BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? – Bitte, Frau Kollegin Meier. Sie ergreifen erneut das Wort für Ihre Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben gerade etwas über strukturelle Maßnahmen gehört, die die Parteien ergreifen können. An der Stelle möchte ich gern noch einmal Dr. Elisabeth Selbert zitieren. Sie sagte: „Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“
Wir sind nicht nur, was die Repräsentanz von Frauen in Parlamenten angeht, aufgefordert zu handeln, sondern auch, was die Repräsentanz im öffentlichen Dienst angeht. Denn hier hat der Staat eine Vorbildfunktion. Deswegen brauchen wir hier in Sachsen endlich ein modernes Gleichstellungsgesetz, das den Anteil von Frauen in Führungspositionen bringt, der notwendig ist. Deswegen fordere ich nicht nur die SPD, sondern insbesondere die CDU auf, hier endlich über ihren Schatten zu springen und dem Verfassungsgebot zu folgen. Wir haben eine Verpflichtung im Grundgesetz, die ich schon erwähnt hatte. Dieser Satz im Grundgesetz wurde 1994 noch einmal erweitert: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Das war die zweite Rederunde. Wir könnten eine dritte Rederunde in dieser ersten Aktuellen Debatte eröffnen. Gibt es dazu bei den einbringenden Fraktionen Redebedarf? – Das sehe ich nicht. Gibt es überhaupt noch Redebedarf aus den Fraktionen heraus? – Das kann ich nicht erkennen. Damit hat die Staatsregierung das Wort. Das Wort ergreift Frau Staatsministerin Köpping.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben wieder einmal gesehen, was das für ein Thema ist und wie stark
das Parlament auf dieses Thema emotional reagiert. Mich persönlich freut das, weil es zeigt, dass wir nach wie vor Aufholbedarf haben.
Otto von Bismarck sagte: „Alles, was Röcke trägt, hat in der Politik nichts verloren: Weiber, Pfaffen, Richter.“ Das ist alles erst hundert Jahre her. Wir haben heute darüber gesprochen, dass vor hundert Jahren das Wahlrecht für Frauen endlich in Kraft getreten ist.
Wo stehen wir heute? Es sind ein paar Zahlen genannt worden. Der Frauenanteil bei den Landtagsmandaten lag 2017 nur bei 32 %. Der Frauenanteil in den Kreistagen und Gemeinderäten in Sachsen liegt bei 21 %. Reichlich ein Viertel der Listenkandidaten für die Landtagswahl in Sachsen – auch darüber haben wir gerade gesprochen – waren Frauen. Nur jeder siebente gewählte Bürgermeister in sächsischen Gemeinden ist 2018 weiblich. Das sind 14 %.
Ich will ein wenig aus meiner Biografie erzählen, weil ich denke, dass Männer das so nicht erzählen können. Ich bin mit circa 30 Jahren Bürgermeisterin geworden. Als ich mich in der Gemeinde Großpösna ab dem Jahr 1994 um Fördermittel gekümmert habe, habe ich sagen hören: „Die kriegt die Mittel ja nur, weil sie einen kurzen Rock trägt.“ Ich habe dann dem Kollegen geantwortet: „Trag‘ doch selber einen.“
Es ist nach wie vor so, dass die Arbeit von Frauen schnell disqualifiziert und diskriminiert wird. Das ist ein Thema, das gerade in der Politik eine Rolle spielt. Wir haben das jüngst bei den Leipziger Nominierungen erlebt, was speziell CDU-Frauen in der Leipziger Region durchaus verärgert hat, und zwar zu Recht. Insofern glaube ich, dass wir über dieses Thema reden müssen.
In Frankreich haben damals die Frauen, die für das Frauenwahlrecht gekämpft haben, sehr harte Strafen bekommen. Sie haben im Gefängnis gesessen. Sie haben Hungerstreiks gemacht. Da ist eine Situation entstanden, die sich jemand, für den das heute alltäglich ist, überhaupt nicht vorstellen kann.
Insofern glaube ich, dass es sehr wichtig ist, dass wir über diese Themen reden, weil wir noch keine paritätisch besetzten Parlamente haben. Das Gleiche trifft für die Verwaltungen zu. Wir wissen, dass 75 % der Beschäftigten in den Verwaltungen weiblich sind. Aber schauen wir uns die Führungsgremien an: Je weiter man nach oben geht, umso mehr nimmt der Anteil der Frauen in Führungsgremien ab. Das wollen wir ändern. Deswegen möchte ich heute ganz klar sagen, dass ein modernes Gleichstellungsgesetz für Sachsen dringend erforderlich ist.
Diejenigen, die mit mir seit Längerem an der Erarbeitung dieses Gleichstellungsgesetzes mitwirken, wissen, dass es gute Dinge sind, die wir in diesem Gleichstellungsgesetz vorgeschlagen haben, dass es Dinge sind, die uns alle voranbringen. Das ist kein Gesetz gegen Männer. Es ist
ein Gesetz für Parität und für Gleichstellung. Das will ich noch einmal hervorheben, weil manch einer, der über diesen Gesetzentwurf spricht, glaubt, dass sich hier irgendetwas gegen jemanden richtet. Nein, es ist ein Gesetz für Gleichberechtigung.
Gleichzeitig glaube ich, dass wir das Vorankommen von Frauen fördern müssen. Deswegen ist es so wichtig, dass, wie Hanka Kliese das erwähnt hat und ich versucht habe an einem kleinen Beispiel zu zeigen, wir als Vorbilder gut vorangehen können und wir Frauen Mut machen.
Wenn man sich Existenzgründungen ansieht, dann wissen wir, dass Frauen gründlicher überlegen, dass sie länger überlegen und manchmal kleinere Schritte gehen. Das Ergebnis ist, das sagen Studien, dass die Unternehmen, die von Frauen geführt werden, länger erfolgreich sind und es bei ihnen weniger Insolvenzen gibt. Das ist doch ein Vorteil.
Ich habe als Kommunalpolitikerin und übrigens auch als Ministerin immer wieder gemerkt, dass Frauen durchaus andere Entscheidungen als Männer treffen. In einer paritätisch besetzten Welt ist es doch gut, wenn Dinge eingebracht werden, die beide Geschlechter betreffen. Insofern will ich mit meiner Rede ein bisschen die Sorgen und Ängste nehmen, falls einer der Männer glaubt, dass wir etwas tun wollen, was andere benachteiligt. Nein, wir fordern Gleichberechtigung. Wir brauchen Teilhabe an Entscheidungsgremien in Führungspositionen.
Mancher hat mir gesagt, dass Frauen in Führungspositionen nicht möglich wären, wenn sie Familie haben. Aber es gibt erste erfolgreiche Experimente, die zeigen, dass Führungspositionen auch doppelt besetzt werden können, übrigens von Männern wie Frauen.
Wir werden uns in Zukunft der Frage stellen müssen – das ist eine positive Entwicklung –, dass eben auch Männer Teilhabe wollen am Familienleben und Ähnlichem, dass sie dafür in Zukunft auch mehr Zeit haben wollen. Das trifft also wieder beide. Deshalb sind solche Entwicklungen nicht negativ und nicht gegen etwas, sondern für etwas. Dafür möchte ich Mut machen.
Ich glaube auch gleichzeitig, dass wir als Vorbilder in die Öffentlichkeit treten können, wenn es um Politik geht. Ich mache es einmal an einem Beispiel sichtbar, was ich als Bürgermeisterin und übrigens auch als Landrätin eingeführt habe. Wir wissen alle, auch hier im Plenum, wie viele Stunden Arbeitszeit wir in der Woche verbringen,
um unserer politischen Arbeit nachzugehen. Ich habe mir Freiräume geschaffen – sowohl als Bürgermeisterin als auch als Landrätin. Manchmal schaffe ich es auch als Ministerin, um einfach für meine Familie da zu sein. Ich habe nämlich auch drei Kinder. Insofern war es in Großpösna Usus, dass man wusste, dass ich freitags nachmittags eben keine Termine festlege. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Männer gern freitags nachmittags Termine vereinbaren, um sich den häuslichen Pflichten ein Stück zu entziehen wie dem Einkaufen oder Ähnlichem.
Insofern glaube ich, dass das eine gute Regelung war, die übrigens lange nachgehalten hat und die zeigt, dass man durchaus Familie und Beruf in Einklang bringen kann. Herr Meyer, so ist es gewesen. Ich kenne ja die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe. Das muss man sich schon auch einmal gefallen lassen.
Das andere ist, dass man wirklich darauf achten muss, wie man miteinander umgehen soll. An dem von mir vorhin berichteten Beispiel als Bürgermeisterin habe ich deutlich gemacht, dass man sehr schnell disqualifiziert wird, wenn man Erfolge hat – disqualifiziert wird auf Äußerlichkeiten, was manche Frauen eben auch abschreckt, weshalb sie einfach sagen, sie wollten sich das nicht antun. Nicht die fachliche Qualifikation, nicht die Eignung, sondern den Umgang miteinander sollten wir als Diskussionskultur auch in diesem Bereich zuoberst auf die Tagesordnung nehmen. Nicht zuletzt brauchen wir das Wissen von Frauen. Frauen, die ihre Familie organisieren, die Beruf und Arbeit, Beruf und Familie schon immer in Einklang bringen, sind einfach gute Organisationstalente. Warum sollen wir das nicht für die Politik nutzen?
Liebe Männer, liebe Partner, lasst uns hier gemeinsam eine gute Zukunft für Sachsen gestalten, lasst uns Mut haben für ein modernes Gleichstellungsgesetz!
Frau Staatsministerin Köpping sprach für die Staatsregierung. Die erste Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen.
Die einbringende Fraktion, vertreten durch Kollegen Stange, der hier schon fiebernd am Pult steht, hat zuerst das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gott sei Dank, so schlimm ist es noch nicht mit dem Fieber.
Meine Damen und Herren! Der französische Präsident Emanuel Macron und gleichlautend auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel haben vor wenigen Tagen die Idee geäußert, dass wir in Europa – gemeint ist EU-Europa – eine gemeinsame europäische Armee brauchen. Ich darf kurz aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 6. November 2018 zitieren: „Der französische Präsident Emanuel Macron hat die Bildung einer eigenen europäischen Armee gefordert.“
„Ohne eine ‚wahre europäische Armee‘ könnten die Europäer nicht verteidigt werden.“ Dies sagte Macron im Interview mit dem Radiosender Europe 1. Mit Blick auf Russland, das an unseren Grenzen steht und das zur Bedrohung werden dürfte, könnten sich die Europäer nicht allein auf die Vereinigten Staaten verlassen. Macron begründete seine Forderung mit der Warnung vor autoritären Mächten, die an den Grenzen Europas aufsteigen und die sich wieder bewaffnen. Europa müsse sich verteidigen mit Blick auf China, Russland und sogar die Vereinigten Staaten von Amerika.
Angela Merkel – das haben Sie ja teilweise gehört und gesehen – hat im Europäischen Parlament gesprochen, und sie wird zitiert in der „Zeit“: „Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages auch eine echte europäische Armee zu schaffen. Die Zeiten, in denen wir uns vorbehaltlos auf andere verlassen konnten, sind vorbei. … Das heißt, dass wir Europäer unser Schicksal stärker in die Hand nehmen sollen, wenn wir als Europäische Gemeinschaft überleben wollen“, sagte sie weiter.
Meine Damen und Herren! An dieser Stelle möchte ich eine Stelle unserer Sächsischen Verfassung zitieren, die wir selten in Bezug nehmen. Wir haben uns oft über die informationelle Selbstbestimmung gestritten. Sehr oft nehmen wir, wenn wir das Polizeigesetz diskutieren, die Fragen des Artikels 83 Abs. 3 in Bezug. Aber die Präambel hat etwas Grundlegendes für uns definiert. Dort steht auszugsweise: „Anknüpfend an die Geschichte der Mark Meißen, des sächsischen Staates und des niederschlesischen Gebietes … von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen, hat sich das Volk im Freistaat Sachsen … diese Verfassung gegeben.“
Wir sollten uns viel öfter dieser Präambel vergewissern, um uns in unserer Politikgestaltung für Sachsen, für Deutschland und für Europa leiten zu lassen. Meine Damen und Herren, wenn man es so denkt, muss man sich immer fragen: Sind die politischen Maßnahmen, die geäußerten Vorschläge und Ideen geeignet, diese Grundsätze zu erfüllen?
Es gibt zwar Unterschiede in den Vorstellungen, wie diese europäische Armee gestaltet werden soll, aber offenbar ist eines allen gemein: Diese europäische Armee soll nicht etwa an die Stelle der bisherigen nationalen Streitkräfte treten, sondern on the top, offenbar obendrauf, als zusätzliche europäische Streitmacht.
Meine Damen und Herren! Es mag viele Beweggründe geben, eine solche Armee zu gestalten. Allerdings darf sie nicht als zusätzliche europäische Streitmacht gestaltet werden, sondern nur dann, wenn die anderen Armeen in ihr aufgehen und damit ihre Eigenständigkeit verlieren. Wir leben im Herzen Europas, und die europäischen Beziehungen sind nicht denkbar –