Mit Herrn Zschocke haben wir das Ende der ersten Rederunde erreicht und wir treten nun in eine weitere Rederunde ein. Zunächst erteile ich der Fraktion DIE LINKE das Wort. Das Wort ergreift Herr Kollege Bartl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kupfer, Sie haben den Sinn der Rede meines Fraktionsvorsitzenden, seine Prophezeiung, dass die CDU heute wieder mit zwei Gesichtern daherkommen und über die Bande spielen wird, mit jedem Wort Ihrer Ausführungen bestätigt.
Sie haben sehenden Auges bei der Präsenz von zahlreichen Bundesmedien schlicht und ergreifend jedes Wort Ihres Ministerpräsident wieder infrage gestellt.
(Christian Piwarz, CDU: Sie haben nicht richtig zugehört! War die Rede vorher schon fertig? – Zuruf von den LINKEN: Ihr seid so berechenbar!)
Das Problem ist doch, Herr Kupfer, wenn in der Situation, bei der in diesem Land zuletzt in Clausnitz und in Bautzen vermeintlich treubrave Bürger in nicht geringer Zahl Geflüchteten im offenen Hass, in geifernder Feindschaft gegenübertreten und deswegen geradezu greifbar verängstigte Kinder, Frauen und Jugendliche beschimpfen und das auch noch filmen und genüsslich ins Netz stellen, dann ist eine Extremsituation auch im anderen Sinne erreicht.
Ich habe mit großer Erwartung zugehört. Ich habe das Gleiche, was er immer sagt, auch wieder gehört – die Presse.
Wenn grundlegende Werte menschlichen Anstands und einander geschuldeten Respekts mit derartiger Trefferdichte im alltäglichen Leben nicht mehr gelten und essenzielle staatsfundamentale Grundsätze wie etwa das Rechtsstaatsprinzip, das Demokratieprinzip de facto suspendiert sind und staatliche Institutionen nur noch hinterherhecheln, dann ist ein Fall klassischen Politikversagens eingetreten und dann muss man es doch einmal so benennen.
Sie müssen doch endlich einmal annehmen: Was sich da an Beschämendem im Freistaat Sachsen entwickelt hat, ist letztlich die Wirkung einer über 25 Jahre betriebenen falschen Politik. Nun benenne ich nicht nur die CDU, sondern sage nur eines: Herr Ministerpräsident, Sie sind seit 19 Jahren Mitglied des Kabinetts, waren also an führender Stelle in jedem Fall mit verantwortlich für diese Politik.
(Christian Piwarz, CDU: Wer rechnen kann, ist klar im Vorteil! Es geht auch um die Wahrheit! Noch einmal nachrechnen!)
(Heiterkeit bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Sie können sich auch selbstständig korrigieren!)
Es ist einfach nicht gelungen, jene Wertorientierungen, über die wir, beginnend vor 25 Jahren, in diesem Haus mit großer Vehemenz gestritten, debattiert und uns bei allem Streit dann aber gemeinsam verabredet haben, auch wirklich in den Köpfen und in den Herzen der Sächsinnen und Sachsen möglichst durchgängig zu vereinen. Das ist uns nicht gelungen; wir haben gemeinsam die Verantwortung – das hat auch Rico Gebhardt gesagt – und nehmen uns nicht aus, nimmt sich DIE LINKE nicht aus. Von Jahr zu Jahr fühlen sich die Sächsinnen und Sachsen, das muss man auch mal sagen, durch die Politik, durch die etablierten Mehrheiten, mehr betrogen und – auf Deutsch gesagt – verscheißert.
Was ist denn geworden aus diesem großspurigen, mit der Verfassungsdebatte damals angekündigten sächsischen Weg, dass wir zwei gleichberechtigte Gesetzgeber haben, dass das Volk sowie das Parlament trotz aller repräsentativen Demokratie zugleich auch Gesetzgeber sein kann, an politischer Willensbildung mitwirken kann?
Nachdem sich Jahr für Jahr gezeigt hat, dass diese Quoren für Volksbegehren, für Volksantrag usw., allzumal bei der schwindenden Bevölkerungszahl, überhaupt nicht mehr realistisch sind, haben Sie nicht die Größe aufgebracht, an den Quoren einmal 2 oder 3 % zu ändern. Nichts. Einfach ignoriert.
Bei jedem großen Politikversagen – Stichwort Paunsdorf, Stichwort Sächsische Landesbank, Stichwort Sachsensumpf,
Stichwort NSU – ist schlicht und ergreifend mit Vehemenz aus der Regierung heraus die Aufklärung direkt beeinträchtigt worden.
Wir mussten für die Untersuchungsausschüsse über Leipzig teilweise die Herbeigebung der Akten einklagen. Das wissen Sie doch alles.
Sie hatten beim NSU-Untersuchungsausschuss nie die Bereitschaft, die Wahrheit in den Ausschuss zu bringen. Ich habe das vier Jahre als Stellvertretender Ausschussvorsitzender erlebt. Das war weiß Gott nicht glänzend.
Die Konsequenz ist, dass das Ansehen der Politik bei der Bevölkerung auf den Hund gekommen ist. Wir müssen es doch einmal so sagen. Wenn wir das wieder in den Griff bekommen wollen, wenn wir Sachsens beschädigten Ruf nach unserer Mutation vom Musterländle zum Looser wiederherstellen wollen, dann müssen wir konkret werden. Das haben wir Ihnen mit den Wegen, mit den Schritten, die wir in dem Antrag der beiden Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE vorschlagen, gemacht.
Erstens soll die Staatsregierung unverzüglich dem Landtag ein Gesamtkonzept vorlegen, wie wir zeitnah die komplexesten Problemlagen bei der menschenwürdigen Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen endlich lösen. Die Teilhabe dieser Menschen muss man dabei im Auge haben.
Zweitens müssen wir unsere gemeinsame Verantwortung dafür nachhaltig klarstellen – und das möglichst ausnahmslos beginnend in diesem Hohen Haus –, dass es ein No-Go ist, Menschen, die hier Schutz und Unterbringung und Unterstützung suchen, in dieser Art und Weise, wie in Clausnitz, Bautzen und anderswo geschehen, anzugreifen. Das ist ein No-Go.
Herr Wippel, wenn ich im Innenausschuss Ihre Rede gehört habe, in der Sie sich allen Ernstes hinstellen und im Innenausschuss quasi sagen, dass es selbstverständlich statthaft war, den Traktor mit voller Kriegsbemalung, mit Rundumleuchte und allem Drum und Dran, mit Winterzeug und Winterschiebegeräten auf der Straße abzustellen, daneben einen Kleintransporter und einen PKW zu packen und damit dem Bus mit den Flüchtlingen keinerlei Bewegungsmöglichkeit mehr zu geben, dann frage ich Sie – ich lese im Volkshandbuch nach, Sie sind Polizeibeamter –: In welchem Land haben Sie Ihre Verfassungs-, Straf- und Verwaltungsrechtslehre gehabt?
Sehr geehrter Herr Bartl, können Sie die Fragen noch einmal stellen, damit ich auf die Zwischenfrage antworten kann?
Herr Bartl, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass es nicht richtig ist, was Sie gerade bezüglich dessen gesagt haben, was ich im Innenausschuss gesagt haben soll? Das ist in der Form nicht zutreffend. Es ging allein um die Frage der rechtlichen Beurteilung einer Nötigung. Ich habe nicht gesagt, dass es statthaft ist, die Anreise von Flüchtlingen zu blockieren. Das ist eine falsche Feststellung.
Wir haben die Frage der Rechtswidrigkeit dieses Handelns aufgeworfen. Sie haben gesagt: Das ist nicht rechtswidrig. Da sagt der geneigte Jurist nach einem Blick ins Strafgesetzbuch – das habe ich dann auch gesagt –: Es gibt den § 315 b, Bereitung von Verkehrshindernissen. Das ist ganz eindeutig. Schon da beginnt es, bei einer ganz profanen allgemeinen Kriminalität.
Was in Bautzen, in Clausnitz im besonderen Maße auffällt und die jetzt für uns erklärtermaßen notwendige Verbringung der Flüchtlinge zu ihrem eigenen Schutz aus dem Bus hinein in die Asyleinrichtung infrage stellt, ist, dass das derbe Vorgehen der Polizei in dem Fall mit der ansonsten geübten Toleranz gegenüber den sogenannten Wutbürgern überhaupt nicht zusammenpasst.
Diese unangebrachte Toleranz, die damit begonnen hat, dass man Lutz Bachmann, einem der Vortänzer der sogenannten Wutbürger, über Monate in Kenntnis seines stattlichen Vorstrafenregisters gestattete, Anmelder bzw. Leiter der Pegida-Aufmärsche zu sein, damit gewissermaßen seine Verlässlichkeit und Integrität, wie es das Versammlungsgesetz dafür fordert, voraussetzte und ihm diese bedenkenlos zusprach, kann nur Erstaunen machen. Erst nachdem das zigste Ermittlungsverfahren eingeleitet war, hat er selbst die Reißleine gezogen.
In Serie werden im Rahmen von angemeldeten oder nicht angemeldeten Aktionen – im Netz sowieso –, ich bleibe einmal dabei, durch die sogenannten Wutbürger Beleidigungen, Verleumdungen, hetzerische Bedrohungen von Politikern und kommunalen Verantwortungsträgern vom
Stapel gelassen, ohne dass von Staats wegen etwas passiert, so, als hätten wir keinen § 188 im StGB, der üble Nachrede und Verleumdung gegenüber Personen des politischen Lebens unter Strafe stellt, oder keinen § 90 b, der die Verunglimpfung von Verfassungsorganen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis sogar vier Jahren bedroht.