatte herausnehmen. Es wird nicht dazu führen, dass wir nur noch wenige oder gar keine Flüchtlinge mehr in Deutschland erleben werden. Wir müssen uns ehrlich vor Augen führen und realistisch damit rechnen, dass wir auch 2016 eine sehr große Anzahl von Flüchtlingen in Deutschland haben werden.
Wir haben es im Januar schon erlebt, dass sehr viele kamen, und in den nächsten Monaten werden auch viele kommen. Wenn wir sehr viel Glück haben, dann wird die Syrien-Konferenz in Genf Ende des Jahres vielleicht zu Waffenstillstand oder sogar zu Frieden führen. Dadurch könnten die Flüchtlingszahlen signifikant heruntergehen.
Aber wenn das nicht geschieht, dann wird der Andrang bleiben. Wir werden dieses Problem nicht damit lösen können, indem wir Zäune hochziehen oder unsägliche Debatten über Schusswaffengebrauch gegen Frauen und Kinder lostreten.
Das hilft nicht, das schadet. Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken. Wir müssen ihnen klarmachen, was auf sie in den nächsten Monaten zukommt, dass das letztes Jahr ein Anfang war, dass es dieses Jahr sicherlich weitergehen wird und wir alles daransetzen werden, dass es im nächsten Jahr besser wird.
Das ist die Situation, in der wir uns jetzt befinden; das ist die Prognose, die man ja auch nur ganz vorsichtig stellen kann. Aber ich glaube, das ist ehrlich, und wenn die Bürgerinnen und Bürger erleben, dass wir als Politiker ehrlich sind, dann können wir auch mit ihnen über diese Probleme, über deren Lösung und natürlich auch über die Aufgabe jedes einzelnen Bürgers, jeder einzelnen Bürgerin in diesem Zusammenhang reden und sie mitnehmen, es ihnen vermitteln. Es wird dann möglich sein, Integration mit allen zu gestalten. Das sollte unsere Aufgabe sein.
Meine Damen und Herren, nun die Fraktion DIE LINKE; Herr Abg. Gebhardt. Bitte sehr, Herr Gebhardt, Sie haben das Wort.
Danke schön, Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Erste Vorbemerkung: Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, die Politik der CDU
und auch der SPD haben eine Mitschuld an der derzeitigen Flucht von Millionen Menschen nach Europa und insbesondere nach Deutschland.
Zweite Vorbemerkung: Die Bundeskanzlerin ist nicht schuld am Umgang mit Geflüchteten in diesem Land. Hier hat sie mit ihrer menschenfreundlichen Aussage „Wir schaffen das!“ zum richtigen Zeitpunkt die richtige Aussage getroffen – auch wenn sie leider vergessen hat, uns ihren Plan dazu zu verraten.
Scheinbar versucht nun jeder und jede in der CDU, in der CSU und in der Großen Koalition, einen eigenen Plan zu entwickeln, und so wird der Öffentlichkeit im Wochenrhythmus Sand in die Augen gestreut – mit immer neuen Vorschlägen und Ankündigungspolitik. Jahrzehntelange Freiheitsrechte werden gleich mal entsorgt und eingeschränkt – immer mit dem Hinweis, die Zahl der Geflüchteten reduzieren zu wollen.
Nun also hat die sächsische CDU/SPD-Koalition scheinbar einen Plan, und der lautet: europäische Migrationsagenda und gerechte Verteilung der Geflüchteten in Europa. Das klingt erst einmal gut, aber die bisherigen Zahlen sind, mit Verlaub, niederschmetternd.
Herr Schiemann hat sich ja ein bisschen davor gedrückt, sie zu nennen – ich nenne sie einmal: Nur knapp 300 der 160 000 Geflüchteten, die innerhalb der EU umverteilt werden sollten, haben – so die Mitteilung der Kommission per 12. Januar 2016 – eine neue Heimat gefunden. Wenn wir den Beschluss der EU-Regierungschefs mit der gleichen Schnelligkeit umsetzen wie bisher, werden wir also sieben Jahre benötigen, um die vereinbarten 160 000 Geflüchteten in der europäischen Staatengemeinschaft umzuverteilen. Elf sogenannte Hotspots waren verabredet; ich lasse jetzt mal unsere politische Haltung dazu weg. In Betrieb sind aktuell drei, besetzt sind sie mit 46 % des Personals. Ich bewundere also Ihren Mut, anzunehmen, dass der Ruf aus Dresden etwas daran ändern wird.
Andererseits freue ich mich – und auch meine Fraktion –, dass Sie, die Sie bisher alle unsere parlamentarischen Initiativen auf sächsischen Einfluss auf die EU-Politik im Rahmen der sogenannten Subsidiaritätskontrolle abgeblockt haben, nun doch an die Wirkungsmächtigkeit sächsischer Europapolitik glauben. Das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.
Das Dublin-III-Verfahren, das jetzt von den selbsternannten Verteidigern der deutschen Grenze so hochgehalten wird, heißt im Klartext: Nur wer mit einem Fallschirm über Deutschland abspringt, hatte die Chance, hier Asyl zu bekommen. Ansonsten musste er dort bleiben, wo er in die EU gekommen ist. Das heißt, es war gerade Deutschland, das diese Regelungen in der Europäischen Union durchgesetzt hat und das eigene Asylrecht damit de facto abgeschafft hatte. Da, wo die Geflüchteten den Boden der EU betreten, herrscht Krisenkapitalismus pur. Es waren doch die deutschen Politiker wie Finanzminister Wolfgang Schäuble, die im schlichten Erpressungsmodus Griechenland und andere Länder in die Knie gezwungen
und ihnen ihren Willen aufgezwungen haben. Jetzt fordern wir gerade von diesen Staaten Solidarität ein. Ich erkenne da sehr, sehr viel Heuchelei.
Nimmt man diese Taten der Vergangenheit zusammen, so kann man sich eigentlich nicht wirklich wundern, dass das Dublin-III-Verfahren zusammengebrochen ist. Als vermeintliche Antwort darauf, Herr Schiemann, wollen Sie die deutschen und auch die sächsischen Grenzen wieder sicherer machen, wie Sie selbst sagten und schreiben.
Einen Schritt weiter geht Frau Petry. Sie lässt deutsche Bundespolizisten zu diesem Zweck auch schießen.
Ich will an dieser Stelle darauf aufmerksam machen: Wer Obergrenzen fordert – wie der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt oder Ihr politischer Ratgeber der CDU, der Bayerische Ministerpräsident Seehofer –, der muss auch klar sagen, was passiert, wenn die Obergrenzen überschritten werden.
Frau Petry hat diese Vorlage genutzt und klar gesagt, was denn die Möglichkeit ist, die sie nutzen würde, nämlich: An der Grenze wird scharf geschossen. Wollen Sie das ernsthaft? Nach dem berechtigten Aufschrei innerhalb der demokratischen Parteien zum Vorschlag der AfD in diesem Land wollen Sie das nicht. Also hören Sie auf, den Menschen vorzugaukeln, dass Obergrenzen möglich wären.
Fast vergessen ist, dass in den Neunzigerjahren bei dem Versuch, die im Vergleich zu heute, Herr Schiemann, doch in Ihrem Sinne gesicherten Grenzen zu überqueren, Hunderte Flüchtlinge zu Tode gekommen sind – also in unmittelbarer Nähe zu uns. Wir sollten uns doch gerade jetzt wieder hier in Sachsen an die Ertrunkenen in der Neiße erinnern. Ich hoffe, dass außer der AfD in diesem Haus niemand ernsthaft die Rückkehr zu solchen Zuständen will.
Ich will gar nicht die zahlreichen aktuellen Warnungen aus der Wirtschaft zitieren, wie verheerend sich Grenzsicherungen und weitere verschärfende Kontrollen an unseren Grenzen auf Arbeitsplätze, Handel und Produktion auswirken würden. Ich glaube auch nicht, dass ich hier Eulen nach Athen trage und vor Planspielen wie dem Rauswurf Griechenlands oder der Rückkehr zu einem Kerneuropa warnen muss. Solche Gedankenspiele sind einfach nur verrückt, weil sie die gesamten historischen Friedensprojekte der europäischen Integration infrage stellen.
Wir sehen also: Wer mit dem Zeigefinger auf die anderen weist, richtet mindestens drei Finger auf sich selbst. Das gilt gerade auch bei der versuchten Schuldzuweisung von deutscher Seite in Richtung anderer EU-Partner.
Neben den genannten Tatsachen kommt nämlich noch eine dritte hinzu: Deutschland hat sich stets geweigert, die EU als Sozialunion zu verstehen. Deshalb wird der Wunsch des sächsischen Europaministers und Staatskanzleichefs Jaeckel nach einem einheitlichen europäischen Asylrecht und Asylverfahren, wie er ihn gestern in der Pressekonferenz geäußert hat, nicht so einfach in Erfüllung gehen; darin bin ich mir mit Herrn Schiemann einig. Daher ein anderes Beispiel: Warum sollten beispielsweise Bulgarien oder Rumänien dabei mitmachen, wenn Deutschland mit verwaltungstechnischen Listen und Tücken versucht, bulgarische oder rumänische Staatsbürger, die formal gleichberechtigte Unionsbürger sind, aus dem deutschen Sozialsystem herauszuhalten, bis selbst Gerichte feststellen, dass das nicht geht?
Selbstverständlich haben wir überhaupt nichts gegen den Informationsbedarf, den Sie in Ihrem Antrag angemeldet haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der SPD, und daher ist auch gegen Ihren Antrag, soweit es die Berichterstattung betrifft, nichts einzuwenden. Die entsprechenden Daten sind zwar auch auf der Internetseite zur europäischen Migrationsagenda zu finden; aber man kann sich das natürlich auch noch einmal durch die Staatsregierung aufschreiben lassen – Ihnen wird ja die Regierung die notwendigen Antworten nicht vorenthalten.
Der zweite Teil Ihres Antrages, der sich unter anderem der Frage widmet, ob das Dublin-Übereinkommen angepasst werden müsste, ist sehr zaghaft angesichts der Macht des Faktischen, dass das Dublin-Abkommen tot ist. Aber gut, Sie haben immerhin erkannt. Es muss sich etwas ändern.
Im dritten Teil des Antrages beginnen Sie richtigerweise mit dem Wichtigsten: dass humanitäre Hilfe für Menschen in Not geleistet wird. Was dann kommt, ist das, was die Staatskanzlei gestern als Ziel formuliert hat und was auf die gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die EUStaaten ausgerichtet ist.
Das Gleiche gilt – ich lobe Sie schon wieder – für das Bekenntnis zum Kampf gegen Fluchtursachen, in das Ihr Antrag mündet. Ich kann also zufrieden feststellen: Links wirkt auch langsam in Ihren Köpfen. Das beflügelt mich darin, unserem Angebot vom letzten Jahr treu zu bleiben, das da lautet: In Zeiten wie diesen brauchen wir einen parteiübergreifenden humanitären Grundkonsens bei der Aufnahme und Integration der Geflüchteten. Die Radikalisierung der Gesellschaft, ja sogar teilweise zunehmende Pogromstimmung, wie der Leiter des OAZ, Herr Merbitz, erschrocken festgestellt hat, erfordern eine sächsische Migrationsagenda, die Frieden im Alltag schafft.
Die neuerliche Anschlagsserie auf Asylunterkünfte in den letzten Tagen spricht eine ganz andere Sprache: die Sprache des Hasses. Dem wirksam und couragiert entgegenzutreten – das ist unsere sächsische Hausaufgabe. Dafür können wir weder die Bundes- noch die Europapolitik in die Verantwortung nehmen.
Inkonsequent bleiben Sie in Ihrem Antrag, wenn es um die Bekämpfung der Schleuserkriminalität geht. Wenn sich Menschen in Lebensgefahr begeben und dafür auch