Protokoll der Sitzung vom 14.03.2019

Herr Bartl, es tut mir leid, es war nicht zu erkennen, dass Sie fragen wollten.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abg. Zschocke. Sie haben das Wort, Herr Zschocke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antragstellerin will den Angehörigen der DDR-Volkspolizei zu weiteren Rentenansprüchen verhelfen, die ihnen nach Auffassung der Antragstellerin zustehen.

Die Auffassung kann man teilen. Aber – das ist ausgeführt worden – vor den Landessozialgerichten sind derzeit noch mehrere Verfahren offen, bei denen über zusätzliche Rentenansprüche entschieden werden soll. Der Antrag ignoriert diese Verfahren und greift in diese insofern ein, dass der Landtag nun per Beschluss eine Rechtsauffassung vorgeben soll. Die staatlichen Behörden sollen angewiesen werden, rechtskräftige Bescheide von Amts wegen rückwirkend zu ändern. Ob dies am Ende zu mehr Rechtssicherheit für die Betroffenen führt, kann man bezweifeln.

Zur Änderung der Bescheide bzw. zum Neuerlass muss die Verwaltung zuallererst durch rechtskräftige Gerichtsurteile veranlasst werden.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: In Thüringen haben sie es auch gemacht!)

Da sollten wir uns als Landtag schlichtweg nicht einmischen.

Insofern ist die Argumentation der Staatsregierung in der Stellungnahme zum Antrag durchaus nachvollziehbar. Solange keine gerichtliche Entscheidung getroffen ist, wird die Staatsregierung so handeln, wie sie handelt.

Das im Antrag zitierte Urteil vom Bundessozialgericht spielt hier – das hat Herr Modschiedler ausgeführt – insofern keine Rolle, dass es sich eben nicht mit dem Bekleidungs- und Verpflegungsgeld auseinandergesetzt hat, sondern mit dem Thema Jahresendprämien im damaligen DDR-Versorgungsrecht.

Es ist nicht verboten, Klientelpolitik für einzelne Gruppen zu betreiben. Das Trügerische am Antrag ist allerdings, dass er den Eindruck erweckt, man könne eine juristische Frage politisch lösen.

Wir sind der Auffassung, die Betroffenen brauchen keine Bekenntnisse des Landtages, sondern Rechtssicherheit. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde in der Aussprache. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Gemkow.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Herr Kollege Prof. Wöller hat mich auch in dieser Debatte gebeten, seinen Redebeitrag zu übernehmen, und ich werde ihn hier vortragen.

Das Thema ist zweifellos ein wichtiges. Richtig ist: In der DDR erhielten Volkspolizisten, die nicht an der Vollverpflegung teilgenommen haben, ein Verpflegungs- und Bekleidungsgeld. Diese Polizisten gehören zu einem Sonderversorgungssystem und unterfallen damit dem Anwartschaftsüberführungsgesetz AaÜG.

An dieser Stelle geht es nun um die strittige Frage, ob das erhaltene Verpflegungs- und Bekleidungsgeld als Arbeitsentgelt im Sinne des AaÜG und damit rentenrechtlich anerkannt werden kann oder nicht. Klar ist in jedem Fall, einfach ist es nicht; denn auch wenn das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde des Freistaates Sachsen in zwei Fällen verworfen hat, sind noch einige Verfahren vor dem Sächsischen Landessozialgericht auch bei einem anderen Senat anhängig.

Von einer gefestigten Rechtsprechung kann deswegen bislang keine Rede sein, zumal das Bundessozialgericht als oberstes Gericht in der Sache noch nicht entschieden hat. Offen ist nämlich nach wie vor die Kernfrage, ob das

Verpflegungsgeld nicht doch eine sozialpolitisch und fürsorglich motivierte Zahlung war, die unter anderem die Einsatzbereitschaft der Dienstkräfte durch eine bessere Verpflegung erhöhen sollte. In diesem Fall wäre das Verpflegungsgeld kein Arbeitsentgelt.

Meine Damen und Herren! Die Sächsische Staatsregierung hat sich deshalb mehrfach klar positioniert. Eine grundsätzliche Anerkennung von Verpflegungs- und Bekleidungsgeld der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei der DDR als Arbeitsentgelt ist derzeit nicht beabsichtigt.

Das heißt nicht, dass wir die ausstehenden landes- und bundesgerichtlichen Entscheidungen nicht genau verfolgen würden. Wir gehen davon aus, dass wir dann die nötige und allgemeingültige Rechtsklarheit und Rechtssicherheit haben, um entsprechend zu handeln. Das verlangen allein die im Raum stehenden Dimensionen im Falle einer für uns ablehnenden Entscheidung.

Das Innenministerium ist sich dieser Problematik jedenfalls bewusst und ist auch bereit, sich im Falle einer einheitlichen Rechtsprechung zur Anerkennung für umgehende Lösungen einzusetzen. Ich kann Ihnen daher versichern: Die Staatsregierung ist für alle Fälle gerüstet. Schnellschüsse wird es aber nicht geben, denn nachhaltiges Handeln braucht immer einen sicheren und allgemeingültigen rechtlichen Rahmen.

Aus diesen Gründen empfiehlt die Sächsische Staatsregierung, den vorliegenden Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Das Schlusswort hat Herr Bartl.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Herr Präsident, ich würde gern meine 4 Minuten Redezeit nutzen und danach das Schlusswort halten!)

Okay, das ist bei mir nicht verzeichnet. Dann bleiben Sie gleich hier vorn stehen.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Ich bleibe dann gleich vorn!)

Herr Bartl, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Noch einmal: Berlin hat keine Urteile abgewartet. Brandenburg hat keine Urteile abgewartet. Respektive hat man gesagt: die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in der Frage der Jahresendprämie mit dem Grundsatz, dass die weiteren, neben der Grundbesoldung zu DDR-Zeiten geleisteten finanziellen Zahlungen genauso anrechnungsfähig sind, wie sie es bei westdeutschen Polizeibeamten sind.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Aha!)

Warum sollten sie bei Ostdeutschen nicht anrechnungsfähig sein, wenn sie bei Westdeutschen anrechnungsfähig sind? Das ist doch der Logikschluss der Brandenburger

und der Berliner gewesen. In Mecklenburg-Vorpommern ist es auch durch, wie ich vorhin sagte. Im Januar 2019 kam das Urteil in Mecklenburg-Vorpommern. Dort ist der Rechtsbehelf auch zu Ende. Jetzt stehen nur noch wir ganz allein mit unseren zwei versprengten Anträgen auf Zulassung der Revision, von denen einer entschieden ist.

Jetzt zu erklären, wir sind bei dem einen Senat zwar durch und warten nun ab, wie der andere Senat entscheidet, das geht beim allerbesten Willen nicht. Ich weiß nicht, wie viele Juristen beim Oberlandesgericht, beim Bundessozialgericht oder wo auch immer waren. Die Rechtsprechung der Senate in solchen Grundsatzfragen geht weiß Gott nicht auseinander. Das ist doch die blanke Augenwischerei, was der Innenminister in diesem Zusammenhang aufschreibt.

(Martin Modschiedler, CDU: Nein!)

Selbstverständlich, Herr Kollege. Das wissen Sie doch.

(Martin Modschiedler, CDU: Nein!)

Sie wissen doch auch, dass Berlin nicht in Hülle und Fülle Geld hat. Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben auch nicht in Hülle und Fülle Geld. Keines der Länder hat gesagt: Wir warten jetzt, bis der allerletzte Sachse gewonnen oder verloren hat, und dann ziehen wir in den Krieg.

Nein, sie haben einfach gesagt: Damit die Menschen noch zu Lebzeiten dazu kommen, erkennen wir jetzt das an, was aus mehreren inhaltsgleichen Entscheidungen eindeutig erkennbar ist, auch wenn die Klägerinnen und Kläger unterschiedliche Menschen waren. Ich kann ja sagen, dass ich immer nur an den zahle, der sein Urteil erreicht hat. Dann müssen eben noch 9 999 klagen.

Oder ich sage – das wollen wir im Grunde genommen mit diesem Antrag –: Nein, wir, das Parlament, setzen uns gemeinsam – nicht nur DIE LINKE – für die Rechtsbenachteiligung Ostdeutscher ein. Wir setzen uns dafür ein, was von der SPD versprochen wird, was von anderen Leuten versprochen wird. Jetzt haben wir so einen Fall, bei dem wir schlicht und ergreifend sagen, wir müssen endlich etwas reparieren.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Aber das sagen sie nicht!)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagt: Nein, es gibt theoretisch die Möglichkeit, dass anders entschieden wird. Aber das ist doch völlig absurd!

(Martin Modschiedler, CDU: Wieso ist das absurd?!)

Weil fünf bis sechs Urteile vorliegen.

(Zuruf des Abg. Martin Modschiedler, CDU)

Herr Kollege, weil sechs Urteile vorliegen.

(Zuruf des Abg. Martin Modschiedler, CDU)

Das ist doch die Frage. Das Parlament soll doch keine Rechtsprechung machen, sondern das Parlament soll

sagen: So, wie das in anderen Ländern für die betagten Landeskinder entschieden worden ist – dass sie jetzt die entsprechende Zulage bekommen –, empfehlen wir der Staatsregierung dies auch. Es geht doch um diese symbolische Entscheidung. Staatsregierung, prüfe einmal. Der Innenminister will, wie es hier drinsteht, noch prüfen, ob er nicht irgendwo einen Revisionsgrund herbekommt. Das könnte ja vom letzten Verfahren noch offen sein.

Herr Bartl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich, Herr Präsident.