Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

Deswegen muss man sicherlich weiter über Freihandel reden, aber Freihandel per se als positiv darzustellen und Protektionismus zu geißeln ist einfach realitätsfremd.

Herr Baumann-Hasske, an Sie: Zu sagen, dass die EU keinen Protektionismus betreibe und betreiben sollte, ist schlichtweg falsch. Was tut die EU mit vielen Steuermillionen aus den EU-Staaten, vor allen Dingen aus Deutschland? – Sie betreibt Protektionismus und tut das auch ganz offen und redet darüber, wenn man der Kommission nur genau zuhört. Ob das die Seilbahnverordnung ist oder ob das andere unsinnige Regulierungsverfahren sind – es geht natürlich um Protektionismus gegenüber China, gegenüber anderen asiatischen Staaten, die auch erwähnt wurden, und zwar, um europäische Firmen zu schützen. Das kann man geißeln. Gerade in dem Fall, wenn viele Steuermillionen verschwendet werden, bin ich sogar bei Ihnen. Aber zu behaupten, dass Protektionismus per se

nicht sinnvoll sei oder per se kein souveränes Recht wäre, ist einfach realitätsfremd.

Meine Damen und Herren! Deswegen müssen wir selbstverständlich darüber reden, wie Wirtschaftsbeziehungen in Zukunft gestaltet werden können. Dabei auszublenden, dass die aktuell geplanten Freihandelsabkommen vor allem eines tun, die Übermacht der großen Konzerne, der multinational agierenden Firmen erhöhen, die Basis des Mittelstands weiter dezimieren und dem Mittelstand das Arbeiten weiter erschweren, das hieße wirklich, die Augen vor der Realität zu verschließen.

Ich frage Sie, Frau Springer – natürlich; Sie haben gesagt, die kleinen Unternehmen brauchen Wirtschaftsbeziehungen ins Ausland; ich bin bei Ihnen –: Welches kleine mittelständische Unternehmen gerade im Osten hat die Möglichkeit, mit seinem Geld, ohne eigene Rechtsabteilung gegen eine Rechtsabteilung eines Großunternehmens zu bestehen? Sie wissen es genau: Es hat keine Chance. Deswegen hilft diese Art von Freihandelsabkommen überhaupt nicht.

(Beifall bei der AfD)

Nur ein Beispiel aus den letzten Tagen: Sie haben wahrscheinlich gehört, dass es die Firma McDonald‘s war, die die Stadt Florenz, die Innenstadt von Florenz, damit beglücken will, ein McDonald’s-Restaurant in die als Weltkulturerbe geschützte Innenstadt zu bauen.

16 Millionen Euro will McDonald’s von Florenz haben, weil diese Stadt eine souveräne Entscheidung getroffen hat, ein Fastfood-Restaurant dort nicht zuzulassen. Wenn das die Zukunft europäischer Souveränität sein soll – solche Prozesse wären noch mehr begünstigt unter Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP –, dann brauchen wir diese Art von Freihandelsabkommen definitiv nicht. Dann sollten wir erst einmal in Europa aufräumen und dafür sorgen, dass die europäische Wirtschaft nach subsidiären Prinzipien gefördert wird und dass europäische Staaten eine gesunde Wirtschafts- und Finanzpolitik, die für uns selbstverständlich eine Auflösung des Euro beinhaltet, betreiben können. Dann können wir selbstverständlich auch mit anderen Staaten, und zwar mit allen in der Welt und bitte schön auch mit Russland und anderen osteuropäischen Staaten über Freihandelszonen verhandeln, aber auf transparente Art und Weise.

Unsere Ansichten zu vielen Punkten, verehrte GRÜNENFraktion, sind oftmals nicht beieinander. Wir haben aber keine ideologischen Scheuklappen auf. Deswegen werden wir Ihrem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der AfD)

Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich jetzt die Staatsregierung. – Bitte, Herr Minister Dulig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Debatte wird

nicht ehrlich geführt. Worüber reden wir? Wenn wir darüber reden, ob wir Freihandel wollen, dann hatten wir diese Debatte schon einmal. Oder geht es darum, jetzt einen Grund zu finden, warum wir sowieso dagegen oder sowieso dafür sind?

Sicherlich hat sich die Welt nach dem Wahlergebnis von Donald Trump noch einmal deutlich verändert. Seine Aussagen müssen natürlich erst einmal den Realitätscheck bestehen, was das für den Freihandel heißt.

Wenn wir aber ehrlich über Freihandel reden wollen, dann sollten wir über CETA reden. Dann sollten wir über die Debatten reden, die wir seit Jahren führen. Ich schließe mich Harald Baumann-Hasske an. Ich bin froh und dankbar dafür, dass tatsächlich die Debatte auf der Straße dazu geführt hat, dass die Debatte auch politisch ernsthaft geführt wurde und es zu Veränderungen kam. Diese Veränderungen wurden aber vor allem von denjenigen geprägt, die sich in einem politischen und parlamentarischen Prozess ernsthaft darum bemüht haben, dass es Veränderungen gibt.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Richtig! Nur keiner hier!)

Es gibt Parteien, die würden jedem Freihandelsabkommen zustimmen, weil sie Freihandel per se gut finden. Es gibt aber auch diejenigen, und dazu gehören LINKE und GRÜNE, die per se gegen Freihandelsabkommen sind, egal was darin steht.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Was? Hä?)

Aber natürlich. Nehmen Sie doch einmal die Punkte, über die seit Jahren diskutiert wird und die seit Jahren kritisiert werden. Im Übrigen sind das die gleichen Punkte, die wir als Staatsregierung, als Koalition auch als Kritikpunkte genannt haben.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Was ist denn das jetzt für ein Kram?)

Es sind genau die gleichen Fragen, die wir an ein Freihandelsabkommen gestellt haben, wenn es um die ILO ging, um die Arbeitsschutznormen, wenn es um ökologische und soziale Standards ging, wenn es vor allem um die privaten Schiedsgerichte ging. Das waren unsere Fragen. Die Herangehensweise war nur die, dass wir gesagt haben, wir sind für ein Freihandelsabkommen, wenn diese Fragen so geklärt sind. Ihre Aussage war, wir sind gegen ein Freihandelsabkommen, weil die Sachen so und so nicht geklärt sind. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.

Jetzt sind wir in einer komplett neuen Situation. Die neue Situation heißt nicht Donald Trump, sondern die neue Situation heißt CETA. Denn dort ist es gelungen, diese Punkte anzubringen, die immer kritisch diskutiert und als Norm von Europa genannt wurden, verhandelt durch Sigmar Gabriel. Dank der neuen kanadischen Regierung mit Ministerpräsident Trudeau sind wir überhaupt in der Lage, ein komplett ausverhandeltes Freihandelsabkommen von einem neoliberalen Konzept zu einem Konzept

zu bringen, das genau die Standards enthält, die wir in Europa diskutiert haben. Eine Aussage von Trudeau war, dass es mit CETA eine Möglichkeit gibt, das zur Blaupause für alle Freihandelsabkommen werden zu lassen.

Jetzt ist doch die Frage: Wie stehen Sie zu CETA? Ist das für Sie ein Freihandelsabkommen, bei dem Sie sagen, auf dieser Basis verständigen wir uns auch mit anderen? Die Aussage hätte ich gern von Ihnen. Nur, dann müssten Sie tatsächlich über Ihren Schatten springen und sagen, es ist so weit, die Diskussionen, die wir jahrelang geführt haben, sind jetzt zu einem positiven Ergebnis bei CETA gekommen. Dann lasst es uns als Blaupause für die anderen feiern, die das Abkommen machen. Diese Aussage hätte ich gern von Ihnen.

Sie verstecken sich jetzt hinter einem Antrag, wobei Sie selbst in Ihren einleitenden Worten schon mitgeteilt haben, dass er natürlich etwas überholt ist. Denn Herr Dr. Lippold,

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Das ist doch Quatsch, Herr Minister!)

ein „Weiter so!“ hat doch niemand mehr gefordert. Wer redet denn von einem „Weiter so!“ bei TTIP? Selbst der Bundeswirtschaftsminister hat es für tot erklärt. Herr Trump und selbst Frau Clinton haben es im Wahlkampf auch gesagt. Wer redet denn vom „Weiter so!“? Wir sind doch längst schon darüber hinaus. Darüber hinaus zu sein heißt aber, dass wir uns jetzt selbstbewusst hinter CETA stellen müssen, weil wir damit die Verhandlungsgrundlage für TTIP herstellen würden. Nur dann sollten tatsächlich Europa und damit auch diejenigen, die in Europa kritisch zu CETA gestanden haben, jetzt sagen, das ist unsere Grundlage für das Verhandeln weiterer Freihandelsabkommen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie für ein Freihandelsabkommen sind, weil Sie Teil der Kampagne der letzten Jahre waren, bei der Sie bewiesen haben, dass alle inhaltlichen Veränderungen, die stattgefunden haben, von Ihnen nicht wertgeschätzt wurden und Sie sich nicht dementsprechend zu CETA verhalten.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Wer hat denn regiert?)

Wer hat regiert? Wir, und deshalb haben wir dafür gesorgt, dass es Veränderungen bei CETA gibt.

Sigmar Gabriel, SPD. Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Also entschuldigen Sie, wenn es eine Partei gibt, die sich mit CETA auseinandergesetzt hat, dann war es ja wohl die SPD.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Also bitte schön!

Die Veränderungen bei CETA durch die Verhandlungen von Sigmar Gabriel in Kanada, durch die Gespräche, die die Handelsministerin von Kanada in Europa und in Deutschland geführt hat, und die Wallonie, die am Schluss gesagt hat, die Rechtsbestimmung bei der Frage der privaten Schiedsgerichte ist nicht ausreichend, und die dann am Schluss noch einmal dazu beigetragen haben, dort eine Verschärfung hineinzubringen, sind ein Meilenstein in der Bewertung von Freihandelsabkommen. Wenn wir für Freihandelsabkommen sind, und ich bin dafür, wenn die Bedingungen für Freihandel so fair ausgehandelt sind, wie wir es gemeinsam gefordert haben, dann kann das eine große Chance sein.

Wir können nicht auf der einen Seite gegen die Globalisierung wettern und auf der anderen Seite dann, wenn es darum geht, das Handlungsprimat von Politik zurückzuerobern, kneifen. Gerade Verträge sind die Chance, der Globalisierung wieder einen Rahmen zu geben, und dem stellen wir uns als Staatsregierung, die wir diese Diskussion geführt haben, und als Koalition, weil es uns darum geht, den Export unserer Unternehmen zu stärken.

Und, Herr Lippold, noch eine Bemerkung. Sie können die Umfrage des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft nicht nur so interpretieren, damit es in Ihre Argumentation passt. Sie sollten sich die Zahlen genauer anschauen. Wenn Sie sagen, der sächsische Mittelstand lehnt das ab, dann stimmt das nicht. Was haben denn die Unternehmen gesagt, die exportorientiert sind? Was haben die Unternehmen zu TTIP gesagt, die nicht nur innerhalb Europas exportieren, sondern außerhalb? Dann wird das Bild ein komplett anderes. Sie setzen als kleine und mittelständische Unternehmen in Sachsen darauf, dass es faire Bedingungen im Freihandel gibt. Sie dürfen nicht nur die 800 Mitgliedsunternehmen nehmen, die befragt wurden, wovon ein großer Teil nicht exportorientiert ist, sondern schauen Sie sich die an, die exportorientiert sind. Die dürfen zu Recht von uns erwarten, dass wir faire Bedingungen für sie mit aushandeln, damit sie im Wettbewerb eine Chance haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Jörg Urban, AfD, steht am Mikrofon.)

Sie wünschen eine Kurzintervention? – Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Staatsminister! Ich nehme die Gelegenheit wahr, noch einmal meine Sicht darzustellen. Ich habe es so wahrgenommen, dass Kritiker von Freihandelsabkommen vor allen Dingen gefordert haben, dass es eine breite öffentliche Debatte gibt und die Öffentlichkeit Gelegenheit hat, über die Inhalte mitzubestimmen. Meine Wahrnehmung war, dass die SPD genauso wie die CDU dafür gestanden hat, möglichst intransparent und lange zu verhandeln und eben nicht die Mehrheit der Bürger mitzunehmen, wenn es um das Freihandelsabkommen ging.

Am Ende haben wir durch diese Verhandlungsweise, für die auch die SPD steht, im Ergebnis ein Freihandelsabkommen mit Schiedsgerichten, die außerhalb der nationalen Justiz stehen.

Herr Minister, bitte.

Erstens. Versuchen Sie wenigstens bei der Wahrheit zu bleiben und suggerieren Sie nicht, als würden SPD und CDU Verhandlungen mit den USA zu TTIP führen. Das haben Sie jetzt gerade gesagt. Nicht wir sind für das Verfahren zuständig, sondern die Europäische Union gemeinsam mit den USA. Wenn Sie bitte einmal in die Protokolle der Diskussion schauen, die wir schon einmal zum Thema TTIP hier hatten, dann werden Sie von Rednerinnen und Rednern der CDU, der SPD und der Staatsregierung genau diese Kritik an den intransparenten Verfahren lesen.

Das ist das Problem, was jetzt von denjenigen genutzt wird, die gegen TTIP sind. Sie sagen zu Recht, dass es intransparent ist. Das ist das Zerstörerische und auch Gefährliche in der Demokratie. Wir haben dieses Verfahren genauso kritisiert, deshalb lasse ich mir das überhaupt nicht unterstellen, ganz im Gegenteil, wir haben öffentlich Kritik geäußert und – darauf hat Harald Baumann-Hasske hingewiesen – die Kritik aufgenommen und produktiv verändert.

Zweitens. Es gab bei den jetzigen Verhandlungen eine klare Entscheidung, dass private Schiedsgerichte, mit denen kapitalkräftige Unternehmen gegen Umwelt- und Verbraucherschutz vorgehen können, nicht mehr vorgesehen sind. Stattdessen wird ein öffentlich-rechtlicher Investitionsgerichtshof eingerichtet werden.

(André Barth, AfD: Das steht außerhalb unserer Rechtsordnung!)

Diese regulatorische Innovation hat die EU-Kommission auf Initiative von Gabriel übernommen und im Abkommen vereinbart.

(André Barth, AfD: Augenwischerei ist das!)