Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

An dieser Stelle gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Irgendwie ist ja die Runde heute dafür gedacht gewesen, sich einmal selbst zu danken. Die Staatsregierung hat ihre Koalitionsparteien losgeschickt und gesagt: „Sagt doch mal Danke!“ Im selben Stil könnte ich jetzt sagen: „Hallo Mutti!“, aber an dieser Stelle etwas unangebracht – Mutti würde es vielleicht freuen. Es ist die Aufgabe des Ministerpräsidenten, des Wirtschaftsministers und Ähnlichem sich hinzustellen, wenn ein Betrieb wie Siemens in einer Region in Schwierigkeiten gerät. Ich erwarte schlicht, dass dieses Engagement kommt, und es gehört zu unserem Job als Landtagsabgeordnete, vor Ort zu sein.

Deshalb sollten wir uns nicht selbst danken, sondern eine Selbstverständlichkeit begreifen, an der Seite der Menschen in den Betrieben zu stehen und derer, die nicht direkt bei Siemens beschäftigt sind, nämlich die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, die auch bei Bombardier und Siemens nicht unbedingt von der Standortsicherung profitieren. Das sei auch an der Seite derjenigen, die aufgeatmet haben, weil sie tatsächlich an diesem Standort hängen, und zwar mit ihrer Existenz, beispielsweise die kleinen Pensionen, die Putzfrau, die Reinigungskraft, die Kindergärtnerin und andere, die im Umfeld dieses Global Players Beschäftigung gefunden haben und letztlich mit ihren Familien davon leben.

Sie haben tatsächlich aufgeatmet, weil eine Erosion des Standortes Görlitz nicht nur die guten tariflich bezahlten Arbeitsplätze bei Siemens gefährdet hätte, sondern weil die Situationen dazu beigetragen hätten, dass die kleine Pflanze des Wirtschaftsaufschwunges und der Strukturwandel in der Oberlausitz abgebremst worden wären, da das Grundrauschen von Industriestandorten dringend gebraucht wird, um auf diesem Fundament aufzubauen. Dem gilt unser Dank.

Unser Dank gilt sicherlich auch denen, die immer da, wo ein Aufsichtsrat von Siemens auch nur den Kopf aus dem Fenster gesteckt hat, mit ihren Trommeln dastanden und getrommelt haben, aber auch denen, die durch die ganze Republik gefahren sind. Er gilt auch den Siemensianerinnen und Siemensianern, den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und der ganzen Republik, die solidarisch am Standort waren. Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht um Effizienz oder Innovationskraft ging, sondern man hat gedacht: Verdammt, irgendwo da draußen im Osten ist ja

noch diese Stadt Görlitz, sie wird schon keinen Widerstand leisten, wenn wir diesen Betrieb schließen. Dabei haben sie sich fundamental geirrt. Die Belegschaft hat mit ihrer Stadt zusammen das Heft des Handelns in die Hand genommen.

Diese Solidarität muss jetzt auch umgekehrt gelten. Siemens hat ja nicht gesagt: Wir nehmen es zurück, dass wir Milliardengewinne machen und trotzdem unseren Aktionären noch höhere Rendite versprochen haben. Sie wollen ja weiterhin trotz Milliardengewinnen Stellen abbauen. Dann gilt auch hier aus dem Sächsischen Landtag unsere Solidarität den Kolleginnen und Kollegen in Offenbach.

Siemens muss seine gesellschaftspolitische Verantwortung wahrnehmen und sagen: Menschen vor Rendite. Wenn ich Milliarden Gewinne mache, dann ist es nicht wichtig, ob ich 10,5 oder 11 % Rendite mache. Dann habe ich auch als Unternehmen eine Verantwortung für eine Gesellschaft, gerade an einem Standort wie in der Oberlausitz, in Offenbach oder in Erfurt. Das sollte die Forderung sein, die ab heute gilt. Der Industriestandort Sachsen mag noch viele schwierige Zeiten vor sich haben, aber in Solidarität werden wir es schaffen.

Meine Gratulation gehört noch einmal der Belegschaft, die gezeigt hat, dass Selbstverantwortung und Selbstorganisation durchaus Konzerne in die Knie zwingen können.

(Beifall bei den LINKEN)

Die AfD, Herr Beger, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde es begrüßen, wenn sich neben Siemens alle Unternehmer in Sachsen, die tätig sind, zum Industriestandort Sachsen klar bekennen. Dafür brauchen wir keine moralischen Appelle und keine Belehrung an die Adressen der Unternehmen. Vielleicht leben Staatsregierung, CDU und SPD in einem Traum.

In Sachsen sind Bildungsangebote ausgebaut, die Bürokratie ist abgebaut, die Infrastruktur ist modernisiert, ein sachsenweites kostenloses Bildungsticket wurde eingeführt. Sachsen ist Spitzenreiter beim Internetausbau und Fachkräfte stehen Schlange, um in Sachsen arbeiten zu dürfen. Die Politik hat alles dafür getan, dass sich Unternehmen in Sachsen wohlfühlen, sich ansiedeln und gut bezahlte Jobs schaffen. Aber aufgewacht, meine Damen und Herren: Kaum etwas von dem, was Ihre Pflicht und Schuldigkeit ist, kaum etwas von dem, was ich soeben ausgeführt habe, ist wirklich passiert. Sie haben Ihre Hausaufgaben noch lange nicht erledigt. Unzählige Ankündigungen und viel heiße Luft, diese Ergebnisse können Sie auf Ihre Fahnen schreiben. Dafür wird sich aber niemand bedanken, denn das hilft dem Wirtschaftsstandort Sachsen kein Stück weiter.

Ich nenne einige Beispiele für Ihre unzähligen Ankündigungen: Seit dem Jahr 2014 doktern Sie am Bildungsti

cket herum. Resultate: 2014 ein Koalitionsvertrag, danach eine Strategiekommission, 2017 Handlungsempfehlungen und 2018 eine Modellrechnung – Umsetzung gleich null. Seit dem Beginn der Legislaturperiode ist Sachsen bei der schnellen digitalen Versorgung abgehängt. Resultat: Ein Breitbandkompetenzzentrum wurde gegründet, Verbesserung der digitalen Nutzungsmöglichkeiten annähernd null. Die Bürokratie nimmt seit Jahren trotz eines eingerichteten Normenkontrollrates immer weiter zu.

Ein weiterer Akt ist die Datenschutzgrundverordnung. Ob sich der Wirtschaftsstandort Sachsen und Sie mit Ihrer Zustimmung zur DSGVO einen Gefallen getan haben? Ich bezweifle es. Die Abmahnanwälte reiben sich schon jetzt die Hände. Packen Sie diese Dinge an, und lösen Sie endlich Probleme, dann werden sich die Unternehmen in Sachsen auch zukünftig zum Wirtschaftsstandort Sachsen bekennen, und aller Wahrscheinlichkeit nach werden sich dann auch weitere Unternehmen in Sachsen ansiedeln.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Herr Dr. Lippold, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Deshalb hoffen und wünschen wir uns, dass sich der Standort Görlitz unter der Ägide von Siemens wandlungsfähig genug erweist, um sich in einem verändernden Markt, einer sich verändernden Welt neu zu erfinden. Diese Erfahrung und Debatte muss uns Anlass sein, tiefer in das Thema und weiter in die Zukunft zu schauen. Denn langfristig können wir etwas dafür tun, dass sich in Sachsen zunehmend die Geschäftsmodelle verwurzeln, um die wir uns nicht sorgen müssen. Wenn sich in Sachsen diejenigen am richtigen Platz fühlen, die dabei sind, ihre Branchen umzukrempeln und sich an die Spitze der Entwicklung zu setzen, dann – erst dann, meine Damen und Herren – haben wir wirklich Grund, uns bei guten Nachrichten aus den Unternehmen auch mal auf die Schulter zu klopfen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir gehen in die dritte Runde. Wünscht die CDU-Fraktion noch das Wort? – Das ist nicht der Fall. Herr Abg. Mann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fokus der Debatte lag ja bisher sehr stark auf dem Werk in Görlitz. Ich möchte deshalb näher auf den Standort in Leipzig und das dortige Siemens-Werk SCS-GmbH lenken. Die Situation dort ist wahrlich besonders. Das Werk ist profitabel und hat volle Auftragsbücher. Ein Ausfluss war: Als andere

Werke temporär geschlossen und dort Überstunden abgebaut wurden, wurde in Leipzig durchgearbeitet.

Auch im Kerngeschäft des Leipziger Werkes, der Industriedienstleistung, gibt es kein strukturelles Problem wie in anderen Bereichen der Kraftwerkssparte. Das alte Konzept des Siemens-Vorstandes war deshalb, das profitable Werk zu verlegen.

An dieser Stelle kann man sagen: Das ist das negative Paradebeispiel für die verlängerte Werkbank, die Idee, man könne einfach mal die Wertschöpfung von heute auf morgen woandershin verlegen und damit die Arbeitnehmer allein im Regen stehen lassen.

Aber Leipzig zeigt noch mehr. Dort haben die Beschäftigten des Werkes, gemeinsam mit der IG Metall und unterstützt von der lokalen Wirtschaftsförderung und dem SMWA, ein Alternativkonzept erstellt, das auch eine Perspektive weit über die laufende Dekade hinaus schafft. Deshalb möchte ich hierbei sagen: Unbefriedigend an den bisherigen Aussagen des Siemens-Vorstandes ist es deshalb, dass dieses Alternativkonzept, was auch im Eckpunktepapier an erster Stelle steht – worüber wir uns heute durchaus freuen können –, nicht geprüft wurde.

Aus unserer Sicht ist das aber nötig, weil die Werker in Leipzig-Plagwitz mit dem Herzen Siemensianerinnen und Siemensianer sind. Das Mindeste, was das Management sowohl ihnen als auch dem Konzern schuldet, ist, diese Option ernsthaft zu prüfen. Das wäre, falls auf eine solche Prüfung immer noch der Entschluss des Verkaufes steht, auch eine der Voraussetzungen und Grundlagen dafür, dass das Werk nach Verkauf eine nachhaltige Zukunft hat. Im derzeitigen Zeitplan scheint das aber nicht sehr realistisch, denn bis September sollen ja alle betrieblichen Regelungen mit den gerade erst bestimmten Verhandlungsführern vereinbart und an den einzelnen Standorten abgeschlossen sein. Das und auch die Äußerung von Restrukturierung vor Verkauf nährt Zweifel in der Belegschaft in Leipzig, ob die Verantwortlichen des Konzerns an einer nachhaltigen Lösung wirklich interessiert sind und sich noch in Verantwortung sehen.

Das ist aus unserer Sicht so nicht akzeptabel und sollte uns bei aller berechtigen Freude – das möchte ich hier ausdrücklich sagen – über die eingetretene Entwicklung und die sich jetzt bietenden Chancen – damit auch meinen ausdrücklichen Dank an alle Mitwirkenden! – dazu bringen, selbstbewusst einzufordern, dass dieses Alternativkonzept ernsthaft geprüft wird. Dann kann die Initiative – Siemens bleibt in Plagwitz – auch eine Chance auf Realisierung haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die guten Nachrichten dieser Tage wahrnehmen dürfen – Siemens bleibt in Görlitz und hoffentlich auch in Leipzig –, so sind das nicht nur für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die Familien, für die Standorte, sondern auch für uns als Regierung und wahrscheinlich für alle, die verantwortungsvolle Politik machen, gute Nachrichten, und da darf man sich auch mal freuen.

Diese Freude ist auch berechtigt, vor allem die Freude vor Ort. Da ich so ein wenig den Eindruck hatte, dass es um den Wettbewerb ging, wer sich welchen Dankesorden an die Brust heften darf, kann man das noch einmal sehr deutlich einordnen. Die vielen Unterstützungsangebote und das vehemente Drängen aus der Politik, auch von uns aus der Staatsregierung, für eine gerechte Lösung wären ohne den vorbildlichen Kampf der Leute vor Ort nichts wert gewesen und völlig ins Leere gelaufen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Es ist der vorbildliche Kampf, vor allem der Beschäftigten, gewesen: Ich kann immer wieder sagen – wir hatten ja dazu schon eine Debatte hier im Landtag –: Die große Kundgebung, die wir in Görlitz erlebt haben, hat mich an zwei Stellen absolut berührt. Das Erste war, als Schulklassen am Rand standen, sich selbst Schilder gebastelt hatten und gezeigt haben, wie wichtig ihnen das ist. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das verordnete Solidarität war. Sie haben selbst als Kinder gespürt, dass es um unsere Zukunft geht. Das Zweite, was mich berührt hat, waren die Reden der Schülerinnen und Schüler. So mancher von uns hätte sich diesbezüglich eine Scheibe abschneiden können.

Das war authentisch, das war ehrlich. Das war das ehrliche Ringen um die Zukunft dieser Region. Ich glaube, man hat auch gemerkt, dass man aus einer Angst und Unsicherheit heraus für seine Interessen auf die Straßen gehen darf, weil es eben nicht gelernt war, dass es Mut gemacht hat, diese Solidarität vor Ort zu erleben, und man dadurch stark geworden ist. Daraus ist Mut geworden zu kämpfen und dieser Kampf hat sich gelohnt. Deshalb gibt es diese Freude und Dankbarkeit. Die Leute vor Ort müssen diese als Erstes empfinden, und wir sollten ihnen das auch sagen. Sie haben es verdient, diesen Dank auch ausgesprochen zu bekommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Es ist auch ein großer Erfolg der Sozialpartner, dass die Gewerkschaften und die Betriebsräte derart massiv mit Hilfe und mit der solidarischen Unterstützung von verschiedenen Akteuren aus der Politik gut verhandelt haben. Das ist toll, und ich hoffe, dass diejenigen, die die Gewerkschaften immer gelobt haben, sich auch dann erinnern, wenn es vielleicht nicht nur opportun ist, sich hinter die Gewerkschaften zu stellen, sondern auch dann, wenn die Selbstverständlichkeit, dass wir für die Sozialpartnerschaft eintreten, wieder eingefordert wird. Das erwarte ich auch von denjenigen, die sich auch in schwierigen Zeiten

bei der Gewerkschaft bedanken. Die Selbstverständlichkeit, dass Gewerkschaftsarbeit und Sozialpartnerschaft auch in Sachsen auf die Tagesordnung gehören, sollten wir immer wieder einfordern.

(Beifall bei der SPD)

Herr Beger, Sie sollten das bitte mit Ihren Leuten vor Ort klären. Sie waren die Einzigen, die Verständnis für die unternehmerische Entscheidung von Siemens gezeigt haben. Wir haben uns genau dagegen verwahrt und haben gekämpft, und wir sind froh, dass wir uns mit Siemens angelegt haben. Klären Sie das selbst, dass Sie eher das Verständnis hatten, dass man anscheinend die Standorte infrage stellt. Wir kämpfen für die Standorte. Das sollten Sie aber intern klären, denn das war etwas scheinheilig. Herr Wippel stellt sich hin und sagt: Sie waren die Ersten, und Sie stellen sich hin und sagen: Nein, Siemens hatte doch eigentlich recht in ihrer unternehmerischen Entscheidung. Das klären Sie bitte untereinander.

(Zuruf des Abg. Frank Heidan, CDU)

So ist das. Das, was im letzten Herbst und Winter die Kolleginnen und Kollegen von Siemens am Werkstor erlebt haben, was wir gehört haben, war der Wunsch, nicht nur den eigenen Arbeitsplatz zu erhalten, sondern das war Solidarität und das Verlangen, dass ihnen endlich Respekt und Anerkennung für die jahrelange Hochleistung und die harte Arbeit gezollt wird.

Vergessen wir nicht, das viele Angestellte und Arbeiter in Sachsen lange zurückgesteckt haben, um ihre Arbeitsplätze und den Aufschwung zu sichern. Wir wollen, dass die Beschäftigten in Sachsen ihren gerechten Anteil am Wirtschaftssaufschwung erhalten. Sicherlich geht es um die Rahmenbedingungen; denn es ist wichtig, dass wir das bei der Entscheidung von Siemens nicht isoliert betrachten, sondern es ist ein Ergebnis unserer jahrelangen, langfristig angelegten Industriepolitik. Diese Erfolge können wir durchaus überall beobachten.

Wenn Volkswagen beschließt, die Produktion von Elektroautos in Sachsen an den Standorten in Zwickau, Mosel und Dresden zu bündeln, dann ist es ein Vertrauensbeweis in die Innovationskraft, in die Zukunftsfähigkeit des Automobillandes Sachsen. Oder wenn BMW 300 Millionen Euro in Leipzig investiert, um die Kapazitäten seines Werkes zu erweitern, dann bestärkt es diese vorgenannte Einschätzung. Oder die Nachricht, die häufig unterschätzt wurde, wenn Infineon seinen existierenden Produktionsstandort in Dresden um ein Entwicklungszentrum für Automobilelektronik und künstliche Intelligenz ergänzt, dann kann sich diese Staatsregierung bestätigt fühlen, dass der langfristig strategische Ansatz, den Mikroelektronikstandort Sachsen weiterzuentwickeln, wirkt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn sich Siemens nach hartem Ringen entschließt, den Standort Görlitz zur weltweiten Zentrale für das Dampfturbinengeschäft zu machen und einen Verkauf des Standortes Leipzig zu prüfen, dann ist das ein Erfolg;