Protokoll der Sitzung vom 05.09.2018

Fraktion wird dieser durchschaubaren Instrumentalisierung der Geschäftsordnung zum Zwecke des Abziehens einer Propagandashow der AfD in diesem Hause

(André Barth, AfD: Das ist unterstes Niveau! – Carsten Hütter, AfD: Herr Lippmann!)

entschieden widersprechen und kann diesem Antrag nicht zustimmen.

Das, was Sie hier machen, ist weder rechtlich notwendig

(Carsten Hütter, AfD: Ach!)

noch sachlich geboten. Es hätte die Möglichkeit gegeben – das wurde schon mehrfach gesagt –, fristgerecht einen dringlichen Antrag einzureichen.

(André Barth, AfD: Nein!)

Er hätte dann halt morgen auf der Tagesordnung des Plenums gestanden. Das zeigt doch, dass Sie hier nur die Instrumentalisierung vor den Augen der Medien wollen, weil Sie nicht den morgigen Tag erreichen wollen.

Es ist auch sachlich überhaupt nicht notwendig, von der Geschäftsordnung abzuweichen. Es gab eine Sondersitzung des Innenausschusses am Montag, in der alle Aspekte zu Chemnitz hinreichend erörtert wurden.

(André Barth, AfD: Das sind neue Aspekte!)

Der Kollege Wendt hat zig Fragen zu genau dieser Materie im Innenausschuss gestellt. Dabei gab es die Möglichkeit zur Sachaufklärung.

(André Barth, AfD: Es gibt doch ganz neue Fakten, Herr Lippmann!)

Herrn Wendts größtes Problem war der Versuch der Darstellung, dass man mit Pegida nichts zu tun hätte vonseiten der AfD, obwohl jeder etwas anderes sehen konnte.

(Carsten Hütter, AfD: Schön!)

Das, was Sie hier machen, ist eine Instrumentalisierung der Geschäftsordnung auf dem Rücken dieses Hohen Hauses. Sie können nicht davon ausgehen, dass jemand, der die Würde dieses Hauses nur halbwegs ernst nimmt, dem zustimmen kann. Wir werden das ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU, den LINKEN und der SPD)

Herr Wurlitzer, Sie haben keinen Redebedarf mehr als Fraktionsloser?

(Uwe Wurlitzer, fraktionslos: Ich hätte das Gleiche wie Herr Lippmann gesagt im letzten Teil! Danke!)

Gut. Wir haben jetzt die Begründung der Dringlichkeit gehört. Wir haben die Gegenreden gehört. Wir kommen nun zur Abstimmung darüber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ob nach § 114 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Abweichung von der Fristenregelung des § 53 Abs. 3 Satz 1 der Geschäftsordnung zugelassen wird. Ich weise nochmals darauf hin, dass hierfür eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder erforderlich ist. Wer dafür ist, die Abweichung zuzulassen, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –

(Zuruf von den LINKEN: Mehr als zwei Drittel dagegen!)

Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist die Abweichung von der Fristenregelung mit großer Mehrheit abgelehnt worden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sehe keine weiteren Änderungsvorschläge oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. – Doch. Noch eine Wortmeldung; Herr Kollege Meyer, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich beantrage die Absetzung des Tagesordnungspunkts 11 – Bericht des Innenausschusses –, worunter sich die Drucksachen zum Datenschutzbeauftragten subsumieren. Der Datenschutzbeauftragte kann heute leider nicht anwesend sein. Wir halten es aber für geboten, dass er bei diesem Punkt anwesend ist. Wir werden es also zu einem späteren Zeitpunkt auf die Plenartagesordnung setzen.

Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. – Darüber werden wir jetzt gleich abstimmen. Wer für die Absetzung des Tagesordnungspunktes 11 stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Keine. – Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist der Tagesordnungspunkt 11 einstimmig abgesetzt bzw. auf eine nächste Tagesordnung verschoben worden.

Ich sehe jetzt keine weiteren Änderungsanträge oder gar Widerspruch gegen die Tagesordnung, jedenfalls meldet sich niemand. Damit ist die Tagesordnung der 77. Sitzung bestätigt worden.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung zum Thema:

„Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat“

Ich übergebe das Wort an den Ministerpräsidenten Herrn Michael Kretschmer. Das Pult ist bereit.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Landtagspräsidenten sehr dankbar, dass er diese Sitzung noch einmal mit einer Würdigung und mit einem Gedenken begonnen hat.

Wir haben gemeinsam mit Barbara Ludwig, der Oberbürgermeisterin von Chemnitz, versucht, mit der Familie des Getöteten Kontakt aufzunehmen, um unser Mitgefühl auszusprechen, um Hilfe anzubieten. Wir haben verstanden und auch akzeptiert, dass die Familie anonym bleiben möchte, dass sie ihren Schmerz und das, was daraus folgt, für sich selbst verarbeiten möchte. Ich finde es richtig, wenn sich alle daran halten. Deswegen war diese Einordnung sehr wichtig. So wollen wir, denke ich, auch diese Debatte führen.

Meine Damen und Herren! Das, was in jener Nacht passiert ist, ist ein furchtbares Tötungsdelikt, das durch nichts zu entschuldigen ist. Es muss mit aller Konsequenz und Härte aufgeklärt werden. Bereits in der Nacht wurden zwei Tatverdächtige festgenommen. Mittlerweile gibt es drei Haftbefehle. Man sieht, die Justiz, die Polizei arbeiten intensiv daran. Das ist auch notwendig.

Mir geht es darum, dass die Umstände dieser Tat möglichst schnell aufgeklärt werden und damit auch Klarheit herrscht über das, was derzeit im Internet an Falschinformationen, an Lügen, an Propaganda kursiert, die auch dazu geführt haben, dass in den Tagen danach eine so große Aufregung in der Stadt war und von denen wir heute wissen, dass sie zum großen Teil nicht der Wahrheit entsprechen.

Ich bin den vielen Beamtinnen und Beamten der sächsischen Polizei, denen des Bundes und den Kollegen aus anderen Bundesländern, dankbar, die in den Tagen danach und bis heute die Sicherheit in der Stadt Chemnitz gewährleisten. Diese Kollegen haben alle unsere Achtung verdient, genauso wie der Innenminister. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit!

(Beifall bei der CDU und der SPD – Beifall der Abg. Dr. Kirsten Muster und Uwe Wurlitzer, fraktionslos, und bei der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage, dass der Rechtsstaat durchgreift, dass wir als Staat das Gewaltmonopol haben, dass wir die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten und dass der Föderalismus gerade im Bereich der Zusammenarbeit der Polizei wirkungsvoll und stark ist. Wenn mehr Polizei notwendig ist, dann wird sie angefordert und dorthin verlegt.

Wir haben gesehen, dass die Mobilisierungswirkung im Internet auch durch diese Propaganda, die vorhanden war, und durch die rechte Hooliganszene höher war, als man es bisher kannte. Deswegen ist darauf auch reagiert worden. Es ist überhaupt keine Frage: Es wäre besser gewesen, am Montagabend wären 100, 200 Polizisten mehr da gewesen. Die, die da waren, haben aber mit einem exzellenten Einsatz die Sicherheit in Chemnitz gewährleistet.

(Beifall bei der CDU und der SPD – Beifall der Abg. Dr. Kirsten Muster und Uwe Wurlitzer, fraktionslos, und bei der Staatsregierung)

Sosehr klar ist und es keinen Zweifel daran geben kann, dass dieses Tötungsdelikt durch nichts zu entschuldigen ist, so ist auch klar, dass das, was danach passiert ist – Angriffe auf Journalisten, auf Menschen, die als Ausländer erkennbar oder als solche vermutet werden –, nicht akzeptiert, von uns mit der gleichen Intensität verfolgt wird und die Leute zur Rechenschaft gezogen werden. Das gilt gerade auch für diejenigen, die mit Hass, Propaganda und dem Hitlergruß durch Chemnitz gezogen sind. Das werden wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN und den GRÜNEN – Beifall der Abg. Dr. Kirsten Muster, Dr. Frauke Petry und Uwe Wurlitzer, fraktionslos – Beifall bei der Staatsregierung)

Der Generalstaatsanwalt hat die Ermittlungen an sich gezogen; das ist richtig. Wir haben im Nachgang dieser Tat ein Erlebnis gehabt: Ein Justizbeamter hat den Haftbefehl kopiert und ins Internet gestellt. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Das ist ein Straftatbestand, das ist eine ehrenrührige Tat für einen Staatsbeamten, und es ist eine Gefährdung des Gerichtsverfahrens. Deswegen ist es richtig, dass auch diese Tat mit aller Härte verfolgt wird und auch dieser Beamte zur Rechenschaft gezogen wird, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Zwei Dinge sind von besonderer Bedeutung und treiben jetzt die Menschen in Chemnitz – wie wir es bei dem Sachsengespräch erlebt haben – in besonderer Weise um: Das eine ist die Berichterstattung. Es verwundert nicht, dass diejenigen, die an den Geschehnissen sehr nah dran sind und die aus Chemnitz kommen, besonders objektiv und konkret darüber berichten. Aber was verwundert und was auch aus meiner Sicht nicht in Ordnung ist, ist, dass diejenigen, die besonders weit weg waren, ein besonders pauschales, hartes und oft falsches Urteil über diese Stadt treffen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und der SPD – Sebastian Fischer, CDU: Sehr richtig!)

So können wir heute sagen, dass durch unser gemeinsames Agieren und durch diese Berichterstattung sowie auch dadurch, dass verantwortliche Journalisten vor Ort gewesen sind, die als Lügenpresse beschimpft worden sind – weswegen ich mich ganz deutlich dagegen verwahre und diesem Begriff entgegentrete –, klar ist: Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz. Das sind Worte, die das, was dort passiert ist, nicht richtig beschreiben. Es ist auch notwendig, dass man das in dieser Regierungserklärung genau so sagt, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU – Zurufe des Abg. André Barth, AfD, sowie von der Fraktion DIE LINKE)

Weder waren es alle Chemnitzerinnen und Chemnitzer, noch war es eine Mehrheit, die dort ausfällig geworden ist. Aber diejenigen, die es getan haben, sind schlimm genug, und denen sagen wir auch den Kampf an.

Das ist der zweite Punkt, in dem wir uns in der Sächsischen Staatsregierung und mit der Frau Oberbürgermeisterin sowie mit vielen, die ich in Chemnitz getroffen habe, einig sind. Wir werden den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Aufarbeitung dieser Situation nur leisten können, wenn wir nicht pauschalisieren, sondern wenn wir differenzieren und wenn wir klar sagen, was nicht geht und wer was getan hat. Das nimmt auch diejenigen in Schutz – stellt sie nicht an den Pranger –, die aus Wut, aus Enttäuschung oder aus Mitleid mit auf die Straße gegangen sind und die sich artikulieren wollen. Die sind nicht rechtsextrem, und vor die stellen wir uns, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)