Protokoll der Sitzung vom 04.02.2016

(Beifall bei den LINKEN)

Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass auch die Opposition es wagt, einen Antrag hier in dem Hohen Haus einzubringen und zu besprechen. Wenn auch Herr Fischer von Rhetorik redet und von Träumerei – Herr Fischer, es ist Gesetzeslage und keine Träumerei; vielleicht in Ihrer Welt, aber in unserer nicht. Sie wissen noch nicht einmal in Ihrem kleinen ländlichen Raum, den Sie beschreiben, wie viele Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen sind. Das lässt ja darauf schließen, wie Ihr gesamter Blick auf die Situation ist. Das haben Sie hier ja auch inhaltslos dargebracht.

Ich werbe noch einmal um Zustimmung für diesen Antrag und bitte Sie herzlich, über Ihren Schatten zu springen – vor allem Sie, verehrte Kollegen der SPD. Rein inhaltlich ist ja zu Ihrer Rede nichts hinzuzufügen!

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Das Schlusswort haben wir gehört. Ich stelle nun die Drucksache 6/3933 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzei

chen. – Danke. Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist die Drucksache 6/3933 nicht beschlossen und der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Zum

Tagesordnungspunkt 9

Integration fördern durch Teilhabe am Arbeitsmarkt

Drucksache 6/3475, Antrag der Fraktionen CDU und SPD

werden die Fraktionen jetzt Stellung nehmen. Wir beginnen mit der einbringenden Fraktion, der CDU. Das Wort ergreift Herr Kollege Heidan.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vielen Flüchtlinge in unserem Land lösen bei vielen Menschen Ängste und teilweise deutliche Abwehrreaktionen aus. In der Tat ist die gegenwärtige Situation deutlich anders als zur Finanzkrise 2007/2008, als die Politik gegen virtuelle Finanzblasen und Hedgefonds einschreiten musste und ein Finanzmanagement betrieb, bei dem Milliarden nur so hin- und hergeschaufelt wurden.

In der jetzigen Situation haben wir es mit Menschen zu tun, die mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele sowie mit Erwartungen vor unseren Türen stehen. Nach dem Erwerb von Sprachkenntnissen ist die Eingliederung in den Arbeitsmarkt eine der wichtigsten Voraussetzungen überhaupt, dass anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge, die einen längeren Aufenthalt in Deutschland anstreben, erfolgreich in die deutsche Gesellschaft integriert werden können.

Die spannende Frage ist aber; über wie viele Menschen wir reden, was die Integration in den Arbeitsmarkt angeht. Wir haben zurzeit in Sachsen rund 2 Millionen Erwerbstätige, von denen 1,5 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen sind. Wir haben rund 174 000 Menschen, die arbeitslos sind, aber wir haben auch 27 000 offene und freie Stellen.

Im vergangenen Jahr sind rund 70 000 Flüchtlinge nach Sachsen gekommen. Nun sagen einige, nicht unbedeutende Stimmen, Deutschland könne mit den Flüchtlingen zum Teil sein demografisches Problem lösen. Richtig ist: Ein Großteil der Flüchtlinge ist unter 25 Jahre alt und kann damit dem Arbeitsmarkt noch lange erhalten bleiben. Forscher haben errechnet, dass wir pro Jahr eine Zuwanderung in einer Größenordnung von 270 000 qualifizierten Menschen in Deutschland brauchen, damit die Sozialsysteme stabilisiert und die Voraussetzungen für ein stetiges Wachstum geschaffen werden können.

Freilich wissen wir nicht, wie viele der Menschen, die wir fördern, sich dauerhaft in den Arbeitsmarkt integrieren und sich dazu entscheiden, dauerhaft hier zu bleiben. Ich meine aber, selbst wenn Flüchtlinge sich nach einiger Zeit

dafür entscheiden, wieder in ihre Heimat zurückzukehren, so ist ihre vorübergehende Integration in unseren Arbeitsmarkt gut investiertes Geld. Wenn ein Flüchtling als gut ausgebildete Fachkraft zurückkehrt, ist es vielleicht kein schlechter Beitrag zum Aufbau eines zerstörten Landes, wenn er dorthin zurückkehrt und er die Demokratie, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit, die er hier kennengelernt hat, auf dort überträgt.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, den GRÜNEN sowie des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Darüber hinaus ist jeder Rückkehrer ein potenzieller Kunde deutscher Waren und potenzieller Botschafter deutscher und europäischer Werte. Wir haben das an diesem Dienstagabend dankenswerterweise auch von Frau Prof. Langenfeld ins Stammbuch geschrieben bekommen. Diesbezüglich noch einmal herzlichen Dank, lieber Geert Mackenroth, für die sehr gute Veranstaltung, die am Dienstagabend hier in diesem Hohen Haus stattgefunden hat.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Der erste und wichtigste Schritt der Integration ist die Sprachkenntnis, sie zu vermitteln und die Qualifizierungsbedarfe festzustellen. Deshalb war es gut, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Integrationskurse für Asylbewerber und Geduldete mit einer guten Bleibeperspektive geöffnet hat und dafür auch die Mittel aufgestockt hat. Das schnelle Erlernen der deutschen Sprache ist der Königsweg in den Arbeitsmarkt.

Der zweite wichtige Schritt ist, sich die Frage zu stellen, mit welchen Qualifikationen die Menschen zu uns kommen. Wir sind ein Land, in dem die duale Ausbildung erfunden wurde und unverzichtbarer Bestandteil der Fachkräfteausbildung ist. Deshalb ist es wichtig, Berufserfahrung, Teilqualifikationen und Zertifikate abzufragen, um sich ein genaues Bild davon zu machen, was getan werden muss. Aber wir brauchen auch die Arbeitgeber mit im Boot. Die IHKs, die Handwerkskammern und die Wirtschaftsverbände haben ihre Bereitschaft dazu deutlich signalisiert. Nur wenn wir die Arbeitgeber mit ins Boot holen, die bereit sind, sich für die jungen Menschen einzusetzen und einzubringen, wird uns Integration gelingen.

Deshalb bitte ich besonders unseren Wirtschaftsminister Martin Dulig, diesen Ansatz konsequent anzugehen, um die Integration in den Arbeitsmarkt zu schaffen, denn der Arbeitsplatz ist der beste Ort für die Integration.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Wir müssen die Signale aus der Wirtschaft ernst nehmen, wenn sie sagt: Wir müssen alles tun, um diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist natürlich bei jungen Menschen, die zuwandern, leichter als bei denjenigen, die vielleicht schon etwas älter sind. Die jungen Menschen können wir durch Vermittlung der deutschen Sprache in Ausbildung bringen. Dem 25- oder 26Jährigen, der zu uns kommt und nie eine Berufsausbildung nach deutschem Verständnis gemacht hat, aber vielleicht schon seit mehr als 10 Jahren als Schweißer oder Elektriker erfolgreich in seinem Heimatland tätig ist, müssen wir Perspektiven geben, in Beschäftigung zu kommen, aber gleichzeitig berufsbegleitend die deutschen Qualifikationen nachzuholen. Vorab muss er Deutsch lernen, aber das wichtige Lernen erfolgt im Beruf. Der Meister im Betrieb ist aus meiner Sicht der beste Deutschlehrer, meine Damen und Herren. Entscheidend ist dabei der Dreiklang – bestehend aus einer passenden Sprachförderung, Anerkennung der beruflichen Abschlüsse und der notwendigen Nachqualifizierungen.

Gestatten Sie mir, dass ich den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Herrn Grillo, anlässlich des Tages der deutschen Industrie sinngemäß zitiere. Er sagte: Als größte Herausforderung sehe ich die Eingliederung der Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt. Wir haben ein demografisches Problem und viele offene Stellen. Eine rasche Integration bringt mehr für die Sozialkassen, und die Integration durch Qualifikation ist so zu schaffen. Dazu brauche es Wirtschaftswachstum und eine Entkernung unseres überregulierten Arbeitsmarktes.

Wir sind uns einig, dass die Integration früh anfangen muss. Herr Rupert Neudeck hat vorgestern sehr pragmatische Lösungsansätze vorgetragen, die genau das beschreiben: dass Arbeit ein wichtiger Bestandteil der Selbstachtung und der Selbstverwirklichung ist. Gerade frühzeitig die Flüchtlinge in den Aufnahmelagern oder von dort aus über Arbeitsgelegenheiten in die Arbeit zu integrieren ist ein guter Ausgangspunkt für erfolgreiche Integration. Das sind die richtigen Weichenstellungen, und wir haben es gehört.

Aber Integration braucht auch Zeit. Die Bundesagentur für Arbeit schätzt, dass von allen Asylbewerbern, die zu uns kommen und die bei uns einen Anspruch auf einen Arbeitsplatz haben, nur 10 % im ersten Jahr, 50 % nach fünf Jahren und 70 % nach zehn Jahren eingegliedert werden können. Es reicht also nicht, nur Arbeitsverbote abzuschaffen.

Die Vorsitzende des Sachverständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Frau Prof. Langenfeld, hält solche Forderungen sogar für kontrapro

duktiv. Sie fordert ganz klar, den Fokus zunächst einmal auf die Sprache, auf Qualifikation und Weiterbildung zu legen. Denn ohne Sprache und ohne Integration findet bei uns niemand Arbeit.

Wir müssen unsere hohen Bildungsstandards aufrechterhalten, aber sicherlich bei der Anerkennung der Fähigkeiten flexibler werden. Nicht ein Zertifikat darf entscheiden, sondern es muss die tatsächliche berufliche Erfahrung unter die Lupe genommen werden. Zum Beispiel wird ein afghanischer Elektriker nicht nur die Sprache lernen müssen, sondern er wird sich auch über unseren europäischen Schaltkreis informieren und Kenntnisse davon haben müssen. Wir müssen sicherlich vor Ort durch Fachgespräche, durch Arbeitsproben und durch Praktika ermitteln, welche Leistungen der einzelne Asylbewerber einbringen kann. Das ist oft aussagekräftiger als ein Zertifikat.

Finden Asylsuchende und Flüchtlinge erfolgreich Arbeit, dann nutzt es den aufnehmenden Staaten. Der Staat muss damit weniger für soziale Unterstützung ausgeben. Für jeden Einzelnen ist der Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Selbstverständlich.

Herr Stange, bitte.

Vielen Dank, Kollege Heidan. Sie haben mich jetzt regelrecht herausgefordert. Sie mögen es mir verzeihen, ich komme nicht vom Fach: Was ist ein europäischer Schaltkreis im Unterschied zu einem afghanischen oder syrischen?

Dann müssen Sie einmal nach Afghanistan oder Syrien fahren, dort werden Sie das schon sehen. Ich glaube, unsere europäischen und deutschen Normen unterscheiden sich schon erheblich von denen, die in Afghanistan oder Syrien gelten.

(Carsten Hütter, AfD: Normen sind doch noch etwas anderes als Schaltkreise!)

Ich weiß nicht, was ich zu Ihrer Wissenserhellung noch beitragen kann, Kollege Stange.

Herr Heidan, Sie sind der Meister vom Fach, der beste Deutschlehrer.

Herr Stange, eine Frage?

Nein, danke, Herr Präsident.

Noch eine Kurzintervention?

Vielen Dank, Herr Präsident.

Ich muss zugeben, Herr Stange: Ich bin nicht vom Elektrofach, sondern eher vom Bau. Es tut mir leid, dass ich hier vielleicht nicht so mithalten kann. Aber wenn Sie einmal mit offenen Augen in andere Länder dieser Welt gehen und sich dort die Schaltkreise oder die Elektroinstallationen anschauen, dann werden Sie einen erheblichen Unterschied zu dem feststellen, was bei uns gang und gäbe ist.

(Beifall bei der CDU)

Aber ich setze jetzt meine Ausführungen fort.

Zuletzt wird die Integration nicht nur Geld brauchen, sondern die gesamte Gesellschaft fordern. Der Staat wird seinen finanziellen Beitrag leisten. Die Wirtschaftsweisen schätzen für 2016 die Bruttoausgaben der öffentlichen Haushalte im Zuge der Flüchtlingsaufnahme auf einen Wert zwischen 9 und 14 Milliarden Euro. Damit schaffen wir allerdings nur Rahmenbedingungen. Integration funktioniert nur, wenn wir sie als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe begreifen. Ich hoffe, dass ich das auch in meinem Redebeitrag klar und deutlich gesagt habe. Deswegen ist es entscheidend, dass wir von der Politik gemeinsam mit den Verantwortlichen, die hier schon hervorragende Leistungen erbringen, auch die richtigen Lösungen suchen und die richtigen Antworten finden.

Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag und danke denen ganz herzlich, die sich diesem Thema bereits genähert haben und heute schon ihren Anteil leisten: Dank an die Kammern, Dank an die Verbände, an die vielen Ehrenamtlichen, die versuchen, den Menschen mit einer Arbeit wieder ein Wertegefühl und eine Selbstachtung zu vermitteln.

Vielen herzlichen Dank für Ihr Zuhören, meine Damen und Herren.