Protokoll der Sitzung vom 08.11.2018

Das war eine Kurzintervention. Frau Raether-Lordieck, wollen Sie gleich darauf reagieren?

(Iris Raether-Lordieck, SPD: Nein, das möchte ich nicht! – Heiterkeit bei der AfD)

Nun geht es in unserer Rederunde weiter. Für seine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht nun Herr Kollege Zschocke.

Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Weigand, Sie sprechen hier wohlfeil über vernünftige Familienpolitik. Ich habe mir einmal die Programmatik Ihrer Partei angeschaut. Darin geht es doch wohl eher um völkischnationale Bevölkerungspolitik.

(André Barth, AfD: Wo steht denn „völkisch- national“? Zeigen Sie uns das doch mal!)

Im Kern wollen Sie, dass heterosexuelle deutschstämmige Paare wieder mehr deutsche Kinder für das deutsche Staatsvolk zeugen. Diese Familienideologie, meine Damen und Herren, lebt von der Angst vor der Schrumpfung des eigenen homogenen deutschen Volkes, das es ja so überhaupt nicht mehr gibt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Dr. Weigand.

Vielen Dank. Herr Zschocke, ich habe aus unserem Programm zitiert sowie das, was wir zur Landtagswahl 2014 gefordert haben. Wo genau haben Sie im Familienprogramm der AfD – sagen Sie mir eine Seite, damit ich es finde, oder ungefähr – „völkischnational“ gefunden, damit ich es nachvollziehen kann? – Danke schön.

Das liefere ich Ihnen nach. Das findet sich auf den Seiten Ihrer Bundestagsfraktion und auf verschiedenen Portalen. Das sind programmatische Aussagen aus Ihrer Partei. Es tut mir leid.

(Zurufe der Abg. Dagmar Neukirch, SPD, und Valentin Lippmann, GRÜNE – Zuruf von der AfD – Carsten Hütter, AfD: Ja, ja, jetzt ist alles gut! Weitermachen!)

Sie zeichnen ja auch außerhalb Ihres Programms ständig bedrohliche Bilder, zum Beispiel vom Ansturm von Migrantenfamilien auf die EU. Anhänger Ihrer Partei verbreiten ständig die rechtsextreme Verschwörungstheorie von der schleichenden Umvolkung. Sie beunruhigen die Eltern wegen der angeblichen Frühsexualisierung ihrer Kinder. All das tun Sie doch. Wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht, sind Sie doch die Ersten, die sofort zur Stelle sind und vor irgendwelchen ideologischen Experimenten warnen. Meine Damen und Herren von der AfD, Ihre Willkommenskultur für Kinder meint nicht, dass alle Kinder willkommen sind. Die Kinder in den überfüllten Flüchtlingsbooten sind damit nicht gemeint. Sie sagen zwar „Willkommenskultur“, Sie meinen aber Abwehr und Ausgrenzung.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der SPD – André Barth, AfD: Wo steht denn das?)

Diese Abwehr und diese Verteidigungslogik sind in Ihrer gesamten familienpolitischen Programmatik nachvollziehbar. Ihre Familienpolitik ist doch konsequent antifeministisch.

(André Barth, AfD: Antifeministisch? Ja, ja!)

Das haben Sie hier allzu oft bewiesen. Sie haben ein Problem mit der Vielfalt sexueller Identitäten und Orientierungen. Das wurde uns hier mehrfach vorgetragen. Sie lehnen wissenschaftliche Auseinandersetzungen zum Geschlecht und zu Geschlechterverhältnissen rigoros ab.

(Zuruf von der AfD)

Das ist so. – Sie diskreditieren sogar Bildungsangebote, die Aufklärung und Antidiskriminierung zum Ziel haben. Sie scheuen selbst davor nicht zurück, gemeinsam mit religiösen Fundamentalisten gegen die Selbstbestimmungsrechte von Frauen mobil zu machen. Das ist die ganze Zeit Ihre Politik, die Sie hier machen. Und dann

kommen Sie her und wollen mit uns über Willkommenskultur reden. Was soll denn das? Das ist ein Witz.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Natürlich gibt es kinder- und familienfeindliche Missstände in unserem Land. Deswegen sage ich ganz deutlich: Willkommenskultur für Kinder heißt für uns GRÜNE deshalb, entschlossen gegen Kinderarmut vorzugehen, zum Beispiel mit der Einführung einer Kindergrundsicherung, die Kindern und Jugendlichen ein Aufwachsen jenseits der Armut ermöglicht. Es muss möglich sein, dass Familien endlich wieder mehr Zeit füreinander haben, zum Beispiel durch Modelle, bei denen partnerschaftlich die Erwerbs- und Familienarbeitszeit aufgeteilt werden kann, und das heißt vor allem Unterstützung und Entlastung Alleinerziehender, bezahlbarer Wohnraum in unseren Städten, kurze Wege für kurze Beine in Stadt und Land. All das ist Willkommenskultur für Kinder, meine Damen und Herren.

Sie täuschen nur vor, unsoziale Regierungspolitik beenden zu wollen. Sie vertuschen mit dieser Debatte, die Sie hier angemeldet haben, wie neoliberal und zutiefst unsozial die AfD ist.

(Widerspruch bei der AfD)

In Wahrheit sind Sie an Armutsbekämpfung doch nicht im Geringsten interessiert.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN – André Barth, AfD: Doch, doch!)

Sie sind gegen soziale Mindeststandards in der EU. Sie sind gegen die Mietpreisbremse.

(André Barth, AfD: Wir wollen sie in Deutschland!)

Das haben Sie doch bewiesen. Sie bekämpfen eine gleichberechtigte Arbeitswelt, in der es um Aufstiegschancen für Frauen geht, wohl wissend, dass besonders alleinerziehende Frauen schwer einen Job auf unserem Arbeitsmarkt finden und trotz Arbeit oft arm sind.

(Carsten Hütter, AfD: Das ist grenzenloser Unsinn, den Sie hier verbreiten!)

Auf die wirklichen Probleme, wie Kinder- und Altersarmut, haben Sie doch gar keine Antwort.

(André Barth, AfD: Aber Sie! Oder was?)

Der Unterschied zwischen Ihrer Willkommenskultur und unserer Willkommenskultur, meine Damen und Herren, kann gegensätzlicher nicht sein. Ihre Willkommenskultur ist ausgrenzend. Uns sind alle Kinder willkommen, egal, in welcher Familienform und egal, welcher Herkunft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN und der SPD)

Viele junge Menschen fragen sich heutzutage, ob es noch zu verantworten ist, Kinder in eine Welt zu setzen, in der das Klima zu kippen droht, in der die Böden und die

Meere vergiftet sind und in der in Europa auch wieder der Nationalismus erstarkt. Wenn Sie wirklich etwas für die nächste Generation in Europa und auf unserem Planeten tun wollen, dann hören Sie endlich auf, die Gesellschaft zu spalten, hören Sie auf, den Klimawandel zu leugnen und hören Sie auf, unser gemeinsames Europa zu leugnen.

(André Barth, AfD: Wir leugnen es nicht! Wir fragen, ob es natürliche Ursachen dafür gibt oder nicht! Besser differenzieren!)

Nehmen Sie bitte im Jahre 2018 zur Kenntnis, dass unsere Töchter oder Enkeltöchter nicht mehr wie ihre Urgroßmütter leben wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Herr Kollege Zschocke sprach für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Jetzt spricht Frau Kollegin Kersten. Bitte, Sie haben das Wort in dieser ersten Rederunde als Letzte der ersten Redereihe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Nun ja, es ist schon etwas sportlich zu behaupten, dass, weil die Geburten in Sachsen im letzten Jahr ein klein wenig zurückgegangen sind, die Regierungspolitik unsozial sei. Überhaupt: Diese eigenartige Rhetorik, alles sei unsozial, nur weil es besser laufen könnte: Das ist sozialdemokratischer „Sprech“.

Aus unserer Sicht ist die Familienpolitik nicht unsozial, sondern schlicht und ergreifend falsch. Das immer größer werdende Potpourri an familienpolitischen Maßnahmen hat sich mittlerweile zu einem Wirrwarr für Familien entwickelt. Auch wenn die von der AfD-Fraktion eben angesprochenen Forderungen familienpolitische Wertschätzung ausdrücken, würden sie am Ende doch zu diesem Wirrwarr beitragen.

Ein Beispiel ist das neue Baukindergeld; eine bürokratische Subvention ohne erkennbaren Sinn. Der durchschnittliche Anteil der Förderung am Immobilienpreis ist deutschlandweit sehr unterschiedlich. Im Kyffhäuserkreis würde er 22,9 % betragen, im Landkreis Starnberg gerade einmal 1,2 %. In vielen Regionen wird diese Subvention kaum Wirkung zeigen. Es profitieren nur jene Regionen, in denen die Immobilienpreise sowieso schon gering sind.

Von daher brauchen wir in der Familienpolitik einen großen Wurf. Die CDU in Sachsen ist dazu nicht gewillt, das haben wir gestern gehört. Dann braucht es eben andere, die Mut haben. Wir fänden es schon gut, wenn das große Rad von Sachsen aus angeschoben würde.

Wir stehen für eine große Steuerreform und für die Einführung eines Familiensplittings.

Ihre Redezeit!

Als erster Schritt würde vielleicht eine deutliche Erhöhung des Kinderfreibetrages Sinn machen. Unsere Devise lautet – der letzte Satz –: Steuerentlastung vor Besteuerung mit anschließender staatlicher Umverteilung!

Vielen Dank.

(Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten – André Barth, AfD: Typisch Neoliberalismus!)

Wir sind am Ende der ersten Rederunde angekommen und eröffnen jetzt die zweite Rederunde. Herr Dr. Weigand hat wiederum das Wort für die einbringende AfD-Fraktion.