Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gerade deutlich gemacht worden, dass der Geflü
gelpestvirus H5N8 in Sachsen in den vergangenen Monaten besonders aggressiv und lange Zeit sowie vielerorts nachweisbar war. Deswegen gab es die schon genannte landesweite Stallpflicht, auch Aufstallungspflicht genannt. Bei einer solchen Allgemeinverfügung sind die Konflikte zwischen Tierseuchenbekämpfung, Tierschutz und dem wirtschaftlichen Interesse der Unternehmen gegenseitig abzuwägen. Klar ist auch, dass der Tierseuchenschutz an oberster Stelle stehen muss.
Mit unserem Antrag stellen wir das in keiner Weise infrage. Dennoch gab es viele Belastungen für kleinere Geflügelhalter und Rassegeflügelzüchter. Die Geflügelpestverordnung sieht zwar grundsätzlich die Möglichkeit vor, unter bestimmten Bedingungen Tierhalter von einer allgemeinen Aufstallungspflicht auszunehmen, allerdings zeigt die Praxis der letzten Monate, dass es kaum zur Ausschöpfung des behördlichen Handlungs- und Ermessensspielraumes gekommen ist, obwohl die Einhaltung notwendiger Sicherheitsmaßnahmen zugesichert werden konnte.
Daher verfolgt der vorliegende Antrag das Ziel, die Anwendung der Ausnahmegenehmigung zu prüfen und praktikabler zu gestalten. Oberste Priorität muss, und das wiederhole ich gern, weiterhin die Tierseuchenbekämpfung haben. Die lang anhaltende Stallpflicht war für viele Geflügelhalter eine große Belastung. Das trifft besonders auf Rassegeflügelzüchter zu, aber auch auf kleine Geflügelbetriebe. Wegen der grundsätzlichen Freilandhaltung dieser Betriebe und der Hobbyzüchter haben sie meist nicht genügend große Ställe für eine langfristige artgerechte Haltung. Wir wissen, dass Tierhalter die Pflicht haben, auch im Falle einer Stallpflicht für das Tierwohl zu sorgen. Die Tiere sind angemessen zu ernähren, zu pflegen und es sind verhaltens- und artgerechte Maßnahmen zu ergreifen. Diesen Verpflichtungen wird in der Regel auch nachgekommen, sie stoßen aber irgendwann an Grenzen, besonders dann, wenn es sich – wie hier in den letzten Monaten – um einen sehr langen Zeitraum handelt. Wir reden immerhin von über vier Monaten, in denen die Tiere eingesperrt waren.
Wenn Tiere wie Hühner und Wassergeflügel, die sonst an Freilandhaltung gewöhnt sind, über so einen langen Zeitraum auf engstem Raum leben, kommt es zu Konkurrenzkämpfen – wir haben es gerade gehört, zu Federpicken, zu Unruhen und Stress –, sie werden aggressiv und entwickeln den sogenannten Stallkoller. Einige Züchter mussten ihre Bestände deshalb reduzieren, andere dachten an Aufgabe. Es kommt also auch zu wirtschaftlichen Einbußen. Rassegeflügelzüchter sind auf Geflügelschauen angewiesen. Auch diese durften nicht stattfinden. Die Nachzucht von Jungtieren stellt bei der Stallpflicht für Rassegeflügelzüchter ein großes Problem dar. Bei den meisten Rassen funktioniert die Nachzucht im Stall nicht. Kleinere Betriebe mit Freilandhaltung durften ihre Eier nach vier Monaten nur noch als Eier aus Bodenhaltung verkaufen, denn Freilandhühner dürfen nicht länger als drei Monate im Stall eingesperrt sein.
Aber, meine Damen und Herren, die Sicherheitsmaßnahmen der Geflügelpestverordnung haben ihre unbestrittene Berechtigung. Das geht von der Ausweisung von Beobachtungsgebieten über Sperrbezirke bis hin zu einer landesweiten Aufstallungspflicht, denn der Vogelgrippevirus ist äußerst gefährlich. Wir haben das schon gehört. Einmal bei Wildvögeln aufgetreten, kann sich der Virus sehr schnell verbreiten. Im Februar 2017 trat der Virus an 53 Fundorten in Sachsen auf. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Virus auch in Geflügelbestände eingeschleppt wird, ist sehr hoch. Wenn der Virus einmal im Betrieb auftritt, muss der gesamte Bestand getötet werden. In Sachsen betraf das im April 6 720 Tiere in einem Nutzgeflügelbestand. Hinzu kamen noch 34 Tiere in einem Tierpark.
Der Anordnung zur Aufstallung geht immer eine Risikobewertung voraus. Dabei stützen sich die Behörden in der Regel auf die Risikoeinschätzung des Friedrich-LöfflerInstituts. Dieses hatte am 9. November 2016 das grundsätzliche Risiko bestätigt, woraufhin die Allgemeinverfügung auch in Sachsen erlassen wurde. Aufgrund des grundsätzlichen Risikos der Weiterverbreitung unterscheidet die landesweite Aufstallungspflicht nicht nach Landkreisen, und sie gilt so lange, bis kein betroffener Vogel mehr gefunden wird.
Meine Damen und Herren! Ziel der landesweiten Aufstallungspflicht ist es, Tierseuchen einzudämmen. Diese Herangehensweise wollen wir mit unserem Antrag nicht infrage stellen. Wenn jedoch bestimmte Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden, dann muss es sowohl aus Gründen des Tierwohls als auch aus wirtschaftlicher Sicht eines Unternehmens oder Rassegeflügelhalters möglich sein, von der Aufstallungspflicht befreit zu werden. Mit unserem Antrag bitten wir die Staatsregierung, gemeinsam mit den anderen Bundesländern die Regeln der Geflügelpestverordnung und die Anwendung der Ausnahmegenehmigungen zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen bzw. zu lockern und für Tierhalter einfacher auszugestalten. Ausnahmen sollten künftig bereits in der tierseuchenrechtlichen Allgemeinverfügung benannt
Meine Damen und Herren! Und nun die Fraktion DIE LINKE; Frau Abg. Kagelmann. Bitte sehr, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Die Geflügelpest oder – besser – der staatliche Umgang mit der Vogelgrippe ist ein Paradebeispiel für die Wirksamkeit oppositioneller Politik. Das darf man vorab auch mal erwähnen, wenn inzwischen vor, während und nach diversen Wahlen nur noch interessiert, wer mit wem in welcher Konstellation zu regieren gedenkt. Opposition ist eben nicht Mist, wie ein SPD-Altvorderer uns glauben
machen wollte. Opposition ist schon längst nicht simpel, sondern unverzichtbar, um Regierung auf Trab zu bringen.
Dafür reicht, sich die Drucksachennummern aller vorliegenden Anträge zum Thema Vogelgrippe vorzunehmen. Unser Antrag, der jetzt nicht zur Debatte steht, stammt vom 16. März. Vier Tage später wird die von uns kritisierte Allgemeinverfügung aufgehoben. Die GRÜNEN schieben etwas später einen eigenen Antrag hinterher, und zuletzt folgt knapp sieben Wochen nach dem Aufschlag der LINKEN die Koalition. Ein recht mühsames Geschäft, aber es ist Bewegung in der Sache, und das war Ziel der Linken-Übung. Insofern will ich darauf verzichten, an den Anträgen der anderen Fraktionen großartig herumzukritteln, denn wir stimmen in der groben Zielrichtung durchaus überein.
Wir wollen weg von der undifferenzierten Stallpflicht und hin zu einer neuen Strategie der Seuchenbekämpfung, was sich letzten Endes in einer Novellierung der Geflügelpestverordnung niederschlagen muss. Deshalb werden wir heute auch dem Antrag der Koalition zustimmen. Aber unser eigener Antrag hat sich längst nicht erledigt, denn das Thema bekommen wir so einfach nicht vom Tisch. An einer Stelle wollen wir nämlich tiefer graben als die Koalition.
Wir wollen stärker Ursachen und Übertragungswege der Vogelgrippe hinterfragen. Die Antworten darauf sind wichtig, um insbesondere die kommunalen Veterinärämter in die Lage zu versetzen, differenzierter und lokal begrenzt verhältnismäßig und risikoorientiert auf das Auftreten von Vogelgrippe reagieren zu können. Ich bin übrigens weit davon entfernt, allein den kommunalen Veterinärämtern die Hauptverantwortung für die zuletzt immer stärker kritisierte restriktive Anwendung der Geflügelpestverordnung zuzuschieben.
Sie mussten unter hohem Druck auf unklarer Faktenbasis sehr rasch Entscheidungen treffen, die im Nachgang natürlich leicht zu kritisieren sind. Ich verweise ausdrücklich auf Diskussionen in diesem Haus zu zurückliegenden Lebensmittelskandalen, bei denen wir als LINKE regelmäßig auf die chronische Überlastung der kommunalen Kontrollbehörden aufgrund mangelnder Personalausstattung hingewiesen haben.
Gerade deshalb sollten sich alle Verantwortlichen jetzt, wo der herannahende Sommer die Vogelgrippe aus den Geflügelbeständen und damit aus dem öffentlichen Bewusstsein vertreibt, wirklich ausreichend Zeit nehmen, die Ereignisse der letzten Wochen intensiv auszuwerten, denn die nächste Vogelgrippe kommt mit Sicherheit.
Was die Intensivierung der Ursachensuche betrifft, teilt die Staatsregierung offensichtlich unsere Auffassung, wenn sie in ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag den
„Bedarf einer umfangreichen bundesweiten Studie“ anzeigt und wörtlich fortfährt: „Gerade bei multifaktoriellen Geschehen mit einer Vielzahl von Übertragungsmöglichkeiten und Interaktionen in der Tierpopulation ist weitere Forschung notwendig. Dabei sollte gegebenenfalls auch auf Spekulationen bezüglich der Zirkulation von Viren in Großanlagen eingegangen werden.“
Damit liefert das Ministerium geradezu die Begründung für das Festhalten an unserer ursprünglichen Antragsstrategie. Wir werden unseren Antrag anhören lassen, um faktenbasiert zu einer neuen Regelung zu finden, unabhängig davon, ob und wie die kritisierte Geflügelpestverordnung bis dahin im Bund bereits novelliert wurde. Uns geht es um eine grundsätzliche Herangehensweise an Tierseuchenfälle.
Neben der Frage, woher die Vogelgrippe kommt, ist uns wichtig – vielleicht sogar wichtiger –, zu klären, welche Produktions- und Haltungssysteme ihre Ausbreitung besonders begünstigen, um damit der eigentlichen Gefahr, die eine solche Epidemie mit sich bringen kann, wirkungsvoll begegnen zu können. Denn zuvorderst geht es ja um die Abwehr einer Gefahr für den Menschen, wie sie aus einer Mutation des Virus entstehen kann. Sicher wissen wir nämlich nur, dass wir bislang nichts sicher wissen.
In der Stellungnahme einer UN-Taskforce, der internationalen Arbeitsgruppe für aviäre Influenza bei Wildvögeln, heißt es zum aktuellen Vogelgrippeausbruch im Dezember 2016: „Basierend auf den existierenden widersprüchlichen Beweisen bleibt die Quelle des aktuellen hochpathogenen H5N8-Virus bisher ungeklärt. Es kann nicht geschlussfolgert werden, dass die ausgedehnte Weitergabe und Erhaltung des Virus von 2014 bis 2016 in Wildvogelpopulationen stattgefunden hat. Bis heute gibt es keinen Nachweis einer bestimmten Art, die in der Lage wäre, das Virus asymptomatisch über weite Strecke zu transportieren.“
Mit anderen Worten: Wenn die hochpathogene Vogelpest wirklich stark krankmachend ist und unverzüglich zum Tode führt, dann ist die konstruierte Langstreckenverbreitung kaum haltbar. Dann bleibt aber auch die Frage, wie das rasch hintereinander erfolgte Auftreten von Vogelpestfällen rund um den halben Erdball erklärt werden kann.
Das sind nur zwei von vielen Fragen, die nach wie vor offen sind und qualifiziert beantwortet werden sollten, damit Mutmaßungen nicht Raum greifen können und vor allem, damit die richtigen Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Loeffler-Institut, kurz FLI, vertretene sogenannte Wildvogelthese als Einschleppungsquelle der Seuche auch künftig weiter Bestand haben wird oder nicht, betont auch das FLI immer stärker die Bedeutung von Biosicherheitsmaßnahmen für die Geflügelwirtschaft.
Nach meiner Wahrnehmung in Auswertung einer Diskussion mit dem Vizepräsidenten des FLI wird inzwischen auch zugestanden, dass eine restriktive großflächige Anwendung der Stallpflicht das Seuchengeschehen kaum positiv beeinflussen konnte und dass deshalb Ausnahmegenehmigungen bzw. lokal begrenzte Einschränkungen der Freilandhaltung durchaus angemessen erscheinen.
Dagegen erkennt auch das Institut in den Haltungsbedingungen und den hohen Tierdichten die eigentliche Herausforderung für die Bekämpfung der Vogelgrippe. Hier nämlich, im Riesenstall mit Tausenden wenig widerstandfähigen, weil einseitig auf Leistung gezüchteten Tieren auf engstem Raum trifft das Virus auf ideale Vermehrungsbedingungen. Deshalb ist die Gefahr einer Mutation hier besonders groß. Gerade deswegen hat man in Zusammenarbeit mit der Geflügelwirtschaft eine Checkliste für Biosicherheitskonzepte in kommerziellen Geflügelhaltungen erarbeitet. Das ist aus meiner Sicht die richtige Stellschraube, an der weitergedreht werden sollte.
Am Ende dieses Weges sollten klare Vorgaben für bauliche Veränderungen und für Tierdichten sowie hygienische Mindestanforderungen an Stallanlagen stehen, die kontrolliert und sanktioniert werden bzw. im Seuchenfall die Grundlage für Entschädigungen aus der Tierseuchenkasse bilden.
Mein Fazit: Die Bekämpfung der Vogelgrippe ist wichtig, aber sie muss mit deutlich mehr Augenmaß geführt werden. Angemessenheit und Risikoorientierung aller Maßnahmen müssen darauf abzielen, tierschutzwidrige Massentötungen von klinisch unauffälligen Tieren auszuschließen.
Augenmaß meint nicht zuletzt, dass Schutzmaßnahmen weder die artgerechte Freilandhaltung noch die für den Erhalt eines vielfältigen Genpools unerlässliche Rassegeflügelzucht bedrohen dürfen. Das gilt es künftig zu vermeiden.
Wir können dem Antrag der Koalition, wie gesagt, dennoch zustimmen, weil wir das Grundanliegen teilen und die Novellierung der Geflügelpestverordnung vorantreiben wollen. Wir bleiben allerdings am Thema dran – versprochen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Frau Kagelmann, Sie sagten es bereits. Frau Kagelmann? Sie hört nicht zu – egal.
Wichtiges soll man bekanntlich wiederholen, deshalb sage ich es noch einmal: Am 16. März wurde mit Drucksache 6/8885 ein umfangreicher Antrag der LINKEN zur Geflügelpestverordnung eingereicht. Am 23. April reich
ten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Drucksache 6/9351 einen weiteren Antrag zur Geflügelpest und zur Stallpflicht ein. Dieser ergänzt den Antrag der LINKEN inhaltlich ein Stück weit. Und jetzt, im Mai, kommen Sie als Regierungskoalition mit dem Antrag Drucksache 6/9488, Stallpflicht für Geflügel, um die Ecke.
Da kann man nur sagen oder boshafterweise denken: Guten Morgen! Auch schon aufgewacht? Mir wird ja nun wirklich keine Freundschaft mit Links-Grün nachgesagt,
aber im Gegensatz zu Ihrem Antrag sind hier diese Anträge der LINKEN und der GRÜNEN recht umfangreich, inhaltlich anspruchsvoll und zumindest eine sehr gute Arbeitsgrundlage im Ausschuss. Das muss man auch einmal sagen.
(Zuruf von der CDU: Davon könnt ihr noch lernen! – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Deshalb behandeln wir sie hier ja auch!)