Darin liegt das Problem, auf das Frau Kollegin Meier, auf das die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufmerksam machen.
Es gibt bundesweite Forderungen zu überlegen: Hat diese Ersatzfreiheitsstrafe in dieser Form noch eine Daseinsberechtigung? Hat sie noch eine Wirkung, zumal diese kurzen Freiheitsstrafen, die dann einsetzen, in der Regel bei diesen Menschen tatsächlich dazu führen, dass es ein Verwahrvollzug wird? Der Ansatz in den Änderungsgesetzen zu den Strafvollzugsgesetzen geht genau in die Richtung: Ihr kommt jetzt drei oder vier Monate in den Strafvollzug, ihr seid in der Zeit nicht resozialisierbar, wir machen für euch nur eine Kurzaufnahme und Kurzdiagnostik, dann sitzt ihr hier die Zeit ab. Welche Risiken darin liegen, dass es eine weitere Desintegration gibt, dass es weitere Brüche gibt, dass es weitere Verluste an sozialen Kompetenzen gibt, zeigt, dass das einfach kein vernünftiger Weg ist.
Die Antwort der Staatsregierung ist ausführlich und im Grunde genommen substanziell. Aber sie ist nicht in allen Punkten richtig. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist eben noch keine Ultima Ratio. Sie wird in vielen Fällen angewandt, bevor alle Mittel ausgeschöpft sind. Eine Ultima Ratio wäre sie dann, wenn wir in dem Fall ein System der aufsuchenden Sozialarbeit gegenüber solchen Betroffenen hätten, wie das Dresden mit dem Pilotprojekt probiert. Da muss man einen längeren Atem haben. Da kann man nicht sagen: Weil nur 28 % erfolgreich waren, setzen wir das nicht fort und führen es gleich gar nicht für das ganze Land ein.
Das ist schon eine ziemliche Denksportaufgabe. Müssten wir nicht zunächst einmal die Möglichkeiten der sozialen Intervention einsetzen, bevor wir nach dem Strafvollzug rufen?
An dem Artikel 293, den ich vorhin erwähnt habe, der in den Freistaat Sachsen hineinwirkt, dieses „Schwitzen statt Sitzen“, gehen Sie komplett vorbei.
Sie behaupten zum einen, dass die Strafe durch den Rechtspfleger und nicht durch das Gericht erfolgt. Wie schätzen Sie die Verfahrensweise im Freistaat Sachsen
ein, bis es zu einer Vollstreckung kommt? Was wird alles Ihrer Ansicht nach unternommen oder auch nicht unternommen? Das würde mich einmal interessieren, da Sie das zurzeit komplett ausblenden.
Herr Kollege, das ist das Problem der Personengruppe. Der größte Teil der Geldstrafen wird bezahlt. Da kommt es nicht zu dieser Ersatzfreiheitsstrafe. Wer halbwegs betucht ist, hat damit kein Problem und geht logischerweise nicht in den Knast. Die davon betroffen sind, sind in der Regel Menschen, die alkohol- oder suchtkrank sind, die soziale oder psychische Beeinträchtigungen haben, die in irgendeiner Form Devianzen aufweisen. Sie haben einfach nicht die Antriebsstärke, auf das Anschreiben des Rechtspflegers zu reagieren. Sie könnten einen Antrag stellen, den sie aber erst zustande bekommen müssten. Sie müssten auf das Anschreiben reagieren, in dem steht, wo sie antreten müssen. Das Problem ist, dass diese Menschen Begleitung brauchen. Ein Teil von ihnen steht unter Betreuung.
Der Frage, durch die aufsuchende Sozialarbeit die Kosten vorzuverlagern, die man dann im Strafvollzug hat, müssen wir uns stellen. Die Strafvollzugspraktiker sagen nach wie vor, dass die meisten derjenigen, die die Ersatzfreiheitsstrafe antreten, wegen ihrer Konstitution für den offenen Vollzug nicht geeignet sind. Deshalb werden sie im geschlossenen Vollzug untergebracht. Andere Bundesländer haben ausgerechnet, dass der Kostensatz für die Ersatzfreiheitsstrafe wegen dieser Betreuungsnotwendigkeiten etc. bei 130 Euro liegt. Das sind noch einmal 35 Euro mehr als bei einen normalen Strafgefangenen.
Es ist noch gar nicht lange her, da hat „Monitor“ ausgerechnet, dass wir im Jahr umgerechnet 200 Millionen Euro für den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen ausgeben. Wenn wir einen Teil davon in die aufsuchende Sozialarbeit transferieren würden, würde der „Resozialisierung“ vor der Strafverbüßung und damit dem strafpolitischen Teil und dem erzieherischen Gedanken von Strafe wesentlich mehr entsprochen, als wenn wir das weiter durchziehen und damit in der Regel immer diejenigen treffen, die in den unteren Einkommensschichten sind, die prekäre Lebensverhältnisse haben. Das macht es ungerecht.
Kollege Bartl sprach für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt kommt Herr Kollege Baumann-Hasske zum Zug. Er spricht für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir haben – zumindest, was die bisherigen Beiträge angeht – eine weitgehende Übereinstimmung darin, dass die Ersatzfreiheitsstrafe eine Sanktion ist, deren Vollstreckung möglichst vermieden werden sollte. Sie hat lediglich eine Bedrohungsfunktion, eine Abschreckungsfunktion, aber keine Resozialisierungsfunktion, wie sie eigentlich dem Gedanken unseres Strafvollzugsgesetzes zugrunde liegt.
Es geht ausschließlich darum, den hartnäckigen Zahlungsverweigerer dazu zu zwingen, doch die Geldstrafe zu bezahlen.
In einem solchen Fall wird die Freiheitsstrafe vollzogen, ohne dass mit den Strafgefangenen gearbeitet wird. Das ist nachvollziehbar. In der Regel sind die Dauern dieser Ersatzfreiheitsstrafen so kurz, dass Resozialisierungsansätze keine Wirkung bringen können. Insofern muss man in der Tat darüber nachdenken, wie man das eigentlich vermeiden kann. Im Grunde haben wir einen Widerspruch zwischen dem Strafvollzugsgesetz und seinen Zielen einerseits und dem Wegsperren andererseits, was nichts bringt.
Schaut man auf die Kosten, Herr Bartl – Sie haben das gerade gesagt –, dann stehen dem Tagessatz Kosten in Höhe von 100 bis 130 Euro pro Tag im Vollzug gegenüber, den der Absitzende der Ersatzfreiheitsstrafe pro Tag absitzen muss. Das ist extrem ineffizient. Trotzdem muss man deutlich sagen: Wir können die Ersatzfreiheitsstrafe nicht einfach abschaffen, denn wir brauchen ein Instrument, mit dem auch die Geldstrafe, und zwar als Ultima Ratio, durchgesetzt werden kann. Das muss bleiben.
Ich kann mich allerdings der Einschätzung des Kollegen Modschiedler anschließen. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür haben wir. Ich wüsste jetzt nicht – man müsste es im Detail noch einmal miteinander diskutieren –, wo wir jetzt, auf Landesebene sowieso nicht, aber auch auf Bundesebene, grundsätzlich andere Regelungen finden müssten, damit wir zum Beispiel auch die Form der aufsuchenden Sozialarbeit – wie Kollege Bartl sie gerade benannt hat – umsetzen könnten. Das können wir tun.
Insofern werden wir den Antrag der GRÜNEN ablehnen, weil wir die Gesetzgebungsinitiativen, die dort verlangt werden, nicht als begründet ansehen. Wir brauchen das nicht. In Sachsen können wir sicherlich genau hinschauen. Wir können uns noch einmal genau ansehen, welches Pilotprojekt in Dresden im vergangenen Jahr stattgefunden hat und ob es nicht möglicherweise doch sinnvoll ist, derartige aufsuchende Sozialarbeit verstärkt zu machen, ob es nicht sinnvoll ist, Menschen, die offensichtlich nicht in der Lage sind, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, die nicht in der Lage sind, Anträge zu stellen, um Sozialarbeit, also gemeinnützige Arbeit, zu machen, statt in den Strafvollzug zu gehen, dazu zu verhelfen.
Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass es ausschließlich um Probleme der Armut geht. Die Armut geht damit parallel in vielen Fällen, das ist wohl richtig. Aber es sind vor allem Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht wollen, die eine grundsätzlich kritische Stellung zur Gesellschaft haben und ihren Beitrag, insofern auch den Beitrag, den sie als Geldbuße oder als Geldstrafe leisten müssen, nicht leisten wollen, weil sie es nicht einsehen. Diesbezüglich muss mit ihnen kommuniziert werden, weil sie es sonst nicht begreifen. Sicherlich ist es auch die Fähigkeit, die eigene Situation in die eigenen Hände zu nehmen. Wenn diese Fähigkeit fehlt, dann helfen alle
Antragsberechtigungen nichts, um Ersatzfreiheitsstrafen zu vermeiden. Hierbei müssen wir unbedingt helfen.
Lassen Sie uns miteinander zusehen, ob wir nicht in den Bereich der aufsuchenden Sozialarbeit mehr tun können. Beispiele dazu sind genannt worden. Vielleicht kann man davon auch im Freistaat Sachsen mehr umsetzen, aber nicht durch den Gesetzgeber. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hört sich gut an. Klar ist: Viele Inhaftierte in sächsischen Gefängnissen sitzen ein, um Freiheitsstrafen zu verbüßen. Dadurch stehen uns dringend benötigte Haftplätze nicht zur Verfügung. Die Inhaftierung kostet auch viel Geld: bis zu 135 Euro am Tag, wir haben das gehört. Schließlich, auch das ist eine Wahrheit, trifft die Ersatzfreiheitsstrafe vorzugsweise diejenigen, die bereits in Armut leben.
Haben die GRÜNEN womöglich plötzlich ihr Herz für die am Rand der Gesellschaft stehenden Menschen entdeckt? Nein.
Es geht nicht, Herr Lippmann, um die Bedürftigen in dieser Gesellschaft, welche geringe Geldstrafen nicht zahlen können. Den GRÜNEN geht es aus Sicht meiner Fraktion einzig und allein um die Versorgung ihrer Wählerschaft, um den Ausbau eines Staates, der dem Bürger Denken und Verantwortung abnehmen soll, um ihn wie einen Unmündigen an die Hand zu nehmen und durch das Leben zu führen.
Nicht der verurteilte Bürger, Herr Lippmann, sondern ein ganzes Heer von Sozialwissenschaftlern, die fortan damit beschäftigt sein werden, ihre Existenz abzusichern, indem sie unablässig immer neuen Beratungsbedarf generieren. Teilweise passierte auch nichts anderes in der Vergangenheit in der Asylindustrie, meine Damen und Herren.
Die AfD-Fraktion lehnt daher Ihren Antrag ab. Ziel muss es aber sein, die Ersatzfreiheitsstrafe zu entkriminalisieren. Die Ersatzfreiheitsstrafe muss sich von der regulären Haftstrafe unterscheiden. Diese Problematik hat auch die Fraktion GRÜNE erkannt. Allerdings sind ihre Lösungsansätze völlig untauglich.
Sie sagen: Die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB soll als Ultima Ratio definiert werden und auf eine Vermeidung derselben angelegt sein. Die Ersatzfreiheitsstrafe –
wir haben das bereits gehört – ist kraft Gesetzes bereits das letzte Mittel, das erst dann greift, wenn zuvor alle anderen Optionen versagt haben. Dies liegt aber nicht daran, dass Ratenzahlungen, Stundungen oder Ableistungen von Arbeit ungeeignet werden, sondern dass es in der Person des Straftäters begründete Umstände sind, die diesen davon abhalten, die ihm eingeräumten Auswege zu nutzen.
Wenn bereits diese vorgenannten Möglichkeiten ungenutzt bleiben, bedarf es nicht weiterer Alternativen zu Ersatzfreiheitsstrafen, die ebenfalls nicht in Anspruch genommen werden. Die Strafvollstreckungsbehörde soll den Verurteilten bei der Vermittlung einer Tätigkeit behilflich sein und dabei Mittel wie aufsuchende Sozialarbeit nutzen. Mit anderen Worten: Die Strafvollstreckungsbehörde wird zum Streetworker umfunktioniert. Die GRÜNEN rechnen in ihrem Antrag vor, dass der geschlossene Vollzug für Ersatzfreiheitsstrafler dem Freistaat jährlich 11,9 Millionen Euro kostet.
Herr Lippmann, Sie wollen aber keine Steuergelder einsparen, Sie wollen sie umschichten. In Zukunft soll dieses Geld für Sozialwissenschaftler ausgegeben werden, die ihre Kundschaft an die Hand nehmen und sie sanft durchs Leben geleiten.
Klar ist: Eine umfassende sozialpädagogische Betreuung ist nämlich noch kostenintensiver als der geschlossene Vollzug. Die GRÜNEN widersprechen sich daher in ihrem Antrag, selbst wenn sie Einsparungen von Steuermitteln als Argument für ihren Antrag in der Begründung herbeireden.
Es ist nicht die Aufgabe des Strafvollzugs, sozialpädagogische Arbeit zu leisten. Vielmehr haben wir Institutionen, Gerichtshilfen, soziale Dienste, die hier bereits effektiv agieren. Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, weisen – das will ich nicht bestreiten – durchaus Betreuungsbedarf auf, beispielsweise bei Sucht, psychischen Problemen, gesundheitlichen Einschränkungen, Wohnungslosigkeit usw. All das kann eine Rolle spielen. Da vor dem Gesetz aber alle gleich sind, kann es keinen gesetzlich normierten Sozialrabatt geben. Der Strafcharakter der Geldstrafe darf sozusagen nicht verloren gehen.
Meine Partei fordert daher, die Kapazitäten des offenen Vollzugs zu erweitern. Innerhalb dessen erfahren die Verurteilten eine Tagesstruktur mit geregeltem Ablauf, erhalten auch ihr soziales Umfeld aufrecht und haben Gelegenheit zur Leistung von freier Arbeit. Die abzusitzende Ersatzfreiheitsstrafe beträgt meist nur wenige Tage oder Wochen. In dieser Zeit können ohnehin keine sozialpädagogisch nachhaltigen Ergebnisse erzählt werden.
Weitere Aussage: Für die Vermittlung einer gemeinnützigen Arbeit soll ein regionalspezifischer Pool mit geeigneten Trägern und einheitlichen Standards aufgebaut werden. Dem Sozialen Dienst der Justiz stehen – wir haben es mehrfach gehört – 3 640 Einsatzstellen „Schwitzen statt Sitzen“ zur Verfügung, bei denen Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe geleistet werden kann. Der Aufbau einer Doppelstruktur, werter Herr Lippmann, ist überflüssig. Den Betroffenen hilft das nicht weiter, sondern es sorgt nur für weitere Verwirrungen.
Auch sozialarbeiterischer Standards bedarf es nicht, da in vielen Einsatzstellen ohnehin keine Sozialarbeiter beschäftigt sind. Die GRÜNEN sind vielmehr darum bemüht, für ihre Klientel ausreichend Stellen zu schaffen.
Würden Sie als GRÜNE tatsächlich die Bedürfnisse der Verurteilten im Blick haben, müssten Sie sich nämlich folgenden Problemen zuwenden: