Protokoll der Sitzung vom 16.12.2016

Ich habe ja noch gar nicht gefragt.

Entschuldigung, Frau Präsidentin.

Die EU hat diese Sanktionen nicht zum Spaß verhängt, und es wäre ein völlig falsches Signal, jetzt ohne jegliche Bewegung Russlands alles wieder aufzuheben. Das wäre die nachträgliche Rechtfertigung dieser Gewalt und eine Bankrotterklärung internationalen Rechts. Solange Russland solche Zustände zementiert, fällt es mir selbst als erklärtem Reisekader relativ schwer, an der Visapflicht etwas Schlechtes zu sehen.

Wie immer gibt es nicht nur eine Seite der Medaille, und natürlich muss sich nicht nur Russland bewegen. Wir sollten versuchen, Russland zu verstehen. Das Land hat eine geschundene Seele. 70 Jahre wurde es vom Kommunismus beherrscht, und zwar mit Zwang, Militär und Ideologie statt wirtschaftlicher Prosperität und Freiheit. Entwicklung gab es nur da, wo das ZK der KPdSU das für richtig hielt. Dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte, haben wir in unserem eigenen Land erlebt, und die Folgen sind entsprechend. Dann kamen die wilden Neunzigerjahre, der Turbo-Kapitalismus der Oligarchen, wo einige superreich und andere bitterarm wurden. Der russische Staat hat es eben nicht vermocht, diesen Prozess zum Wohle der gesamten Gesellschaft zu steuern. Im Gegenteil, er hat sich immer weiter zurückgezogen.

Das Ergebnis sehen wir heute: Während bei uns in diesen Tagen vor allem die gefühlte Temperatur gegenüber Staat und Politik schlechte Werte hat, ist sie in Russland eben wirklich schlecht. Das steigert die Sehnsucht nach dem starken Mann in der Regierung, einem, der es schon bald lösen wird.

Es kommt hinzu, dass das Land kaum Erfahrungen mit Demokratieprozessen nach dem Muster der angelsächsischen Welt hat, vom Zaren zu den Kommunisten, zu den Turbo-Kapitalisten, und nun regiert ein ehemaliger Tschekist, der die gesamte Bandbreite der Propaganda virtuos beherrscht. Unterhält man sich mit Gesprächspartnern in Russland, egal ob mit dem deutschen Botschafter oder den Büroleitern von NGOs, wie Adenauer- oder Ebert-Stiftung oder dem letzten Oppositionellen in der Duma, kommt ganz oft derselbe Befund: Das Agieren der russischen Regierung ist vor allem Innenpolitik, wenn auch mit außenpolitischen Mitteln durchgeführt.

Genau das macht es so kompliziert. Der Kreml agiert außenpolitisch, um die innen- und wirtschaftspolitisch schwierige Situation unter Kontrolle zu halten. Alle Gesprächspartner, die ich getroffen habe, sagten, bis zur

nächsten Präsidentschaftswahl 2018 wird sich an dieser Lage wenig ändern.

Was ist nun für uns im Freistaat Sachsen zu tun? Natürlich müssen wir mit der Bundesregierung und der EUEbene im Gespräch bleiben, denn sie sind dafür formal zuständig, was Visa und ähnliche Fragen angeht. In Russland müssen wir aber auch immer wieder dafür werben, dass es Verbesserungen nur dann gibt, wenn das Vertrauen wächst, wenn sich dort auch etwas ändert.

Natürlich müssen wir diese Arbeitsebenen pflegen – direkte Kontakte, direkte Gespräche, hoher Zeitaufwand bei uns Politikern, um den Unternehmen vor Ort Türen und Tore zu öffnen. In Russland hat das einen ganz anderen Stellenwert als hier, wenn ein Ministerpräsident oder ein Minister eine solche Delegation begleitet. Das wird dort sehr wahrgenommen. Ich bin der Sächsischen Staatsregierung sehr dankbar, dass sie an dieser Stelle mit hohem Aufwand agiert.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen mehr Engagement für Messen und Ausstellungen und Kontaktbörsen für Unternehmen. Natürlich können auch Kunst und Kultur ihren Beitrag leisten, miteinander im Gespräch zu bleiben.

Was wir in Samara und in Moskau am meisten gehört haben, war ein einziger Satz: Ihr wart immer da. Ihr wart auch dann da, wenn es geopolitisch schwierig war, wenn die große nationale und europäische Außenpolitik den offiziellen Mustern folgt. An dem Tag, an dem sich die Lage bessern wird, haben wir eine echt bessere Ausgangsposition als die Konkurrenz. Deshalb gilt es, daran festzuhalten, diese Gespräche zu führen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Die Staatsregierung ist hier sehr engagiert. Sie unterstützt das Deutsch-Russische Rohstoff-Forum. Der Ministerpräsident war vor Kurzem in Tatarstan, der Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr – wie schon erwähnt – in Samara und Moskau. Der Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft dieses Hohen Hauses wird seine Ausschussreise nach Baschkortostan und ebenfalls Tatarstan machen, und unser Parlamentarisches Forum Mittel- und Osteuropa hat beide Ziele ebenfalls im Programm.

Ich finde, diese Gespräche sind wichtig. Wir sollten sie unbedingt führen. Die Wirtschaftsförderung ist in Russland ebenso unterwegs wie die Tourismus Marketing Gesellschaft. Erst im Oktober gab es in Moskau eine Abendveranstaltung mit allen wichtigen Reiseveranstaltern, Journalisten und Medizintourismusveranstaltern.

Natürlich könnte man jetzt die reine Lehre vertreten und sagen: Nur, wenn ihr euch da und da bewegt, wird überhaupt etwas passieren. Das ist mir persönlich zu wenig pragmatisch, und zu einem Konflikt gehören immer zwei. Ich finde, es ist besser, miteinander zu reden als übereinander. Deshalb machen wir das, und wir kümmern uns

auch dort, wo wir die Aussicht haben, etwas zu bewegen, und sei der Schritt auch noch so klein.

Das, was Sie hier fordern, ist völlig unrealistisch. In diesem Zusammenhang ist für mich übrigens eines besonders bemerkenswert: In dem gestern beschlossenen Doppelhaushalt haben wir verschiedene Positionen, die genau diese Arbeit der Staatsregierung unterstützen sollen, die Politik der direkten Kontakte, der direkten Gespräche und der kleinen Schritte. In mindestens drei Änderungsanträgen haben Sie die Axt genau an diesen Positionen angesetzt. Gestern wollten Sie die Staatsregierung auf diesen Feldern beschneiden, und heute sollen wir in den internationalen Beziehungen Ihrem Muster folgen. Das verdient für mich nur eine Bezeichnung: Das ist politische Schizophrenie.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Wir brauchen eine Politik der vielen Gespräche und der kleinen Schritte und nicht unrealistische Anträge, die uns deutschland- und europaweit lächerlich machen. Der Inhalt dieses Antrages verdient es nicht, dass er Zustimmung findet. Wir lehnen das ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Eine Kurzintervention. Herr Urban, bitte.

Herr Nowak, das Kompliment der politischen Schizophrenie gebe ich Ihnen gern zurück. Ich hätte Ihnen gern eine Frage gestellt. Aber genauso wie Ihr Kollege, Herr Schiemann, haben Sie sich davor gedrückt, eine Antwort geben zu müssen. Die Frage ist, wie Sie sich vorstellen, dass sich etwas für die sächsische Wirtschaft bewegen soll. Die Reisetätigkeit der Sächsischen Staatsregierung ist sehr lobenswert, aber wenn man realistisch auf die Sache schaut, ist nicht davon auszugehen, dass sich Russland auf der Krim bewegen wird. Der Konflikt in der Ostukraine kann eingefroren werden. Er kann auch von der Ukraine eingefroren werden. Er wird es heute schon.

Was machen Sie, wenn dieser Zustand bleibt? Was wollen Sie Ihren sächsischen Unternehmen anbieten, wenn sich dieser Zustand nicht ändert? Dann finde ich es schon schizophren, wenn man sich auf der einen Seite darum bemüht, die Beziehungen aufrechtzuerhalten, aber auf der anderen Seite überhaupt keine politische Initiative ergreift, in Berlin etwas für das Ende dieser Sanktionen zu tun. Die Visaverhandlungen sind ein Teil dieser Sanktionen.

Für mich war das nicht überzeugend. Die Schizophrenie sehe ich hier eher bei der CDU.

(Beifall bei der AfD)

Und die Beantwortung, bitte.

Es gibt schon heute Abschlüsse. Das haben wir in Samara auch gemacht. Es gibt zum Beispiel das Unternehmen Robotron, das für Moskau die komplette IT im Bereich der Stadtwerke macht. Es ist nicht so, dass gar nichts passieren kann. Wie gesagt, die Politik der kleinen Schritte beinhaltet eben auch, dass man dicke Bretter bohrt.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Gibt es noch Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Mir liegt kein Wunsch auf Aussprache mehr vor. Dann bitte ich jetzt Herrn Staatsminister Dr. Jaeckel.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Staatsregierung unterstützt das Ziel der Europäischen Union, die Beziehungen zu Russland so bald wie möglich wieder mit mehr Leben zu erfüllen – einschließlich einer Wiederaufnahme der Verhandlungen über Visaerleichterungen. Die Annahme und Umsetzung des 2011 vorgelegten Visaerleichterungsabkommens würde weiteren Personengruppen Vereinfachungen bei der Visagewährung gewähren und zur häufigeren Vergabe von Fünf-JahresVisa führen. Das wäre grundsätzlich für die Förderung der sächsisch-russischen Beziehungen wünschenswert.

Nun möchte ich einmal darauf hinweisen, dass wir eine Vielzahl von russischen Arbeitnehmern im Freistaat Sachsen haben, die in Gemeinschaftsunternehmen beschäftigt sind. Der klassische Fall befindet sich in Leipzig. Wir wissen, dass es dort die Firma Volga-Dnepr gibt, in der sehr viele russische Arbeitskräfte tätig sind. Es ist an uns bisher nicht das Problem herangetragen worden, dass es dort Probleme mit den Visa gäbe. Es findet also ein aktiver wirtschaftlicher Austausch statt, und die Beziehungen scheinen in dieser Hinsicht zu funktionieren.

Verhandlungen über Visaerleichterungen wurden durch einen Beschluss des Europäischen Rates im März 2014 in Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland ausgesetzt. Dazu brauche ich nichts mehr zu sagen, weil sowohl der Abg. Herr Baumann-Hasske als auch Frau Abg. Maicher sowie Abg. Marko Schiemann alles Wesentliche gesagt haben. Ich möchte nur noch einmal in Richtung AfD-Fraktion betonen, dass es sich dabei um ein durchaus kohärentes Verhalten handelt; denn nur durch ein geschlossenes Auftreten der Europäischen Union ist in solchen Völkerrechtsfragen etwas zu erreichen.

Zugleich setzt sich die Staatsregierung vor allem dafür ein, dass die Wirtschaftsbeziehungen nicht abbrechen und fortgesetzt werden. Auch das wurde bereits erwähnt. Wirtschaftsminister Dulig und der Ministerpräsident haben diverse Reisen in den russischen Wirtschaftsraum unternommen, gerade in letzter Zeit nach Tatarstan. Herr

Nowak hat berichtet, wie erfolgreich das durchaus auch von den 50 mitreisenden Unternehmern wahrgenommen wurde.

Meine Damen und Herren! Das Hauptproblem der wirtschaftlichen Beziehungen liegt auch ein wenig an der volkswirtschaftlichen Lage in Russland. Hauptbelastungsfaktor für die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist die anhaltende Wirtschaftskrise in Russland. Diese wurde vor allem vom Ölpreis und von der Abwertung des Rubels ausgelöst, und das wird auch weiterhin so bleiben, wenn man sich die volkswirtschaftlichen Daten anschaut. Das ist nicht einfach wegzureden, sondern das ergibt sich aus den tatsächlichen Themen wie Preisverfall und Abwertung des Rubels.

Es wurde heute Abend im Plenum auf einige wirtschaftliche Kontakte hingewiesen. Ich möchte eines besonders herausheben. Im Oktober 2016 fand in Dresden die Nachwuchskräftekonferenz der sogenannten Russian German Young Leaders statt. 300 Nachwuchskräfte, die im russisch-deutschen Wirtschaftsumfeld arbeiten, waren in Dresden, und Herr Ministerpräsident Tillich hat diese Nachwuchskräfte persönlich an einem Abend hier in Dresden begrüßt. Mir wurden von dort aus ziemlich gute Rückmeldungen gegeben über die Gesprächsatmosphäre und insbesondere die Tatsache, dass Sachsen bei dem Thema Sanktionen seit Anbeginn eine einheitliche Position vertreten hat, nämlich die Sanktionen aufzuheben, wenn es denn gelingt, dass das Minsker Abkommen tatsächlich umgesetzt wird.

(Jörg Urban, AfD, steht am Mikrofon.)

Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass es unser aller Verpflichtung ist, gerade in den neuen Ländern und vielleicht auch gerade in Sachsen, die Beziehungen, die in der DDR zu Russland bestanden, fortzusetzen und wirtschaftliche Kooperationen zur Vertiefung der russischsächsischen Beziehungen zu pflegen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sofort. Ich möchte nur noch den Gedanken ausführen. – Weil Sie von der AfD darauf hingewiesen haben, dass wir im Bundesrat Stimmrecht in den Ausschüssen haben, möchte ich darauf hinweisen, dass der Ministerpräsident als Vorsitzender der deutsch-russischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates in Moskau politische Gespräche mit der russischen Regierung geführt hat und diese Gespräche genau in dem Sinne geführt wurden, wie ich es inhaltlich hier ausgeführt habe. – Frau Präsidentin.

Bitte, Herr Urban.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich erlaube mir noch einmal die Nachfrage. Auch Sie haben das Minsker Abkommen angesprochen. Das Minsker Abkommen kann man sich im Internet aufrufen und es

gibt die Punkte, die es enthält. Die Begründungen, dass Moskau Teile des Minsker Abkommens nicht umsetzt, werden regelmäßig ins Feld geführt. Können Sie mir sagen, welchen Punkt des Minsker Abkommens Russland nicht umsetzt, was es jetzt und heute rechtfertigt, die Sanktionen und damit auch die Blockade der Visaverhandlungen aufrechtzuerhalten?

Herr Abg. Urban, das ist die Frage, die man eigentlich in so einer Plenardebatte nicht vollständig beantworten kann. Ich will es trotzdem einmal versuchen, weil Wolfgang Ischinger als derjenige, der für die OSZE die Verhandlungen auf der deutschen Seite führt, in dem letzten Gespräch, das ich mit ihm vor etwa vier Monaten hatte, darauf hingewiesen hat, dass Russland nichts dafür unternimmt, dass es Regionalwahlen in der Region gibt und insbesondere die öffentliche Sicherheit und Ordnung hergestellt wird. Ich glaube, dass der Prozess, der im Minsker Abkommen beschrieben wurde, sehr ernst genommen werden sollte, insbesondere im zweiten Teil.

(Jörg Urban, AfD: Richtig!)

Er setzt voraus, dass in den Gebieten, die gegenseitig besetzt sind, Regionalwahlen durchgeführt werden. Um aber Regionalwahlen durchführen zu können, muss man ein Klima schaffen, in dem tatsächlich eine demokratische Diskussion und ein demokratischer Prozess entsteht. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, das nehme ich schon ernst, beschreibt, dass diese Situation nicht gegeben ist.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Ja.