Herr Kollege Brünler, weil Sie auf die Theorie von Karl Marx abgehoben haben: Verstehe ich Sie dann richtig, dass Sie heute die Auffassung vertreten, dass man diese Klassenkämpfe, die Sie da beschreiben, mit Gewalt führen soll?
(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Die stehen gerade da draußen vor dem Landtag! Die kämpfen um ihren Tarifvertrag!)
Herr Gebhardt, gehen Sie ans Mikro, dann können Sie mit mir reden. Ich stelle hier einfach eine Zwischenfrage.
(Zurufe von der CDU: Unglaublich! „Andere Klasse“! Die Arbeitgeber haben manchmal noch weniger Geld!)
Meine Damen und Herren! Es gibt zwei Redner, die sich gern austauschen wollen. – So, ich denke, jetzt können wir fortfahren.
Ich wollte ja nur auf die Frage hinaus – Herr Brünler hatte jetzt genug Zeit, über die Antwort nachzudenken –, ob Sie diese Gewaltbereitschaft, die in den Theorien von Marx zu lesen ist, auch heute so sehen.
Das ist unterm Strich ja der Punkt, an dem Sie Marx augenscheinlich nicht wirklich gelesen und verstanden haben.
Marx ging es unterm Strich nicht darum. Er hat die Möglichkeit beschrieben, dass dies dazu führen kann; aber Marx ging es nicht darum, in irgendeiner Art und Weise permanente Gewalt zu predigen. Aber dass es Klassenkämpfe tatsächlich gibt – – Ich habe vorhin schon gesagt: Heute stehen draußen vor dem Landtag wieder Menschen, die für eine gerechte Entlohnung demonstrieren. Oder denken Sie an Streiks. Das ist das, was Marx unter Klassenkampf verstanden hat.
Gehen Sie ans Mikrofon und blubbern Sie nicht hinein, wenn Sie etwas wissen wollen. Dann verstehe ich Sie auch. Aber vielleicht lohnt es sich auch gar nicht, dass ich Sie verstehe.
Hören Sie einmal zu; dann können Sie vielleicht tatsächlich etwas lernen und Ihre Scheuklappen ablegen.
Denken wir noch einmal an die Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 zurück, eigentlich eine Entwicklung, die es gar nicht hätte geben dürfen. Wir hatten im Vorfeld Neoliberalismus als die alles dominierende politische Ideologie. Ich erinnere an das Schröder-Blair-Papier. Man wollte die Sozialdemokratie modernisieren – die SPD knaupelt heute noch daran. Was war es in Deutschland konkret? Eine Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, eine Kürzung von Sozialausgaben, der Druck auf Beschäftigte,
Schleifung von Kündigungsschutz und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors bei gleichzeitiger Reduktion der Besteuerung der Kapitaleinkünfte.
Man hat damals guten Gewissens geglaubt – das will ich jetzt einmal unterstellen –, auf diese Art und Weise nach vorn kommen und Krisen vermeiden zu können.
Dann hat es aber doch gekracht. Warum hat es gekracht? Da hilft es dann tatsächlich, einmal bei Marx nachzulesen. Es sind nicht die Ölpreise oder irgendein schlechtes Produktionsklima oder Sozialleistungen schuld. Nein, es ist der dem Kapitalismus innewohnende Drang nach gewinnbringenden Investitionen. Das mag auf den ersten Blick vielleicht absurd klingen. Aber was bedeutet das in der letzen Konsequenz? Durch permanenten Konkurrenzdruck kommt es auf der einen Seite zu Arbeitsverdichtung, auf der anderen Seite aber ständig auch zu Forschung, Entwicklung und Investition in moderne Maschinen – was Marx als Akkumulation des Kapitals beschrieben hat. Das hat aber eben auch eine Kehrseite. Die Kehrseite sind Überinvestition und Überproduktion, die letztlich keine Verwertung mehr finden.
Was passiert dann? Die Investitionen gehen in den Kapitalmarkt. Genau das haben wir erlebt. Sie gehen in Spekulationsblasen und letztlich in ein Schneeballsystem – eigentlich eine treffende Beschreibung dessen, was Hedgefonds heutzutage tun.
Dann passiert genau das, was in dem berühmten Märchen von Hans Christian Andersen beschrieben wurde: Das geht so lange gut, bis der Erste sagt: Der Kaiser ist ja eigentlich nackt! Dann merkt man, dass eine tatsächliche Kapitalverwertung gar nicht mehr möglich ist.
Die Erschütterung, die daraus resultiert, merken Sie dann im gesamten Wirtschaftsgefüge. Vermögen, das nur auf dem Papier existiert, fällt in sich zusammen. Die Produktion kommt zum Erliegen. Arbeitsplätze gehen verloren. Wir haben einen rückläufigen Konsum und weiter zurückgehende Investitionen. Die Krise verschärft sich.
Frau Springer, auch Sie haben dieses Problem: Sie verwechseln das, was in der DDR passiert ist, mit dem, was Marx geschrieben hat.
(Lachen der Abg. Ines Springer, CDU – Zuruf von der CDU: Das kann man doch nicht voneinander trennen!)
Schauen Sie sich tatsächlich einmal an, worum es geht. Vieles, was in seinem Namen getan wurde – – Ihre Argumentation ist genau das Gleiche, als würde ich sagen: Die Kreuzzüge und die Hexenverbrennungen gehen eins zu eins auf Jesus Christus zurück. Da würden auch Sie sagen: Das stimmt nicht.
Wird von der CDU noch einmal das Wort gewünscht? – Das sieht nicht so aus. Herr Minister, Sie haben jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich mit Blick auf den Debattentitel ja schon etwas gewundert. „Gute Arbeit hat Mehrwert“ – da weiß ich nicht, ob Sie Marx wirklich verstanden haben.
Sie wissen doch aus Ihren Marx-Seminaren, dass im Marxismus erst die Ausbeutung der Arbeitskraft den Mehrwert schafft. Der Mehrwert ist umso höher, je besser Arbeitskraft ausgebeutet werden kann.
Genau das haben die Frühkapitalisten ja auch erkannt und die Arbeiter hemmungslos ausgenutzt. In diesem Sinne hat gute Arbeit keinen Mehrwert, sondern mindert ihn erheblich. Da hätten Sie in Ihren Schulungen dann doch besser aufpassen müssen.
Aber jetzt im Ernst: Die Debatte halte ich schon für interessant, denn die Gedanken von Marx zum Wert der Arbeit sind ja weiterhin und immer wieder aktuell. Karl Marx, dessen Geburtstag sich am 5. Mai zum 200. Mal jährt, ist ohne Zweifel ein wegweisender Vordenker der Arbeiterbewegung, aber eben auch eine ambivalente Figur der politischen Theoriegeschichte. Er hat die kollektive Ermächtigung der Arbeiter im Betrieb und ihren Kampf für den demokratischen Staat ja inspiriert.
Aber es haben sich eben auch totalitäre Systeme auf ihn berufen. Der Marxismus-Leninismus hat sein emanzipatorisches Denken zum autoritären Dogma verzerrt.