Protokoll der Sitzung vom 23.06.2016

Vielen Dank, Herr Heinz. – Meine Damen und Herren! Ich stelle die Drucksache 6/5388 zur Abstimmung. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Vielen Dank. Bei Stimmenthaltungen und keinen Gegenstimmen ist die Drucksache beschlossen und dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 10

Sofortprogramm „Sicheres Sachsen“ – Ergebnisoffene Evaluierung der

Polizei und Sofortprogramm für eine moderne, attraktive, hoch motivierte

sowie personell und materiell vernünftig ausgestattete Polizei jetzt!

Drucksache 6/5372, Antrag der Fraktion DIE LINKE

Wir beginnen mit der Aussprache. Das Wort hat die Fraktion DIE LINKE; Herr Abg. Stange, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident, wir werden uns bemühen, es Ihnen in Zukunft mit unseren Überschriften einfacher zu machen. Ob es gelingt, werden wir sehen.

Das glaube ich aber nicht, Herr Stange.

(Heiterkeit des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE – Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Am 14. Dezember 2015 hat Landespolizeipräsident Jürgen Georgie den Abschlussbericht der durch das Staatsministerium eingerichteten Fachkommission zur Evaluierung der sächsischen Polizei dem Innenminister übergeben.

Der Auftrag, den der Landtag auf der Grundlage des Antrages von CDU und SPD am 12. März 2015 zur Evaluierung erteilte, lautete wie folgt: „Die Fachkommission bewertet anhand der Aufgaben unter Berücksichtigung der Kriterien Fläche, Bevölkerung und Kriminalitätsbelastung sowie der gegenwärtigen Entwicklung der im Freistaat Sachsen stattfindenden Großeinsatzlagen und deren prognostischer Entwicklung, inwieweit die derzeitige und zukünftige Stellenausstattung der Polizei dem tatsächlichen Personalbedarf entspricht.“

(Beifall des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

„Der Prozess soll transparent gestaltet und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die zuständigen Fachgewerkschaften aktiv eingebunden werden.“ So weit, so gut.

Da der Staatsminister selbst im Januar den Abschlussbericht noch nicht dem Auftraggeber, dem Landtag, offiziell als Drucksache übergeben hatte – das tat er tatsächlich sage und schreibe vier Monate später, nachdem Landespolizeipräsident Georgie den Bericht an ihn übergeben hatte –, sahen wir uns genötigt, mit einem Antrag die aus unserer Sicht wichtigsten Fehlannahmen und Trugschlüsse des Berichtes zu thematisieren und den Abschlussbericht allen Mitgliedern des Hohen Hauses zur Kenntnis und Befassung am 12. Januar 2016 zuzuleiten.

Auf der Grundlage dieses Antrages hat der Innenausschuss am 12. Mai eine umfangreiche und durchaus hochkarätig besetzte Anhörung zum Antrag und vor allem zum Abschlussbericht durchgeführt. Diese Anhörung war für mich und meine Fraktion äußerst erhellend und hat

unsere Bedenken gegen den Evaluierungsprozess und den Abschlussbericht bedauerlicherweise bestätigt. So hatten wir befürchtet, dass mit der Berufung von Frau Prof. Färber – Verwaltungswissenschaftlerin – und Herrn Dr. Voß – Finanzminister Thüringens a. D. und Finanzstaatssekretär Sachsens a. D. – vor allem finanzpolitische Aspekte die Arbeit mindestens sachleitend begleiten würden. Zumindest in der Kurzfassung des Berichts deutet die Verankerung von haushaltspolitischen Grundsätzen wie Solidität und Nachhaltigkeit als Teil des Selbstverständnisses der Fachkommission genau darauf hin.

Wir haben geargwöhnt, dass weder die Aufgaben der Polizei analysiert noch der Bedarf an Personalstellen nachvollziehbar berechnet wurden. Der Vorsitzende der GdP Sachsen, Hagen Husgen, sagte dazu während der Anhörung – ich zitiere –: „Laut Beschluss des Sächsischen Landtags vom 12. März 2015 soll die Fachkommission bewerten, inwieweit die derzeitige – also 2015 – und die zukünftige Stellenausstattung in der sächsischen Polizei dem Personalbedarf entspricht. Das Ergebnis ist allen Anwesenden bekannt: 13 042 Stellen im Haushaltsjahr 2015 entsprechen nicht dem Bedarf, den wir haben. Aber 14 040 Stellen werden dagegen – auch für die Zukunft gerechnet – als ausreichend anerkannt. Da frage ich mich natürlich, wie man eine solche Aussage begründen kann, ohne dass ausreichend konkrete Zahlen dargelegt werden zur polizeilichen Praxis in Sachsen und vorrangig die PKS und die Verkehrsunfallbelastung als Orientierungsgrößen dienten. Sie werden sogar als Orientierungsgrößen benannt. Ich frage mich, ob daraus tatsächlich ein konkret abzuleitender Personalbedarf erhoben werden kann. Ich denke, kaum.“

Genau diese These wird von anderen Sachverständigen, auch solchen aus der Wissenschaft, deutlich gestützt.

Frau Prof. Färber ließ dann auch recht ungeniert verlauten – ich zitiere –: „Und es gibt keine Personalbedarfsberechnung, wo man irgendwie zu einem Ergebnis kommt, es wäre zu wenig. […] Wir sind in der Verwaltungswissenschaft inzwischen davon völlig weg, das für den Gesamtbedarf zur Berechnung heranzuziehen, weil es immer dazu kommt, dass man feststellt: Man braucht viel mehr Personal, als man in irgendeiner Form finanzieren und einsetzen kann. Und es kommt hinzu: Wenn Sie das tatsächlich machen würden, und Sie haben den Prozess beschrieben, dann hat ja niemand mehr Anlass, zum Beispiel arbeitssparenden technischen Fortschritt, schnellere Autos, Internetleistungen und anderes einzupreisen, sondern die Institutionen haben dann nur Anreize zu sagen: Ja, jetzt forcieren wir im Grunde die arbeitsver

mehrenden Aktivitäten. [...] Wir wissen auch aus der Organisationsforschung, dass Institutionen diese Verschiebungen eigentlich intern sehr gut regeln können. Wenn Sie eine solche Polizeieinheit betrachten, stellen Sie fest, dass das nicht mehr die gleichen Arbeitsabläufe wie noch vor zehn oder 15 Jahren sind. Organisationen, die man sich selbst organisieren lässt und denen man sagt: ‚Ihr müsst eine Aufgabe bewältigen!‘, realisieren diese Effizienzfortschritte. Ich weiß von meiner eigenen Universität: Wenn wir neue Aufgaben bekommen, strecken wir uns teilweise in der Tat an die Decke, um zu überleben, obwohl wir eigentlich auch sagen: ‚Wir haben die Ressourcen nicht.‘“

Unverhohlen gesteht Frau Prof. Färber also ein, dass gar nicht beabsichtigt war, einen belastbaren Personalbedarf zu berechnen. Übersetzt heißt das, die Polizei solle sich ruhig zur Decke strecken, um zu überleben.

Meine Damen und Herren! Aber nicht nur diese Frage war Gegenstand der Anhörung, sondern auch Fragen der Evaluierung, der Kriterien, der Wissenschaftlichkeit, der Transparenz und der Belastbarkeit wurden erörtert. Erik Berger, Hauptpersonalratsvorsitzender, sagte dazu – Zitat –: „Der Polizeihauptpersonalrat hält den Zeitrahmen für eine derart wichtige Arbeit für nicht ausreichend. Dazu kommt, dass die Kolleginnen und Kollegen im Projekt ihre Tätigkeit im Nebenamt, also zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit, erfüllen sollen. Unter diesen Voraussetzungen ist nach hiesiger Auffassung eine qualitätsgerechte Lieferung nicht möglich. Der Polizeihauptpersonalrat ist aus den oben genannten Gründen der Meinung, dass ein qualitätsgerechter Abschluss des Doppelhaushalts 2019/2020 besser ist als ein Schnellschuss für den Doppelhaushalt 2017/2018.“

Er setzte fort: „In meinen Augen ist der Parlamentsauftrag nicht erfüllt. Aus diesem Grund habe ich auch dem Bericht nicht zugestimmt.“

Peer Oehler, ebenfalls Gewerkschafter – ich zitiere –: „Dem Kernwillen des Parlaments wurde mit dem Ergebnis der Fachkommission nicht in der eigentlich gebotenen Tiefe entsprochen. Ziel war die Rückkehr zur Personalbedarfsberechnung, die Rückkehr dorthin, nicht nur zur Verfügung Stehendes simpel zu verteilen, sondern überhaupt erst einmal zu ermitteln, was erforderlich ist, um polizeiliche Aufgaben zu bewältigen.“

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Hört, hört!)

Ich darf auch Prof. Dieter Müller zitieren: „Mein Zwischenfazit: Die Arbeit der Fachkommission sowie ihrer Unterarbeitsgruppen kann angesichts fehlender Dokumentation nicht als transparent bezeichnet werden. Damit wich man bereits von dem Auftrag des Sächsischen Landtags ab.“

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Recht hat der Mann!)

Und weiter: „Mein Fazit: Neun Monate Zeitraum für eine umfassende Evaluation der Polizei Sachsen waren zu

knapp bemessen. Die fachliche Kompetenz des Evaluationsteams wird zumindest im Bericht nicht dargelegt und wird auch durch die Ergebnisse nicht deutlich. Die personelle Ausstattung und Fachkompetenz der Unterarbeitsgruppen bleibt unerwähnt. Eine der komplexen Thematik angemessene, differenzierte Arbeitsteilung der Mitglieder der Evaluationskommission wird nicht vermittelt. Die Evaluation leidet unter erheblichen methodischen Schwächen – zum einen die Mischform; außerdem fand keine Mitarbeiterbefragung statt. Es gab eine vergleichbare Evaluation der Polizei in Nordrhein-Westfalen; dort wurden im Rahmen der Evaluation 3 000 Mitarbeiter befragt und diese Ergebnisse mit hineingenommen. Dort wurden auch Behördenchefs, die mit der Polizei zusammenarbeiten, befragt. Das fand in Sachsen auch nicht statt. Die Methodik wurde nicht offengelegt, scheinbar willkürlich gewählte Daten mit der Überbewertung von Randdaten wie Cyberkriminalität und der Außerachtlassung von Verkehrsdaten. Einschlägige Literatur wird jedenfalls im Bericht nicht zitiert; vergleichende Untersuchungen anderer Länder werden nicht herangezogen, jedenfalls nicht zitiert. Meiner Ansicht nach ist die Datenbasis unvollkommen. Die neuen Kriminalitätsphänomene werden überbewertet, und die verkehrspolizeiliche Tätigkeit der Polizei wird unterbewertet. Die gewonnenen lückenhaften Ergebnisse sind hinsichtlich der Erfüllung des Auftrags des Sächsischen Landtags nur bedingt brauchbar und teilweise sogar inhaltlich überholt.“

Die Sachverständigen waren weit überwiegend der Auffassung, dass der jetzige Abschlussbericht nur ein Anfang sein kann und die Evaluierung fortgesetzt werden muss. Ich darf noch einmal Peer Oehler zitieren:

„Der Wille des Sächsischen Landtags kann dennoch durch eine Fachkommission 2.0 durchgesetzt werden statt der bloßen Verteilung von 1 000 zusätzlichen Stellen, die jetzt beabsichtigt ist. […] Diese Personalbedarfsberechnung sollte mit externem Sachverstand nicht nur bereichert werden, sondern sollte extern geführt werden, natürlich mit Unterstützung der sächsischen Polizei und der Sächsischen Staatsregierung und des Sächsischen Landtags. Warum aber vergibt man solche Aufträge nicht an die Hochschule der Polizei oder, wenn man es nicht ganz so sächsisch mag, an die Deutsche Hochschule der Polizei?“

Ich zitiere Blaise Bonvin aus der Schweiz, der mit seinem Team in internationalen Großstädten Polizeien analysiert, evaluiert und berät: „Eine Top-down-Analyse ist genau das, was im Bericht gemacht wurde, sie enthält abstrakte Daten. Es ist zwar ein guter Schritt, aber nur ein erster Schritt, mit solchen abstrakten Daten zu arbeiten. Dann muss man auch eine Bottom-up-Analyse durchführen. Das bedeutet, in jeder Polizeieinheit zu schauen, was heute und mit welcher Performance gemacht wird.“

Die Sachverständigen haben ausführlich und sehr sachkundig Kriterien für eine Fortsetzung des Evaluierungsprozesses benannt. Dazu noch einmal Blaise Bonvin: „All diese Kriterien sollten meiner Meinung nach analysiert werden, und am Ende muss man auch die heutige Organi

sation prüfen. Man kann nicht einfach sagen: Wir stellen mehr Polizisten ein. Man muss sehen, ob die Polizisten gut genutzt werden, also, die Organisation muss effizient sein. Es ist wie ein Organisationsaudit.“

Meine Damen und Herren! Aus diesen Gründen, die wir in der Anhörung geballt regelrecht um die Ohren geworfen bekommen haben, muss der Evaluierungsprozess fortgesetzt werden – so, wie wir die Kriterien aus der Anhörung, aus den Darstellungen der Sachverständigen, in den Antrag unter den Punkten I und II übernommen haben.

So weit für den Moment. Es ist sehr viel; wir wollen ja in die Debatte kommen. Allerdings lassen wir uns tatsächlich auf den Weg ein – Kollege Pallas, Kollege Hartmann, Kollege Lippmann, das, was Sie alle am 12. Mai nach der Anhörung auch in den Medien geäußert haben. Lassen Sie uns die Evaluation der sächsischen Polizei fortsetzen!

Zum zweiten Punkt in der zweiten Runde.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Die einbringende Fraktion DIE LINKE wurde vertreten durch Herrn Kollegen Stange.

Die CDU-Fraktion folgt auf dem Fuße. Es spricht zu uns Kollege Hartmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte als Erstes Herrn Kollegen Stange danken, dass er uns an der Auswertung der Anhörung aus Sicht der Fraktion DIE LINKE hat teilhaben lassen, und das gepackt in den adjektiviertesten Antrag des Tages, insoweit: modern, attraktiv, hoch motiviert, personell, materiell, vernünftig ausgestattete Polizei jetzt – das liest sich wie ein lustiges Potpourri. Im Übrigen haben wir heute nicht über die Rede des Kollegen Stange zu entscheiden, sondern über den vorliegenden Antrag.

Der Antrag spricht von einem Sofortprogramm „Sicheres Sachsen“ und er generiert sich gleich an dieser Stelle zu einer wunderschönen linken Mogelpackung. Denn nimmt man das, was da steht, ernst, dann steht am Anfang eine Ausschreibung der Evaluierungsleistung für externe Sachverständige. Geben wir der ein halbes Jahr, dann käme die umfassende Evaluierung der im Antrag genannten Maßnahmen in ihrer Detailtiefe und konkreten Umfasstheit. Geben wir dieser mindestens ein Jahr, dann kommt die parlamentarische Befassung, nachdem die Auswertung und die entsprechenden Strukturfragen der Staatsregierung mit dem Parlament beraten und Empfehlungen im Abschlussbericht formuliert sind. Geben wir dem Ganzen ebenfalls ein Jahr. Wenn dann die Wirkung dieses Sofortprogrammes auf die Straße zu setzen ist, nun ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann wird sich ein neu gewähltes Hohes Haus wohl mit den Ergebnissen in der praktischen Umsetzung auseinandersetzen müssen.

Was also als Sofortprogramm genannt worden ist, stellt bestenfalls eine langfristige Herangehensweise dar, aber sie täuscht die Bürgerinnen und Bürger und die Polizisten darüber, dass wir zu kurzfristigen Lösungen kommen.

(Beifall des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

Beim Lesen dieses Antrages, meine sehr geehrten Damen und Herren, beschlich mich auch das Gefühl des Wunderns. Dass überhaupt noch Polizei im Freistaat Sachsen auf der Straße ist, grenzt, wenn man diesen Antrag liest und verinnerlicht, tatsächlich an ein Wunder, dass da wirklich noch jemand sein soll, der Dienst verrichtet.

Auch die Interpretation der Kriminalitätsstatistik finde ich gelinde gesagt abenteuerlich. Nach dem vorliegenden Kenntnisstand dieses Hohen Hauses – ich will die Kriminalitätsentwicklung nicht schönreden, da haben wir in der Tat Herausforderungen – ist offensichtlich, dass wir insgesamt eine ausgewogene Entwicklung der Kriminalitätsstatistik haben. Wir haben Deliktbereiche, die deutlich rückläufig sind, wir haben andere Deliktfelder, die zunehmen, und insgesamt haben wir keinen signifikanten Anstieg von Straftaten, aber gleichwohl im Bereich der Gewaltdelikte, auch gegen Polizeibeamte. Dabei zeigt sich an dieser Stelle ein sehr differenziertes Bild.

Das im Antrag vermittelte Bild ergibt so ein bisschen Wild-Wild-West, nämlich marodierende Banden, die durch die Städte, durch die Lande ziehen, die Leute ausrauben, und daneben ein paar hilflose Sheriffs, die sich in ihren Büros verbarrikadiert haben und auf bessere Zeiten hoffen. Dieses Bild, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird weder der Sicherheitslage im Freistaat Sachsen noch der Arbeit der sächsischen Polizei gerecht.

Bei allen Herausforderungen und Problemen, die wir zweifelsohne bei der sächsischen Polizei zu lösen haben, gilt es also, ein differenziertes Bild zu malen.