Kein Land in der Bundesrepublik Deutschland tut gegen Kinderarmut so viel wie Sachsen, wenn Sie Ihre Definition anlegen.
Im Westen ist die Zahl sogar gestiegen. – Nein, Entschuldigung: Die Zahl der Kinder im Hartz-IV-Bezug ist deutlich gesunken. Das hat etwas mit der Arbeitsmarktpolitik zu tun.
Wir können an die Debatte von heute Morgen anknüpfen: Wenn es uns gelingt, dass die Wirtschaft funktioniert, wenn Arbeitsplätze vorhanden sind, wenn Menschen mit ihrer Hände Arbeit etwas verdienen, dann geht es auch den Kindern dieser Familien gut.
Da kann man einmal schauen, was hier in den vergangenen Jahren geleistet worden ist. Wir haben in Sachsen mittlerweile eine Arbeitslosenquote von 6,9 %. Wer hätte das vor zehn Jahren gedacht?
Wir sind nicht nur besser als Mecklenburg-Vorpommern, als Berlin, als Sachsen-Anhalt und als Brandenburg – nein, wir haben auch westdeutsche Bundesländer über
holt. Wir sind besser als Bremen, besser als Hamburg, besser als das größte westdeutsche Bundesland – Nordrhein-Westfalen.
Dann füge ich als Erzgebirger noch einen Satz hinzu: Wir waren einmal das Schlusslicht in ganz Deutschland, wir hatten in der Arbeitslosenstatistik einmal die rote Laterne. Im vergangenen Monat sind wir zum ersten Mal unter den Bundesdurchschnitt gerutscht. Der Erzgebirgskreis liegt in der Arbeitslosenstatistik unter dem Bundesdurchschnitt. Hätte ich das vor fünf Jahren gesagt, hätten Sie mich für verrückt erklärt – zu Recht.
(Susanne Schaper, DIE LINKE: Sie haben im Erzgebirge keine Menschen mehr, die arbeitslos werden können!)
Jetzt schauen Sie sich die Entwicklung dort einmal an. – Nein, das hat auch etwas damit zu tun, dass wir Industrie haben, die gut funktioniert, dass neue Jobs entstanden sind. Schauen Sie sich an, wie viele neue Jobs entstanden sind. Das ist der Punkt. Deswegen gibt es auch mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, deswegen gibt es weniger Hartz-IV-Empfänger, und das ist gut so.
Dann schauen wir uns einmal an – auch das ist wichtig –, wie dieser Hartz-IV-Satz eigentlich berechnet wird.
Da gibt es die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, bei der man sich die unteren Prozente der Haushalte anschaut: Haushalte, in denen die Mutter um 6 Uhr früh aufsteht, die Schnitten schmiert und das Kind in den Kindergarten bringt, aber nicht toll verdient, weil sie vielleicht Krankenschwester ist. Man schaut dann, was die unteren 20 % bekommen. Das soll auch jemand bekommen, der Hartz IV bezieht.
Das finde ich nicht ungerecht, das ist nicht zu wenig – und bei Kindern gilt das Gleiche. Früher hat man gesagt: Wir nehmen bei Kindern einen prozentualen Abschlag von einem Erwachsenen vor. Was hat man dann getan? Dann hat man sich die Kinder ganz genau angeschaut und ermittelt, was der Bedarf bei einer normalen Familie ist. Das entspricht auch dem Bedarf eines Hartz-IV-Kinds; das ist doch vollkommen anständig. Ich finde, ein HartzIV-Kind soll für Kleider genauso viel bekommen wie mein Kind.
Aber eben auch nicht mehr, denn es muss sich auch ein bisschen lohnen, dass die Leute noch arbeiten gehen.
Dann schaue ich mir einige andere Sozialleistungen an. Beim besten Willen: Wenn ich Sie höre, habe ich das Gefühl, wir lebten hier in bitterster Armut.
Ich will gar nicht darüber sprechen, dass wir vorige Woche mit dem Sozialausschuss in Vietnam waren. Wenn man sich das einmal anschaut, kann man sagen, dass wir hier auf einem Stern der Glückseligen leben. Aber solche Vergleiche möchte ich gar nicht bringen.
Ich möchte nur noch sagen, was wir in den letzten Jahren getan haben. Sie, Frau Kollegin Schaper, haben es schon eingeführt: Das Bildungs- und Teilhabepaket ist auch eine solche Neuerung. Wir geben jenen Zuschüsse zum Mittagessen, die es sich nicht leisten können. Wir bezahlen die Mitgliedsbeiträge für den Sportverein. Wir bezahlen Nachhilfestunden extra. Wir bezahlen Schulausflüge. Wir bezahlen den Schulbedarf extra. In Klammern: Es gibt auch noch ein paar Familien, die ganz normal arbeiten und das ebenfalls finanzieren müssen – nur einmal nebenbei.
Wir sagen: Für Hartz-IV-Empfänger tun wir das – das ist in Ordnung, ich bin auch dafür. Jetzt aber so zu tun, als ob bei uns die große Armut ausgebrochen wäre, finde ich ein bisschen unanständig.
Ich könnte die Sozialleistungen noch fortsetzen: Wer Hartz-IV-Empfänger ist, bezahlt keine Kita-Gebühren. Außerdem haben wir in Sachsen Ermäßigungen für Mehrkindfamilien – was auch richtig ist – und anderes.
Die Hälfte zahlt im Kindergarten ermäßigte oder gar keine Gebühren. Alles richtig; das finde ich gut so. Jetzt aber zu sagen, das sei vollkommen unsozial, damit habe ich schon ein Problem.
Ich möchte noch einmal beim Geld beginnen, Frau Kollegin Schaper. Wenn Sie sagen – richtigerweise; ich hätte mich gar nicht getraut, das zu sagen –, die Zahl übergewichtiger Kinder sei bei den Hartz-IV-Empfängern besonders hoch und auch die Zahl der Raucher unter den Kindern im Hartz-IV-Bezug sei überdurchschnittlich hoch, muss man doch einmal die Frage stellen: Hat das damit zu tun, dass sie zu wenig Geld haben? Das kann ich zumindest daraus nicht ableiten. Das muss man erfragen.
Was sind die Gründe, wieso das so ist? Es liegt aber nicht daran, dass man zu wenig Geld zur Verfügung hat.
Ja, das ist richtig. Es hat damit nichts zu tun. Wenn ich rauche, dann brauche ich Geld, um zu rauchen. Das ist nachvollziehbar. Deswegen muss man einmal fragen, ob man mit mehr Geld hilft oder ob man nicht mit anderen Instrumenten helfen sollte. Man sollte beim Thema Bildung anknüpfen. Bildung ist der Schlüssel zum sozialen Aufstieg.
Ich finde, dass wir mit unserem Schulsystem viele gute Möglichkeiten bieten. Es gibt Studien dazu, dass dies bei uns besonders durchlässig ist. Gerade unser sächsisches Bildungssystem führt dazu, dass man individuell gefördert wird. Dazu könnte ich Ihnen die Studien nennen.
Wir haben gesagt, es ist richtig, dass wir eine Schule haben möchten. Wir möchten keine Schule für alle. Wir möchten die passende Schule für jedes Kind – jedem Kind seine Schule, jeder soll individuell gefördert werden. Das ist mit unserem Schulsystem möglich: Wir haben keine Einheitsbrei-Schule, sondern eine individuelle Förderung von Kindern.
Lassen Sie mich mit Blick auf das Thema Armut noch einmal auf einen anderen Aspekt eingehen, den wir ansprechen müssen. Wir haben eine Armut an Kindern. Uns fehlen Kinder. Das ist eigentlich die gesellschaftliche Herausforderung, vor der wir stehen – nicht erst seit heute. Wir haben eine Geburtenrate von 1,4 Kindern je Mann und je Frau.
Wir sind das Bundesland mit der höchsten Geburtenrate in Deutschland. Egal, ob wir von deutschlandweit 1,4 oder in Sachsen 1,5 Kindern sprechen, es sind zu wenig. Bestandserhaltend sind 2,1 Kinder je Mann und je Frau. Das ist schade.