Protokoll der Sitzung vom 31.08.2017

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinderarmut ist das Resultat von Einkommensarmut der Eltern. Das zeigt einmal mehr, wie falsch die Niedriglohnstrategie der letzten Legislaturperiode in Sachsen war. Hier hat es zum Glück einen Politikwechsel gegeben. Denn die Lohnentwicklung in Sachsen ist positiv. Allein im Jahr 2015 gab es einen Lohnzuwachs von 5,2 %, im Jahr 2016 von 3,8 %, und damit ist Sachsen bundesweit spitze. Besonders profitieren davon untere Einkommen. Hier haben wir einen durchschnittlichen Zuwachs von 11,3 %.

Wenn man sich das nun einmal an einem einfachen Beispiel anschaut, dann zeigt das auch, welche Bedeutung das hat. Eine Bäckereifachverkäuferin verdient seit der Einführung des Mindestlohns bis zu 21 % mehr. Bis zu 21 %! Deshalb korreliert es, dass wir in Sachsen die höchsten Lohnzuwächse haben, gerade bei den unteren Einkommen, und dass auf der anderen Seite in Sachsen im bundesweiten Durchschnitt die Kinderarmut am stärksten gesunken ist. Das hängt miteinander zusammen und zeigt ganz eindeutig: Der Mindestlohn wirkt vor allem in Sachsen. Das ist ein großer Erfolg der Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

„Starke Wirtschaft, starke Löhne – weniger Kinder in Armut“, dieser Titel ist aber auch eine Absichtserklärung, denn 76 200 Kinder in Hartz IV sind zu viel. Es muss unser Anspruch sein – und wir dürfen den auch nicht aufgeben –, dass kein einziges Kind in diesem Land unter Armutsbedingungen groß werden muss. Deshalb müssen wir auch weiter entschlossen die Einkommensarmut der Eltern angehen. Das trifft im Übrigen immer noch vor allem Alleinerziehende. 36 300 Alleinerziehende in

Sachsen sind auf Transferleistungen angewiesen.

Um Kinderarmut in Sachsen weiter zurückzudrängen, spielt für die SPD-Fraktion auch in Zukunft die Arbeitsmarktpolitik eine entscheidende Rolle, weil die Beseitigung von Kinderarmut allein nicht bedeutet, dass wir schon bei Chancengleichheit sind. Aber das muss doch das eigentliche Ziel sein, die Beseitigung von Kinderarmut ist doch nur der erste Schritt. Wir wollen doch die Verwirklichung von Chancengleichheit.

Deshalb müssen wir in Sachsen weiter auf eine gute Arbeitsmarktpolitik setzen, die erstens die Sozialpartner stärkt, denn in Sachsen ist die Tarifbindung nach wie vor zu niedrig. Alle Erfahrungen zeigen, dass es dort, wo Tarifverträge das Zusammenarbeiten der Sozialpartner regeln, gelingt, bessere Löhne auszuhandeln und familiengerechtere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das hilft auch und vor allem alleinerziehenden Eltern. Zweitens

müssen wir eine aktive Arbeitsmarktpolitik machen und vor allem in die investieren, die einen zweiten und dritten Versuch brauchen. Ich habe mit großer Freude die Ankündigung von Arbeitsminister Martin Dulig vernommen, dass wir mit „Tandem“ genau das tun, nämlich den Leuten helfen, die es nicht beim ersten oder zweiten Mal geschafft haben, selbstbestimmt und in Freiheit für ihre eigenen Familien zu sorgen. Das sind zwei wichtige Schritte für die Zukunft.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Das war Kollege Homann für die einbringende SPD-Fraktion. Jetzt geht es weiter in der Rederunde mit den Fraktionen DIE LINKE, AfD, GRÜNE und der Staatsregierung, wenn gewünscht.

Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Herr Kollege Brünler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben mit Ihrem Titel heute den ganz großen Bogen geschlagen. Ich muss gestehen, ich musste am Anfang ein kleines bisschen schmunzeln, weil er mich tatsächlich an den alten DDR-Slogan von der Einheit aus Wirtschafts- und Sozialpolitik aus den Siebzigern erinnert hat. Aber sei es drum, es gilt wie schon vor 45 Jahren, so schlicht ist der Zusammenhang unter dem Strich doch nicht.

Nur weil das Bruttoinlandsprodukt steigt, geht es nicht automatisch allen gut. Kinder in Armut sind inzwischen auch hier in Sachsen traurige Realität. Dazu wird in einem zweiten Beitrag meine Kollegin Susanne Schaper noch ausführlich Stellung nehmen. Aber schauen wir uns zunächst die Realität auf dem sächsischen Arbeitsmarkt an, denn – das wurde schon gesagt – die Ursache für Kinder in Armut sind oftmals arme Eltern.

Aber nun der Reihe nach: Aktuell liegt Sachsen beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrachtet an 13. Stelle aller Bundesländer, anders ausgedrückt hinter allen Westländern und 25 % unter dem Bundesschnitt. Trotz der Wachstumsrate im letzten Jahr fand bisher kein wirklicher und nachhaltiger Aufholprozess statt. Die wirtschaftlich starken Regionen im Westen wachsen in absoluten Zahlen nach wie vor deutlich schneller; aber das sei der Fairness halber an dieser Stelle durchaus gesagt: Wir haben Platz 1 der ostdeutschen Flächenländer.

Wenn man sich das Lohnniveau anschaut, dann sieht es schon wieder ganz anders aus. Laut der Bundesagentur für Arbeit werden nur in Mecklenburg niedrigere Löhne gezahlt als in Sachsen. Das Lohn- und Gehaltsniveau im Freistaat liegt seit Jahren unverändert um ein Viertel unter dem Westniveau, und das, obwohl die regulären Arbeitszeiten hier im Schnitt um mehr als eine Stunde länger sind als im Bundesschnitt. Dass die Löhne in Sachsen besonders stark gestiegen sind, hat in der Tat mit der Einführung des Mindestlohnes und relativ wenig mit Landespolitik zu tun. In keinem Bundesland haben so viele Men

schen davon profitiert wie hier in Sachsen. Das heißt nicht, dass der Mindestlohn nicht richtig war, im Gegenteil, aber das ist noch lange kein Grund zum Jubeln, denn Mindestlohn heißt nicht starker Lohn. Was wir hier erlebt haben, ist die Folge von jahrelanger CDU-Niedriglohnstrategie. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal daran erinnern: Sachsen war das einzige Bundesland im Bundesrat, welches nicht für die Einführung des Mindestlohns gestimmt hatte.

Auch wenn wir uns das Lohnniveau etwas genauer anschauen und die Daten des Statistischen Landesamtes zur Hilfe nehmen, sehen wir, dass der Durchschnitt wenig über die Lebensrealität des Einzelnen aussagt. Das Einkommensniveau in der sächsischen Industrie liegt nochmals um 5 % unter dem Landesschnitt, und da sind die durchaus attraktiven Gehälter der Großunternehmen aus Elektrotechnik und Fahrzeugbau noch nicht herausgerechnet. Im Gastgewerbe wird oftmals gerade der Mindestlohn gezahlt und im Einzelhandel sieht es in der Regel nicht viel besser aus, aber im Gegenzug werden die Beschäftigten hier mit Arbeit auf Abruf erfreut. Alles super für das Familienleben und eine gedeihliche Entwicklung der Kinder.

Und es gibt noch eine andere Seite: Nach den von mir beim Finanzministerium erfragten Steuerdaten steigen die Fälle mit einem zum Spitzensteuersatz zu versteuerenden Einkommen und deren zu versteuerendes Gesamteinkommen in Sachsen besonders schnell und dynamisch. Das ist auf den ersten Blick positiv, aber wenn sie schneller steigen als die Durchschnittslöhne und auch schneller als das Bruttoinlandsprodukt, dann sagen die nüchternen Gesetze der Mathematik ganz schlicht: Der Aufschwung geht an anderen vorbei.

(Staatsminister Prof. Dr. Georg Unland: Nein!)

Das erklärt auch die Tatsache, dass es in Sachsen noch nie so viele Pendler gab wie aktuell: zum einen in die großen Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz, das ist verständlich, denn das Einkommensniveau im Erzgebirge oder in der Lausitz liegt nochmals deutlich unter dem Schlusslicht Mecklenburg, aber über 8 % der in Sachsen lebenden Erwerbstätigen pendeln auch aus dem Freistaat heraus, und das mit wieder wachsender Tendenz.

(Alexander Krauß, CDU: Viele auch rein!)

Aber die Zahl der Auspendler steigt in der Tat stärker. Sie müssen sich die Daten ruhig mal ansehen. Da Sie vorhin auf das Erzgebirge Bezug genommen haben und auch auf das Tandem-Projekt, frage ich mich, warum man ausgerechnet bei Ihnen im Heimatkreis im Erzgebirge nicht an „Tandem“ teilnimmt. Im Erzgebirge ist es durchaus nicht so, dass die Probleme besonders gering wären.

Aber noch ein Fakt zu starken Löhnen: Noch nie hatten so viele Sachsen mehrere Jobs. Rund 5 % der Menschen hier im Land können von einem Job allein nicht leben – ein Wert, der seit Jahren kontinuierlich steigt.

Ich wiederhole mich gern: Alles super für das Familienleben und alles super für eine gedeihliche Entwicklung der Kinder?

Nun haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, von Leiharbeit und Befristung noch gar nicht gesprochen. Wirklich starke Löhne sind für viele Menschen im Land mehr Wunschtraum als Realität.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

DIE LINKE war hier vertreten durch Herrn Kollegen Brünler. Jetzt spricht Herr Kollege Wendt für die AfD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Krauß, in Ihre Feierorgie kann ich leider nicht einstimmen, auch wenn die Zahl der sächsischen Kinder, die auf Harz-IV-Leistungen angewiesen ist, in den letzten zehn Jahren zurückgegangen ist; denn das bedeutet im Umkehrschluss de facto nicht, dass weniger Kinder in Armut leben.

Was bedeutet es heute, arm in Deutschland zu sein? – Das bedeutet für viele arme Kinder, kein eigenes Zimmer zum Lernen zu haben. Das bedeutet vielleicht feuchte Wände. Das bedeutet kein gemeinsamer Urlaub mit den Eltern. Das bedeutet keine Mitgliedschaft in Sport- und Kulturvereinen. Kurzum, das bedeutet soziale Ausgrenzung, begrenzte Zukunftsperspektiven und eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Krankheiten.

Ich frage mich wirklich, wofür Sie sich heute feiern: für die Kultur- und Bildungsgutscheine in Höhe von 10 Euro aus dem Bildungs- und Teilhabepaket oder für die lächerliche Kindergelderhöhung um 2 Euro im letzten Jahr? Dem nicht genug: Sie schaffen durch die unkontrollierte Masseneinwanderung Unqualifizierter

(Ach! bei den LINKEN und den GRÜNEN)

einen neuen großen Armutsmarkt.

(Alexander Krauß, CDU: Weil alle hierher kommen, um arm zu bleiben, oder was? Schwachsinn!)

Herr Steinmeier, seines Zeichens Bundespräsident, unterstreicht das, indem er sagt – ich zitiere –, „dass das eine Riesenaufgabe ist, die uns möglicherweise Jahrzehnte beanspruchen wird“.

Es wird also noch Jahrzehnte dauern, bis diese Menschen in Lohn und Brot kommen. Wollen wir das? – Wir sagen Nein. Mit Ihrer Politik produzieren Sie wirklich Armut am laufenden Band.

(Alexander Krauß, CDU: Die kommen doch nicht her, um zu verarmen! Was ist denn das für ein Unsinn?!)

Sie bringen unseren Sozialstaat ins Wanken und schwächen damit die Schwächsten der Schwachen noch weiter.

Hinzu kommt, bezogen auf Ihre Arbeitsmarktpolitik auch auf Bundesebene, dass Frau Merkel ihr Jobwunder der letzten zehn Jahre feiert, dass die Arbeitslosigkeit von fünf Millionen Menschen auf 2,5 Millionen Menschen reduziert worden ist. Sie brüsten sich dazu mit den sächsischen Zahlen. Das ist aber gelogen. Das Jobwunder ist ein Fake.

(Alexander Krauß, CDU: Gehen Sie einmal zu den Unternehmern und fragen nach!)

Prof. Peter Bofinger, einer der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, äußerte sich in der vergangenen Woche in der Sendung „Monitor“ – ich zitiere sinngemäß –: Das Jobwunder ist ein Mythos. Die Politik vergleicht Äpfel mit Birnen und es ist ökonomisch ignorant, wenn das Krisenjahr 2005 mit dem Boomjahr 2016 verglichen wird. Er verglich deshalb die Boomjahre 2001 und 2016 und kam zu dem Schluss: 800 000 arbeitslose Ostdeutsche sind in Rente gegangen. Die restlichen Arbeitslosen wurden meist in prekäre Arbeitsverhältnisse geschoben und sind weiterhin auf Sozialleistungen wie zum Beispiel Wohngeld angewiesen. Ist das das vermeintliche Jobwunder?

(Alexander Krauß, CDU: Es gibt deutlich mehr Jobs in Deutschland im Vergleich zu 2001! Das weiß jeder Statistiker! Müssen Sie einmal nachgucken!)

Auf den Punkt gebracht: Es gibt keines.

Unterstützend zitiere ich für Sie, extra für Sie, Prof. Dr. Wälde, Ökonom an der Uni Mainz. Er sagte nämlich: „Wenn man sich fragt, wo denn die ganzen Arbeitslosen hin sind, dann findet man heraus, dass sehr wenige in reguläre Arbeitsverhältnisse gegangen sind.“ Und weiter: „Viele landeten in Minijobs.“

Die Hartz-IV-Reformen erzeugen Armut und für diese haben Sie Unterstützung geleistet.

Festzuhalten bleibt, viele können von ihrem Verdienst heute nicht leben, sind trotz Arbeit arm. Sie müssen es sich einmal vorstellen: Die Anzahl der armen Arbeitnehmer hat in Deutschland laut einer Studie der HansBöckler-Stiftung seit den Hartz-IV-Reformen um 100 % zugenommen,

(Jörg Urban, AfD: Hört, hört!)

mehr als in jedem anderen EU-Land.

Werte CDU und SPD! Sie alle sind für die Armut und für den sozialen Sprengstoff verantwortlich. Ich glaube, dass diese soziale Bombe bald hochgeht, wenn sich nicht endlich etwas ändert.

(Staatsminister Martin Dulig: Sie leben in einer Parallelwelt!)