Protokoll der Sitzung vom 13.03.2019

Es gibt zwischen den Parteien CDU und SPD – wir müssen uns keine Illusionen machen – natürlich große Unterschiede. Das wird von dem einen oder anderen immer negiert. Dann wird von „Systemparteien“ oder von „der Koalition“ gesprochen. Nein, es gibt sehr große Unterschiede zwischen SPD und CDU.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: „Die Koalition“ gibt es nicht!)

Diese sind auch an dieser Stelle offenbar geworden. Ja, Ronald Pohle und ich haben sehr lang und konstruktiv miteinander diskutiert und am Ende festgestellt, dass es an dieser Stelle kein Zusammenkommen gibt.

Eines sage ich noch einmal ganz klar: Im Bereich der Tariflöhne, im Bereich des Vergabegesetzes machen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten keine falschen Kompromisse. Wir machen keine Formenkompromisse, sondern wir wollen hier einen ordentlichen Schritt nach vorn machen, der die Situation der Menschen ganz praktisch und wirklich verbessert und nicht nur auf dem Papier.

Deshalb kann ich Ihnen an dieser Stelle nur sagen, was die SPD-Position ist: Wir wollen ein neues Vergaberecht in Sachsen, denn schlank ist nicht immer gut. Der erste und wichtigste Schwerpunkt eines solchen Vergaberechts muss sein, dass wir die Unternehmen, die nach Tarif bezahlen, bei der öffentlichen Vergabe von Aufträgen bevorzugen müssen. Wir stärken damit die Unternehmen und die Betriebe, die ihren Beschäftigten anständige Arbeitsbedingungen bieten, und wir beseitigen den Wettbewerbsvorteil für die schwarzen Schafe.

Im Übrigen freue ich mich, dass sich diese Einsicht zunehmend auch auf Bundes- und auf europäischer Ebene durchsetzt. Auch das ist ein Erfolg von sozialdemokratischer Politik auf Bundes- und auf europäischer Ebene. Ich bin der Meinung, dass es diesem Land gut zu Gesicht stünde – dazu komme ich dann noch an zwei Beispielen –, wenn Sie diesem Weg auch in Sachsen folgen würden.

Das Zweite ist, wir alle wissen, dass in Sachsen die Tarifbindung nicht da ist, wo sie eigentlich hin muss. Wir haben in Sachsen im bundesweiten Durchschnitt eine sehr

niedrige Tarifbindung. Deshalb ist es wichtig, dass wir als unterste Grenze auch im Bereich des Vergaberechts über einen Vergabemindestlohn nachdenken. Dafür gibt es unterschiedliche Modelle. Sie schlagen vor: E1, Stufe 2 – andere sagen: Wir legen das gleich auf 12 Euro fest. Ich finde, eine solche Debatte müssen wir da führen, wo es keine tariflich gebundenen Unternehmen in einem Teilbereich gibt.

Das Dritte ist: Ich finde es richtig, dass wir uns nicht nur damit beschäftigen, was ein Produkt kostet, sondern was es unter unterschiedlichen Aspekten im Laufe seines Einsatzes kostet. Zum Beispiel sollten ökologische Kriterien bei der Vergabe aufgenommen werden. Man kann es auch als Lebenszykluskosten beschreiben, sich Gedanken darüber zu machen, was die Beschaffung der Rohstoffe kostet und welche Aspekte der Herstellung und Nutzung bis zur Entsorgung eines Produktes auch bei der öffentlichen Vergabe einfließen sollten.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! An dieser Stelle will ich es noch einmal sagen: Wir lehnen diesen Gesetzentwurf der LINKEN nicht nur ab, weil wir in einer Koalition sind und an dieser Stelle unterschiedliche Meinungen vertreten, sondern ich sage Ihnen auch ganz ehrlich. Es gibt in Ihrem Gesetzwurf unterschiedliche Aspekte, die schlichtweg nicht funktionieren und die eine Ablehnung dringend notwendig machen.

Das Erste ist: Ich halte Ihren Entwurf, der in seinem guten Teil unserem gemeinsamen Entwurf aus der letzten Legislaturperiode entspricht, in anderen Teilen aber andere und neue Wege beschreitet, gerade für die kleineren Kommunen für nicht handhabbar. Dabei denke ich an kleine Kommunen mit 5 000, 6 000, 7 000 Einwohnern, wo vielleicht eine halbe Personalstelle für öffentliche Vergabe zuständig ist. An dieser Stelle überfordern Sie die Kolleginnen und Kollegen in den Kommunen, und deshalb halte ich Ihren Gesetzwurf nicht für zustimmungsfähig.

Das Zweite ist: Sie widersprechen sich in Ihrem Gesetzentwurf. Sie schreiben auf der einen Seite, Sie wollen ab 2020 ausschließlich mit elektronischen Mitteln Auftragsvergabeverfahren durchführen, und zu einem späteren Zeitpunkt sprechen Sie bei den Kommunen von einer Kannbestimmung. Das ist eine sich widersprechende Formulierung, die diesen Gesetzentwurf aus meiner Sicht nicht zustimmungsfähig macht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abschließend denke ich, dass wir früher oder später zu einem neuen, moderneren Vergabegesetz kommen werden und kommen müssen. Erstens. Fachkräfte bindet man nicht mit niedrigen Löhnen, und die Fachkräftefrage ist eine der absolut entscheidenden für die Zukunft dieses Landes. Zweitens. Sachsen ist ein Industriestandort, gerade und auch bei der Herstellung von Mobilitätssystemen. Wenn ich möchte, dass zum Beispiel die Verkehrsverbünde in Sachsen ihre Züge auch bei Bombardier bestellen können, dann darf ich sie nicht dazu zwingen, die niedrigsten Angebote zu nehmen, denn Bombardier zahlt Tarif. Das ist eine gute Sache, aber

leider kommen solche Unternehmen in Sachsen so selten zum Zuge, weil dieses Vergabegesetz nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist.

Wir als SPD werden weiter an diesem Thema arbeiten. Wir werden den Kompromiss suchen zwischen den Praktikern, die es tun müssen, und den Kommunen, und auf der anderen Seite werden wir natürlich die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fest im Blick haben. Das ist der Kompromiss, den wir finden müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Meine Damen und Herren! Für die AfD-Fraktion spricht nun Frau Grimm. Sie haben das Wort, Frau Grimm.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Tischendorf, wenn DIE LINKE wirklich ein schlankes und modernes Vergabegesetz vorgelegt hätte, wäre das okay gewesen, aber dieser Entwurf der Fraktion DIE LINKE muss zu Recht auf breiter Front abgelehnt werden. Natürlich kann in diesem Vorschlag nicht die Zukunft des Vergaberechts für den Freistaat Sachsen gesehen werden.

Warum ist das so? Was DIE LINKE nicht gesehen hat: Jede Wirtschaftspolitik für Sachsen, auch im Vergaberecht, muss in erster Linie Mittelstandspolitik sein. Schon in Deutschland als Ganzem sind die kleinen und mittleren Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft. In Sachsen gilt das umso mehr. Wir haben kaum Großbetriebe. Die Arbeitsplätze in unserem Land hängen am Mittelstand. Dann sollte man im Freistaat Sachsen auch Gesetze machen, die die eigenen Betriebe nicht benachteiligen. Das bisherige Vergaberecht trägt dem in seiner Konzentration im Wesentlichen Rechnung. DIE LINKE will das Vergaberecht auf alle möglichen politischen Ziele in Dienst nehmen. Die Bürokratisierung durch DIE LINKE kommt schon darin zum Ausdruck, dass DIE LINKE die Anzahl der Paragrafen von 11 auf 23 mehr als verdoppeln will. Außerdem will sie drei Verordnungsermächtigungen schaffen. Damit ist die in Wahrheit angestrebte wunderbare Vorschriftenvermehrung bei Betrachtung des Gesetzes selbst noch gar nicht absehbar.

DIE LINKE will außerdem eine neue Kontrollbehörde schaffen, die zu überprüfen hätte, ob die vom Auftragnehmer verwendeten Vorprodukte unter Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnorm zustande gekommen sind. Unsere Unternehmen werden schon genug kontrolliert und sind mit Bürokratie- und Aufzeichnungspflichten mehr als ausgelastet. Das kann unter den heutigen Bedingungen internationaler Wertschöpfungsketten weder der Auftragnehmer selbst absichern und dokumentieren, noch kann es die sächsische Landesbehörde ernsthaft überprüfen wollen.

Was bleibt, ist eine gerade für die mittelständische Wirtschaft völlig unzumutbare Ausweitung der Bürokratie.

Schon heute bewerben sich deswegen kaum noch Unternehmen um öffentliche Aufträge, auch weil die Zahlungsmoral bei öffentlichen Aufträgen meist noch schlechter ist, als wenn sich die Unternehmen andere Aufträge suchen.

Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab, weil wir wollen, dass die kleinen sächsischen Unternehmen zu fairen und zumutbaren Bedingungen an öffentlichen Ausschreibungen in ihrem eigenen Land teilnehmen können und eine realistische Chance bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Henning Homann, SPD, steht am Mikrofon.)

Meine Damen und Herren! Und nun Herr Abg. Dr. Lippold für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Doch zuvor eine Wortmeldung von Herrn Homann. Bitte.

Vielen Dank. Ich möchte eine Kurzintervention auf den Redebeitrag von Frau Grimm halten.

Bitte sehr.

Ich möchte feststellen, dass ich in Ihrem Redebeitrag ausschließlich eine Position aus der Perspektive der Wirtschaft gehört habe. Die Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hat keinerlei Rolle gespielt. Das bringt mich zu dem Schluss, dass die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere die Frage von Arbeitsbedingungen und von Löhnen, die AfD-Fraktion nicht interessiert. Das steht im krassen Gegensatz zu dem, was die AfD sonst immer behauptet, nämlich, die Partei der kleinen Leute zu sein. Das stimmt an dieser Stelle nicht. Sie macht damit klar, dass sie einseitig Lobbyinteressen der Wirtschaft verfolgt. Das ist in Ihrem Redebeitrag klargeworden.

(Beifall bei der SPD)

Frau Grimm, Sie möchten erwidern?

Bitte sehr.

Herr Homann, die Arbeitgeber sind erst einmal diejenigen, die diese Ausschreibungen bewältigen müssen, die dann die Aufträge bekommen und damit auch ihre Arbeitnehmer bezahlen können.

(Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Es sollte schon möglich sein, dass jeder mittelständische Betrieb an solchen Ausschreibungen teilnehmen kann, ohne fünf Leute einstellen zu müssen. Sie haben es wieder nur von der Seite der Kommune betrachtet. Wenn dort mehr Aufwand entsteht, das ist dann nicht mehr zumutbar.

(Zurufe von den LINKEN)

Aber wenn die Unternehmen ständig mehr Bürokratie bewältigen müssen, das ist dann in Ordnung. Sie sehen immer nur die großen Unternehmen, und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Es geht hier in der Aussprache weiter. Herr Abg. Dr. Lippold für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass eine Novellierung des Sächsischen Vergaberechts erfolgen muss, ist doch eigentlich unstrittig.

(Heiterkeit des Abg. Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU)

Sie ist schon deshalb erforderlich, weil sich der Rahmen auf europäischer und Bundesebene seit der letzten sächsischen Novelle maßgeblich geändert hat. Deshalb hatte ich gehofft, dass wir uns hier im Zuge der Diskussion über das Vergaberecht auf die Ebene einer inhaltlichen Debatte begeben würden. Die Fragen, die man diskutieren kann und muss, sind: Wie weit geht man bei der Novellierung und Modernisierung in den einzelnen Punkten? Stattdessen geht es wieder einmal darum, ob man sich überhaupt bewegt. Das ist leider mittlerweile auch in den anderen Bereichen für den Freistaat Sachsen typisch: Man lässt sich unter hinhaltendem Widerstand fünf vor zwölf oder auch fünf nach zwölf zu den allernötigsten Trippelschrittchen zwingen oder gar aus der politischen Sitzblockade schleppen, anstatt selbstbestimmt entschlossene Modernisierungsschritte zu gehen, die dann auch eine Weile tragen.

Jede und jeder von uns macht es doch im persönlichen Bereich längst genauso. Wir schauen bei der Beauftragung von Dienstleistungen und beim Kauf von Gütern durchaus auf eine ganze Reihe von Kriterien neben dem Preis: die Zuverlässigkeit des Anbieters, die Langlebigkeit, Lebenszykluskosten, Entsorgungsaufwand, Energieverbrauch; an all das denkt jeder von uns selbstverständlich bei größeren Anschaffungen. Genau dieses Mitdenken hat auch dazu geführt, dass die Anbieter auf diese Kriterien achten, dass sie ihre Produkte und Dienstleistungen dahin gehend weiterentwickeln, dass sie Interesse an Gütesiegelsystemen haben, um ihre Vorteile klar und transparent darstellen zu können. Die Lebenswirklichkeit zeigt also: Es funktioniert auf diese Weise, meine Damen und Herren.

Eine evidenzbasierte Politik sollte das doch zur Kenntnis nehmen und überall mit solchen hybriden Marktmechanismen arbeiten, die eine Selbststeuerung erlauben, statt anschließend mit Ordnungsrecht Fehlentwicklungen

eindämmen zu müssen. Der Gegenentwurf heißt zwar einerseits freies Spiel der Kräfte auf Basis günstigster Angebote, andererseits aber ein Wust an Vorgaben, Regulierungen und Einschränkungen für die einzelnen

Produkte und Dienstleistungen zur Verhinderung zerstörerischer Fehlentwicklungen und Auswirkungen auf Gemeinwohlinteressen.

Fakt ist: Als Gesellschaft können wir es uns nicht weiter leisten, gegenüber einer volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung der Preiswahrheit weitgehend blind zu bleiben, einfach deshalb, weil es uns selbst und unsere Kinder am Ende viel zu teuer kommt. Wer zwecks Vereinfachung von Leistungsbeschreibungen und Vergabeverfahren

lieber hinterher mit ganzen Vorschriftenbergen nachsteuert, der schafft in der Summe keine Entbürokratisierung, keine Verschlankung, der verlagert den Aufwand nur an eine andere Stelle. Das gehört zur Ehrlichkeit der Diskussion auch dazu. Deshalb, meine Damen und Herren, ist auch der Einwand des höheren Aufwandes und der höheren Kosten im Bereich der öffentlichen Verwaltung kein wirklich gewichtiges Argument gegen die vorgeschlagene Novellierung des Vergaberechts, weil es in der volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung, die die Folgekosten heutigen Handelns mitberücksichtigt, keine Mehrbelastung bedeutet – im Gegenteil. Das ist es, was verantwortungsvolle Politik im Auge haben muss.

Wir werden dem Gesetzentwurf der LINKEN zustimmen, auch wenn wir einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Er bringt das sächsische Vergaberecht mit etwas anderen Schwerpunkten voran als unser Entwurf, aber er bringt es voran. Das ist es, was hier zählt.