gewählt hat oder auch nach dem Abschluss feststellt, das zweite Staatsexamen macht es nicht, sondern man geht dann doch lieber in die Medienausbildung. Manch einer kennt das auch von seinen Kindern oder seinen Enkeln und ist darüber nicht sehr glücklich. Doch das heißt nicht, dass derjenige abgebrochen hat, sondern es ist ein sogenannter Studienwechsler.
Damit bin ich bei den Langzeitstudien. Lange Zeit hatten wir tatsächlich keine Möglichkeit, biografische Langzeitstudien im Bildungsbereich durchzuführen. Das ist auch der Grund, warum es diese Studien nie gegeben hat. Das ist erst jetzt möglich, nachdem es datenschutzrechtliche Möglichkeiten gibt, eine verlaufsbiografische Bildungsstudie durchzuführen, und die Bundesregierung hat vor einigen Jahren diese Studien auf den Weg gebracht. Jetzt sind wir auch in der Lage, solche Studienverlaufsbiografien datenschutzrechtlich sicher zu verfolgen und die unterschiedlichen Interpretationen – so will ich es nennen – und Ursachen für Studienabbrüche genauer anzuschauen.
Ein Studienwechsler ist nicht automatisch ein Studienabbrecher. Darin gebe ich Ihnen recht. Da ist die Statistik unsauber und ungenau. Aber das hat etwas damit zu tun, dass uns hier einfach die Hände gebunden waren, uns das genauer anzusehen. Ich denke, dort wird sich in den nächsten Jahren vieles tun.
Abbrüche können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Seien es Probleme bei den fachlichen Leistungsfähigkeiten, bei der Identifikation mit dem Fach, bei der Motivation – beispielsweise weil erst während des Studiums klar wird, welche beruflichen Perspektiven existieren –, auch bei der Studienfinanzierung, im persönlichen Bereich oder auch bei der Studienorganisation.
Die Regelstudienzeit wird im Schnitt von mehr als der Hälfte der sächsischen Studierenden um ein bis zwei Semester überschritten. Darüber hinaus fühlen sich Absolventen beim Einstieg in das Berufsleben bzw. die Selbstständigkeit vor allem bei Überfachlichem, beispielsweise in den Kompetenzbereichen Führung und Kommunikation, nicht ausreichend vorbereitet – so lautet das Ergebnis der Sächsischen Absolventenstudie, die wir 2014 veröffentlicht haben und deren Durchführung in zweckmäßigen Zeitabständen seitens des SMWK weiterhin vorgesehen ist, wenn die haushalterischen Voraussetzungen dafür vorhanden sind.
Über die Zielvereinbarung mit den Hochschulen und weitere Maßnahmen der Hochschulsteuerung – denn wir bewegen uns in einem Bereich der Autonomie der Hochschulen – wirken wir jetzt bereits darauf hin, dass das Qualitätsmanagement der Hochschulen einen Beitrag zur deutlichen Reduzierung der Abbrecherzahlen, insbesondere in den MINT-Fächern, leistet. Der Indikator für den Studienerfolg ist in den Zielvereinbarungen zwischen meinem Haus und den Hochschulen für die Jahre 2014 bis 2016 als der prozentuale Anteil der Absolventen beschrieben, die ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit plus Fachsemester abschließen. Das ist der derzeitige Maßstab.
Im Jahr 2014 wurden die sächsischen Hochschulen zu diesem Zweck erstmals aufgefordert, unterstützt durch die Mittel des Initiativbudgets und aufbauend auf den nach § 9 Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz durchgeführten Maßnahmen zur Qualitätssicherung, hochschuleigene Gesamtkonzepte zur Steigerung des Studienerfolgs zu verfassen.
Bereits zu Beginn meiner Amtszeit gab es die ersten Konsultationen zwischen den Hochschulen und dem Ministerium, bevor im Sommer des vergangenen Jahres ein Großteil der Konzepte durch die Hochschulen eingereicht wurde. Die Strategiepapiere setzen sich dabei aus einer eigenen Studienerfolgsmesslatte in den jeweiligen Hochschulen, einer Zielvereinbarung, einer Analyse der jeweiligen hochschulweiten Situation und deren Bewertung zusammen. Zudem legen die Hochschulen ihre bisherigen Bemühungen zur Steigerung des Studienerfolgs – denn sie fangen nicht erst jetzt an – auch selbst dar.
Im Laufe dieses Prozesses wurden Handlungsbedarfe offenbar, weshalb die Hochschulen die Möglichkeit erhielten, dem SMWK Projektideen zu deren Umsetzung vorzustellen. Einige der Maßnahmenvorschläge wurden für eine Unterstützung durch den Europäischen Sozialfonds und durch Hochschulpaktmittel ausgewählt. Für die Laufzeit des Hochschulpaktes 2015 bis 2020 – Holger Mann hat schon mehrfach darauf hingewiesen – wurde zwischen Bund und Ländern im Rahmen des Hochschulpaktes vereinbart, dass 10 % dieser Mittel – das sind in Sachsen 53 Millionen Euro – über diesen Zeitraum zur Steigerung des Studienerfolgs eingesetzt werden sollen. Im Europäischen Sozialfonds sind für den Freistaat Sachsen in diesem Vorhabensbereich 34 Millionen Euro vorgesehen.
Die Unterstützung durch Hochschulpaktmittel ist im Vergleich zum ESF, welcher sich im Wesentlichen an die Zielgruppe der MINT-Studierenden und Lehramtsstudierenden richtet, nicht auf spezifische Angebote beschränkt und orientiert sich vorrangig am jeweiligen hochschulinternen zusätzlichen Bedarf. Die ersten Projekte konnten mit dem Wintersemester 2015/2016 realisiert werden und werden nach ihrer Evaluierung sicher auf Dauer gestellt.
Die Projekte dienen insgesamt der Überwindung kritischer Phasen im Lebenszyklus eines Studierenden und stützen sich auf einen Katalog von nicht als abschließend zu betrachtenden Handlungsempfehlungen des Ministeriums, der im Rahmen einer sachsenweiten Studienerfolgsstrategie erstellt wurde. Der sogenannte Student Lifecycle umfasst im Wesentlichen die Studienorientierung, die Studieneingangsphase, den weiteren Studienverlauf und den Abschluss des Studiums bzw. den Übergang vom Studium in den Beruf; denn in all diesen Phasen kann es zu einem Studienabbruch kommen.
Für die Phase der Studienorientierung – das ist hier schon mehrfach angesprochen worden – werden auch vonseiten
unseres Ministeriums und von den Hochschulen Projekte unterstützt, die Studieninteressierte bei der Wahl des richtigen Studiums unterstützen, um einem späteren Abbruch in der Studieneingangsphase frühzeitig vorzubeugen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder, der studieren will, kann sich bei der jeweiligen Hochschulen über den jeweiligen Studiengang informieren, weil die Module ganz genau aufzeigen, welche Voraussetzungen die Studierenden mitbringen müssen. Um auf das Beispiel, das Herr Meyer angesprochen hat, einzugehen: Wer also Geografie studieren will, sieht, wenn er sich diesen Studiengang angeschaut hat, sehr genau, dass er zum Beispiel mathematische Kenntnisse benötigt und nicht nur wandern gehen darf. Das kann man heute schon durch die Veröffentlichung der Studiengänge und -verläufe sehr deutlich im Vorfeld einer Studienwahl sehen.
Dies kann besonders mithilfe von Beratung oder technischen Lösungen geschehen; ich hatte gerade einen Hinweis gegeben. Im Projekt der HTW Dresden und der Hochschule Zittau/Görlitz werden Interessierte beispielsweise medial, unter anderem durch den Einsatz von Youtube-Videos, über Studieninhalte, insbesondere der MINT-Fächer, sowie über den Studienalltag aufgeklärt. Die TU Chemnitz sowie die Hochschule in Mittweida und Zwickau entschieden sich zudem für die Einrichtung orientierender Studieneingangsphasen für MINT-Studierende. In diesem neuen Modell können Studienanfänger an gemeinsamen Grundlagenvorlesungen im MINTBereich teilnehmen, bevor sie sich für den spezifischen Studiengang entscheiden.
Damit bin ich bei der Studieneingangsphase, einer der wichtigsten Phasen und der Phase, in der Wechsel oder Abbruch stattfinden. Die verschiedenen Studienanfangsniveaus sollen angeglichen werden und die Studienmotivation möglichst in dieser Phase angehoben werden. Zielgruppenspezifische Förderungen sind in dieser Phase besonders wichtig. Zur Studienvorbereitung und Unterstützung während der ersten Semester sind deshalb Brückenkurse, Mentoring-Programme sowie die psychologische Beratung sehr hilfreich und notwendig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte jetzt noch viele Beispiele dieser Projekte, die die Hochschulen auf den Weg gebracht haben, nennen. Exemplarisch nenne ich die hochschuldidaktische Weiterqualifizierung der Lehrenden, die Tutorien, die eingesetzt werden, oder auch technische Lösungen für die Erfolgskontrolle der Studierenden. Einige Hochschulen schaffen derzeit mediale Angebote, durch die die Studierenden mithilfe von Aufzeichnung ihrer Lehrveranstaltungen und Zusatzmaterial sowie Selbsttests Lernerleichterungen erfahren.
Eine Art Frühwarnsystem zur Identifikation und Unterstützung von Abbruchgefährdeten ist an sieben sächsischen Hochschulen vorgesehen. Auf das Bundeshochschulstatistikgesetz will ich nicht weiter eingehen, aber diese Änderung, die ja auch mit Unterstützung von Sachsen zustande gekommen ist, wird auch den Hoch
schulen bei diesem Frühwarnsystem zukünftig helfen. Wir können dann sehr viel eher feststellen, wenn ein Studienabbruch droht.
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Zur Umsetzung dieser Strategien werden die Hochschulen auch die Angebote der Agentur für Arbeit in allen Studienphasen berücksichtigen. Die Career Center, die wir in den letzten Jahren mit ESF-Mitteln aufgebaut haben, werden dort, wo sie kontinuierlich an den Hochschulen fortgesetzt werden, den Übergang in den Beruf erleichtern und Studienabbrüche vermeiden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mein Ministerium unterstützt die Hochschulen bei ihrem Bemühen und wir lassen sie keineswegs, auch wenn sie autonom handeln, allein. Klar ist aber auch, die Hochschulen entsprechen ihrer gesetzlichen Aufgabe, müssen auch eigene Ressourcen dafür einsetzen; denn sie sind diese Verpflichtung mit dem Hochschulpakt und mit der Zuschussvereinbarung eingegangen.
Bildungsbiografien in der Praxis haben keine planbaren Baukastenmodelle, sondern sind durch Umwege und Brüche gekennzeichnet. Das müssen wir auch in den Hochschulen berücksichtigen – übrigens genauso wie bei der beruflichen Bildung; denn auch im Bereich der beruflichen Bildung haben wir 25 % Schülerinnen und Schüler bzw. Auszubildende, die ihre berufliche Ausbildung abbrechen. Auch dort wäre es notwendig, entsprechende Maßnahmen einzuziehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für diesen Antrag. Wir werden an diesem Ziel ganz kontinuierlich weiterarbeiten.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Das Schlusswort haben die Fraktionen CDU und SPD. Es wird gehalten von Frau Abg. Fiedler. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser umfassenden Debatte ein ganz kurzes Schlusswort.
Ich danke Ihnen für die fachliche Diskussion, für die Anregungen, die auch sehr gut die Vielfalt, die in diesem Thema steckt, deutlich gemacht haben. Ich glaube, mit diesen Anregungen und der Basis, die für die Hochschulen gelegt worden ist – im Koalitionsvertrag, in den Haushaltsverhandlungen –, ist es jetzt eine gute Grundlage, die im Antrag beschriebenen Ideen und Anregungen umzusetzen. Dafür wünschen wir der Staatsregierung viel Erfolg und wir freuen uns auf die Diskussion der Ergebnisse in den zuständigen Fachgremien.
Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 6/3855 zur Abstimmung. Wer zustimmen möchte, zeigt das jetzt an. – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Danke sehr. Bei Stimmenthaltungen und keinen Gegenstimmen ist die Drucksache beschlossen und dieser Tagesordnungspunkt beendet.
Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn das Wort gewünscht wird.
Mit der Aussprache beginnt die Fraktion DIE LINKE, Frau Abg. Schaper. Bitte sehr, Frau Schaper, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Gebt den Hungrigen zu essen, nehmt Obdachlose bei euch auf, und wenn ihr einem begegnet, der in Lumpen herumläuft, gebt ihm Kleider! Helft, wo ihr könnt, und verschließt eure Augen nicht vor den Nöten eurer Mitmenschen!“ – Jesaja, Kapitel 58.7.
Vielleicht lesen Sie auch ab und zu einmal in dem Buch, an das sich zumindest der Name Ihrer Partei anlehnt, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU. Nur weil es keine bundeseinheitliche Wohnungsnotfallberichterstattung auf gesetzlicher Grundlage gibt, muss das noch lange nicht heißen, dass eine solche Berichterstattung in Sachsen nicht sinnvoll wäre. Hören Sie also bitte auf, weiterhin Ihre Augen vor den Nöten der Betroffenen zu verschließen. Es ist schlimm genug, dass es in einem Sozialstaat Probleme wie Wohnungslosigkeit überhaupt gibt; schließlich sollte der Sozialstaat genau das verhindern.
Das geht aber nur, wenn genug Wissen vorhanden ist – dem ist aber offenbar nicht so. Kleine Anfragen zu diesem Thema und zum Thema Zwangsräumungen und Räumungsklagen beantwortet die Staatsregierung schlicht mit
dem Hinweis, dass keine Daten vorliegen. Warum man sich aber nicht bemüht, Daten zu erhalten, ist mir völlig schleierhaft. Totschweigen hat noch kein Problem gelöst und es wird auch nicht die Wohnungslosigkeit beseitigen.
Die Diakonie hat im Jahr 2014 in Sachsen mit 2 821 Wohnungsnotfällen rund 90 Fälle mehr erfasst als im Vorjahr; die Tendenz ist weiterhin steigend. Meiner Meinung nach sind 2 821 Wohnungsnotfälle in Sachsen zu viel und schon lange ein Grund zum Handeln. Was Sie, liebe Staatsregierung, bislang in diesem Bereich unternommen haben, kann man schon als unterlassene Hilfeleistung werten. 45 % der erfassten Wohnungslosen sind 18 bis 35 und fast 20 % über 65 Jahre alt.
Mit der Wohnungslosigkeit ist auch oft das Fehlen einer Krankenversicherung verbunden. 47 % der Wohnungslosen erhalten Leistungen nach SGB II, also Hartz IV; 15 % haben gar kein Einkommen. Dass Hartz-IV-Empfänger permanent von Wohnungslosigkeit zumindest bedroht sind, ist kein Zufall. Solange eine Mindestsicherung sanktioniert werden kann, ist Wohnungslosigkeit bei einer lang genug andauernden Sanktionierung nur die logische Folge. Ein Sanktionsmoratorium bei Hartz IV wäre eine Möglichkeit, die Zahlen zumindest nicht weiter steigen zu lassen. Aber ich denke, wir erleben eher eine erfolgreiche Kernfusion der Erde, als dass sich die CDU zu diesem Akt der Barmherzigkeit hinreißen ließe.
Doch selbst ein Erwerbseinkommen schützt in Sachsen nicht vor Wohnungslosigkeit. So ist dem Bericht der Diakonie zu entnehmen, dass 7 % derjenigen, die von Wohnungsnotfällen betroffen sind, ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen. Wir kennen Ihre Einstellung zu Hartz IV und Niedriglöhnen. Lassen Sie uns doch aber wenigstens den Menschen helfen, die von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht sind. Dazu muss man jedoch wissen, wie viele es sind und in welchen Lebenslagen sie sich befinden.
Als vorbildlich kann man dabei die Regelung in Nordrhein-Westfalen sehen: Mit der integrierten Wohnungsnotfallberichterstattung ist Nordrhein-Westfalen das bisher einzige Bundesland mit einer umfassenden Erhebung über die Quantität und Struktur der Wohnungsnotfälle. Die verbesserte Datengrundlage dient in Nordrhein-Westfalen unter anderem auch als Basis für ein zielgenaueres sozialpolitisches Planen und Handeln im Bereich der Hilfen für Wohnungsnotfälle.
Natürlich wäre dies auch in Sachsen hilfreich – daher unser Antrag. Auch wenn die Zahlen der Diakonie schon mehr sind, als die Staatsregierung zum Thema zu bieten hat, handelt es sich nur um Schätzungen, was die Zahl der Wohnungslosen und der von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen angeht.
Das ist der Grund, weshalb in Sachsen gesetzliche Grundlagen nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen geschaffen werden sollten und müssen, um zuverlässige Daten zu erhalten und entsprechende sozialpolitische Weichen zu stellen, die dabei helfen, diese Zahlen zu senken.
Unser Antrag sieht die Einrichtung eines sächsischen Wohnungsnotfallberichtes und dabei die Evaluation solcher Daten vor.