Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Es beginnt die einreichende AfD-Fraktion. Frau Dr. Muster, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute steht die zweite Beratung unserer Verfassungsänderung auf der Tagesordnung. Es ist die erste Verfassungsänderung der sächsischen AfDFraktion. Gleichzeitig bringe ich den Änderungsantrag ein, der die Hinweise des Plenardienstes sowie einen Hinweis aus der Sachverständigenanhörung zu unserem Gesetzentwurf umsetzt.
Artikel 70 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung sieht ausdrücklich Folgendes vor: „Gesetzesvorlagen werden aus der Mitte des Landtages oder vom Volk durch Volksantrag eingebracht.“ Unsere Verfassung stellt Landtags- und Volksgesetzgeber unmittelbar gleichberechtigt nebeneinander. Es besteht also eine normative Gleichrangigkeit von parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung. Ganz deutlich hat unsere Verfassung dieses Spannungsverhältnis formuliert und damit die wechselseitigen Korrekturen zugelassen.
Tatsächlich hat bisher die Volksgesetzgebung im Freistaat Sachsen keine Rolle gespielt. Die Quoren sind derzeit viel zu hoch. Die sächsischen Bürgerinnen und Bürger können sich nicht als Volksgesetzgeber betätigen. Von den bislang acht im Landtag eingebrachten Volksanträgen wurde nicht ein einziger vom Landtag beschlossen. Drei der tatsächlich vier durchgeführten Volksbegehren scheiterten an den hohen Unterschriftenquoren. Ich nenne als erstes Beispiel folgendes: Änderung des Sächsischen Schulgesetzes aus dem Jahr 1995. Ihr Ziel waren kleinere Klassen. Zweites Beispiel ist folgendes: der Verein „Zukunft braucht Schule“ aus dem Jahr 2002. Ziel war es, geplante Schulschließungen zu verhindern. Das dritte Beispiel ist der Volksentscheid zur Änderung des Sparkassengesetzes, Sie erinnern sich sicherlich, „Pro kommunale Sparkasse“ aus dem Jahr 1999 und 2000. Letztendlich erließ die Staatsregierung ein Gesetz zur Errichtung eines Sächsischen Finanzverbundes. Genau diesen Finanzverbund wollte die Initiative verhindern.
Sie erkennen Folgendes: Volksanträge und Volksbegehren spielen in Sachsen keine Rolle. Damit spielt die Volksgesetzgebung in Sachsen ebenfalls keine Rolle. Wir müssen das Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung aktivieren. Wir
müssen es aus dem Dornröschenschlaf erwecken. Meine Fraktion hat eine Verfassungsänderung vorgelegt und die größtmögliche Bürgerbeteiligung vorgeschlagen. Unser Vorschlag geht über den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE weit hinaus. Damit haben wir eine verfassungskonforme und zeitgemäße Verfassungsänderung vorgelegt. Vorbereitet wurde diese Verfassungsänderung durch den AfD-Demokratiekongress im Mai 2015 in Dresden im CCH. Ausgewiesene Fachleute wie Prof. Jochen Rozek, Dr. Peter Neumann, Herr Robert Nef aus der Schweiz, Herr Prof. Hans Herbert von Arnim und Prof. Werner Patzelt referierten über mehr Bürgerbeteiligung.
Die AfD hatte ihren Demokratiekongress an einem Samstag veranstaltet und viele Bürger eingeladen. Wir wollten mit den Bürgern diskutieren, bevor wir so wichtige Gesetzentwürfe entwickeln. Unser Ziel ist, dass die sächsischen Bürgerinnen und Bürger über einzelne Sachfragen selbst entscheiden. Mehr direkte Bürgerbeteiligung ist auch ein Faktor zur Stärkung der repräsentativen Demokratie. Dieses Ziel haben wir in Gesetzesform gegossen.
Erstens. Definition der Massenpetition in Artikel 35 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung. Es gibt eine Definition, wie schon gesagt, und das Recht auf mündliche Anhörung.
Zweitens. Die Herabsetzung der Quoren ist uns wichtig, für den Volksantrag heißt das von derzeit 40 000 – also circa 1 % – auf in unserer Änderung 0,5 % der Stimmberechtigten, für den Volksentscheid von 450 000 Unterstützern – also circa 15 % – auf in unserem Antrag 7 % der Stimmberechtigten.
Drittens. Die Zulassung eines Referendums auf Antrag des Volkes, des Landtages oder der Staatsregierung. Alle drei sind antragsberechtigt.
Viertens. Der Sächsische Landtag muss innerhalb von zwei Monaten über den Volksantrag abstimmen. Derzeit sind es noch sechs Monate.
Unerwartete Aktualität erhielt das Thema direkte Demokratie durch die Äußerungen unseres Bundespräsidenten Gauck und unseres Justizministers Heiko Maas im November dieses Jahres. Gauck findet es „problematisch, komplexe Fragen in die Entscheidung Ja oder Nein zu pressen“. Gegen die direkte Demokratie spreche auch,
dass „eine Minderheit so gut organisiert“ sein könnte, dass sie einen viel größeren Einfluss erlange, als ihr zukomme. Gauck verteidigt damit die repräsentative Demokratie und will keine direkte Demokratie, also keine Volksentscheide.
Heiko Mass hingegen äußerte: „Ich bin der Auffassung, dass Volksentscheide auch bei bundespolitischen Fragen möglich sein sollten.“ Was macht die SPD im Sächsischen Landtag? Ist sie auch für Volksentscheide? – Nein. Die SPD ist grundsätzlich für Bürgerbeteiligung, sie ist auch grundsätzlich für plebiszitäre Elemente, aber die sächsische SPD ist leider nicht für plebiszitäre Elemente. Ich darf aus einer Erklärung von Herrn Baumann-Hasske zitieren: „Wir wollen auch Änderungen, die die Verfassung betreffen. Das haben wir mit der CDU verhandelt. Sie (die CDU) will die Verfassung nicht ändern, deshalb steht es nicht im Koalitionsvertrag. Gegen sie (die CDU) geht es hier nicht.“ Diese Erklärung gab Herr BaumannHasske nach der Ablehnung der Verfassungsänderung der LINKEN und der GRÜNEN am 01.09.2016 ab.
Also, für die CDU in Sachsen ist repräsentative Demokratie genug Demokratie. Sie wollen keine plebiszitären Elemente in der Verfassung. Dies bestätigte auch erwartungsgemäß die Demokratiekonferenz der Staatskanzlei in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Kanton Argau im Mai 2016. Am 16. Mai 2015, einem Sonnabend, fand der Demokratiekongress der AfD-Fraktion – im gleichen Ort, im gleichen Monat – statt. Uns hatte bei der Demokratiekonferenz der Staatskanzlei schon das Datum gewundert. Ein Montag, ein Werktag. Bürger habe ich bei der Veranstaltung nur wenige getroffen, aber stattdessen sehr viele ausgewählte Interessenvertreter. Der Demokratiekonferenz des Herrn Ministerpräsidenten haben wir entnommen, dass die Regierung mit den vorhandenen Verfassungsregelungen hoch zufrieden ist. Alles funktioniert in Sachsen nach Auffassung der CDU bestens. Gerade die Bürgerdialoge hätten sich bewährt.
Ich muss gestehen, gerade die Bürgerdialoge zur Novellierung des Schulgesetzes haben mich extrem ernüchtert. Es ist wahr, Frau Staatsministerin Kurth führte Bürgerforen durch. Viele besorgte Eltern und Lehrer nahmen daran teil. Es gab mehr als 1 000 Stellungnahmen mit rund 660 Korrekturen von interessierten Bürgern und Lehrern. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Frau Friedel, äußerte zu den Bürgerhinweisen: „Kaum etwas davon hat bisher Berücksichtigung gefunden. Das ist nicht gut, aber kein Beinbruch. Dann muss das Parlament eben ran.“
Die Ministerin erklärte, insgesamt wurden 40 Punkte geändert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern: Es gab 1 000 Stellungnahmen, 660 konkrete Hinweise, und es wurden 40 Punkte geändert, und dabei war die Hälfte der Punkte redaktioneller Art.
Liebe Staatsregierung, unsere Bürger wollen nicht nur gehört werden, sie wollen auch selbstständig entscheiden, sie wollen auch über einzelne Sachfragen entscheiden.
Wenn dies nicht möglich ist, dann wollen sie wenigstens ernst genommen werden, und ihre Hinweise müssen beachtet werden. Bürgerforen sind keine Gute-LauneVeranstaltungen. Sie dienen doch nicht nur der Bürgerberuhigung. Wo bleibt der Respekt vor unseren Bürgern, wo bleibt der Respekt vor unseren Wählern? Bürgerforen ersetzen nicht die notwendige Verfassungsänderung.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich entscheiden, ob Sie mehr Bürgerbeteiligung wirklich wollen. Ich lade Sie ein, unserem Antrag zuzustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD möchte die sachunmittelbare Demokratie weiterentwickeln und stärken, so sagt sie. Schwerpunktziele dieses Gesetzentwurfs sind also, die vorhandenen Möglichkeiten für die Volksgesetzgebung zu ändern, bestehende Quoren stark abzusenken, eine Massenpetition einzurichten und – wie sie schreibt – ein fakultatives Referendum einzuführen sowie die Fristen – Frau Muster, Sie hatten das ausgeführt – für die politische Diskussion von Gesetzgebungsvorhaben zu verkürzen und dafür im Wesentlichen die Sächsische Verfassung zu ändern.
Wir können das einmal zusammenfassen: Das funktioniert hier in der Gesetzgebung von der AfD nach der Vorschlaghammermethode. Sollte dabei die parlamentarische Demokratie auf der Strecke bleiben – Sie behaupten zwar das Gegenteil, Frau Muster –, so ist Ihnen das eigentlich egal. Hauptsache der momentane Wille der Wutbürger ist bedient.
Das ist für mich keine Form des Respekts vor dem Bürger, Frau Dr. Muster. Man denkt meiner Ansicht nach überhaupt nicht daran, dass sich unsere Verfassungsväter vor mehr als 25 Jahren intensiv Gedanken über das Instrument der Volksgesetzgebung gemacht haben. Darüber haben wir im Ausschuss intensiv diskutiert. Herr Bartl hat es angesprochen und Herr Schiemann. Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid sind in unserer Sächsischen Verfassung fest verankert. Kritisiert wird hierbei aber, dass die jeweiligen Quoren zu hoch seien. Frau Dr. Muster, Sie haben das auch angesprochen: Sie müssten gesenkt werden. Und dann? Dann wird Ihrer Ansicht nach alles gut.
Aber schauen wir uns mal den Volksantrag an. Für den Volksantrag sind lediglich 40 000 Unterschriften nötig, um diesen in Gang zu setzen. 40 000 Unterschriften sind nicht viel. Es geht um landesweite Unterschriften. Dennoch – Sie haben es selbst vorgetragen – wird dieses Instrument in der Gesellschaft wenig, zu wenig genutzt. Und das nicht deshalb, weil die Quoren zu hoch sind. Landesweite Begehren erwecken nicht das Interesse der
Bürger. Sie sind weitgehend unbekannt, immer noch unbekannt, obwohl sie in unserer Verfassung stehen.
Ich sehe keine Defizite bei den Beteiligungsmöglichkeiten, sondern eher bei der Bekanntheit der bestehenden Instrumente, wie sie jedem Bürger aus der Sächsischen Verfassung heraus zustehen. Dafür müssen Sie aber nicht gleich in die Verfassung und dann Änderungen vornehmen, weil es gerade mal im Mainstream gefordert wird. Geht man darauf ein und fragt die Bürger, was ist denn mehr direkte Demokratie, dann kommt ein Schulterzucken: „Ja, weiß ich jetzt nicht, wenn Sie mich so spontan fragen.“ Oder: „Wenn ich hier mal was zu entscheiden hätte, dann würde das anders laufen.“
Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, ändern wir die Verfassung nicht und bauen Elemente ein, die dann dazu missbraucht werden können, die parlamentarische Demokratie – das ist mir wichtig, die parlamentarische Demokratie – auszuhebeln.
Das gilt vor allem für das von Ihnen geforderte fakultative Referendum. Die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen hat in der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf darauf hingewiesen, dass sich bei dem fakultativen Referendum Manipulationsmöglichkeiten ergeben können, die nicht sinnvoll sind und den Volksgesetzgeber in verfassungswidriger Weise über den parlamentarischen Gesetzgeber stellen. Das sind wir. Die Verantwortung für die Entscheidung tragen nämlich wir als die gewählten Bürger. Mit dem Referendum könnten die mit demokratischer Mehrheit beschlossenen Gesetze des parlamentarischen Gesetzgebers ersetzt oder auch umgangen werden. Für die Folgen – das müssen wir immer beachten – tragen trotzdem weiter die Politiker die Verantwortung. Das widerspricht meinem Demokratieverständnis vollends.
Die bestehenden demokratischen Verfassungsgrundsätze sind das Ergebnis einer langjährigen und für viele Menschen auch leidvollen Erfahrung von zwei Diktaturen. Diesen Erfahrungen hat die verfassungsgebende Versammlung damals mit der meiner Ansicht nach völlig ausbalancierten Sächsischen Verfassung auch Rechnung getragen. Wir als CDU-Fraktion und wir als Koalition stehen zu der parlamentarischen Demokratie, verbunden mit dem verfassungsmäßig konstituierten und gleichberechtigten Volksgesetzgeber. Da sind wir d‘accord, dem Gleichberechtigten. Für alle Gesetzgebungsentscheidungen ist immer ein demokratischer Mehrheitsbeschluss erforderlich. Dazu werden gemäß Artikel 70 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung die Gesetze „vom Landtag oder unmittelbar vom Volk durch Volksentscheid beschlossen“.
Wenn Sie aber nun auf unterschiedlichen Ebenen alles ändern wollen, dann treten Sie doch zunächst einmal in den Dialog. Sie haben den Dialog genannt. Ich finde diese Dialogform und diesen Dialog, so wie er gemacht worden ist, gut. Das Problem liegt nämlich darin, dass die Bürger sich konkret, das heißt also im Rahmen spezifischer
Gesetzgebungsverfahren, einbringen wollen. Darüber, Frau Dr. Muster, denkt Ihr Entwurf aber überhaupt nicht nach. Dialogformen mit Politikern, mit Verantwortungsträgern und mit den Bürgern zu machen, das ist für mich die Form der direkten Beteiligung. Dafür sollten wir vor allem werben. Das Verfahren wurde ja schon erprobt und auch eingesetzt. Sie hatten es genannt.
Aber mit diesem Gesetzentwurf, liebe AfD, wird ein Rundumschlag gestartet, der am Ende voll am Bürgerwillen vorbeigeht, mit teilweise verfassungswidrigen Konstruktionen und ohne abzusehen, dass mit den geforderten fakultativen Referenden genau das Gegenteil erreicht wird. Nehmen wir doch einfach den geforderten Willen der Bürger ernst und nehmen sie mit auf dem Gesetzgebungsweg vorab und im direkten Dialog. Dafür können wir die bewährte Sächsische Verfassung auch so belassen und dennoch daneben durch die bereits bestehende Volksgesetzgebung ein wirksames Zeichen setzen. Das ist der Weg, den wir gehen wollen. Gehen Sie ihn mit.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben keinen Dissens darin mit Ihnen, meine Damen und Herren von der AfDFraktion, dass in Sachsen mehr direkte Demokratie, mehr ehrliche und reale Möglichkeiten zur wirklichen Teilhabe des Volkes an der Gesetzgebung und Willensbildung vonnöten sind – kein Streit.
DIE LINKE und unsere Vorgängerfraktionen im Sächsischen Landtag, also damals die Linke Liste/PDS, dann die PDS, haben deshalb seit der Annahme der Verfassung im Mai 1992 in insgesamt vier eigenen verfassungsändernden Gesetzesinitiativen um eine Erweiterung der verfassungsmäßig vorgesehenen plebiszitären Elemente und deren Ausgestaltung in einfachgesetzlichen Regelungen gerungen, zuletzt mit dem gemeinsam mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 3. März 2015 eingebrachten Gesetzentwurf „Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen“, Drucksache 6/1088. Den haben Sie, meine Damen und Herren der AfDFraktion, gemeinsam mit der CDU und der SPD in der Schlussabstimmung zur Zweiten Lesung am 31.08.2016, also vor wenigen Monaten, abgelehnt
und unsere Fraktion, weil wir diesen Fakt in einem Flyer beim Namen nannten, sogar in einem laufenden gerichtlichen Verfahren verklagt.
Wenn wir heute in einem in Zweiter Lesung anstehenden Gesetzentwurf Ihrer Fraktion diesem nicht zustimmen
können, geschieht das dennoch nicht aus Revanchegründen, sondern weil uns Ihr Regelungsverlangen zum einen nicht konsequent genug ist und zum anderen in Teilen nicht verfassungskonform erscheint.