Reichlich ein Vierteljahrhundert später, exakt 26 Jahre später, besorgt uns, dass das sächsische Volk, dem seinerzeit vielleicht sogar über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus Respekt und Anerkennung gezollt wurde, weil es
den von ihm maßgeblich mitinitiierten Prozess der historischen und gesellschaftlichen Umwälzung für beide deutschen Staaten im Grundsätzlichen gewaltfrei vollzogen hat, nicht in Verruf gerät, in Verruf deshalb, weil eine Minderheit der Sächsinnen und Sachsen offenbar nicht willens ist, eine neu herangereifte gesellschaftliche Kontroverse, die niemand bestreitet, in ähnlicher Weise mit Anstand und Friedfertigkeit auszutragen.
Was sich in Sachsen, namentlich in Chemnitz, angedockt an dieses schlimme, tragische Tötungsverbrechen aus den Nachtstunden des vorletzten Wochenendes, an schwelendem Konfliktpotenzial Bahn gebrochen hat, ist nahezu atemberaubend.
Bilder gehen um die Welt, die vermitteln, dass in Sachsen der demokratische Rechtsstaat als Nahtstelle zwischen Frieden und Gerechtigkeit nicht mehr funktionierte. Das Bild des hässlichen Deutschen erlebt scheinbar eine Renaissance, das Bild des hässlichen Deutschen, der seine Konflikte dadurch zu lösen und seine vermeintlich berechtigten Interessen dadurch zu behaupten sucht, dass er Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens, anderer Kultur oder anderer Weltanschauung herabstuft, kleinmacht, diskreditiert oder gleich unter Generalverdacht stellt.
Wir alle – darauf hat der Herr Ministerpräsident heute früh auch reflektiert – haben in den letzten Tagen erneut einen ziemlich nachhaltigen Eindruck davon bekommen, wie tief bei vielen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger Frust, Verärgerung und Verunsicherung sitzen, darunter auch – ganz unbestritten – zu einem erheblichen Teil bei solchen Mitmenschen, denen man nicht nachsagen kann, dass sie Nazis wären oder faschistoiden Denkmustern anhingen, die sich aber bewusst sein müssen, dass sie, um vermeintlich spürbar ihren oft berechtigten Protest über die nach ihrer Auffassung verschiedensten gesellschaftlichen Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte auszudrücken, Schulter an Schulter mit in der Wolle gefärbten Neonazis, notorischen Fremdenhassern und verantwortungslosen rechten Politikern der verschiedensten Couleur demonstrieren.
Es hat an dem Nachmittag nach Beendigung des Stadtfestes und an dem darauffolgenden Montag die Jagd nach Menschen gegeben. Die hat es gegeben. Wir werden sehen, dass dies auch die Justiz des Freistaates Sachsen sichern und feststellen wird.
Ich habe an dem Montag mit Bestürzung ein Schild einer jungen Frau gelesen aus ganz schlichter brauner Pappe: „Menschen jagen ist 1933“. Es ist heute schon mehrfach gesagt worden, dass der historische Bogen wieder ins Gespräch kommt. Das erlebe ich zum ersten Mal seit dem Jahr 1990 in diesem Parlament, wenn ich den Verweis auf die NPD von diesem Gedankengang ausnehme. Die Sorge flammte bei uns auch langsam wieder auf.
Herr Urban, solange Ihre Partei im Kontext mit den aktuellen Geschehnissen gemeinsame Sache mit gewaltbereiten Nazis, Rassisten und rechten Hardcore-Hools macht, steht sie nicht auf dem Boden der Verfassung. Das stimmt schon nicht mit der Präambel überein. Das ist schon von diesen Grundsätzen her ausgeschlossen.
Gleich, wie tief der Frust sitzt, nichts rechtfertigt den Übergang zur Selbstjustiz. Keiner kann sich Demokrat nennen, der es aus welchem Kalkül heraus, mit welcher Rechtfertigung auch immer gutheißt, das Recht in seine eigenen Hände zu nehmend. Wenigstens darin sollten sich die Abgeordneten dieses Hohen Hauses einig sein.
Gegen Selbstjustiz und rechte Hetze aufzutreten ist Bürgerpflicht. Niemand, der das tut, verdient den Stempel „linksradikal“ oder „Linksextremist“, denn eigentlich ist er normal. Er ist der Normale.
Sofort, Herr Präsident. – Normal für eine Zivilgesellschaft, die in der Verantwortung steht, ist es, den Rechtsstaat, das Grundgesetz und eben diese Sächsische Verfassung zu verteidigen und Verletzungen des Rechts, ganz gleich, von wem sie ausgehen, energisch entgegenzutreten.
Vielen Dank, Herr Präsident! Also, ich muss noch einmal auf meinen Vorredner eingehen. Wieder – ich unterstelle sozusagen böse Absicht – wird unterstellt, wir würden gemeinsame Sache machen als AfD, als Partei, mit gewaltbereiten Rechtsextremisten
Sie wissen ganz genau, dass es das Demonstrationsrecht nicht zulässt, Menschen von Veranstaltungen auszuschließen,
(Marco Böhme, DIE LINKE: Lutz Bachmann ist hinter Ihnen marschiert! – Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)
Was Sie wollen und was Sie den Menschen in Chemnitz sozusagen ins Stammbuch schreiben, ist, sie sollen sich fernhalten von Demonstrationen,
auf denen fragwürdige Menschen dabei sind. Auf diese Art und Weise wollen Sie den Menschen das Demonstrationsrecht nehmen. Das ist perfide.
Wir haben Aufrufe gesehen im Internet, bei Twitter und Facebook von linken Extremisten, die gesagt haben: „Geht zu der Demonstration! Zeigt den Hitlergruß! Schreit ‘Heil Hitler!’“,
Dorthin möchten Sie die Leute haben. Sie möchten, dass die Leute auf ihr Demonstrationsrecht verzichten, weil Ihre Provokateure die Demonstrationen verunglimpfen.
(Widerspruch von den LINKEN – Carsten Hütter, AfD: Das sind doch Ihre Vorfeldorganisationen! – Susanne Schaper, DIE LINKE: So eine dreiste Lüge!)
Herr Präsident, ich möchte erwidern. – Das wird sich klären. Die Bilder, die gemacht worden sind, zum Beispiel am Montag nach diesem Tötungsverbrechen, werden sicherlich noch ausgewertet werden,
wer es war, der den Arm gehoben hat, wer da gebrüllt hat: „Deutschland den Deutschen!“, wer da gebrüllt hat: „Die Stadt gehört uns!“. „Die Stadt gehört uns!“ – Wer bestimmt, wer die Stadt ist? Ich habe es gesehen.
(Carsten Hütter, AfD: Was hat denn die AfD mit dieser Veranstaltung zu tun?! – Marco Böhme, DIE LINKE: Ihr seid mit den Leuten gelaufen! – Carsten Hütter, AfD: Sie lügen doch das Blaue vom Himmel herunter! Sie schwindeln!)
An dem Montag und dann auch bei Ihrer eigenen Demo sind genau die gleichen Leute mitgelaufen, die am Montag damit begonnen haben, Flaschen und Steine in den Stadtpark zu schmeißen und Feuerwerkskörper
und es gewissermaßen auszulösen, dass junge Menschen, dass Kinder, die mit dort waren, halb in Panik geraten sind.
Das sind genau die gleichen Leute, die mit Ihnen liefen; denn sie kamen mit Herrn Kohlmann. Das wissen Sie auch. Sie kamen aus der aufgelösten Versammlung von Herrn Kohlmann zu Ihnen herüber und haben sich dann Ihrer Versammlung angeschlossen.
Nächster Punkt. Sehr wohl hat jeder Versammlungsanmelder das Recht, Menschen, die das Ziel seiner Versammlung konterkarieren, wegzuweisen.