Protokoll der Sitzung vom 04.02.2016

Doch was bedeutet Wohnungsnotfall? Ein Wohnungsnotfall liegt vor, wenn eine Person bereits wohnungslos ist – was 52 % der Wohnungsnotfälle, also 1 467 Menschen betrifft –, von Wohnungslosigkeit bedroht ist – was bei 29 % der Fall ist – oder in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben.

Ich gebe dabei zu bedenken, dass diese Zahlen nur die erfassten Daten der Diakonie widerspiegeln. Sie bilden also nur einen Teil ab, da nicht jeder, der von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht ist, eine Beratungsstelle aufsucht.

Die Wohnung ist ein elementarer Bestandteil eines menschenwürdigen Lebens. Sowohl die Angst vor dem Verlust als auch der Verlust der Wohnung selbst stellt für die Betroffenen eine extreme Belastung und enorme Beeinträchtigung der Lebensqualität dar. Wohnungslosigkeit kann letztendlich nur verhindert werden, wenn Menschen trotz Armut oder sozialer Schwierigkeiten die Chance auf eine eigene Wohnung haben. Das heißt, staatliche und kommunale Akteure müssen tätig werden, um den sozialen Wohnungsbau zu reaktivieren und den Ausverkauf von kommunalem Wohnungseigentum zu stoppen. Machen wir uns aber nichts vor: Solange die CDU sich in der Regierungsverantwortung befindet, wird man von solchen Maßnahmen nur weiter träumen können.

Das bedeutet, dass die Zahl der Wohnunglosen und der durch Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen wahrscheinlich weiter zunehmen wird. So bleibt denen, die ein solches Schicksal erleiden, nichts weiter übrig, als weiterhin mit Nutzungsverträgen in Wohnraum eingewiesen zu werden oder in Notunterkünften, Heimen, Billigpensionen oder bei Verwandten oder Bekannten unterzukommen.

Doch auch wer nur von Wohnungslosigkeit bedroht ist, gilt als Wohnungsnotfall. Auch wenn es für viele schwer vorstellbar ist: Man kann auch völlig unverschuldet in eine solche Situation geraten, zum Beispiel aufgrund von eskalierten sozialen Konflikten wie Scheidungen oder Trennungen, gewaltgeprägten Lebensumständen oder weil das bewohnte Haus abgerissen werden soll. Doch auch Zwangsräumungen, Räumungsklagen und Kündigung durch den Vermieter oder die Vermieterin sind mögliche Ursachen. Auch dann muss den Betroffenen geholfen werden.

Ungefähr jeder sechste Mensch, der eine Beratung in den Angeboten der Wohnungslosenhilfe aufsucht, ist laut der Diakonie-Statistik von 2014 unter 27 Jahre alt. Die Probleme sind dabei vielfältig. Sie reichen von bereits bestehender Wohnungslosigkeit über Suchtmittelabhängigkeit bis hin zur Einkommensarmut, um nur einige wenige zu nennen. Wer eine Beratung zur Wohnungslosenhilfe aufsucht, befindet sich in besonderen sozialen Schwierigkeiten nach § 67 SGB XII und unterliegt gleichzeitig den unterschiedlichsten gesetzlichen Regelungen.

So fordert der Kommunale Sozialverband Sachsen unter 21-Jährige auf, Hilfe beim Jugendamt zu beantragen. Für Personen vom 25. bis zum 27. Lebenjahr gibt es nach SGB II besondere Sanktionen und könnte es Hilfe nach dem SGB VIII geben. An dieser Schnittstelle kommt es zu einer Hilfelücke, die in der Praxis zu großen Problemen führt. Wer ist nun zuständig und kann die bedarfsgerechte Hilfe leisten?

Wir sehen also, das Thema ist durchaus komplexer als es Ihnen auf den ersten Blick scheint. Daher ist es an der Zeit, sich diesem Thema ernsthaft zu widmen und unserem Antrag zuzustimmen; denn ohne eine ausreichende Datenbasis wird sich in Zukunft keine Wohnungslosigkeit bekämpfen lassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Die einreichende Fraktion DIE LINKE hatte gerade das Wort durch Frau Abg. Schaper. Jetzt spricht für die CDU der Abg. Fischer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schaper, Sie haben jetzt einen Katalog von Halbwahrheiten, Versäumnissen und sozialen Träumen vorgelesen. Aber ich möchte Ihnen klar und deutlich sagen: Bei diesem Thema, das gerade in der jetzigen Zeit ein sehr sensibles Thema ist,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Echt? Das war es schon immer!)

sollten wir uns parteipolitische Propaganda sparen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte mit einem Diskurs beginnen, den ich zwar in meine Rede eingebaut hatte, aber bis zu Ihrer Rede dachte, ich könnte mir den sparen. Leider ist das nicht der Fall.

Es gibt ein Zitat aus Ihrem Antrag, dem ich durchaus zustimmen kann. Ich zitiere: „So hat sich der Wohnungsmarkt namentlich in den Ballungsräumen Leipzig und Dresden durch kontinuierlichen Bevölkerungszuwachs gewandelt. Insbesondere die Zahl leer stehender Wohnungen hat sich dort erheblich verringert.“ Richtig. Das ist vollkommen klar. Obwohl es in Sachsen noch nicht so schlimm ist wie in süddeutschen Großstädten, ist das in der Tat ein Thema. Aber genau dieser Absatz, den ich gerade vorgelesen habe, hat eine weitere Dimension, die Sie leider nicht aufgegriffen haben.

Als Vertreter der ländlichen Heimat sei es mir einmal gestattet, darauf hinzuweisen, dass in Sachsen der Wegzug gestoppt ist. Wir haben einen leichten Zuzug. Aber in Sachsen findet eine Binnenwanderung statt. 82 % der Fälle der Binnenwanderung gehen in Leipzig und in Dresden ein. Dieser Effekt wird durch den Wegzug aus dem ländlichen Umfeld verstärkt. Die drei am meisten

betroffenen Landkreise sind Erzgebirge, Mittelsachsen und Görlitz.

Wir wissen, dass es eine Zweitwohnsitzsteuer gibt, besonders in den großen Universitätsstädten, die zusätzlich zu einer Attraktivierung dieser großstädtischen Wohnräume führt.

All das ist ebenfalls eine Entwicklung, die wir berücksichtigen sollten. Deshalb sage ich klar und deutlich: Ein Zuviel an sozialem Wohnungsbau würde den Standortvorteil des ländlichen Raumes schmälern.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das ist auch eine Interpretation! – Zurufe von den LINKEN und den GRÜNEN)

Deshalb sollte man, was das angeht, mit pauschalen Forderungen wesentlich vorsichtiger umgehen. Was haben wir denn im ländlichen Raum als Vorteile? Die Mieten sind bei uns geringer, das Wohnumfeld bisweilen attraktiver.

(Zurufe von den LINKEN und den GRÜNEN)

Hier geht es nur gemeinsam. Deshalb würde ich Sie bitten, die Rhetorik wegzulassen und sachlich zu dem Thema in Sachsen zu diskutieren.

(Beifall bei der CDU – Unruhe im Saal)

Kommen wir zum Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren. Viele Informationen – Frau Schaper hat es ausgeführt – sind über den Diakonie-Wohnungslosenhilfebericht 2015 verfügbar. Die Ursachen für Wohnungslosigkeit sind verschieden. Auch hier darf ich anführen: Es sind beileibe nicht – wie von Ihnen dargestellt – die Gründe für Wohnungslosigkeit allesamt durch die Sächsische Staatsregierung verschuldet. Es geht hauptsächlich um Mietschulden, um Scheidung, um andere wirtschaftliche Nöte, die leider zu diesen Zuständen führen. Aber hier wird auch Hilfe angeboten. Auch das haben Sie in Ihrer Rede nur gestreift.

Ich selbst bin bei der Diakonie in meinem Landkreis engagiert und kann bestätigen, was Sie auch in diesem Bericht hätten lesen können: Es gibt Kontakt- und Beratungsstellen für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Es gibt Tagesaufenthalte. Es gibt Straßensozialarbeit. Es gibt stationär betreutes Wohnen, wo Unterstützung geleistet wird. Der größte Batzen ist das ambulant betreute Wohnen. Hier kann ich Sie nur einladen, sich einmal eine Einrichtung anzuschauen.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Jetzt hören Sie doch auf!)

Dann werden Sie sehen, dort geschieht viel. Dort wird viel gearbeitet.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Sie können sie zum Schlittenfahren einladen!)

Was ich vielleicht auch noch sagen möchte: Besonders im ländlichen Bereich agieren die Kommunen. Hier vielleicht als Beispiel, vor welchen Schwierigkeiten wir in

der Praxis manchmal stehen: Bei uns in Großenhain gibt es zwei Obdachlose. Frau Kollegin Lauterbach, wir wissen das. Wir beide wissen auch, wie bei uns in Großenhain darüber diskutiert wird; denn es gibt zumindest einen Obdachlosen, der sich einfach nicht helfen lassen will. Es wurde alles versucht. Ich denke, man ist auf dem richtigen Weg, aber es ist unendlich mühsam und unendlich schwierig.

Deshalb sei ein Blick in den Koalitionsvertrag gestattet: Die Berichterstattung zum Thema könnte in die Sozialberichterstattung, die ohnehin erfolgt, integriert werden. Das wäre, denke ich, das Sinnvollste.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Dieser Schaufensterantrag ist unnötig. Wir lehnen ihn ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ihre Rede war unnötig!)

Nach Herrn Fischer, CDU, hat nun Herr Pallas, SPD, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Artikel 7 der Sächsischen Verfassung beschreibt das Recht auf menschenwürdiges Dasein. Dazu zählt, im Abs. 1 benannt, das Recht auf angemessenen Wohnraum. Trotzdem erfasst im Augenblick keine Stelle im Land, welche Menschen in diesem Land dieses Recht nicht in Anspruch nehmen können und aus welchen Gründen dies geschieht. Diese fehlende Erfassung erschwert unmittelbar Schlüsse zum Ausmaß dieses Problems und auch zu gegebenenfalls notwendigen Maßnahmen des Landes.

Darum sage ich stellvertretend für meine SPD-Fraktion ganz klar, dass die Abschaffung der landesweiten Erfassung von Wohnungslosigkeit ein Fehler war. Ich bin auch nicht der Meinung, dass dies eine rein kommunale Aufgabe ist.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Nicht umsonst ist das Recht auf angemessenen Wohnraum in unserer Sächsischen Verfassung verankert. Deshalb hat die Koalition aus CDU und SPD im Koalitionsvertrag geschrieben – und Sie haben es in Ihrem Antrag richtig zitiert –: „Im Zuge der Sozialberichterstattung prüfen wir, ob wir die Statistik über wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen im Freistaat wieder aufnehmen.“

Gegenwärtig wird die Sozialberichterstattung vorbereitet. Sie soll auch bald ausgeschrieben werden. Die Frage, wie Wohnungslosigkeit dabei eingebaut werden kann, ist im Moment noch in der Prüfung. Die Regierung handelt also bereits in diesem Sinne. Ihr Antrag wäre ein Vorgriff auf die Ergebnisse dieses Handelns und ist in diesem Sinne unnötig. Inhaltlich ist auch fraglich, ob ein separater Bericht zu diesem Phänomen tatsächlich so viele Vorteile bringen würde.

Ich stimme Ihnen inhaltlich zu. Ich halte eine Berichterstattung und vorgelagerte Datenerhebung bei den Kommunen durchaus für notwendig. Denn, um ein Problem zu erkennen und damit umgehen zu können, muss man zuerst die Zahlen vorliegen haben. Man braucht eine Datengrundlage. Diese Aufgabe nur den Kommunen zu überlassen führt – wie wir erleben – zu sehr unterschiedlichen Sichtweisen und Maßnahmen in Anzahl und Tiefe gegen Wohnungslosigkeit im Freistaat Sachsen. Bei schätzungsweise 6 000 Menschen in Sachsen, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder wohnungslos sind, können wir uns als Land nicht einfach zurücklehnen, meine Damen und Herren.

Bei dem Datenerheben und der Berichterstattung dürfen wir es aber nicht belassen. Wir müssen sehen, was wir als Land direkt gegen Wohnungslosigkeit tun können. Dabei sehe ich im Wesentlichen zwei Dimensionen. Eine Dimension ist, die Gründe für Wohnungslosigkeit anzugehen. Dazu gehören unter anderem der Arbeitsplatzverlust, ein geringes Einkommen, Schulden und auch besondere Schwierigkeiten von Empfängern von Arbeitslosengeld II. Dazu zählt ebenso die Tatsache, dass in die Regelsätze die Stromkosten nicht eingerechnet sind. Wohnungslosigkeit ist sehr häufig eine direkte Folge von Stromabschaltungen. Nebenbei bemerkt möchte ich Folgendes sagen: Die Knappheit an Wohnungen in den Ballungsräumen ist nur mittelbar eine Ursache, weil sie zu einer Steigerung der Mietkosten führt.

Im Übrigen ist das ein weiterer wichtiger Punkt aus dem Koalitionsvertrag, dem wir uns bald widmen müssen: die Fragen der Armut. Ich zitiere noch einmal aus dem Koalitionsvertrag: „Bis zum Jahr 2016 wird eine interministerielle Arbeitsgruppe eine sächsische Präventionsstrategie erarbeiten, welche Maßnahmen zum Abfedern der Folgen bestehender Armut sowie zur Minimierung von Armutsrisiken insbesondere bei Kindern und Älteren entwickelt.“ Das werden wir tun.

Die zweite Dimension dreht sich um baupolitische Maßnahmen und die Frage, wie wir bezahlbaren Wohnraum vor allem in den Ballungszentren schaffen können. Einiges davon wurde vor allem auf Bundesebene umgesetzt. Ich möchte auf zwei Punkte eingehen. Ein Punkt betrifft die Frage nach der Leistungsverbesserung beim Wohngeld. Hierbei gelten seit Anfang dieses Jahres neue Regelungen. Von dem erhöhten Wohngeld profitieren rund 870 000 Haushalte bundesweit. Darunter sind 320 000 Haushalte, die durch die Reform neu oder wieder einen Anspruch auf Wohngeld erhalten.

Die zweite sehr wichtige Maßnahme – auch für Sachsen – ist die Aufstockung der Kompensationsmittel des Bundes für die soziale Wohnraumförderung. Im Zeitraum von 2016 bis 2019 werden insgesamt 2 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund ausgereicht. Diese Mittel sind anders als bisher zweckgebunden für soziale Wohnraumförderung einzusetzen.

Noch offen sind zwei weitere Punkte. Das ist einerseits die Einführung einer zeitlich und räumlich begrenzten