Wie oft hat sich der Sächsische Landtag tatsächlich im System der Subsidiaritätskontrolle, aber auch im politischen Dialog zu Wort gemeldet?
Schauen Sie hinein, es ist sehr bescheiden gegenüber vielen anderen Regionen, Herr Schiemann. Das ist der Punkt.
Fakt ist: Die Nationalstaaten werden uns – als Grundlage, wie Sie formulieren – nicht retten. Schauen Sie sich den letzten Gipfel an: Dort geht es um Tusk, sie zerrupfen sich, die Polen wollen nicht mitmachen. Schauen Sie sich Brexit an, schauen Sie sich im Übrigen die ökonomische Krise in Europa an. Wir in Deutschland klappern mit den Händen und sagen: Alle anderen müssen genauso wettbewerbsfähig werden wie wir. Das funktioniert ökonomisch doch so gar nicht. Haben Sie einmal darüber nachgedacht?
Es geht wegen dieser gigantischen Exportüberschüsse nicht. Wir drücken die anderen an die Wand und wundern uns dann im Umkehrschluss, weshalb sie in anderen Fragen mit uns nicht solidarisch sein wollen. Das ist das Ergebnis von nationalstaatlichem Egoismus. Den müssen wir überwinden, dann hat Europa tatsächlich eine Zukunft, aber nur dann. Das sollten wir auch hier in Sachsen befördern, Kollege Schiemann – unabhängig davon, ob wir bei den Waschbären zu spät gekommen sind oder nicht.
Bei anderen Fragen kommen wir nicht zu spät. Bei anderen Fragen können wir mitgestalten, das sollten wir auch machen. Wir sollten unsere Bequemlichkeit im Europaausschuss – da nehme ich uns jetzt alle mit – überwinden und uns als Sächsischer Landtag viel mehr einbringen.
Kollege Schiemann, geben Sie im Europaausschuss die Blockade auf, wenn es um die Interessen Sachsens bei der Gestaltung von Subsidiaritätskontrolle, aber auch bei der Gestaltung der Beteiligung im politischen Dialog geht. Das wäre meine Botschaft. Dann ist viel mehr geholfen als mit solch salbungsvollen Reden anlässlich 60 Jahre Römische Verträge.
Wir brauchen tatsächlich das Europa der Regionen. Aber dafür brauchen wir eine Volksvertretung, einen Sächsischen Landtag, der sich sehr bewusst in die Gestaltung europäischer Rechtsetzung einbringt.
Reformen machen doch nur dann Sinn, wenn Sie es ernst meinen und wenn Sie selbst bereit sind, sich im Regierungssystem der Europäischen Union einzuordnen, und zwar als Aktiver und nicht als Zuschauender und am Ende noch Zutretender. Das ist nicht fair gegenüber Europa.
Beim ELER-System hat man die Regionen diesmal mit den entsprechenden Richtlinien ganz allein gelassen; sie haben sie sich selbst ausarbeiten müssen. Jahre zuvor hat man es immer über das Ministerium gemacht. Am Ende schimpfen dann alle auf Europa. Diesmal war die Kommission nicht einmal schuld daran, das waren wir im SMUL selbst.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir lernen als Erstes, dass Kommunisten und Sozialisten hervorragende Wirtschaftspolitik machen können. So lächerlich haben Sie sich schon lange nicht mehr gemacht.
Herr Schiemann, der Souverän hat das letzte Wort. Ich hoffe, ich habe Sie korrekt zitiert. Wenn das so ist, dann befürworten Sie bestimmt bundesweite Volksentscheide. Dann hat der Souverän das letzte Wort. Mal schauen, ob ich Sie jetzt falsch interpretiert habe.
Wenn ja, dann bitte ich Sie, zukünftig nicht mehr so zweideutig zu argumentieren. Das könnte Ihnen populistisch ausgelegt werden.
Meine Damen und Herren! Begeisterung für Europa, Begeisterung für europäische Projekte kann man nicht verordnen und die kann man nicht erzwingen. Diese ergeben sich, wenn die Entwicklung stimmt.
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat dies in der Tat über lange Jahre gezeigt, bis sie den Weg von Freiheit, Verantwortung und Wettbewerb – Frau Maicher – verlassen hat. Sie wissen ganz genau: Das ist der Grund, warum die Europäische Verfassung, der Euro und eine gemeinsame Sozialpolitik nicht funktionieren können – deswegen. Und wenn wir über illegale Migration in Europa sprechen; denn wir haben aktuell keine gemeinsame Grenzsicherung. Frontex funktioniert mehr als Taxi nach Europa statt als Grenzsicherung für diesen Kontinent. Deswegen haben wir einen Zustand zu beklagen, in dem man sich inzwischen auf dem Roten Platz von Moskau mehr in Europa fühlt als in Paris oder Berlin.
Meine Damen und Herren! Mit Leerformeln, die Sie hervorgebracht haben, wird nur vernebelt, was Herr Schiemann zweideutig angedeutet hat. Das heißt aber im Grunde, dass eine radikale Reform der Europäischen Union nur funktionieren kann, wenn wir bereit sind, den Wert der nationalen Demokratie, der nationalen Souveränität mit allen Rechten – und auch gern auch mit Pflichten – aufrechtzuerhalten.
Den aktuellen Stand der Europäischen Union und der Eurozone 2017 kann man im Wesentlichen in Stichpunkten zusammenfassen: Rechts- und Gesetzesbruch des Maastricht-Vertrages und des Dublin-Abkommens,
Merkels illegale Grenzöffnung – auch auf Kosten anderer Länder –, eine negative und Nullzinspolitik der EZB, die Sparer und Steuerzahler enteignet, immer mehr Steuermilliarden, die letztlich in der Tat Geldforderungen einpreist, immer mehr Ideologie; denn nichts anderes ist die Rettung des Euros, und leider auch immer mehr Zwietracht zwischen den Mitgliedsstaaten. Wann hätte man sich jemals vorstellen können, dass Frau Merkel zum Beispiel in Griechenland mit Nazi-Plakaten und mit Tausenden Polizisten empfangen wird? Dieser Zustand war weder in den Jahren 1958 und 1975 noch im Jahr 1985 für andere deutsche Politiker vonnöten.
Wenn wir es mit einer europäischen Idee der Freiheit und der Demokratie ernst meinen, dann sollten wir uns auf unsere gemeinsamen Wurzeln – die christlichen, die jüdischen, die antiken und die der Aufklärung – besinnen. Wir sollten die Vielfalt der Nationen und der Traditionen wahren und nicht versuchen, sie im europäischen, sozialistischen Harmonisierungsdrang kaputt machen.
Frau Maicher, wird von der Fraktion GRÜNE noch einmal das Wort gewünscht? – Nein. Dann spricht Herr Abg. Schiemann für die CDU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, ich habe deutlich gemacht, dass es für den Freistaat Sachsen bedeutend war, dass wir die Chance hatten, nach der friedlichen Revolution Teil dieses neuen Europas zu werden, das für uns nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ein Glück war. Wir haben an dem Europa, das die westliche Welt Europas schon viele Jahre zuvor erleben und sich darin entwickeln konnte, teilnehmen können. Ich denke, es ist wichtig, das im Zusammenhang mit dem 60. Jahr der Römischen Verträge heute hier nochmals aus sächsischer Sicht hervorzuheben.
Der zweite Punkt: Natürlich müssen wir auch das aufgreifen, was an Entfernungen zwischen der europäischen Ebene und den Bürgern in unserem Land neu entstanden ist. Das zu negieren oder nicht zu hören wäre ein Fehler, der spätestens in politischen Entscheidungen bei Wahlen entsprechend sichtbar wäre.
Ich habe darauf hingewiesen, dass wir auch ein Demokratiedefizit auf der europäischen Ebene haben. Natürlich ist das so. Ich kann mit Verweis auf den Bericht der fünf Präsidenten, die ihren Plan zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 2015 vorgelegt haben, sagen, dass es eine zu starke Einflussnahme dieser fünf Präsidenten und keine Beteiligung des Europäischen Parlamentes gibt, sondern es gibt eine sehr starke zentrierte Entscheidungsgewalt eben dieser fünf Präsidenten.
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen und sich diesen Bericht anschauen, dann werden Sie sehen, dass dieser Bericht sehr tief in die Rechte der Nationen eingreift. Wenn wir hier einen Disput über Nationen und Nationalstaaten führen, dann ist es doch angemessen, auch anzusprechen, dass die Bundesrepublik Deutschland und deren Bürger ihren großen finanziellen Anteil dazu beitragen, damit diese Europäische Union überhaupt in der Lage ist, Geld zu verteilen. Das sollte man nicht aus dem Blick nehmen: Es ist der Steuerzahler, dem wir verpflichtet sind. Das lasse ich mir von niemandem hier im Hohen Haus kleinreden: Deutschland leistet einen solidarischen Beitrag, durch den viel Geld nach Europa gegeben wird, das dann solidarisch verteilt wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind auf dem Weg. Wir müssen uns den Defiziten der Demokratie in Europa stellen. Wir werden unsere nationalen Kompetenzen stärken, und wir brauchen starke Regionen. Als Grenzregion sind wir als Freistaat Sachsen besonders in der Pflicht.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das kann ich nicht erkennen. Somit bitte ich nun die Staatsregierung, das Wort zu nehmen. Herr Staatsminister Dr. Jaeckel, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Sächsischen Landtags! Zunächst einmal vielen Dank für die sehr anregende und in grundsätzlichen Positionen durchaus spannungsgeladene Debatte. Ich würde gern die Gelegenheit ergreifen, aus der Sicht der Sächsischen Staatsregierung und in meiner Person als deren Vertreter etwas zu dem Thema dieser Aktuellen Debatte zu sagen, damit wir insbesondere im Ausschuss in den nächsten Wochen und Monaten zu einer gemeinsamen Linie zu den Politikfeldern kommen, die, Frau Dr. Maicher, auch über das Thema der Koalitionspolitik hinausreichen sollen.
Am 3. März 2017 hat die Europäische Kommission die neuesten nationalen Eurobarometer-Umfragen veröffentlicht. Danach fühlen sich 77 % der Deutschen und 67 % der Befragten in anderen Mitgliedsstaaten als Bürger der Europäischen Union. 72 % der Deutschen und 69 % der Europäer insgesamt finden, dass die Unterzeichnung der Römischen Verträge ein herausragendes, wichtiges Ereignis in der europäischen Geschichte war. Deshalb haben wir auch jeden Grund, heute in dieser Debatte 60 Jahre Römische Verträge und das Projekt Europa zu feiern. Am 25. März, also nächsten Samstag, werden die Staats- und Regierungschefs zusammenkommen, um sich Gedanken über eine gemeinsame Vorstellung zu machen, in welche Richtung sich die EU weiterentwickeln soll. Ich möchte in der Debatte gern einige Punkte dazu aus der Sicht der Staatsregierung beleuchten.
Wir haben mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge den europäischen Integrationsprozess begonnen. Damit sind unbestreitbar die politische, wirtschaftliche und soziale Dimension und die Stellung Europas in der Welt gestärkt worden. Ja, Herr Gebhardt, es ist so: Die wirtschaftliche Dimension ist die eine Seite, und auch ich bin der Meinung, dass wir bei der sozialen Integration noch mehr tun müssen. Aber dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, und es ist wohlfeil, noch einmal darzustellen: Wir haben auf der sozialen Seite in ganz Europa, insbesondere in Südeuropa, aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit auch Schwierigkeiten. Das muss man anerkennen.