Protokoll der Sitzung vom 27.05.2016

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren, nun die Fraktion DIE LINKE; Herr Abg. Stange, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über Monate haben wir intensiv und kontrovers über die Aufnahme von Geflüchteten diskutiert, auch hier im Hohen Hause. Circa 60 000 Geflüchtete sind im vergangenen Jahr nach Sachsen zugewiesen worden, circa 40 000 davon sind tatsächlich geblieben. Hinzu kommen die Geduldeten, die unbegleiteten Minderjährigen, die Menschen mit Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnis, EU-Bürgerinnen und -Bürger, ausländische Studierende sowie Blue-CardInhaberinnen und -Inhaber.

Mitte 2015 lebten in Sachsen 128 303 Menschen ohne deutschen Pass. Hinzu kommen Zehntausende Eingebürgerte, und obwohl Sachsen längst zum Einwanderungsland geworden ist – was manche auch in diesem Hohen Hause nicht wahrhaben wollen –, bleibt der Migrationsanteil in Sachsen im bundesweiten Vergleich unterdurchschnittlich.

Das kommt nicht von ungefähr, denn ob Migrantinnen und Migranten aus Sachsen kommen oder anerkannte Geflüchtete hier bleiben, hat zum einen etwas mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun, das sie hier vorfinden, und zum anderen mit Chancen auf ein gutes Leben und Teilhabe an der Gesellschaft.

Es sind nicht nur die erschreckenden Zahlen von Angriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten, die Menschen abschrecken, sondern Alltagsdiskriminierung auf der Straße und auch in Behörden. Da ist beispielsweise Anne aus Indonesien, die in Dresden Erziehungswissenschaften studiert und auf der Straße regelmäßig als „Muslimschwein“ beschimpft wird; ein Arzt aus Kamerun – ebenfalls in Dresden –, der von Patientinnen und Patienten zu hören bekommt, dass sie nicht von einem Neger behandelt werden wollen; Geflüchtete in Riesa, denen die Mitgliedschaft im Fitnessstudio verwehrt wird; ein in Deutschland geborener Schwarzer, der wegen seiner Hautfarbe in Leipzig Probleme bei der Jobsuche und dem Mietvertragsabschluss hat; oder eine junge promovierte Syrerin, die von der Ausländerbehörde ihrer Wahlheimat schikaniert wird. All dies gehört zum Alltag von Migrantinnen und Migranten in Sachsen.

Gegen diese bei Weitem nicht nur subtile Ausgrenzung und Diskriminierung haben wir in Sachsen eben kein Konzept.

Meine Damen und Herren, nachdem wir im vergangenen Jahr viel und kontrovers über die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten debattiert haben, wird nun landauf, landab das Wort „Integration“ im Munde geführt. Genau wie im vergangenen Jahr stehen wir da und haben keinen Plan.

Es ist löblich, sehr verehrte Frau Staatsministerin, dass Sie dem großen Koalitionspartner ein Integrationspaket abgerungen haben und damit Ihre Bemühungen zur sozialen Betreuung und für integrative Maßnahmen fortsetzen und erweitern können. Aber es reicht nicht. Wir brauchen zusätzlich einen Plan, der über die Zielgruppe der Geflüchteten hinausgeht und der Vielfalt der Migrantinnen und Migranten, ihren Problemlagen und Bedürfnissen Rechnung trägt.

Einem solchen erforderlichen Plan geht ein Paradigmenwechsel in den Köpfen voraus; dieser ist erforderlich. Die Stellungnahme der Staatsregierung auf den hier diskutierten Antrag der GRÜNEN macht vor allen Dingen eines deutlich: Wir wissen wenig über diese Menschen. Dies liegt auch daran, dass sie in den vergangenen Jahren in ihrer Vielfalt unsichtbar gemacht worden sind.

Genau diese Handschrift trägt auch das Zuwanderungs- und Integrationskonzept des Freistaates. Dass dies überarbeitungsbedürftig ist, wird im Hohen Hause wohl unstrittig sein. Es datiert auf das Jahr 2012 und orientiert vor allem auf wirtschaftlich profitable Zuwanderung und schließt Geflüchtete potenziell aus. Zudem besteht es zum großen Teil aus Lippenbekenntnissen; es fehlen verbindliche Zielstellungen, avisierte Maßnahmen, ein Zeithorizont und eine finanzielle Untersetzung.

Kein Wunder also, dass das ZIK eher ein totes Dokument ist, das kaum als Arbeitsgrundlage dienen kann, um die Teilhabe der in Sachsen lebenden Migrantinnen und Migranten zu forcieren. Eine Bilanz nach vier Jahren dürfte zeigen, dass sich, gelinde gesagt, wenig getan hat.

In der vor nunmehr fast zwei Jahren erschienenen Studie des Sachverständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration und Migration zum ZIK heißt es – ich zitiere: „Verschiedene Handlungsfelder des ZIK sollten klarer umrissen, mess- und überprüfbare Ziele innerhalb dieser Handlungsfelder formuliert und Ziele priorisiert werden. Zudem sollten jeweils die für die Zielerreichung verantwortlichen Akteure benannt werden. Neben den Handlungsfeldern Spracherwerb, Bildung und Arbeitsmarktintegration als Säulen auf dem Weg zu gelingender struktureller Integration sollten dazu auch die Handlungsfelder gesellschaftliche Teilhabe, Antidiskriminierung und

interkulturelle Öffnung noch deutlicher konturiert werden.“

Diese Empfehlungen treffen, obwohl sie sehr vorsichtig formuliert sind, ins Schwarze und ich würde noch deutlicher zuspitzen. Ein Integrationskonzept, das nicht auf die gleichberechtigte und vollumfängliche Teilhabe aller Migrantinnen und Migranten in allen Lebensbereichen abzielt, ein Integrationskonzept, das zu weiten Teilen reine Lyrik ist, brauchen wir einfach nicht.

(Beifall des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Auch die Empfehlungen des Sachverständigenrates zur notwendigen Beteiligung verschiedenster Interessenvertreter aus Zivilgesellschaft, Politik und Institutionen und das Verständnis des Konzeptes als eines dynamischen

Prozesses können nur als Kritik am alten Konzept verstanden werden.

In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, sei daran erinnert, dass es seinerzeit ohne Beteiligung des Landtags, vor allem aber ohne Einbeziehung von Selbstvertretungen von Migrantinnen und Migranten erstellt und beschlossen wurde. Zwar gab es seinerzeit beteiligungsorientierte Workshops; diese waren aus der Sicht von Migrantinnen und Migranten und zivilgesellschaftlichen Organisationen jedoch reine Makulatur.

Vor genau diesem Hintergrund sollten wir auch in die Zukunft blicken. Wir stimmen dem Antrag der GRÜNEN vollumfänglich zu. Wir brauchen eine regelmäßige Integrationsberichterstattung sowie ein ganzheitliches und zielgenaues Integrations- bzw. Teilhabekonzept für Migrantinnen und Migranten, das auf breiter Beteiligung von Vereinen, Verbänden, Initiativen und Netzwerken der Zielgruppen basiert.

Als Best-Practice-Beispiel kann dabei durchaus die Stadt Leipzig dienen, wo mit 10 % sicherlich nicht zufällig der Migrantinnen- und Migrantenanteil in Ostdeutschland – Berlin ausgenommen – am höchsten ist. Im Jahr 2011 machte sich die Stadt auf den Weg eines insgesamt anderthalb Jahre andauernden Beteiligungsprozesses, der im Dezember 2012 in den Beschluss des Gesamtkonzeptes zur Integration von Migrantinnen und Migranten in Leipzig mündete. Sowohl der Stadtrat als auch 70 Initiativen, Vereine und Organisationen beteiligten sich an der Erarbeitung. Das Konzept umfasst acht Handlungsfelder und 120 konkrete Maßnahmen mit konkreten Verantwortlichkeiten. Jährlich wird über die Umsetzung berichtet. Vor wenigen Wochen beschloss der Stadtrat die Fortschreibung.

Es geht in dem Konzept um Bildung und Erziehung, Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung, Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung, sozialräumliche Integration, den interkulturellen und interreligiösen Dialog, um interkulturelle Orientierung und Öffnung, politische Teilhabe und die Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus. Warum schafft es der Freistaat Sachsen mit seinen weitaus größeren personellen und finanziellen Ressourcen, Regelungskompetenzen und dem Pfund einer vielfältigen, pluralen Zivilgesellschaft eigentlich nicht, sich auf einen ebensolchen Weg zu begeben?

Der Stellungnahme der Staatsregierung entnehmen wir nur ein Nein und den Verweis auf ein Integrationspaket, das nur einen Bruchteil des insgesamt Notwendigen abdeckt. Worin bestehen also die Alternativen?

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Ende noch einen Blick auf den jüngsten Beschluss der Bundesregierung zu den Eckpunkten für ein Bundesintegrationsgesetz werfen. Dessen Grundsatz lautet – wie schon bei der „Agenda 2010“ –: Fördern und Fordern. – Oder Fordern und Fördern? Anders formuliert: Keine Leistung ohne Gegenleistung!

Das entspricht ganz klar weder unserem Menschen- noch unserem Gesellschaftsbild. Ein gesellschaftliches Zusammenwachsen, eine gelebte solidarische Willkommensgesellschaft, die Ermöglichung von Teilhabe – all das ist mit diesem Vorhaben wohl kaum zu bekommen.

Anscheinend ist das auch nicht gewollt. Mit dem Gesetzesvorhaben wird Geflüchteten per se mangelnde Integrations- und Mitwirkungsbereitschaft unterstellt. Bei Ablehnung von Ein-Euro-Jobs oder bei Nichtwahrnehmung von Integrationsangeboten drohen Leistungskürzungen, die nichts anderes als verfassungswidrig sind.

Sie verstoßen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminium. Für die Erlangung einer Niederlassungserlaubnis werden neue Hürden errichtet. Das Gesetz wird auch keinen echten Aufenthaltstitel für die Zeit der Ausbildung bringen. Zu allem Überfluss soll mit dem Gesetz die – mit EU-Recht nicht vereinbare – Wohnsitzauflage auch für anerkannte Geflüchtete eingeführt werden. Die den Zugang zu Arbeit hemmende Vorrangprüfung soll nur unter bestimmten Bedingungen und nur vorübergehend ausgesetzt werden. Und so weiter, und so fort.

Meine Damen und Herren! Nein, ein großer Wurf ist das Gesetzesvorhaben, gelinde gesagt, nicht. Zahlreiche Verbände und NGOs nennen es darum auch „Integrationsverhinderungsgesetz“. Dieser Einschätzung schließen wir uns an.

Wir appellieren an die Sächsische Staatsregierung: Lassen Sie uns Integration nicht als einseitigen und sanktionierbaren Prozess verstehen, der Geflüchtete und Migrantinnen und Migranten in die Bringschuld zwingt! Öffnen wir unsere sächsische Gesellschaft! Öffnen Sie sich, meine Damen und Herren der Staatsregierung und der Koalition, endlich für Veränderungen und ein interkulturelles Zusammenleben auf Augenhöhe!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion ist aufgerufen. Bitte sehr, Frau Abg. Pfeil.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch ich gebe Frau Zais recht: Wir sind an einer Stelle angekommen, an der wir uns überlegen müssen, wie wir das weite Feld einer erfolgreichen Integration in Sachsen zuverlässig regeln können. Das Thema wird uns noch auf Jahrzehnte begleiten, keine Frage.

Die letzten Monate waren davon geprägt, schnell wirksame Maßnahmen zu realisieren, Lücken zu füllen und neue Strukturen aufzubauen. Dennoch möchte ich im Folgenden unsere Ablehnung kurz begründen.

Schauen wir dazu in einige der sieben Punkte des Sonderprogramms: Hier haben wir zum einen die Angebote „Deutsch sofort“, die Alphabetisierungskurse und

„Deutsch qualifiziert“. Allein an diesen Punkten können wir sehen, dass das Ministerium eine Lücke schließen wird, indem es für diejenigen, die nicht an einem Integrationskurs teilnehmen dürfen, eine Sprachausbildung etabliert.

Auch neue Wege wurden und werden gegangen, weil die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt dringend notwendig ist. Um den vielen Unternehmen, die bereit sind, Geflüchtete zu beschäftigen, entgegenzukommen, hat Martin Dulig die Arbeitsmarktkoordinatoren ins Leben gerufen. Ob gerade die zuletzt ergriffenen Maßnahmen ausreichen werden, können wir momentan noch nicht sagen.

Ein weiterer Punkt betrifft die Aufstockung der Mittel für die neue Förderrichtlinie „Soziale Betreuung und integrative Maßnahmen“. Es war sehr schnell klar, dass die eigentlich eingestellten Mittel nicht ausreichen werden. Doch gerade bei den integrativen Maßnahmen müssen wir nun schauen, welche Projekte wie wirken und wie die Arbeit verstetigt werden kann.

Nun zu den Integrationskoordinatoren. Was deren Arbeit und Einsatzfelder angeht, so müssen wir uns erst einmal genau anschauen, welche Netzwerke sie nutzen und wie sie unterstützt werden können. Diese Arbeit muss nun aufgenommen werden. Wir werden schauen, wie die Kommunen damit umgehen.

Weiterhin wird das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Integrationsgesetz seine Wirkung zeigen – wenn es denn die Hürden des Bundestages und des Bundesrates genommen hat. Denn Beschlüsse wie die Wohnsitzzuweisung werden nicht spurlos an den Kommunen vorbeigehen. Ich verstehe ja die Intention, mit einer derartigen Zuweisung den Kommunen und damit den Jobcentern, Schulen usw. Planungssicherheit zu geben. Doch sehe ich auch die Gefahr, dass wir gerade in unseren ländlichen Regionen nur unzureichend Perspektiven schaffen können und somit die Chance auf ein eigenständiges und eigenversorgtes Leben vermindern.

In den vergangenen zwei Tagen haben wir außerdem immer wieder über die Themen Schule und Lehrerinnen und Lehrer intensiv und emotional debattiert. Auch hier müssen wir stärker die Integration der Kinder ins Auge fassen. Wir brauchen nicht nur DaZ-Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch allgemein mehr Lehrpersonal; denn die geflüchteten Kinder und Jugendlichen kommen alle in den Regelschulbetrieb.

Sie sehen also: Viele Dinge sind bereits im Fluss. Die ergriffenen Maßnahmen müssen nun ihre Wirkung zeigen, bevor neue Gesetze erarbeitet werden. Eine Überarbeitung des ZIK muss daher intensiver betrachtet werden – sowohl, was den Zeitpunkt, als auch, was die Ausrichtung betrifft. Ich bin mir sicher, Petra Köpping wird auch insoweit wie bisher einen sehr guten Job – mit allen beteiligten Akteuren – machen. In ihre Überlegungen und ihre Arbeit werden über den Lenkungsausschuss und über das Verbändegespräch immer wieder die politischen und die zivilgesellschaftlichen Akteure nicht nur angehört, sondern auch wirklich aktiv eingebunden. Diesen Weg

möchten wir gemeinsam mit dem Staatsministerium beschreiten.

Wir lehnen den Antrag nicht inhaltlich ab, sondern deshalb, weil er zu kurz gefasst ist und uns die Spielräume für eine wirkliche Beteiligung und die Überprüfung der gestarteten Maßnahmen nimmt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Nun die AfD-Fraktion. Herr Abg. Spangenberg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Pohle, ich kann Ihnen nicht das Gleiche anbieten. Wir haben im Moment so viele Aufnahmeanträge, dass wir mit der Bearbeitung nicht nachkommen; da müssen Sie noch etwas warten.

(Zuruf von der CDU: Aber wir prüfen vorher!)

Meine Damen und Herren! Das Integrationskonzept zielt auf Einwanderer ab. Was Sie von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlangen, das bezieht sich auf Flüchtlinge und Asylberechtigte, gehört also aus unserer Sicht gar nicht dort hinein. Für diese gibt es bereits umfangreiche Programme, die aus unserer Sicht wirklich ausreichend sind.

Das ZIK enthält einige Passagen, die wir für sehr fragwürdig halten, weil sie sich auf die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und sogar aus anderen Kontinenten beziehen.