Protokoll der Sitzung vom 08.11.2018

(Vereinzelt Beifall bei der AfD – Valentin Lippmann, GRÜNE: Oh!)

Die Staatsregierung aufzufordern, sich auf allen Ebenen gegen das Osteuropa-Bashing einzusetzen oder beispielsweise Subsidiaritätsfragen anzuregen, davon hören wir leider kein Wort.

(Lachen des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Aus aktuellem Anlass wäre aber genau dies geboten. Oder können Sie unseren Nachbarn in Tschechien und Polen erklären, was es heißt, wenn der mögliche zukünftige Parteivorsitzende der CDU erklärt, er sei überzeugter Europäer und für ihn seien die wichtigsten Verbündeten die Demokraten des Westens, oder wenn im EUParlament der ungarische Präsident in beschämender Weise von diesen westlichen Demokraten beleidigt wird? Dort hätten wir gern ein klares und respektvolles Bekenntnis des Freistaates Sachsen zu unseren östlichen Nachbarn, und zwar auf allen politischen Ebenen.

(Zuruf des Abg. Dr. Stephan Meyer, CDU)

Frau Grimm, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, danke. – Die AfD-Fraktion wird sich deshalb bei diesem Antrag enthalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Dr. Stephan Meyer, CDU)

Meine Damen und Herren, nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abg. Dr. Maicher. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit des Freistaates mit der Tschechischen Republik. Das ist ohne Frage ein wichtiges Thema, auch um darüber zu diskutieren, wie wir ein Zusammenhalten in Europa – denn wir Sachsen sind ja mittendrin – stärken können.

Leider haben Sie von der Koalition diesen Antrag fast ein Jahr liegengelassen, um dann zwei Wochen vor der geplanten Anhörung den Austausch mit externen Sachverständigen abzusagen und diese wieder auszuladen. Ich finde, das ist ein schlechter Stil. Dabei ist der Europaausschuss doch der geeignete Ort, eine intensive Behandlung durchzuführen und tatsächlich neue Erkenntnisse und Anregungen über die Zusammenarbeit beider Länder aus der Praxis der Arbeit vor Ort zu erhalten.

Nun sprechen wir heute im Plenum über Ihren Antrag, und der ist an vielen Stellen viel zu kurz gedacht. Sie führen in Ihrem Antrag ausschließlich die Interessen des Freistaates an und schreiben über die – ich zitiere – „positiven Effekte für die weitere Entwicklung des Freistaates Sachsen“. – Das ist offenbar auch das Einzige, was Sie interessiert. Aber die Beziehungen zwischen dem Freistaat Sachsen und der Tschechischen Republik sind bedeutend für beide Länder, und sie sind bedeutend für die Menschen hier und dort.

Ich halte es für eine gefährliche Verengung, nur eine sächsische Perspektive einzunehmen und völlig zu verkennen, wie wichtig eine Zusammenarbeit auch im Geiste eines einheitlichen Europas ist. Dazu erwarte ich vonseiten der Sächsischen Staatsregierung kritische Worte und Rückgrat, um für die europäischen Grundwerte einzustehen, wenn an diesen Grundpfeilern in Nachbarländern gesägt wird. In guten Partnerschaften kann man das ansprechen.

Europa und die EU kommen in Ihrem Antrag wieder nur als „Förderperiode“ vor.

(Marko Schiemann, CDU: Nee!)

Das war allerdings auch nicht anders zu erwarten; denn selbst den Vorschlag der Europäischen Kommission, bürokratische Hürden bei der Umsetzung grenzüberschreitender Projekte abzubauen, lehnen Sie von der CDU und Sie von der SPD entgegen Ihren Kollegen in NRW –

ich weise noch einmal darauf hin – ab. Aber gerade, wenn Sie die Bedeutung der Regionen und der regionalen Zusammenarbeit betonen, sind Maßnahmen zum Bürokratieabbau für den künftigen Erfolg von Europa vor Ort entscheidend.

Die zweite Verkürzung: Gute Beziehungen bestehen nicht nur aus Regierungskontakten; im Gegenteil: Der Freistaat Sachsen ist nicht die Staatsregierung. Es gibt eine deutsche und eine tschechische Zivilgesellschaft. Hieraus wurzelt doch das Zusammenleben in guter Nachbarschaft. Vielleicht muss man das Ihnen von der CDU noch einmal ganz besonders deutlich sagen.

In Ihrem Antrag findet sich unter Punkt I kein Wort zur Bedeutung der kulturellen zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit und zu grenzüberschreitenden Projekten – es findet sich kein einziges Wort der Würdigung. Auch in Ihrem Forderungsteil unter Punkt II.2 gibt es keinen einzigen Vorschlag der Förderung. Ich finde das misslich. Mir fallen sehr gute kulturelle Initiativen der sächsischtschechischen Zusammenarbeit ein, zum Bespiel die aktuell geplante Ausstellung „Möglichkeiten des Dialoges“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in Prag. Ich zitiere aus dem Programm: „Die Ausstellung spannt den Bogen von heute bis zurück in das Jahr 1968, die Zeit von Prager Frühling und Okkupation. Sie wirft Fragen der Identität auf und spornt so dazu an, den Dialog zwischen den beiden Einrichtungen im Zentrum Europas sowie zwischen künstlerischen Positionen aus Ost und West fortzusetzen und zu intensivieren.“

Ich komme zur dritten Verkürzung. Leider finde ich in Ihrem Antrag keine konkrete Idee für die Vertiefung der Zusammenarbeit. Mir fallen dazu zahlreiche Möglichkeiten ein, zum Beispiel bei den Naturschutzgebieten. Die Natur kennt keine Grenzen. Wir brauchen dringend eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Es hilft der Natur wenig, wenn die Pläne dafür nur national erstellt werden. Hier sollte Sachsen doch die Zusammenarbeit zum Nutzen beider Länder vorantreiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Staatsminister Schenk berichtet in der Stellungnahme zum Antrag darüber, dass die Zusammenarbeit unter anderem im Bereich Luftreinhaltung außerordentlich gut verlaufe. Unsere Vor-Ort-Erfahrungen im Erzgebirge zeigen, dass dies nicht stimmt. Ein Beispiel: Bei immer wieder vorkommenden Bränden auf Deponien oder bei Chemieunfällen fehlt es an verlässlichem und koordinierendem Informationsaustausch. Die Bürgermeister der sächsischen Gemeinde fahren teilweise selbst mit dem Auto in die Nachbarregion und erfragen vor Ort persönlich die Probleme.

Das sind Beispiele dafür, dass Lösungen für eine stärkere Zusammenarbeit notwendig sind, und klare Vorstellungen davon, wie eine nachhaltige Vertiefung der Beziehungen zwischen Sachsen und Tschechien aussehen soll. Dazu

gehört dann auch die Benennung von passenden Förderinstrumenten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD! Ihrem Antrag fehlen Ziele, Visionen und klare Umsetzungsvorschläge. Deswegen wird sich meine Fraktion bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war Frau Dr. Maicher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir könnten jetzt eine neue Rederunde eröffnen, so denn Redebedarf bestünde. Wie sieht es bei den einbringenden Fraktionen CDU und SPD aus? –

(Harald Baumann-Hasske, SPD: Nein!)

Keine. – Wenn dem so ist, dann hat jetzt die Staatsregierung das Wort; Herr Staatsminister Schenk ergreift es sofort.

Oliver Schenk, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, noch nie waren die Beziehungen des Freistaates Sachsen zur Tschechischen Republik so gut wie heute – auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Das heißt nicht, dass man manches nicht noch besser machen könnte. Aber ich glaube, es ist in den letzten 25 Jahren sehr viel gewachsen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Vor 25 Jahren wurde die „Erklärung über die gemeinsame Zusammenarbeit“ von den damaligen Ministerpräsidenten Klaus und Biedenkopf unterzeichnet. Das war der Ausgangspunkt für vieles, was heute angesprochen worden ist, auch für die Gründung der Euroregionen. Diese leisten gerade vor Ort wertvolle Beiträge, die auf beiden Seiten der Grenzen spürbar werden.

In diesen Tagen feiern wir in vielen dieser Euroregionen, und Begegnungen erinnern daran, was gewachsen ist. Ich habe diese Veranstaltungen als sehr eindrucksvoll, auch als sehr emotional wahrgenommen, weil dort zwischen den Menschen viel gewachsen ist und viele gute Dinge, die in der Erzählung gar nicht den Weg bis nach Dresden finden, tatsächlich gelebt werden.

Dazu hat auch die Sächsisch-Tschechische Arbeitsgruppe beigetragen, die sich in diesem Jahr zum 25. Mal getroffen und ihr Programm für das kommende Jahr definiert hat.

Bereits im Jahr 2004 entwickelte der damalige Ministerpräsident Milbradt erste Gedanken zur Gründung eines sächsischen Zentrums im Wendischen Seminar in Prag. Daraus ist das geworden, was Kollege Schiemann angesprochen hat: ein Verbindungsbüro des Freistaates in Prag, das heute Kristallisationspunkt und Begegnungsort für viele Menschen geworden ist. Es ist eine Anlaufstelle

und ein Veranstaltungsort. Es ist dort fest etabliert und steht für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Regierung in unserem Nachbarland. Der Austausch ist rege und gut. Ministerpräsident Tillich traf sich während seiner Amtszeit mit allen fünf tschechischen Ministerpräsidenten.

Im letzten Jahr fand eine auswärtige Kabinettssitzung mit vielen Teilnehmern, auch von tschechischer Seite, statt. Im Februar dieses Jahres besuchte Ministerpräsident Kretschmer Premierminister Babiš in Prag und nahm gemeinsam mit vielen von uns an einer Gedenkveranstaltung in Theresienstadt teil. Premier Babiš war im Juni dieses Jahres aus Anlass des Jubiläums „25 Jahre Gemeinsame Erklärung“ zum Festakt in Dresden.

Daneben pflegen wir eine Vielzahl von bilateralen Verbindungen: von Ministergesprächen bis zur Kulturpolitik und von Naturschutz bis Bildung. Natürlich – auch das ist angesprochen worden – spielt die Wirtschaft eine sehr zentrale Rolle. Die Tschechische Republik ist nach China der zweitwichtigste Handelspartner unseres Freistaates. Ein Fünftel aller sächsischen Importe kamen im letzten Jahr aus der Tschechischen Republik und sie steht damit auf Platz eins. Einige der größten ausländischen Investoren in Sachsen kommen aus Tschechien, wie die EPHGruppe als Eigentümer der Tagebaue und Kraftwerke der LEAG.

Was uns im wahrsten Sinne des Wortes verbindet, sind die gemeinsamen Projekte der Verkehrsinfrastruktur. Im Jahr 2006, also vor zwölf Jahren, wurde die grenzüberschreitende Autobahn A17 Dresden – Prag eröffnet, das letzte Teilstück vor zwei Jahren, im Jahr 2016. Heute ist man schneller mit dem Auto in Prag als in Berlin. Herr Baumann-Hasske hatte es schon angesprochen.

Im Jahr 2014 wurde die Eisenbahnstrecke Sebnitz – Dolní Poustevna wiedereröffnet.

Das größte gemeinsame Projekt ist allerdings die Neubaustrecke Dresden – Prag mit dem Erzgebirgsbasistunnel. 2016 wurde dazu ein europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit gegründet und in diesem Jahr mit den Planungen begonnen.

Aber auch die Verkehrsverbünde in den Regionen im ÖPNV arbeiten in der EUREGIO EGRENSIS eng zusammen.

Gut ist auch, dass sich beide Länder in bilateralen Arbeitsgruppen gemeinsam um grenzüberschreitende Umweltthemen kümmern – von der Luftreinhaltung im Erzgebirge bis zum Wolf.

Besonders wichtig ist die hervorragende Zusammenarbeit beim Hochwasserschutz. Die Vorwarnzeit, mit der die tschechischen Kollegen vor Hochwasser an der Elbe warnen, ist von 24 auf 60 Stunden angestiegen.

Aber auch neue Themen sind dabei, etwa wenn es um die Erleichterung der Nutzung meteorologischer Daten geht. Frau Dr. Maicher, Sie haben das Thema Natur angesprochen. Natur macht nicht an Grenzen halt. Deshalb ist die

enge Zusammenarbeit im gemeinsamen grenzüberschreitenden Nationalpark Sächsisch-Böhmische Schweiz

wichtig und gut.

Grundlage für unsere Zusammenarbeit ist das Kooperationsprogramm Sachsen-Tschechien, das in den letzten vier Jahren und für die nächsten zwei Jahre noch mit gut 158 Millionen Euro gefüllt ist. Das sind vor allem Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, und die Staatsregierung wird sich weiter dafür einsetzen, dass diese Mittelausstattung auch in der nächsten Förderperiode möglichst stabil bleibt.

Die zweite wichtige Fördermöglichkeit besteht in der Förderrichtlinie der Sächsischen Staatskanzlei für internationale Beziehungen. Adressaten sind hier gemeinnützige Vereine, Verbände und Stiftungen sowie kommunale Projektträger.