Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Die Aktuelle Debatte ist von Frau Kollegin Schaper für die Fraktion DIE LINKE eröffnet worden. Jetzt spricht Herr Kollege Rohwer für die CDU-Fraktion; bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mich zunächst für die Beantragung der Debatte bedanken, gibt sie uns doch die Möglichkeit, uns der Verklärung von Karl Marx ein wenig entgegenzustellen.

(Beifall bei der CDU)

Marx war zwar ein Sohn Europas, aber mit uns gibt es eben keine Lobhudelei von Karl Marx. Als Kind der DDR habe ich einen anderen Bezug zum M-L, zum MarxismusLeninismus.

Der Rockpoet Heinz Rudolf Kunze, den ich oft höre, thematisiert in seinem Song „Europas Sohn“ die Schattenseiten von Ideologien.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Marx war ein Wissenschaftler!)

Ich zitiere: „Wenn Wahnsinn Wahrheit heißt, alles auseinanderreißt, wenn Vernunft zugrunde geht, weil die falsche Fahne weht.“

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Was stört mich also an Marx? – Seine Umerziehung und seine Gleichmacherei.

(Zurufe von den LINKEN)

Wir profitieren doch gerade vom Reichtum der Unterschiedlichkeit. Gerade in der Unterschiedlichkeit der Menschen liegt doch unsere Vielfalt, mit verschiedenen Fähigkeiten und Talenten. Wenn wir alle gleich wären, wie Parasiten, hätten wir uns zivilisatorisch nicht so erfolgreich entwickeln können.

(Zurufe von den LINKEN)

Ein großer Fehler wäre es, einen neuen Menschen formen zu wollen, wie es Marx propagierte, getreu dem Motto „Das Kollektiv zählt, der Einzelne aber nichts“.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Vor 55 Jahren propagierten die Vorgänger Ihrer Linksfraktion die Befreiung des Proletariats von der Knechtung des Bürgertums. Sie bauten aber physische Mauern. Was Mauern an der Grenze bedeuten, muss ich Ihnen nicht erzählen. Auch hier hilft mir wieder Heinz Rudolf Kunze mit seiner guten Formulierungsgabe: „Ich bin ein Grenzenkind, ich weiß, was Grenzen sind, ich weiß, was Krieg bedeutet, wenn die Totenglocke läutet.“ 1 347 Opfer hat die marxistische Ideologie in der DDR gefordert.

(Zuruf des Abg. André Schollbach, DIE LINKE)

Wenn wir uns unsere Unterschiedlichkeit nicht nehmen lassen wollen, wenn wir uns unsere Freiräume nicht nehmen lassen wollen, dann müssen wir damit leben, dass sich Unterschiede zwischen uns entwickeln. Was machen wir dann mit dieser gesellschaftlichen Ungleichheit? Das ist eine spannende gesellschaftliche Frage. Antwort: Leistung muss sich lohnen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir Freiheit wollen, dann müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir die Gesellschaft so entwickeln, dass das Individuum in den Mittelpunkt rückt und die jeweiligen Fähigkeiten und Talente gefördert werden. Wo man arbeitet, da ist Gewinn. Wo man aber nur mit Worten umgeht, da ist Mangel.

(Zurufe von den LINKEN)

Die christliche Weltanschauung – Jesus Christus – nimmt den Menschen so, wie er ist, und will ihn nicht umerziehen.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Das merken wir aber jetzt!)

Was bedeutet das für unser politisches Handeln? Wir brauchen Chancengleichheit, damit uns kein Mensch verloren geht. Konkret heißt das: Wir brauchen ein Sozialsystem, das auf Leistung und Freiheit beruht und nicht den Fleißigen am Ende als Trottel dastehen lässt. Jeder muss die Chance bekommen, etwas leisten zu können, und der Fleißige muss auch für seine Arbeit entlohnt werden.

Schauen Sie ins Sozialgesetzbuch und in die Sächsische Verfassung! Hier sind die sozialen und ethischen Standards gesetzt. Wir als Christlich Demokratische Union Deutschlands gehen vom christlichen Menschenbild aus und haben deshalb die soziale Marktwirtschaft entwickelt. Die soziale Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard entwickelt sich ständig weiter. Deshalb ist sie für uns die beste Lösung für die sich immer wieder ändernde Welt.

Wenn Karl Marx wüsste, was aus seinen Theorien heute geworden ist, dann würde er sich wahrscheinlich den heutigen Sozialisten in die Arme werfen, um sie von der Tat abzuhalten.

Ich komme zu meiner These zurück, weshalb die soziale Marktwirtschaft der bessere Weg ist als der Sozialismus und der Kommunismus. Wenn wir das nebeneinanderstellen, kann man das auf einen kurzen Punkt bringen – und das sagen wir in der Union –: Karl Marx ist tot, Jesus lebt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das war Herr Kollege Rohwer. Er sprach für die CDU-Fraktion. Es geht weiter mit Herrn Kollegen Homann für die SPD.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte jetzt auch mit einem Zitat von Karl Marx beginnen,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Mach mal!)

aber diese sind meist aus dem Zusammenhang gerissen. Jeder versucht sie am besten auf seine Weise zu interpretieren, der eine positiv, der andere negativ. Wir erleben in der Debatte genau das, was ich befürchtet habe: dass jeder versucht, seine Deutungshoheit von Karl Marx durchzusetzen.

Wir Sozialdemokraten erheben diesen Anspruch nicht, die Deutungshoheit über Karl Marx zu haben. Aber das, was wir können und was wir für richtig halten, ist: Wir können ihn kritisch würdigen. Seine Analyse der Arbeitsgesellschaft des 19. Jahrhunderts prägt bis heute weltweit viele ökonomische, politikwissenschaftliche und philosophische Theorien; denn er hat die Gefahren eines zügellosen Kapitalismus analysiert, die im Übrigen damals wie heute gelten. Er war damit einer der wichtigen Impulsgeber der internationalen Arbeitgeberbewegung, der Sozialdemokratie und auch der katholischen Soziallehre.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Das sagen Sie mal Herrn Vieweg!)

Man muss kein Marxist sein, um das Werk und die Bedeutung von Karl Marx zu würdigen. Er hat aus unserer Sicht ein gesamtgesellschaftliches Vermächtnis. Denn Marx ging es nie um die Abschaffung der Arbeit, sondern es ging ihm darum, die entfremdete Form der Arbeit infrage zu stellen und zu kritisieren. Arbeit diene nicht nur der Schaffung von Mehrwert für den Profit der Kapitalisten, sondern Arbeit ist für Marx in seiner nicht entfremdeten Form sinnstiftend.

Wenn man das ins Heute übersetzt, dann würde ich es so beschreiben: Es geht nicht darum, zu leben, um zu arbeiten, sondern es geht darum, zu arbeiten, um zu leben.

Seine Ideen hatten das Ziel, das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter zu verbessern, oder – anders gesagt – dass die Menschen anständig leben können und gerecht entlohnt werden. Er war der festen Überzeugung, dass das über eine Revolution passiert. An dieser Stelle waren wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon immer anderer Meinung, und wir haben uns vor über 150 Jahren dazu entschieden, diese Ziele anders zu verfolgen, nämlich Schritt für Schritt im Praktischen.

(Zuruf des Staatsministers Martin Dulig – Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Agenda 2010! – Weitere Zurufe von den LINKEN)

Der Zwischenruf ist nicht ganz falsch, dass auch bei der LINKEN nicht mehr viel von Revolution übrig gebleiben ist. Aber ich möchte mich auf diese Debatte eigentlich gar nicht einlassen.

(Zurufe von den LINKEN)

Entschuldigung! Ich finde, ein 200. Geburtstag – wenn Sie das Thema Karl Marx ernst nehmen – ist zu bedeutend, um sich jetzt hier in Klein-Klein-Debatten zu verheddern. Zum 200. Geburtstag von Karl Marx kann man einmal die enormen Veränderungen der Arbeitsgesellschaft, die auch in seinem Sinne in den letzten 150 Jahren passiert sind, würdigen.

Es ist zum Beispiel der Ausbeutung in diesem Land an vielen Stellen ein Riegel vorgeschoben worden. Vor über 150 Jahren arbeiteten die Arbeiterinnen und Arbeiter noch 10 bis 12 Stunden am Tag, und 1918 wurde eben der 8Stunden-Tag durchgesetzt, als Grundlage für die heutige Arbeitszeitregelung. Wir diskutieren heute richtigerweise über die 35-Stunden-Woche, und das ist richtig, da ist viel passiert. Wir sichern heute auch die Lebensrisiken mit einer Solidargemeinschaft ab und überlassen die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht allein ihrem Schicksal.

Es ist viel passiert. Die Lebenserwartung lag 1865 bei Männern bei 34 Jahren und bei Frauen bei 37 Jahren – heute bei über 80. Das ist der gemeinsame Kampf für die Sozialversicherungssysteme in dieser Gesellschaft.

Ich denke, wir haben auch heute die Garantie demokratischer Mitbestimmung. Die Idee, dass die Demokratie

nicht am Werktor enden darf, ist eine der Grundüberzeugungen der Arbeiterbewegung, die von Marx maßgeblich inspiriert wurde.

Natürlich ist die marxsche Theorie in der Revolution nicht aufgegangen und er ist heute nach wie vor aktuell, wenn es darum geht, entgrenzten Kapitalismus im Blick zu haben; der Überzeugung zu sein, dass autoritäre Regimes auch die Mitbestimmungsrechte in den Unternehmen beschneiden; dass wir in Sachsen mehr Tariflöhne, weniger Niedriglöhne und weniger Leih- und Zeitarbeit brauchen. Aber es ist eben auch zum 200. Geburtstag –

Die Redezeit ist zu Ende, leider.

– der Augenblick, wo man Marx insofern interpretieren muss, dass vielleicht die Revolution der falsche Rückschluss war, sondern das praktische Leben der Menschen Tag für Tag zu verbessern – das ist Marx heute.

(Beifall bei der SPD)