Protokoll der Sitzung vom 29.02.2016

Das war Herr Urban für die AfD-Fraktion. Jetzt spricht Herr Kollege Zschocke für die Fraktion GRÜNE.

Herr Urban, Sie sind nicht nur Sprachrohr kritischer Bürger, sondern Sie spalten die Gesellschaft aktiv; das will ich so deutlich sagen. Ihre Politik lässt sich am Ende nur mit Stacheldraht und Schießbefehl umsetzen.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Sie erzählen ein Zeug!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sachsen befindet sich in einer gefährlichen Krise. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien, damit unser Bundesland wieder aus dieser Krise herausfindet.

Es geht nicht darum, eine überforderte Regierungsspitze sturmreif zu schießen. Es geht darum, vor allem Wege zu finden, dass Menschen künftig vor Angriffen geschützt werden, dass konsequent gegen fremdenfeindliche Hetzer und Gewalttäter vorgegangen wird und dass die komplexen Probleme bei der Aufnahme und Integration der Flüchtlinge gelöst werden.

Sachsen braucht dringend einen funktionsfähigen Rechtsstaat und eine neue demokratische Kultur in der Zusammenarbeit. Das ist unser konstruktives Motiv, und deshalb haben wir diese Sondersitzung beantragt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Doch anstatt die ausgereichte Hand zu nehmen, wirft uns die CDU vor, dass es uns ja gar nicht um die Sache gehen würde. Und selbst, nachdem der Ministerpräsident die Notbremse zieht und die Notwendigkeit dieser Sondersitzung erkennt, bleiben Sie bei der hämischen Bemerkung, dass damit die Staatsregierung ja nur unserem blanken Populismus zuvorkommen würde.

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, eindrucksvoller konnten Sie nicht illustrieren, welche politischen Erfahrungen Sie seit 26 Jahren engagierten Bürgern hier in Sachsen vermitteln. Kern dieser Erfahrung ist gefühlte Ohnmacht, denn alle Macht geht scheinbar von der CDU und der von ihr geführten Regierung aus. Engagement ist nur dann erwünscht, solange es dieser Führung hinterherläuft. Sobald es aber kritisch wird, wird es von Ihnen diffamiert.

Viele Sachsen haben sich an die gefühlte Herrschaft einer Partei gewöhnt. Die Kehrseite dieser Gewöhnung ist aber, dass demokratische Diskursfähigkeit wenig geübt wurde. Das fliegt jetzt nicht nur Ihnen um die Ohren, sondern uns allen. Jetzt brennt es in Sachsen, die Übergriffe gehen immer weiter, und ich muss ganz deutlich an die Adresse der CDU-Fraktion sagen: Wenn Sie unseren Antrag auf eine Sondersitzung als blanken Populismus abtun, dann haben Sie den Ernst der Lage noch immer nicht verstanden.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Die Erklärung des Ministerpräsidenten erweckt den Eindruck, dass Sie, Herr Tillich, den Ernst der Lage schon verstanden haben. Auch Ihre deutliche Verunsicherung bei öffentlichen Auftritten in den letzten 14 Tagen zeigt an, dass Sie im Krisenmodus sind. Sie haben damit wirklich eine schwere Aufgabe, denn ganz Deutschland schaut auf Sachsen. Alle Augen sind auf Sie gerichtet, wenn Claus Kleber fragt: Warum ist Ihr Land Brennpunkt fremdenfeindlicher Gewalt?

Diese Frage können Sie eben nicht mit wohlklingenden Worten über Sachsens Erfolge umschiffen oder freundlich weglächeln. Wenn Sie ernsthaft nach Antworten suchen – worauf ich hoffe –, müssen Sie den Mut zum selbstkritischen Rückblick aufbringen. Die Arroganz, wie sie von

Ihrer Fraktion gerade wieder präsentiert wurde, ist dazu kein Beitrag.

Sie haben heute angekündigt, bewährte Programme und Verfahren zu stärken, weniger erfolgreiche neu zu definieren. Damit ihre Ankündigungen Erfolg haben, bedarf es zuallererst der Einsicht, dass viele bisherige Maßnahmen halbherzig, nicht selten sogar kontraproduktiv waren, zum Beispiel, wenn Abgeordnete ihrer eigenen Fraktion die Programme zur Demokratieförderung als Alimentierung von Linksextremisten verunglimpfen.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Damit Ihre Ankündigungen Erfolg haben, Herr Tillich, müssen Sie Ihren Anteil und den Ihrer Vorgänger an der Entwicklung ehrlich analysieren. Sie, Herr Tillich, haben heute damit begonnen, Ihr Fraktionsvorsitzender leider nicht.

(Zuruf des Abg. Frank Kupfer, CDU)

Niemand will der sächsischen CDU die Verantwortung für die rechtsextreme Gewaltkrise komplett in die Schuhe schieben, nein. Aber jedes Mal, wenn Sie, Herr Tillich, eine klare Aussage gegen Rechtsextremismus hier machen, kommt aus Ihrer Fraktion reflexartig der Hinweis auf die Gefahren durch den Linksextremismus,

(Frank Kupfer, CDU: Kein Wort ist dazu gekommen, kein Wort!)

als ob Auftritte von vermummten, fackeltragenden Rechtsextremen, die wie der Ku-Klux-Klan am Wochenende Einsiedel unsicher machen, irgendwie dadurch relativiert werden könnten, dass in Leipzig Steine auf Polizisten geworfen werden.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Auf Autos, Häuser, Gerichte!)

Wenn Menschen bedroht und Gewaltverbrechen begangen werden, macht es keinen Sinn, irgendetwas gegeneinander aufzuwiegen. Herr Tillich, widersprechen Sie Ihren Parteifreunden, die in öffentlichen Äußerungen immer noch nicht damit aufhören.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Damit Ihre Ankündigungen von heute Erfolg haben, bedarf es eines klaren Kurswechsels im Agieren für Demokratie, Menschenrechte, Respekt und Weltoffenheit in unserem Land. Dies beginnt schon bei der Sprache.

Herr Kupfer, Sie haben am 15. Februar in einem Interview ein Zeichen aus der Politik für die Bevölkerung angemahnt, dass jetzt Schluss sei in der Flüchtlingskrise. Ich sehe es nicht so wie Herr Gebhardt; das sage ich ganz deutlich. Sie haben damit nicht zu fremdenfeindlicher Gewalt angestachelt.

(Christian Piwarz, CDU: Danke für die Klarstellung!)

Aber können Sie sich vorstellen, dass es Menschen gibt, die solche Formulierungen als Ermunterung verstehen,

selbst ein Zeichen zu setzen, weil die Politiker ja nichts tun?

(Ines Springer, CDU: Nein! – Weitere Zurufe von der CDU)

Am gleichen Abend war die Blockade in Clausnitz. Drei Tage später brannte die Unterkunft in Bautzen. Es folgten die Schändung der Moschee-Baustelle in Leipzig und es wurden Steine auf die Unterkunft in Lobstädt geworfen.

Rein symbolische Forderungen nach irgendwelchen politischen Zeichen tragen eben wenig zur konstruktiven Problemlösung bei. Wir brauchen funktionierende rechtsstaatliche und verfassungsmäßige Lösungen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Tillich, damit Ihre Ankündigungen zur Stärkung der politischen Bildung Erfolg haben, ist eine externe Überprüfung der Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung unerlässlich. Solange dort mit wissenschaftlich zweifelhaften Dialogveranstaltungen denjenigen eine Bühne geboten wird, die demokratische Institutionen und Politiker abwerten, geht das an der originären politischen Bildungsarbeit vorbei.

In Regierung und Behörden muss auch mehr die Expertise verschiedener Politik- und Sozialwissenschaftler in Anspruch genommen werden. Einseitige Vertreter der sogenannten Extremismustheorie, die linke und rechte Einstellung gleichsetzen, die keinen Unterschied zwischen demokratischem Protest und rassistischer Hetze machen, helfen in der wirksamen Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht weiter. Genauso wenig macht es Sinn, den Fremdenhass in Sachsen argumentativ mit dem Protest gegen Stuttgart 21 auch nur irgendwie in Verbindung zu bringen.

Es muss auch endlich Schluss sein mit dem Mythos von besorgten Bürgern bei Pegida und ähnlichen Veranstaltungen. Dort werden Frauen als Wurfmaschinen in einem Geburtendschihad diskreditiert. Dort werden Journalisten bedroht und geschlagen. Diese Demonstrationen haben ein Klima befeuert, das zu Ausschreitungen führt. Die Sorgen von Menschen ernst zu nehmen darf nicht zu falschem Verständnis für die Mitläufer solcher Demos führen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, schon in der vergangenen Woche haben Sie die Bedeutung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen den Rechtsextremismus hervorgehoben. Ich habe mich gefragt, wie Sie das meinen, da doch Menschen und Initiativen, die genau das seit Jahren tun, in Sachsen seit Jahren behindert, zum Teil auch kriminalisiert wurden. Ist es jetzt ein Kurswechsel, den Sie hier ankündigen?

Ich sage einmal ganz deutlich: Eine aktive Zivilgesellschaft gibt es längst in vielen Regionen unseres Landes, die bei der Betreuung und Integration von Geflüchteten

engagiert ist, die bei Demos gegen Naziaufmärsche und Menschenfeindlichkeit trotz Behinderung durch Behörden, Polizei und Justiz Tausende Menschen auf die Straße brachten – lange vor der von Ihrer Staatskanzlei organisierten Kundgebung. Sie wollen die Unterstützung dieser Zivilgesellschaft, dann unterstützen Sie bitte die demokratische Zivilgesellschaft, betrachten Sie diese bitte nicht als Claqueure der Regierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Begegnen Sie den selbstbewusst engagierten Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes auf Augenhöhe, auch wenn diese sich kritisch zur Regierungspolitik äußern. Behandeln Sie diejenigen, die sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit engagieren, nicht als Bittsteller, sondern als kompetente Experten. Stärken Sie Demokratieförderung in Sachsen zum Beispiel durch die Aufstockung des Landesprogrammes „Weltoffenes Sachsen“. Das würde endlich eine angemessene Personalausstattung in den Projekten ermöglichen.

Um den über Jahrzehnte verfestigten antidemokratischen Einstellungen zu begegnen, bedarf es Strukturen, die kontinuierlich arbeiten können. Schaffen Sie bitte klare und mehrjährige Förderperspektiven für die Initiativen und Projekte. Bauen Sie bitte auch unsinnige bürokratische Hürden bei der Demokratieförderung ab. Schaffen Sie gängelnde Auflagen in den Bescheiden ab. Beschleunigen Sie die Entscheidung über die Fördergelder. Das ist dringend notwendig.

Und beenden Sie die Unsitte in der CDU, diejenigen, die rechtsextreme Tendenzen und Strukturen vor Ort schonungslos benennen, als Nestbeschmutzer zu diffamieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Fokussieren Sie die Maßnahmen auf die aktuell hervorstechende Bedrohung durch den Rechtsextremismus.

Herr Tillich seien Sie selbst ein Vorbild, menschenverachtende Äußerungen und rassistisch motivierte Straftaten konsequent zurückzuweisen, so wie Sie es heute hier getan haben. Auch wenn die Gröler von Clausnitz sich unmenschlich verhalten, sind es trotzdem Menschen. Es sind Menschen, denen anscheinend zu viel falscher Sachsenstolz eingeimpft wurde. Es sind Menschen, die noch nicht gelernt haben, in einer offenen Gesellschaft zu leben.

Aber dass es auch anders geht in Sachsen, dass es ein anderes Sachsen gibt, das beweist das kleine Dorf Wiederau in Mittelsachsen. Dort leben Menschen genau diese Offenheit. Über hundert Menschen kümmern sich um 60 Geflüchtete. Als der Landtag ihr Camp auflösen will, sagen die Helfer: Nein, wir wollen das nicht. Auch das ist Sachsen. Der Landrat, die Flüchtlinge und die Unterstützer treten in den Dialog. Der Landrat nimmt das Engagement ernst und revidiert seine Position. Das ist ein Verhältnis und Zivilgesellschaft, das es anzustreben gilt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie haben heute erneut von der Notwendigkeit eines starken Staates gesprochen – lassen Sie uns gemeinsam vor allem an einem handlungsfähigen funktionierenden Staat arbeiten: Bürgerinitiativen und Verbände in ihrer Vielfalt, Verwaltung, Polizei und Justiz, das Parlament und die Regierung. Wir sind dazu bereit.