Herr Kollege Stange, die Kurzintervention hätten Sie sich sparen können, wenn Sie mir zugehört hätten.
Ich habe genau wie der Kollege Pallas im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Kriminalität von einem erheblichen Dunkelfeld gesprochen. Das bedeutet: Das ist Kriminalität, die mangels Kontrollmöglichkeiten und tatsächlicher Kontrolle nicht entdeckt wurde. Dazu werden Sie weder eine Zahl noch ein Bild in der Kriminalitätsstatistik finden. Also hilft sie Ihnen an dieser Stelle überhaupt nicht weiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Anton! Ich habe ja nichts gegen harte Auseinandersetzungen. Aber wenn Sie Ihre Rede damit beginnen, anderen Polemik vorzuwerfen, und anschließend eine Rede halten, die selbst in einem CSUBierzelt gewagt wäre, dann wird es schon absurd.
(Beifall bei den LINKEN – Zurufe von der CDU und den LINKEN – Unruhe im Saal – Glocke des Präsidenten)
Die Zwischenrufe von hier hinten sind sehr interessant. Vielleicht sollte man das irgendwann einmal veröffentlichen. Das hätte großen Unterhaltungswert.
Herr Kollege Anton, es mag uns tatsächlich trennen, dass wir sehr unterschiedliche Auffassungen der Befugnisse von Staat und Polizei haben. Das liegt in der Natur der Sache, dass Sie eine eher konservative Partei sind und wir eine eher liberale Partei.
Da müssen Sie durch. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist eine liberale Rechtsstaatspartei. Das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen.
Ich empfehle Ihnen einen Blick ins Grundgesetz. Die Enteignungsfrage können Sie morgen diskutieren. Dazu empfehle ich einen Blick ins Grundgesetz. Es sei denn, Sie halten jetzt das Grundgesetz für verfassungswidrig. Aber das wäre eine andere Debatte.
Entscheidend ist: Wir haben eine unterschiedliche Auffassung. Für uns ist Freiheit in einem Rechtsstaat der größere Mehrwert als Ihre Sicherheitsversprechen. Es wird spätestens dann absurd, wenn Sie es nicht einmal schaffen, einschlägige Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen
zu lesen und zu verstehen. Hätten Sie die Entscheidung zur automatisierten Kennzeichenerfassung bis zum Ende gelesen, dann hätten Sie dort den Passus gefunden, dass die automatisierte Kennzeichenerfassung gerade noch so als zulässig erachtet wurde, weil kein Personenbezug herstellbar ist, sondern es nur um Kennzeichen und nicht um Personen geht.
Jetzt sagen Sie, da gebe es kein Problem mit der automatisierten intelligenten Videoüberwachung. – Natürlich gibt es das, weil jetzt Personen zu identifizieren sind.
Ich weise noch einmal darauf hin, dass auch Kurzinterventionen und Reaktionen darauf einer Zeitbegrenzung unterliegen. Je mehr wir die Kollegin oder jetzt die Kollegen unterbrechen und sie mit lauten Meinungsäußerungen übertönen, umso schwieriger wird es, diesen Zeitraum vernünftig zu nutzen. Also hören wir einander zu, und dann können wir reagieren. – Das macht jetzt der angesprochene Herr Kollege Anton. Bitte.
Herr Kollege Lippmann, bei dem Vorwurf der Polemik mussten Sie ja selbst lachen. Insofern hat sich der Einwurf, so glaube ich, durch Ihre eigene Reaktion erledigt.
Zur verfassungsrechtlichen Einordnung habe ich alles gesagt. Wir gehen davon aus, dass diese Regelung verfassungskonform ist und durch die aktuellste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gedeckt wurde.
Was die Behauptung der Liberalität anbelangt, so kommt es wahrscheinlich darauf an, worüber wir reden. An anderen Stellen, so denke ich, sind Sie doch ein großer Fan von Verboten. Vielleicht sind zu viele Befugnisse und zu wenige Verbote im Gesetz; anderenfalls würde es Ihnen eventuell besser gefallen.
Wir können jetzt weiter in unserer Rednerreihenfolge fortfahren. Gibt es von der Fraktion DIE LINKE Redebedarf? – Natürlich. Herr Kollege Bartl, bitte.
Kollege Anton, zunächst einmal bin ich immer wieder überrascht, wie Funktionen Menschen verändern, auch im Wesen verändern: ein ganz neuer Kollege Anton aus dem Erzgebirge. Damit gehe ich um.
Herr Kollege Schreiber, da müssen Sie noch ein paar Jahre auf die Weide, bevor ich mit Ihnen streite.
Die zweite Lesung eines Gesetzentwurfs zu diesem Gegenstand und von dieser Tragweite ist für eine Exegese, zu der Juristen oder Rechtspolitiker gelegentlich neigen, schlicht nicht geeignet. Allein der Versuch, die zentralen Aussagen, Inhalte und Strukturmerkmale des im neuen Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes beinhalteten Textes den geneigten Zuhörern und Lesern innerhalb und außerhalb des Parlaments zu verdeutlichen und zugänglich zu machen, muss von vornherein scheitern.
Schon dieser Gesetzentwurf, der den Gegenstand von Artikel 1 bildet und der zusammen mit dem Sächsischen Polizeibehördengesetz nach Artikel 2 künftig das bis dato noch geltende Sächsische Polizeigesetz aus dem
Jahr 1999 ablöst, umfasst 100 Paragrafen zum allgemeinen Polizeirecht und nochmals etwa 50 Paragrafen zum
Datenschutzproblem. Die im Zuge der mehr als sechsmonatigen Behandlung des am 18.09.2018 von der Staatsregierung in den Geschäftsgang eingebrachten Entwurfs in die Ausschüsse einschließlich der zwei mehr oder weniger fragmentarischen, allein auf das Polizeivollzugsdienstgesetz gerichteten Anhörungen sowie das, was durch unzählige eingereichte Stellungsnahmen von Institutionen, Verbänden, Vereinen, Initiativen und Einzelsachverständigen hinzugekommen ist, füllt Bände. Ich bin davon überzeugt, dass das die gerichtlichen Instanzen im Freistaat Sachsen und auch die Bundesebene, also nicht nur das Verfassungsgericht, beschäftigen wird. Das wird beispielsweise auch bei der Öffnung des Bereichs der vorgezogenen Gefahrenverfolgung zu für die Gerichte ganz neuen Rechtsstreitigkeiten führen. Sie werden sich noch umschauen! Und Herr Staatsminister Gemkow, Sie werden personell neu planen müssen.
Ich konzentriere mich deshalb in meinem Redebeitrag auf die an sich für jeden verständigen Gesetzgeber zentrale Frage, ob das, was uns heute in Gestalt einer 187 Seiten ausmachenden Beschlussempfehlung nebst Bericht des federführenden Innenausschusses vorliegt, bedenkenfrei oder wenigstens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zukunft – das ist ungefähr die Konnotation, die Sie zu dieser Begrifflichkeit haben – verfassungsrechtlich hält. Ich antworte Ihnen in Ergänzung meines Kollegen Stange oder auch als Erwiderung auf Herrn Lippmann: Niemals!
Das beginnt schon bei der Tatsache, dass die in § 10 des Polizeivollzugsdienstgesetzes aufgeführten Einschränkungen von Grundrechten – sieben an der Zahl: Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Grundrecht auf die Freiheit der Person, Wahrung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das Artikel 33 der Verfassung des Freistaates Sachsen eigens erwähnt, währenddessen nach der Grundrechtsordnung des Bundes ein durch Rechtsprechung abgeleitetes Grundrecht vorgesehen ist – schon erfolgen, ohne dass die durch Artikel 19 Abs. 1 und 2 Grundgesetz vorgegebenen Schranken eingehalten werden, die da unter anderem lauten, dass der Bestimmtheitsgrundsatz, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Wesensgehaltsgarantie tatsächlich gewahrt sind. Und das ist die entscheidende Frage!
Sie drücken sich um diese Frage. Bei jeder Norm, die Sie haben – ich weiß nicht, inwieweit Sie alle erfasst haben – drücken Sie sich darum, diese Schranken und Voraussetzungen überhaupt mit Ihrem Gesetzentwurf zu vergleichen. Die Debatte darüber, genau das zu tun, war in den Ausschusssitzungen nicht möglich.
(Albrecht Pallas, SPD: Ich bitte Sie, Herr Bartl – Sie sind Ausschussvorsitzender! Was soll ich denn da sagen als einfaches Mitglied?)
Mein Kollege Stange hat doch völlig recht: In unserer demokratischen Verfassung und Rechtsordnung sind Eingriffe in die grundlegenden Freiheits- und Gleichheitsrechte, die den Individuen gegenüber dem Staat mit Verfassungsrang zugestanden werden, nur zulässig, wenn sie gesetzlich bestimmt, erforderlich und verhältnismäßig sind.
Das von Ihnen, Herr Staatsminister Prof. Dr. Wöller, vor einigen Tagen verkündete und so gefeierte softe Kriminalitätslagebild und die ansonsten von der Staatsregierung vortragbaren validen Erkenntnisse zu tatsächlichen Gefährdungslagen geben es nicht her, in dieser Art und Weise in diese Grundrechte einzugreifen. Das ist das Problem. Sie programmieren mit Ihrem Gesetz – damit ist nicht nur Artikel 1 gemeint – auf vager Eingriffsgrundlage nicht nur reine Gefahrenerforschungsmaßnahmen, sondern auch handfeste Einschränkungen der persönlichen Freiheit.
Sie nehmen einen generellen Paradigmenwechsel vor, indem die für das Gefahrenvorfeld vorgesehenen Maßnahmen nicht nur – wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2016 zur Voraussetzung gemacht hat – der weiteren Aufklärung des gesamten Gefahrensachverhaltes durch Überwachung einzelner Personen dienen sollen, nein, Sie greifen direkt in den Kausalverlauf ein und beschneiden durch Fußfesseln, Aufenthaltsanordnungen, Kontaktverbote, Meldeauflagen, Ingewahrsamnahme, anlassunabhängige Kontrollen und vieles mehr die Fortbewegungsfreiheit, die Privatsphäre und die Freiheit der Person, bevor überhaupt eine konkrete Gefahr vorliegt. Das ist das ganz Neue! Bis zum 31.12., falls das alte Polizeigesetz dann noch gilt und Sie nicht schnell noch das neue durchbringen wollen, muss eine konkrete Gefahr vorliegen. Das alles ist für Sie jetzt „out“.
Tatsächlich liegt die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzentwurfs schon im Grundansatz, indem Sie die Konturen des rechtsstaatlichen eingehegten Polizeirechts, für das bislang immer konkretisierte Gefahrenprognosen und personale Zuordnung von Verantwortlichkeiten unverzichtbar waren, durch diffuse neue Gefahrenbegriffe die „drohende“ Gefahr und die Ausweitung des zulässigen Eingriffs in die Freiheit Unbeteiligter auflösen.