Protokoll der Sitzung vom 09.11.2016

Eines ist für mich angesichts der angekündigten Protestmaßnahmen absolut unverständlich und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Gewerkschaften wahrscheinlich gar nicht um die Sache geht,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Um die Beschäftigten!)

sondern dass sie sich in Stellung bringen für die Tarifverhandlungen, die im Januar 2017 in Potsdam beginnen werden. Dafür, meine Damen und Herren, für Profilierungskämpfe von Gewerkschaften auf dem Rücken von Lehrern, habe ich überhaupt kein Verständnis.

(Beifall bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Aha! Ganz schön peinlich, was Sie hier erzählen!)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte gern ausführen.

An dieser Stelle betone ich noch einmal: Wir haben Gespräche geführt und ein Paket geschnürt. Wir haben keine Tarifverhandlungen geführt.

In diesem Maßnahmenpaket haben wir vieles umgesetzt, was die Staatsregierung auch den Gewerkschaften angeboten hatte, beispielsweise die Zulagen für Lehrer in Mangelregionen und Mangelfächern oder die Höhergruppierung von Fachberaterinnen und Fachberatern. Ja, meine Damen und Herren Abgeordneten, wir sind nicht mit der Gießkanne über eine gesamte Beschäftigtengruppe gegangen, sondern haben ganz gezielt mit dem Paket Anreize geschaffen.

(Beifall bei der CDU Noch ein Wort zu den Seiteneinsteigern. Ja, wir werden ein Qualifizierungsprogramm auflegen. Wir werden sie nicht wieder so in die Klassenzimmer schicken, wie wir es Anfang dieses Schuljahres getan haben. Sie werden neben der Einstiegsfortbildung einen berufsbegleitenden Ausbildungsabschnitt absolvieren. Ich bin dazu in guten Gesprächen mit meiner Kollegin Wissenschaftsministerin. Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sind eine Bereicherung für unsere Lehrerzimmer, wenn sie mit ihrer Berufserfahrung auch einmal andere Perspektiven an unsere Schulen bringen; denn die Verbindung von Schule und Wirtschaft ist uns ein Herzensanliegen, um den Fachkräftenachwuchs zu sichern. Dazu, meine Damen und Herren, tragen Seiteneinsteiger bei. (Beifall bei der CDU)

Die Staatsregierung, meine Damen und Herren Abgeordneten, hat mit diesem Maßnahmenpaket Handlungsfähigkeit bewiesen. Sie hat auf die bevorstehenden Herausforderungen, die wir wohl kennen und in den nächsten Jahren zu bewältigen haben, reagiert.

Ich sage zum Schluss eines: Unser Bildungssystem ist qualitativ hoch anerkannt. Deshalb werden sich sehr viele junge, gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer dafür entscheiden, in den sächsischen Schuldienst zu kommen, um bei uns guten Unterricht zu erteilen.

Herzlichen Dank noch einmal für dieses Paket und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Für die Staatsregierung sprach Frau Staatsministerin Kurth. Ich sehe auch keinen Redebedarf mehr aus der Runde. Die Erste Aktuelle Debatte ist abgeschlossen.

Wir kommen nun zu

Zweite Aktuelle Debatte

Harmlose Spinner? Bewaffnete Staatsfeinde? –

Die lange verkannte Gefahr „Reichsbürger“ in Sachsen

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion DIE LINKE das Wort. Das Wort ergreift Frau Abg. Köditz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Reichsbürger sind ein ernstes Thema und ich finde es gut, dass endlich einmal darüber debattiert wird. Sagen wir es ganz klar: Sachsen ist diesbezüglich eine Hochburg.

Es gibt vermutlich mehrere Hundert Anhänger und unzählige Sympathisierende. Im Freistaat Sachsen ist dabei die gesamte Bandbreite vertreten: Gründer fiktiver Monarchien und Fantasierepubliken, die eigene Grenzen abstecken, sogenannte Selbstverwalter und Ex

Territoriale, die die Behörden der Bundesrepublik nicht anerkennen, und auch ominöse Reichsregierungen, die an die Fortexistenz des Deutschen Reiches glauben.

Oftmals sind diese Ideen kombiniert mit Verschwörungstheorien, mit Nationalismus und Antisemitismus. Denken Sie nur an die Überzeugung der Fortexistenz des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937. In diesen Grenzen herrschte bereits das antisemitische Klima, welches am 9. November 1938, also vor 78 Jahren, zur Reichspogromnacht führte. Heute gedenken wir der Opfer und müssen uns gegen jene wehren, die diesen Geist wiederbeleben wollen.

Meine Damen und Herren, dem wird man nicht gerecht, wenn man verharmlosend von Spinnern und Durchgeballerten redet. Außer Frage steht doch inzwischen die gesamte Gefahrenbreite. In den vergangenen Wochen gab es mehrfach bewaffnete Angriffe auf Beamte, es gab Verletzte und in Franken wurde ein Polizist erschossen.

Besonders beunruhigen müssen uns dabei eigentlich Fakten wie diese. Anhänger dieser Bewegung verfügen über Waffen. Anhänger dieser Bewegung arbeiten in Behörden. Es muss uns beunruhigen, dass in Sachsen der Innenminister versäumt hat, gegen all dies rechtzeitig vorzugehen.

Ich erinnere an das Deutsche Polizeihilfswerk. Bekannt geworden war dieses vor allen Dingen vor vier Jahren durch die eigenmächtige Verhaftung eines Gerichtsvollziehers. Personell stützte sich dieses Hilfswerk vor allem auf die Reichsbürger-Szene. Bezüglich des DPHW wurde dann gegen Hunderte Personen ermittelt, unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Inzwischen wurden gegen mehrere Anführer der Gruppe Haftstrafen ausgesprochen.

(Staatsminister Markus Ulbig: Das ist konsequentes Handeln!)

Die Existenz des Deutschen Polizeihilfswerks, Herr Innenminister, hätte Ihnen vor vier Jahren Anlass sein müssen, die Gefahr, die von den Reichsbürgern ausgeht, wirklich richtig einzuschätzen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass der Gründer dieses Deutschen Polizeihilfswerkes Herr Volker Schöne war. Was war er vorher? Er war Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft Sachsens, „pflegte die Internetseiten der Gewerkschaft und veröffentlichte dort einen Text, in dem er erklärte, dass diverse deutsche Gesetze nicht mehr gültig seien und in der Bundesrepublik Deutschland das Besatzungsrecht gelte. Die Gewerkschaft entfernte den Text von der Webseite,

dieser erlangte aber in der reichsideologischen Szene größere Bekanntheit und wurde als Insiderwissen gepriesen.“ So steht es bis heute im Internet. Wenn jetzt von nur drei Verdachtsfällen bei der sächsischen Polizei gesprochen wird, dann sage ich, es wäre schön, wenn es so wäre, aber ich kann nicht daran glauben.

Der Innenminister hat sehr viel versäumt. Jetzt hat er sehr viel nachzuholen. Und wenn wir schon dabei sind, Herr Ulbig, entwaffnen Sie endlich die extreme Rechte, so wie Sie es nach der Selbstenttarnung des NSU vor fünf Jahren bereits versprochen hatten. Dann hätten wir heute weniger Probleme.

Die Redezeit geht zu Ende, Frau Kollegin.

Ich setze dann fort. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Frau Köditz sprach gerade für die einbringende Fraktion DIE LINKE. Es geht weiter in der Reihenfolge mit CDU, SPD, AfD und GRÜNE. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hartmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Harmlose Spinner? Bewaffnete Staatsfeinde? – die lange verkannte Gefahr ‚Reichsbürger‘ in Sachsen“ – lassen Sie uns zu dem Thema in der Tat reden. Ich finde es sehr bedauerlich, dass DIE LINKE hier mit angeblichen und vermeintlichen Versäumnissen des Sächsischen Staatsministers des Innern beginnt. Aber Sie geben uns auch Gelegenheit, heute auf einzelne Aspekte einzugehen, beispielsweise wie mit der Tatsache – wie durch den Sächsischen Staatsminister des Innern im Übrigen schon Mitte August mit der entsprechenden Dienstanweisung zum Waffenbesitz der Reichsbürger erfolgt – umgegangen werden soll.

Aber zurück zum Thema. Am Anfang steht die Frage, worüber wir eigentlich reden. Frau Köditz hat gesagt, die Anzahl der Reichsbürger beläuft sich auf einige Hundert. Da gibt es unterschiedliche Zahlen. Das Landesamt für Verfassungsschutz geht eher von einem zweistelligen Bereich aus. Ich will mich aber nicht an Zahlenklauberei beteiligen. Das Bundesinnenministerium spricht von einer dreistelligen Zahl für ganz Deutschland.

Eine einheitliche Reichsbürger-Bewegung – und das ist für die Diskussion sehr wichtig – existiert nicht. Wer die Vorstellung hat, wir reden darüber, dass es eine ExilReichsregierung gibt, der sich andere unterordnen – so funktioniert das nicht. Viel mehr agieren Reichsbürger entweder alleine oder in Kleinstgruppen. Sie sind wiederum je nach Weltanschauung und unterschiedlichsten Argumentationsgruppierungen organisiert. Oft stehen sie auch gegeneinander. Die einen beziehen sich auf das

Deutsche Reich von 1914, die anderen sehen sich in den Grenzen von 1937.

Eines ist auch festzustellen: Die Mehrheit der Aktivitäten der Reichsbürger lässt sich primär unter polizei- und ordnungsrechtlichen Aspekten zusammenfassen, weniger unter verfassungsrechtlichen. Reichsbürger werden

auffällig durch Straftaten wie Beleidigung, Nötigung, Volksverhetzung, Urkundenfälschung, aber auch Erpressung, Körperverletzung und Verstöße gegen das Waffengesetz. Die Haupttätigkeit der vermeintlichen Reichsregierung besteht darin, gestützt auf ihre absurden Theorien und eine abwegige juristische Argumentation, allerlei offizielle Papiere gegen Entgelt auszureichen. Dem einen oder anderen Polizeibeamten im aktiven Dienst oder Mitarbeiter von Behörden ist das zum Beispiel in Form sogenannter Reichsführerscheine, Reichsbaugenehmigungen, Reichsgewerbescheine oder eben auch Reichspersonal- oder Reichspersonenausweise untergekommen.

Ebenso versuchen die Strukturen, die da unterschiedlich vor sich hinwabern, Sozialleistungen über den Bezug auf die Haager Landkriegsordnung einzuklagen oder Kraftfahrzeugsteuern zu hinterziehen oder die Rechtskraft von Bußgeldbescheiden, Gebühren- und Steuerbescheiden zu bestreiten, und zwar mit dem Bezug, dass es Deutschland nicht gäbe und damit keiner befugt wäre, entsprechende Steuern und Gebühren zu erheben. Gleichwohl sind Reichsbürger in Sachsen auch schon in den Schlagzeilen zu finden gewesen.

2012 stehen vor allen Dingen die Anhänger und Mitglieder des Deutschen Polizeihilfswerks im Fokus. Am 23. November 2012 sind es 20 Mitglieder der Bürgerwehr „Deutsches Polizeihilfswerk“, die in Bärwalde bei Radeburg Gewalt gegen einen Gerichtsvollzieher ausüben. Am 18. September 2014 flieht ein Reichsbürger vor der Autokontrolle durch die Polizei und schleift einen Polizisten mehrere Hundert Meter mit. Am 10. September 2016 verschanzt sich ein 60-Jähriger mit seinem 86 Jahre alten pflegebedürftigen Vater in seinem Haus bei Oderwitz bei Zittau und bezeichnet sich selbst als Reichsbürger und droht, sich in die Luft zu jagen. Dem Spuk bereitet das SEK ein Ende.

Damit stellt sich in der Tat die Frage: Wie gefährlich sind Reichsbürger? Das Spektrum der Reichsbürgerbewegung in ihrer großen Vielfältigkeit reicht von Verschwörungstheoretikern, Querulanten und Spinnern bis hin zu brandgefährlichen Personen. In der Regel handelt es sich, wie gesagt, um Kleinstgruppen, um Einzelpersonen, weshalb die Beobachtung einer Gruppe durch den Verfassungsschutz sehr schwierig ausfällt. Das heißt jedoch nicht, dass Reichsbürger kein Problem darstellen und dass wir dieses Problem nicht erkannt haben.

Beispielsweise gab das Staatsministerium des Innern schon 2010 Hinweise zum Umgang mit sogenannten Reichsbürgern. Am 18. Juni 2013 erhielten die Landkreise und kreisfreien Städte entsprechende Empfehlungen zum Umgang mit Situationen und Fallbeschreibungen im Umgang mit Reichsbürgern. Im Februar 2015 gab der

Verfassungsschutz eine Empfehlung zum Umgang mit Reichsbürgern heraus, vor allen Dingen zum rechtssicheren Umgang mit den entsprechenden Personen in Verfahren. Zudem verweist der Verfassungsschutz in Thüringen darauf, dass Reichsbürger mit ihrer pseudojuristischen Akribie versuchen, einen gesellschaftlichen Resonanzboden für rechtsextremes Gedankengut zu schaffen, teilweise – das ist in der Tat so – in Überschneidung mit rechtsextremen Gruppen.

In Sachsen beobachtet der Verfassungsschutz potenziell gefährliche und gewaltbereite Anhänger der Reichsbürgerszene, vor allem, wenn sie Kontakt zur rechtsextremen Szene haben. Es gibt laut dem Sächsischen Staatsministerium des Innern eindeutige Schnittstellen zum Rechtsextremismus, zum Beispiel sind Reichsbürger Bestandteil des „Dritten Weges“ oder auch des „Weißen Raben“.

Hinsichtlich der Frage, wie wir gegen Reichsbürger vorgehen können, freue ich mich auf die zweite Runde.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)