Um mehr Pflegepersonal zu erhalten, brauchen wir entschiedenes und schnelles Handeln. Dazu gehört erstens die Stärkung der Angehörigen. Wir sehen es dringend geboten, dass Familienarbeit, zu der Angehörigenpflege zählt, den gleichen Stellenwert erhält wie eine Berufstätigkeit. Um diese Familienarbeit angemessen zu unterstützen, braucht es eine Entgeltersatzleistung, die eine Reduzierung der Berufstätigkeit kompensieren kann. Das bisher gezahlte Pflegegeld reicht hier leider derzeit nicht aus. Es geht bereits zu großen Teilen für den Einkauf notwendiger Unterstützungsangebote und Pflegehilfsmittel drauf. Die Initiative der AfD-Fraktion vom Dezember 2018 wird Ihnen sicherlich noch bekannt sein.
Wir forderten ein sächsisches Landespflegefördergeld als monatliche Zuwendung von bis zu 300 Euro für pflegende Angehörige als erste Maßnahme.
Sie hatten die Chance, den Druck auf den Bund mit unserem Antrag von 2018 zu erhöhen. Doch durch Ihre ideologisch motivierte Ablehnung haben Sie diese vertan.
Zweitens. Die Verbesserung der Berufs- und Arbeitsbedingungen in der Pflege. Wer unter hohen Belastungen und mit wenig gesellschaftlicher Anerkennung arbeiten muss, wird das logischerweise nicht sehr lange ertragen.
Die ständige Arbeitsbelastung führt zu Krankheit, Fehlzeit und Erschöpfung und langfristig zum Berufsausstieg oder einer Teilzeitbeschäftigung. Die durchschnittliche Verweildauer im Altenpflegeberuf liegt je nach Studie zwischen acht und 19 Jahren. Auch wenn die Angaben stark schwanken: Lange arbeiten die wenigsten in der Pflege. Wir brauchen in Sachsen nicht nur ein Lohnniveau, das die ausgebildeten Pflegekräfte im Freistaat hält. Wir müssen auch die Belastung senken und die Attraktivität des Pflegeberufs steigern. Der Ansatzpunkt der AfDFraktion hierfür ist die Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Dies würde die Entwicklung der vermehrten Teilzeittätigkeit aus Gründen der Belastungen anerkennen und ein Signal an Interessierte setzen, die einen Pflegeberuf ergreifen sollen. Dass die 35-Stunden-Woche möglich ist, zeigen die IG-Metall-Tarife seit fast 25 Jahren.
Drittens. Die Verringerung der finanziellen Last von Pflegebedürftigen. Die Pflegeversicherung funktioniert nach einem Teilleistungsprinzip. Bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit wird ein bestimmter Betrag an den Pflegebedürftigen ausgezahlt oder dieser erwirbt einen Sachleistungsanspruch in einer bestimmten Höhe bei einem professionellen Pflegedienstleister. Einfach gesprochen: Der Leistungsbetrag ist gedeckelt. Braucht man mehr Leistung, als das Budget hergibt, ist das aus eigener Tasche zu finanzieren. Die Problematik betrifft sowohl den stationären als auch den ambulanten Bereich. Derzeit gehen durch die gedeckelten Leistungen beispielsweise Lohnerhöhungen für Pflegekräfte zulasten der Pflegebedürftigen. Das sehen wir kritisch. Wir möchten die Sachleistungsbeträge der Pflegeversicherung an die Preisentwicklung der Pflegeleistung anpassen. Zudem muss die Pflegeversicherung als einzige Sozialversicherung bisher ohne regulären Bundeszuschuss auskommen. Auch das kann man ändern.
Was wir auf der Landesebene in Blick nehmen sollten, ist die Förderung der Investitionskosten unserer sächsischen Pflegeheime. Das liegt nach § 9 SGB XI in Landesverantwortung. Sachsen ist eines von vier Bundesländern, die diese Förderung nicht vornehmen. Die Investitionskosten der stationären Pflegeeinrichtungen betragen in Sachsen etwa 11 Euro am Tag. Sie stellen ein hohes Entlastungspotenzial dar, das wir nutzen sollten.
Diese Themen finden sich alle im Bericht der EnqueteKommission wieder. Die dazugehörigen Handlungsempfehlungen sind aus Sicht der AfD-Fraktion jedoch stellenweise viel zu vage formuliert. Es bleibt also viel zu tun. Wir werden auch in Zukunft durch konstruktive Initiativen unsere Möglichkeit nutzen, bei der Umsetzung der Empfehlungen des Berichts behilflich zu sein. Darauf können Sie sich verlassen. Dass man unseren Ideen durchaus zustimmen kann, haben Sie in der EnqueteKommission bereits unter Beweis gestellt, indem auf unsere Initiative hin beispielsweise das Kapitel zum Thema „Junge Pflegende“ inklusive unseres Formulierungsvorschlages aufgenommen wurde. Vielen Dank an alle Mitglieder der Enquete-Kommission und die Sachverständigen für die konstruktive Zusammenarbeit auch mit der AfD-Fraktion.
Alle Leser des Berichts sollten sich unbedingt auch die Minderheitsvoten der AfD-Fraktion intensiv durchlesen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Einsetzung der EnqueteKommission sind drei Jahre vergangen. Während wir Sachverständige gehört und Handlungsvorschläge diskutiert haben, hat sich die Pflegesituation weiter zugespitzt. Das zeigt bereits ein Blick auf die Zahlen: Hatten wir 2015 knapp 167 000 Pflegebedürftige in Sachsen, so zeigen die aktuellen Zahlen einen Anstieg auf weit über 200 000. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt weiter, während die Zahl der Erwerbstätigen sinkt. Ich sage ganz deutlich: Die Zeit für Anhörungen und Berichte muss nun vorbei sein. Jetzt müssen Bund, Länder und Kommunen schnellstens in die Gänge kommen. 2 Millionen Euro im sächsischen Landeshaushalt für die Umsetzung von Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission sind angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Herausforderungen wachsen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ich möchte auf drei dringende Herausforderungen eingehen. Erstens. Wir müssen uns eigentlich vor den vielen alten Menschen schämen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, die sich um ihre Kinder gekümmert haben, später vielleicht auch noch um die Enkel, die ihr Leben lang sparsam gelebt haben und die trotzdem ihre gesamte Rente ausgeben müssen, um den steigenden Eigenanteil an den Heimplatzkosten bezahlen zu können. Es ist beschämend, dass einige von diesen alten Menschen im Alter sogar zum Sozialfall werden, weil die Rente nicht reicht, diesen Eigenanteil zu finanzieren.
Der von den Pflegebedürftigen oder ihren Angehörigen zu tragende Anteil hat sich von 1999 bis 2015 mehr als
verdoppelt. Wenn wir hier nicht gegensteuern, wird das immer weiter ansteigen. Was ist denn das für eine Sozialversicherung, die ihre Versicherten nicht vor dem Abrutschen in die Sozialhilfe schützt?
Wir haben viele gute Handlungsempfehlungen in unseren Bericht geschrieben – für die Qualitätssteigerung in der Pflege, für besser bezahlte Pflegekräfte, für mehr Zeit in der Pflege. Alle daraus resultierenden Kostensteigerungen müssen die Pflegebedürftigen bei Beibehaltung der bisherigen Systematik dann faktisch allein finanzieren. Die Pflegeversicherung übernimmt nur einen fixen Betrag, der nur selten und nie ausreichend erhöht wird.
Deswegen brauchen wir ganz dringend eine grundlegende Neuausrichtung in der Pflegefinanzierung. Der Eigenanteil muss gedeckelt werden, damit die finanzielle Belastung für die Betroffenen kalkulierbar wird. Des weiteren muss natürlich dringend mehr Geld in das System durch Einbeziehung aller Einkünfte in eine solidarische Pflegebürgerversicherung – auch die der Verbeamteten, der Abgeordneten und der Selbstständigen. Alle Einkunftsarten, auch Vermögenseinkommen, Gewinne, Mieteinkünfte, müssen in diese Finanzierung einbezogen werden.
Meine Damen und Herren, das Geld muss dann aber auch im System bleiben. Es darf nicht abfließen an internationale Finanzspekulanten oder Hedgefonds. Pflege darf kein lukrativer Markt für Aktionäre werden.
Herr Zschocke, vielen Dank. Ich bin privatversichert. Sie hatten eben in Ihrem Vortrag deutlich gemacht, dass die auch mitzahlen müssen. Ist Ihnen bekannt, dass wir auch für die Pflegeversicherung bezahlen?
Natürlich gibt es unterschiedliche Finanzierungssysteme. Fakt ist aber eins: Wir müssen dafür sorgen, dass wir insgesamt zu einem höheren und gerechteren Ausgleich der Kosten kommen.
Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass Pflege auch kein lukrativer Markt für Aktionäre werden darf. Wenn private Kapitalanleger hohe Gewinne aus einem Bereich erzielen wollen, in dem der überwiegende Teil aus der Pflegeversicherung oder Sozialhilfe kommt, dann muss der Staat einen Riegel vorschieben.
Zweitens. Mein kommunalpolitisches Engagement geht in die Zeit zurück, in der es noch die kommunalen Altenhilfepläne als kommunales Steuerungsinstrument gab, um Investitionen gezielt zu lenken. Mit der Pflegeversicherung entstand dann ein freier Markt mit einigen positiven, aber eben auch vielen negativen Folgen. Deswegen sagen wir ganz deutlich: Die Kommunen müssen wieder mehr Planungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, zum
Beispiel durch ein Landespflegegesetz. Sie brauchen eine integrierte Förderstrategie, um die Stadtteile, um die Ortskerne sozial und generationsgerecht entwickeln, um den Tendenzen sozialer Entmischung entgegenwirken, um die Verdrängung Einkommensschwacher aus bestimmten Quartieren zu verhindern.
Barrierefreier bezahlbarer Wohnraum ist genauso wichtig wie die Förderung innovativer Wohnformen für ältere Menschen als Alternative zu Pflegeheimen. Die Kommunen brauchen in den Quartieren Personal für Beratung, Case-Management und Quartiersentwicklung, sie brauchen Menschen in Gemeinwesenzentren, die die Brücken bauen helfen zwischen den Generationen, zwischen den Nachbarschaften im Stadtteil, die die Ressourcen der gegenseitigen Unterstützung im Sozialrahmen erschließen. Wir sind auf diese Ressourcen dringend angewiesen, denn nicht alle im Alter eintretenden Bedarfe können über professionelle Angebote befriedigt werden.
Steigt das Alter, sinkt für viele die Mobilität. Der Aktionsradius wird immer kleiner. In einem gut funktionierenden Quartier muss dieses aber nicht zwingend zu sozialer Isolation und Vereinsamung oder zur Verschlimmerung der Situation führen. Fußläufig erreichbare Einkaufsmöglichkeiten, ÖPNV, Ärztinnen und Ärzte, ein Mix aus Pflege- und Unterstützungsangeboten und Mobilitätsdienstleistungen vor Ort – das ist ein Mehrwert für alle Menschen im Quartier. Was gut ist für Seniorinnen und Senioren ist auch für Familien mit kleinen Kindern gut: kurze Wege, Barrierearmut und eine gute Versorgungsinfrastruktur.
Wir brauchen ein Landesprogramm zur Förderung generationsgerechter barrierefreier Quartiere in Sachsen. Diese Aufgabe einer integrierten zukunftsfähigen Entwicklung muss jetzt ressortübergreifend dringend strategisch begonnen werden.
Drittens. Viele Menschen haben Vorbehalte gegenüber der wachsenden Vielfalt in unserer Gesellschaft. Vielleicht gibt es auch hier im Saal Abgeordnete, die von Schulen, Stadtteilen oder Pflegeeinrichtungen fantasieren, in denen heterosexuelle, christliche Biodeutsche unter sich bleiben. Allein diese Fantasie geht an der Realität der gesellschaftlichen Entwicklung komplett vorbei.
Auch Sachsen wird internationaler. Die Gesellschaft wird vielfältiger, und das wird auch die Pflege tiefgreifend verändern.
(André Barth, AfD: Vielleicht in zwei bis drei Jahrzehnten, Herr Zschocke, aber nicht im nächsten Jahrzehnt!)
Internationale Belegschaften, unterschiedliche kulturelle und religiöse Prägungen und Gewohnheiten, verschiedene sexuelle Identitäten der zu Pflegenden – die wachsende Vielfalt ist keineswegs ein zu vernachlässigendes Randthema. Sie ist mit großen Unsicherheiten, mit Verständigungs- und Akzeptanzproblemen auf allen Seiten
verbunden. Bei der Pflege spielen die Lebensgeschichte eines Menschen, seine Prägung und seine Identität eine sehr große Rolle. Wird individuelle Lebensgeschichte besser eingebunden, kann die Pflegediagnostik wesentlich verbessert werden. Das Personal braucht daher dringend mehr Zeit für Biografiearbeit, damit sich Pflege stärker an der individuellen Lebensgeschichte der zu Pflegenden ausrichten kann.
Kultur- und diversitätssensible Aspekte brauchen mehr Raum in der Aus- und Weiterbildung. Gerade die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung bietet eine gute Chance, die Lehrpläne entsprechend anzupassen und die Pflege auch in diesem Bereich zukunftsfest zu machen. Die Lebenspartner müssen als An- und Zugehörige angemessen in die Pflege einbezogen werden, denn sie sind oft viel mehr als gute Freundinnen oder Freunde. Pflegeeinrichtungen müssen für alle als diskriminierungsfreie Orte gestaltet werden. Pflegende und Personal müssen darin auch in Zukunft wirksam vor Diskriminierung geschützt sein.
Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Uhr möchte ich zum Schluss kommen und mich für die Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission bedanken, insbesondere bei den Sachverständigen für die aufschlussreichen und zum Teil auch aufrüttelnden Vorträge und Daten, die uns präsentiert wurden, und vor allem bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die große Menge an Informationen zu filtern und zu gliedern hatten und dann immer noch ein offenes Ohr für Anregungen und Vorschläge.
Bei der Einsetzung der Enquete-Kommission vor drei Jahren war ich skeptisch. Meine Befürchtung war, dass wir viel Zeit verlieren und es in dieser Legislatur nicht mehr zur Umsetzung der Empfehlungen kommt. Jetzt ist die Legislatur fast vorbei. Deshalb appelliere ich an Staatsregierung und Koalition, umgehend mit der Umsetzung der Handlungsempfehlungen zu beginnen, weil es sonst für diese Legislatur am Ende drei verlorene Jahre waren. Ich hoffe, dass es – auch mit Blick auf die Diskussion zu den Entschließungsanträgen – nicht so sein wird.
Mit Herrn Kollegen Zschocke sind wir am Ende unserer Runde angekommen. Gibt es aus den Fraktionen weiteren Redebedarf? – Das kann ich nicht erkennen. Jetzt kommt die Staatsregierung zu Wort. Bitte, Frau Staatsministerin Klepsch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sehr gern nehme ich aus Sicht der Staatsregierung Stellung zum vorgelegten Bericht der Enquete-Kommission. Auch ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen und mich bedanken, bedanken bei dem Vorsitzenden, bedanken bei den Mitgliedern der Enquete-Kommission und bei den