Protokoll der Sitzung vom 14.03.2018

Für die Staatsregierung Frau Staatsministerin Dr. Stange, bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Entschuldigung für die Verwirrung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege ist krank. Auch ihn hat die Virusgrippe erwischt. Ich vertrete ihn aber gern bei diesem Thema.

Die Fraktion DIE LINKE fordert in ihrem Antrag die Staatsregierung zu einer Gesetzesinitiative im Bundesrat auf. Ziel soll die Änderung des Kündigungsschutzgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes sein, wie wir lesen können. Kern ist: Eine betriebsbedingte Kündigung soll bei anhaltend positiver Ertragssituation nicht möglich sein.

Betriebsräte sollen bei Massenentlassungen ein Widerspruchsrecht erhalten. Das Widerspruchsrecht soll immer bestehen, wenn eine Entlassung nicht in erster Linie aufgrund einer schlechten Wirtschaftslage erfolgt. So weit der Antrag.

Derzeit berät der Deutsche Bundestag einen solchen Gesetzesentwurf der Linksfraktion. Er wurde am 1. Februar dieses Jahres in den Ausschuss für Arbeit und Soziales verwiesen.

Ich wundere mich schon, dass nun die Sächsische Staatsregierung zu so einer Gesetzesinitiative aufgerufen wird, die es bereits gibt. Ich muss unterstellen, dass der Antrag

im Landtag vor allen Dingen Schauzwecken dient. Ich werde aber dennoch, auch für meinen Kollegen, die Gelegenheit nutzen und unseren Standpunkt in der Sache darlegen.

Als der Vorstand der Siemens AG am 16. November 2017 die komplette Schließung der beiden sächsischen Standorte für Gasturbinenbau in Görlitz und für Kompressoren in Leipzig mit insgesamt etwa 1 200 Beschäftigten verkündete, war das für jeden der im Saal Anwesenden – da bin ich mir sehr sicher – ein Schock; in erster Linie natürlich wegen der Auswirkungen auf die Beschäftigten, auf die Familien und auf die Region. Besonders für die Lausitz und die Stadt Görlitz ist der drohende Verlust hochwertiger industrieller Arbeitsplätze ein schwerer Schlag.

Hinzu kommt aber ein zweiter Aspekt: Siemens ist kein Unternehmen in einer wirtschaftlichen Schieflage, ganz im Gegenteil. Das Unternehmen konnte im vergangenen Geschäftsjahr – wir haben es bereits gehört – einen Rekordgewinn von 7,3 Milliarden Euro verkünden. Das ist ein weiterer Schlag für die Beschäftigten. Man hält ihre Arbeitsplätze und ihren tagtäglichen Einsatz für das Unternehmen offenbar für entbehrlich, obwohl es dem Unternehmen gut geht.

Der einfache Grundsatz, wonach die Arbeitsplätze sicher sind, wenn es dem Unternehmen gut geht, scheint damit außer Kraft gesetzt zu sein. Die Reaktion erfolgte auch deshalb prompt. Die betroffenen Betriebsräte und die Gewerkschaften haben den Protest organisiert. Die Politik auf kommunaler Ebene, auf Landtags- und Bundesebene unterstützte die Belegschaften. Sachsen hat ein sehr deutliches Signal gesetzt, das nicht ohne Wirkung geblieben ist.

Dadurch ist überhaupt ein Prozess in Gang gesetzt worden, der noch nicht abgeschlossen ist, der aber ein Zeitfenster und Handlungsmöglichkeiten eröffnet hat. Das ist ungemein wichtig, auch wenn es keine Erfolgsgarantie gibt.

Im Zentrum der Bemühungen stehen auch für Siemens – wie so oft in solchen Fällen – die Betriebsräte, aus eigener Betroffenheit, aber auch weil sie die Situation am besten einschätzen können, besser als jeder Politiker und jede Politikerin und oftmals besser als das eigene Management, insbesondere wenn es um ferne Konzernlenker geht.

Weitere aktuelle Beispiele von drohenden Entlassungen in Sachsen, wie Bombardier und Waggonbau Niesky, bestätigen eine Erfahrung, die wir in Sachsen immer wieder in den letzten 27 Jahren gemacht haben: Die Betriebsräte spielen eine zentrale Rolle, wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen und industriellen Kompetenzen geht.

Nach der Wiedervereinigung war es in vielen Fällen nur dem gemeinsamen Einsatz von Betriebsräten, Belegschaften und oft unter der Beteiligung der Gewerkschaften zu verdanken, dass Betriebe erhalten werden konnten und bis heute bestehen. Oft hat sich gezeigt, dass Entscheidungen der Unternehmensleitungen auf falschen oder auch

unvollständigen Annahmen beruhten. Die Betriebsräte stehen, da sie ja vor Ort sind, in stetigem Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und können so deren Erfahrungen und Einschätzungen bündeln und einbringen. Betriebsräte sind oft länger im Betrieb als das Management, das oftmals eine nur kurzfristige wirtschaftliche Perspektive verfolgt.

Als weiteres Beispiel möchte ich die Ankündigung eines massiven Personalabbaus und damit den Verlust von Know-how, Kapazitäten und Fachkräften bei einem großen Dresdener Mikroelektronikunternehmen im

vergangenen Jahr nennen. Der damals neu gegründete Betriebsrat hat das nicht hingenommen und somit erreicht, dass die Kapazitäten für eine verbesserte Auftragslage erhalten blieben. Ein überhasteter Personalabbau konnte so zum Wohle des Unternehmens und der Beschäftigten verhindert werden.

Durch die Betriebsräte erhalten die Unternehmensleitungen somit systematischen Zugang zu Wissen, Einschätzungen und Informationen der Belegschaft, wenn sie es denn nutzen. Betriebsräte sind nicht nur für die Belegschaft, sondern auch für die Unternehmensleitungen wichtige Partner. Das entspricht § 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, genau wie dem Personalvertretungsgesetz.

Die Wirkung der Mitbestimmung wird vor allem in Krisen sichtbar, aber sie funktioniert auch im betrieblichen Alltag. Unternehmen mit Betriebsräten sind innovativer, produktiver und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zufriedener. Das ist ein Teil der Erfolgsgeschichte der Wirtschaft in Deutschland. Mitbestimmung hilft auch bei der Fachkräftesicherung. Verweildauer und Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind deutlich höher. Insgesamt sind Unternehmen mit gelebter Mitbestimmung wettbewerbsfähiger.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen deshalb in Sachsen in erster Linie mehr Betriebsräte. Eine noch so weitreichende Ausdehnung der betrieblichen Mitbestimmung läuft ins Leere, wenn es keine Betriebsräte gibt, die sie ausüben können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sachsen bildet leider immer noch das Schlusslicht bei der betrieblichen Mitbestimmung. Nur 32 % der Beschäftigten arbeiten in einem Betrieb mit Betriebsrat. Unser gemeinsames Ziel – darin schließe ich die LINKEN ausdrücklich ein – sollte deshalb sein, die betriebliche Mitbestimmung in Sachsen zu stärken.

(Frank Kupfer, CDU: Genau!)

Der Vorschlag im Antrag hilft in dieser Frage leider nicht weiter. Er vermittelt stattdessen den Eindruck, dass Entlassungen per Gesetz verhindert werden könnten, ohne Risiken und Nebenwirkungen. Das ist irreführend, weil es einem planwirtschaftlichen Denkmuster folgt, und das ist definitiv falsch. Genauso falsch wäre es, Unternehmensentscheidungen eine überlegene Rationalität mit quasi naturgesetzlichem Charakter zuzuschreiben, nach dem

Motto – was wir auch immer wieder mal hören – „Die Wirtschaft weiß am besten, was für die Wirtschaft gut ist“. Allerspätestens seit der Finanzkrise vor circa zehn Jahren müsste es jeder besser wissen.

Ich denke, wir sollten in Sachsen auf unsere eigenen Erfahrungen aus einer in weiten Teilen gelungenen, aber noch nicht abgeschlossenen Transformation einer Planwirtschaft in die Marktwirtschaft aufbauen. Dazu zählt die von mir beschriebene überaus positive Rolle der betrieblichen Mitbestimmung. Betriebsräte sollten in Sachsen nicht nur im Krisenfall gesuchte Ansprechpartner der Politik sein, sondern als selbstverständlicher und unverzichtbarer Bestandteil unserer sozialen Marktwirtschaft akzeptiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Als Landespolitiker können wir einen Beitrag zu einem gesellschaftspolitischen Klima in Sachsen leisten, das die Arbeit der Betriebsräte mehr als bisher wertschätzt. Diese Wertschätzung hat dann auch Signalwirkung. Die Behinderung der Gründung von Betriebsräten darf nicht akzeptiert werden. Sie muss endlich beendet werden.

Ich würde mich freuen, wenn von diesem Haus ein klares Signal für die Unterstützung der betrieblichen Mitbestimmung ausginge. Das würde tatsächlich helfen.

Das Wirtschaftsministerium kann natürlich konkrete Unterstützung leisten. Mit der Fachkräfteförderrichtlinie unterstützt das SMWA seit dem Jahr 2016 Maßnahmen zur Fachkräftesicherung in den Landkreisen und kreisfreien Städten im Freistaat. Diese Fördermöglichkeit kann noch stärker als bisher auch für die Sicherung der betrieblichen Mitbestimmung in Unternehmen mit dem Ziel einer verbesserten Fachkräftesicherung genutzt werden. Ich ermuntere deshalb die Akteure in den Regionen ausdrücklich, entsprechende Initiativen zu starten, beispielsweise für einen fachlichen Erfahrungsaustausch von Betriebsräten, eine bessere Vernetzung und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses Thema.

Für den wichtigsten Beitrag sind letztendlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst gefragt, indem sie mitmachen und mitbestimmen. Daher – der Aufruf ist hier schon gekommen – stärkt eine hohe Wahlbeteiligung am 31. Mai die Betriebsräte in ihrer Rolle als Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und das kann letztlich vor Ort verhindern, dass Arbeitsplätze in wirtschaftlich guten Unternehmen abgebaut werden. Das ist der richtige Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Das Schlusswort hat die Fraktion DIE LINKE; Herr Abg. Brünler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Damen und Herren! Kollege Ursu, Sie haben am Ende Ihrer Rede sinngemäß gefragt: Meinen

Sie tatsächlich, große Konzerne lassen sich von solchen Entscheidungen der Politik beeindrucken?

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ja!)

Was für ein Offenbarungseid! Wozu sind Sie eigentlich Landtagsabgeordneter geworden, wenn Sie der Meinung sind, Sie haben hier sowieso nichts zu sagen und sollten am besten die Kapitalinteressen walten lassen, alles andere von sich wischen

(Dr. Stephan Meyer, CDU: Das hat er gar nicht gesagt!)

und ansonsten lavieren wir uns hier einfach so durch.

(Dr. Stephan Meyer, CDU: So ein Quatsch! Blödsinn!)

Herr Ursu, was für ein Offenbarungseid! Es geht auch gar nicht darum, hier in irgendeiner Art und Weise wirtschaftliche Stabilität zu gefährden. Sie haben gesagt, wirtschaftliche Stabilität sei ein Garant für Kündigungsschutz. Am Beispiel von Siemens haben wir gerade gesehen, dass es eben kein Garant für Kündigungsschutz ist, sondern dass dieser Zusammenhang vollkommen außer Kraft gesetzt wurde.

Aber es geht gar nicht nur um Siemens, auch wenn sich die Debatte sehr stark um den Fall Siemens gedreht hat, sondern es geht um die gesellschaftliche Verantwortung von Wirtschaft allgemein.

Ich will Ihnen noch ein anderes Beispiel bringen: Wir haben uns in Sachsen sehr gefreut, dass Homann Feinkost in den letzten Wochen darüber nachgedacht hat, in Leppersdorf in Sachsen zu investieren und bis zu 900 Arbeitsplätze zu schaffen, zudem von Steuermitteln subventioniert. Ja, aber das Ganze hat eine Kehrseite: Homann Feinkost wollte im Gegenzug in Osnabrück über 2 000 Arbeitsplätze abbauen. Wir müssen darüber diskutieren, welche gesellschaftliche Verantwortung Unternehmen haben und ob Eigentum tatsächlich zu mehr verpflichtet, als daraus möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften.

Herr Kollege Homann –

(Oh-Rufe von der SPD und allgemeine Heiterkeit)

in diesem Falle nicht deckungsgleich –,

(Heiterkeit des Abg. Nico Brünler, DIE LINKE)

Sie haben die Bedeutung von Betriebsräten für den sozialen Ausgleich hervorgehoben. Auch Sie, Frau Staatsministerin Stange, haben die Rolle der Betriebsräte hervorgehoben. Dafür möchte ich mich bei Ihnen beiden ausdrücklich bedanken. Das sehen wir genauso.

Mit unserem Antrag wollen wir genau die Mitbestimmung stärken. Uns geht es nicht darum, per Gesetz irgendetwas zu verbieten, sondern – wenn Sie den Antrag genau gelesen haben – per Gesetz zu erzwingen, dass Betriebsräte in diesem Fall eine Mitbestimmung haben und dass ein realistischer, rechtlich durchsetzbarer Einfluss garan