Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

(André Wendt, AfD: Weil es Verschleierung ist?)

Aufgrund der abschließenden Regelungen in § 1 Abs. 2 Ihres Gesetzentwurfes lässt sich das auch nicht im Wege der Auslegung hineinlesen, sodass Motorradfahrer künftig mit Bußgeldern rechnen müssen, außer, sie drehen nur Runden in ihrer privaten Garage.

(Zuruf von der AfD: Alles Unsinn!)

Einen Bußgeldbescheid – dann wird es exklusiv – bekämen die Motorradfahrer direkt vom Innenministerium. Wegen der fehlenden Zuständigkeitsregelung wäre das Innenministerium nach § 36 Abs. 1 Nr. 2 a für solche Bußgeldverfahren zuständig.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! All die Mängel, die ich gerade aufgezeigt habe, sind sowohl in der Expertenanhörung zu diesem Gesetzentwurf, im Innenausschuss als auch im Ausschuss für Verfassung und Recht thematisiert worden. Die AfD hatte ausreichend Zeit, die Mängel mit einem Änderungsantrag zu beheben. Das hat sie aber nicht in einem einzigen Punkt getan. Und warum hat sie es nicht getan?

(Zuruf von den LINKEN)

Weil es der AfD-Fraktion völlig egal ist, ob der Gesetzentwurf etwas taugt oder nicht, ob er verfassungswidrig ist oder nicht. Das einzige Interesse der AfD bestand doch darin, diesen Gesetzentwurf in der letzten Plenarwoche vor der Bundestagswahl zur Abstimmung zu bringen und abschließend medial zu verbreiten, dass alle Parteien, außer der AfD, gegen ein Verschleierungsverbot sind.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Das, was Sie hier abliefern, ist nichts als billiger Populismus.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN und der SPD)

Sie versuchen einmal mehr, die Bürger in unserem Land auf plumpe Art und Weise für dumm zu verkaufen. Aber die Sachsen lassen sich nicht für dumm verkaufen, das werden Sie auch noch merken.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung – Jörg Urban, AfD, steht am Mikrofon.)

Herr Urban, bitte.

Es ist eine Kurzintervention. – Herr Anton, Sie werfen uns Populismus vor. Ich habe in Ihrem Redebeitrag festgestellt, dass Sie eine Verfassungswidrigkeit behaupten. Das behaupten Sie als CDU.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Der Verfassungsgerichtshof hat ein Kopftuchurteil gefällt. Er hat weder ein Burka-Urteil gefällt noch ein NikabUrteil, auch kein Verschleierungsurteil. Mehr nicht. Wir hatten eine Expertenanhörung hier im Landtag. Zwei der Experten haben unseren Gesetzentwurf als zulässig bezeichnet.

(Zuruf von den LINKEN: Was?)

Einer nicht.

(Zuruf von der CDU: Das ist eine falsche Behauptung!)

Ich bin nicht böse, dass diese Debatte unmittelbar vor dem Wahlkampf stattfindet. Sie als CDU verteidigen die Verschleierung im öffentlichen Raum.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN – Oh-Rufe von der CDU)

Ja, wir sind die einzige Partei, die das macht, was Frankreich und Belgien machen. Wir wollen keine Verschleierung im öffentlichen Raum, auch nicht in Sachsen, auch nicht in Deutschland.

(Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU: Auch Sie haben sich an Recht und Gesetz zu halten, Herr Urban! – Rico Anton, CDU, steht am Mikrofon.)

Herr Anton, bitte.

Zum einen: Natürlich hat das Bundesverfassungsgericht über das Kopftuch geurteilt. Aber es hat dabei klare Aussagen getroffen, ob Bekleidungsvorschriften Bestandteil des Rechts auf freie Religionsausübung sind oder nicht.

(Zuruf von den LINKEN)

Nennen Sie mir einen vernünftigen Grund, warum dieses Urteil auf eine Burka nicht anwendbar sein soll. Das ist doch sinnlogisch.

Zum anderen: Ich weiß nicht, in welcher Anhörung Sie waren. Aber das Urteil – bis auf den von Ihnen benannten Gutachter, Herrn Schachtschneider – war für Ihren Gesetzentwurf vernichtend. Anders kann man das Ergebnis der Anhörung nicht bezeichnen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN und der Staatsregierung)

Für die Linksfraktion Herr Abg. Bartl, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich schließe mich meinem Kollegen Anton an, der mit allem, was er gesagt hat, recht hat,

(Jörg Urban, AfD: Ist klar!)

eingeschlossen die Frage der falschen Botschaft zu der Aussage der Sachverständigen. Kommen wir zum Kern: Dieser Gesetzentwurf ist ist ein direkter Angriff auf das deutsche Religionsverfassungsrecht, um eine Sachverständige aus der öffentlichen Anhörung, Frau Prof. Ulrike Lemke von der rechtswissenschaftlichen Universität in Hagen, zu zitieren, die am 4. Mai stattfand.

Das sehen wir genauso. Er stellt für uns eindeutig einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Artikel 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz und Artikel 19 der Verfassung des Freistaates Sachsen dar, die eben nicht nur das Recht beinhaltet, eine Religion zu haben und für sich zu glauben oder auch das Recht des öffentlichen Bekenntnisses der Verkündung, sondern – wie schon der Text des Grundgesetzes und der Landesverfassung sagt – auch die Religionsausübung einschließt.

Die Religionsausübung beinhaltet wiederum das Recht von Personen, ihr Leben an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und entsprechend ihrer Überzeugung zu leben. Dazu gehört auch das Tragen religiöser Bekleidung und Bekleidungsstücke. Das ist in Auslegung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum Kopftuchproblem eindeutig für Deutschland. Wir haben am Maßstab des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung Ihren Gesetzentwurf zu prüfen. Insoweit sind der Regelungsansatz und das Regelungsziel verfassungsrechtlich notleidend. Da können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen.

Im forschen Voranschreiten eliminieren Sie kurzerhand weitere etwa sechs verfassungsmäßige Grund- und Teil

haberechte bzw. entwerten Sie diese im Kern, was Ihnen in der sachdienlichen Anhörung am 4. Mai auch ins Stammbuch geschrieben wurde. Indem Sie im § 1 Abs. 1 Satz 1 in einer Schlichtheit, die in der Gesetzgebung wirklich ihresgleichen sucht – ich kann es in 27 Jahren Praxis in diesem Haus vergleichen –, diese Formulierung bringen, die der Kollege Anton schon vorgetragen hat, dass das Tragen einer Gesichtsverschleierung oder eines sonstigen Kleidungsstücks, welches das Gesicht der betreffenden Person bedeckt, im öffentlichen Raum verboten ist, und dann den öffentlichen Raum so definieren, wie er es gesagt hat, nämlich auf alles zu erstrecken, was nicht den Schutzbereich des Artikels 13 des Verschleierungsverbotsgesetzes ausmacht, entziehen Sie jedem Bürger, der dem zuwiderhandelt, eine ganze Reihe essenzieller Grund- und Bürgerrechte, –

(Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

so etwa den Zugang zu Gerichten, zu Verwaltungsbehörden, zu öffentlichen Institutionen, die man aufsuchen muss, um bundesgesetzlich verbriefte Rechte geltend machen zu können, von der Einwohnermeldestelle bis zum Standesamt. Die von Ihrem Gesetz diskriminierten Rechtsbetroffenen haben keinen Zugang zu Einrichtungen des Sozialstaates. Sie dürften bestimmte Sportveranstaltungen nicht aufsuchen, wären von bestimmten kulturellen Teilhaben ausgeschlossen usw. usf.

Zum anderen könnten Burka oder Nikab tragende Menschen weiterhin nach unserer Auslegung ungehindert in bestimmten privaten Einkaufszentren auch im größeren Format shoppen, mit Zug oder Bus durchs Land fahren. Alles ist in einem Anachronismus auch im Gesetz angelegt.

(André Wendt, AfD, steht am Mikrofon.)

Getoppt wird das nur noch von der wirklich mangelnden handwerklichen Qualität des Gesetzentwurfes, dessen Verfasserinnen und Verfasser vom Bestimmtheitsgebot des Artikels 20 Abs. 3 oder Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes noch nichts gehört haben dürften.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich möchte noch den Satz zu Ende bringen. – Dieses Bestimmtheitsgebot besagt, dass alle staatlichen Aktionen ein Minimum an Messbarkeit und Voraussehbarkeit aufweisen müssen. Im Einzelnen muss anhand des Gesetzestextes voraussehbar sein, was rechtens ist und was für den Tatbestand wie auch für die Rechtsfolge gilt. Trifft man, wie in Ihrem Gesetzentwurf im § 3 vorgesehen, dann noch Bußgeldsanktionen, wird eine Bestimmtheitsvoraussetzung noch schärfer in der Rechtsprechung ausgelegt. Es ist einigen von Ihnen schlicht und ergreifend nicht im Auge. Die Sachverständigen, bis auf Ihren Herrn Schachtschneider, haben Ihnen das alles gesagt. Das Bestimmtheitsgebot steht dem entgegen, es wurde einfach nur ignoriert.

Herr Wendt, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bartl, eine Frage: Würden Sie mir zustimmen, dass alle Frauen, die in die Burka gezwungen werden, ein Burkaverbot begrüßen würden?

Dass wir keine Fans von irgendwelchen Verboten oder sonstigen Dingen sind, die die Integrität und die Rechte von Frauen einschränken, ist eindeutig; das ist das kleine Einmaleins. Aber gegen diese Konstellation kann ich nur verfassungskonform vorgehen und nicht mit einem Brecheisen, wie Sie es tun.

Wenn Sie populistische Botschaften ins Land senden wollen, irgendeine Erklärung abgeben, wie man es regeln kann, würde diese noch nicht einmal im Ansatz auch nur einen Tag die Billigung vom Verfassungsgericht erhalten. Gesetzt den Fall, wir würden hier alle einen Wandertag machen, außer Ihre eigenen Abgeordneten, und Sie kämen damit durch: Das hält vor dem Verfassungsgericht keinen Tag.