Protokoll der Sitzung vom 13.12.2017

Es hat mich auch persönlich ein Stück weit aufgeregt, was Prof. Ragnitz vor wenigen Tagen in einer MDR-Talkshow genau zu dem Problem Siemens gesagt hat. Wenn man es sich aber einmal ganz genau und ganz nüchtern überlegt – dazu muss man kein Freund von Prof. Ragnitz sein –, dann hat er schlichtweg beschrieben, wie Kapitalismus funktioniert. Er hat schlichtweg darauf hingewiesen, wie kapitalistische Unternehmen arbeiten, wie sie funktionieren.

Unter diesem Aspekt hat Siemens für sich schlichtweg aus betriebswirtschaftlichem Kalkül eine Entscheidung

getroffen, wie es seine Profite maximieren kann. Dabei ist es Siemens vollkommen egal, was aus den Mitarbeitern wird. Dabei ist es Siemens vollkommen egal, was aus der Region wird.

Ich finde das nicht gut. Ich kann auch diese Entscheidungen nicht nachvollziehen. Nichtsdestotrotz ist das aber leider ein normales Verhalten einer kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaft, die sich in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem befindet.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen hier in einer sächsischen Hochschule einmal Betriebswirtschaftslehre studiert hat. Da bekommt man gelehrt: Es gibt einen Unternehmenszweck – das wäre bei Siemens in Görlitz zum Beispiel der Bau der Industrieturbinen – und es gibt ein Unternehmensziel und ein Unternehmensoberziel, und das ist Gewinnmaximierung. Dem hat sich der Unternehmenszweck und alles andere unterzuordnen. Das ist das, was hier letztlich gelehrt wird.

Wenn Sie sich Wirtschaftsnachrichten anschauen: Worum geht es in Wirtschaftsnachrichten? Wann haben Sie in Wirtschaftsnachrichten tatsächlich das letzte Mal irgendetwas über Prozessinnovationen gehört? Wann haben Sie irgendwann einmal etwas über Mitarbeiter und deren Schicksale gehört?

(Ministerpräsident Michael Kretschmer: Jeden Tag!)

Oder wann haben Sie etwas über die Entwicklung von Aktienkursen gehört? Das ist etwas, worüber wir uns in

den Wirtschaftsnachrichten unterhalten. Das zu sagen gehört zur Wahrheit dazu.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich möchte auch gern den letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, immerhin CDU-Mitglied, zitieren. Ich glaube, er ist des Klassenkampfes bei Weitem nicht verdächtig. Er brachte es auf den Punkt, als er sagte: Es reicht eben nicht, wenn sich Unternehmen in Sonntagsreden auf die soziale Marktwirtschaft berufen und sich im Alltag dann aber genauso benehmen, wie man es früher in DDR-Zeiten im Marxismus/Leninismus

Unterricht von einem Konzern gehört hat.

(Heiterkeit bei den LINKEN – Jörg Urban, AfD, meldet sich zu Wort.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, Herr Urban hat inzwischen die gleiche Frage zwanzigmal gestellt. Das reicht.

(Einzelbeifall bei den LINKEN)

Man muss sich unter dem Strich doch ganz einfach fragen: Ist die Gesellschaft ein Teilsystem der Wirtschaft und hat der Wirtschaft zu dienen oder ist die Wirtschaft vielmehr ein Teil der Gesellschaft?

Wenn wir von sozialer Marktwirtschaft reden, dann kommt das nicht von ungefähr. Der Sozialstaat ist eben nicht die automatische Erscheinungsform des freien Marktes. Nein, der Sozialstaat wurde dem Markt durch Arbeitskämpfe von Gewerkschaften abgetrotzt und durch Regeln, welche die Politik gesetzt hat, letztlich erst ermöglicht. Dabei kann die Politik tatsächlich etwas tun.

Meine Damen und Herren, auch von der Staatsregierung hier in Sachsen, ich fordere Sie in der Tat auf, etwas zu tun. Es gibt etwas ganz Konkretes, was Sie tun können.

Der Freistaat Thüringen hat eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, nach der es Unternehmen, die Gewinne machen, verboten sein soll, zu Massenentlassungen und Werksschließungen zu greifen. Schließen Sie sich doch einfach dieser Initiative an. Dann können Sie etwas ganz Konkretes tun.

(Beifall bei den LINKEN – Jörg Urban, AfD: Sozialismus pur! – Carsten Hütter, AfD: Das ist Sozialismus pur!)

Wenn Sie das nicht von selbst tun, dann werden wir noch einmal mit einem konkreten Antrag in dieser Sache nachhelfen.

Wenn wir eine soziale Marktwirtschaft wollen, dann müssen wir für das Soziale auch in der Tat jedes Mal kämpfen.

Wenn der freie Markt hier zu solchen Auswüchsen gereift, dann müssen wir dagegenhalten und entsprechende Gegenmaßnahmen treffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Auf Herrn Brünler folgt jetzt Herr Wippel für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Angesprochen wurde heute schon Herr Kaeser. An dieser Stelle möchte ich einfach die Gelegenheit nutzen – vielleicht hört er es ja –, zwei Fragen zu stellen. Die erste ist: Wenn Siemens in Görlitz keine Turbinen mehr produzieren sollte, was ist der Siemens-Konzern geneigt, dann in Görlitz produzieren zu lassen?

Die zweite Frage, die ich gern beantwortet haben möchte und die sicherlich auch der Familienvater aus dem ersten Beispiel beantwortet haben möchte, lautet: Was muss er tun, damit der Siemens-Standort Görlitz erhalten bleibt?

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das war Kollege Wippel, AfD-Fraktion. – Gibt es jetzt aus der Fraktion GRÜNE noch Redebedarf in dieser dritten Runde? – Möchte jemand eine vierte Runde eröffnen? – Das kann ich nicht feststellen. Dann hat jetzt die Staatsregierung das Wort. Das Wort ergreift Herr Staatsminister Dulig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist wichtiger: Mensch oder Marge? Diese Frage haben sich die Kolleginnen und Kollegen bei Siemens in Görlitz und in Leipzig gestellt. Unmittelbar nachdem das Konzernergebnis veröffentlicht und Milliardengewinne verkündet worden waren, wurde auch klargemacht, dass die Marge abgesunken ist, allerdings lediglich von 11 auf 10 %. Angesichts der Wahl des Zeitpunkts, genau dann mit einer derartigen Entscheidung konfrontiert zu werden, stellt sich nicht nur den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Frage, sondern auch mir: Was ist wichtiger, Mensch oder Marge?

Nun können wir es uns so einfach nicht machen, weil das Konzernergebnis wirklich ausweist, dass bei Power and Gas ein Rückgang im Ergebnis um 40 % und ein Auftragsrückgang von 31 % zu konstatieren ist. Deshalb geht es durchaus darum, wie wir die Debatte mit Siemens führen, damit ein fairer Ausgleich passiert. Die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt fragen, was sie falsch gemacht haben, haben zu Recht eine Antwort verdient – und zwar keine Erklärung, warum sie abgebaut werden, sondern eine Antwort, welche Zukunft sie haben.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich eines hier einmal deutlich sagen: Niemand wird in eine Region investieren, die selbst nicht an sich glaubt oder die in Selbstmitleid vergeht. Ich sage auch einmal ganz deutlich: Ich glaube an die Kraft der Region. Ich glaube an die Kraft der Lausitz. Ich glaube auch an die Kraft der

Menschen in dieser Region. Das zeigt eben auch, dass in den letzten Monaten einiges Positives passiert ist.

Wir müssen auch aufpassen, dass wir die Angst nicht kultivieren. Horrorszenarien, Herr Brünler, mit 25 % Arbeitslosigkeit sind unverantwortlich. Ebenso ist es schlichtweg unverantwortlich, die eine oder andere Schließung von Unternehmen hier schon zu verkünden, denn das Gegenteil ist der Fall. Vattenfall wurde an die LEAG verkauft. Ich vertraue auch Bombardier, dass sie sich darum kümmern, dass der Standort Görlitz eine Perspektive hat. So ist es vereinbart. Wir haben Ansiedlungen und Ansiedlungsankündigungen. Das sind positive Nachrichten für eine Region, und darauf müssen wir auch bauen.

Ich appelliere an Siemens, den Standort gerade in Görlitz zu erhalten – nicht aus Mitleid heraus, sondern weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort arbeiten, es wert sind, weil sie gute Arbeit leisten. Die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bauen auch Produkte, die mit der Energiewende nichts zu tun haben, sondern sie bauen Industrieanlagen, die innovativ sind.

Die Kolleginnen und Kollegen in Leipzig, die in Plagwitz arbeiten, in der Region, wo sich tatsächlich viele Kreativwirtschaftler angesiedelt haben, wo Innovation wächst, können Teil von Innovation sein: Das ist die Botschaft, die wir senden. Wir müssen aus der Stärke heraus argumentieren und nicht vor dem Hintergrund, dass wir aus Mitleid Unterstützung wollen. Nein, es geht hier um einen industriellen Standort, den wir retten wollen, weil die Menschen es verdient haben und weil es um die Industriepolitik generell geht. Das muss bei Siemens ankommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Es geht auch um die Zuliefererindustrie. Deshalb haben wir Verantwortung. Wir bauen Druck auf, weil wir es nicht zulassen, dass alleine im stillen Kämmerlein irgendwelche Leute bei Siemens entscheiden. Der Druck ist angekommen. Siemens hätte mit dieser Gegenwehr der Kolleginnen und Kollegen und aus der Politik nicht gerechnet. Dann heißt es aber auch, dass Siemens jetzt ins Umdenken kommt und konstruktive Lösungen erarbeiten muss. Die Hände der Gewerkschaften, der Landesregierung, der Bundesregierung sind ausgestreckt, an Lösungen zu arbeiten. Siemens muss sie aber auch ergreifen wollen. Das ist jetzt die Verantwortung, die Siemens an dieser Stelle hat.

Ich freue mich auch, dass auf einmal mehr nach dem Staat gerufen wird. Auch wir mussten uns immer dafür rechtfertigen, und man hatte uns erklärt, dass die Wirtschaft bitte frei von politischen Einflüssen zu sein hat. Gerade bei Siemens wird deutlich, wie wichtig die Sozialpartnerschaft ist, wie wichtig es ist, auch starke Gewerkschaften und Betriebsräte zu haben. Ich finde es auch gut, dass sie jetzt diese Rückendeckung von uns allen bekommen. Sie sind die wichtigsten Partner in diesem Prozess, weil es in dem getroffenen Radolfzeller Abkommen II heißt, dass

keine Standortschließungen und kein Stellenanbau ohne Zustimmung vorgenommen werden können. Das heißt, man muss diese Hand jetzt nehmen und verhandeln, um tatsächlich eine Lösung für Sachsen zu erhalten und für die Standorte einen fairen Ausgleich zu erreichen.

Auch ich zitiere Herrn Kaeser, der aufgrund des Wahlergebnisses der Bundestagswahl sagte: „Das ist eine Niederlage der Eliten in Deutschland. Es muss die Aufgabe von uns allen sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen eine Perspektive zu geben.“ – Ja, Herr Kaeser!

Im ersten Brief des Apostels Johannes steht: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ – Es ist jetzt Ihre Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Gut. Das war die Staatsregierung. Das war Herr Kollege Dulig, unser Staatsminister. Er hat mit einem Paulus-Zitat um drei oder vier Sekunden überzogen, kurz vor der Weihnachtszeit; aber ich hoffe nicht – ich sage es so ehrlich –, dass irgendjemand den Antrag stellt.

(Zuruf von den LINKEN: Doch, ich! – Vereinzelt Heiterkeit)

Vielen Dank.

Wir sind am Ende der ersten Aktuellen Debatte angekommen, und wir eröffnen jetzt eine zweite Aktuelle Debatte, nachdem ich die erste abgeschlossen habe.

Sie ist beantragt von der Fraktion DIE LINKE zum Thema