Wer hier wofür zuständig ist, können wir im Nachgang miteinander besprechen. Ich würde jetzt gern meine Gedanken äußern, Herr Schiemann.
Im nächsten Jahr sind es – ja was eigentlich? – 30 Jahre Wiedervereinigung? Friedliche Revolution? Deutsche Einheit? 30 Jahre nach der Wende? 30 Jahre nach 1989? Nun, genau dieses Begrifflichkeitsdilemma beschreibt
eigentlich schon den Zustand, in dem wir uns befinden. Es herrscht eben keine Einigkeit. Vieles ist getan worden, keine Frage; das erkennen wir auch an. Aber dennoch taucht auf der Landkarte bei jedem Vergleich der Strukturdaten immer noch der Umriss der alten DDR auf, egal ob bei Einkommen, Vermögen, Wertschöpfung oder, oder, oder.
Fakt ist, dass der Aufholprozess eben nicht zu gleichwertigen Lebensbedingungen geführt hat und heute teilweise stagniert. Das liegt nicht nur daran, dass der sogenannte Aufbau Ost in großen Teilen nur ein Nachbau West war, sondern auch daran, dass der Osten ein Testfeld für neoliberale Umbaukonzepte in Größenordnungen war. Ein Wirtschaftsinstitut stellte kürzlich in einer Studie fest – darüber ist in diesem Landtag bereits gesprochen worden –, dass der Osten dem Westen um etwa 20 % hinterherhinke. Dabei ging es um Produktivitätsunterschiede in den Regionen. Allerdings wird es sich wohl eher um einen Unterschied zwischen Stadt und Land handeln.
Nun gut, wenn das nun endlich bekannt ist – wir sprechen seit Jahren darüber –, dann kann und muss es auch gesteuert werden. Über den Vorschlag des besagten Instituts, sich aus der Fläche zurückzuziehen, müssen wir nicht mehr diskutieren. Das stünde dann für die Fortsetzung der sogenannten Leuchtturmpolitik, werte CDU. Nein, alle Regionen müssen gefördert werden, völlig egal, ob Deutschland in Stadt und Land oder in Ost und West gespalten ist. Beides kann nicht gut sein, wirtschaftlich nicht, aber auch politisch nicht; und es bleibt der Fakt, dass der Abstand zwischen Ost und West immer noch besteht.
Nun ist die Arbeitsproduktivität nicht das alleinige Kriterium für gleichwertige Lebensbedingungen. Es geht vor allem auch um die Steigerung von Lebensqualität. Diese gelingt, indem man massiv in soziale, technische und vor allem auch kulturelle Infrastruktur investiert. Das heißt für uns ganz klar: Erst die Kita vorhalten, dann kommt die junge Familie. Erst ordentliches Breitband, dann das Architekturbüro oder der Handwerksbetrieb. Erst die fußläufigen Einkaufsläden, dann das Mehrgenerationenprojekt. Oder haben diejenigen von Ihnen, die im Besitz eines Hauses sind, sich erst auf das Grundstück gestellt, und dann wurde das Haus drum herum gebaut? Ich glaube kaum. Es braucht dafür einen politischen Willen, und zwar auch Ihren. Dort liegt meiner Meinung nach noch eine Menge Arbeit vor uns.
Auch was den Strukturwandel betrifft – es wurde bereits angesprochen; es steht in unserem Antrag –, so haben wir oft darüber debattiert. Das Geld ist beschlossen, aber ich hoffe, Ihnen ist klar, dass wir über eine ganze Region sprechen und nicht nur über einzelne Arbeitsplätze. Die Bundesebene hat viel Geld dafür in Aussicht gestellt, und was tun wir, gerade in Sachsen? Welchen Eindruck vermitteln wir nach außen? Wir krümeln mit einem sogenannten Ideenwettbewerb sächsische Mitmachfonds herum und loben dann allen Ernstes Preise in Höhe von
Aber ich kann Ihnen sagen – und das wissen Sie –: Meine Fraktion hat einen Plan dafür entwickelt, und ich empfehle der Staatsregierung deshalb eine Lektüre. Noch einmal: Werfen Sie einen Blick in den von uns vorgelegten Gesetzentwurf Sächsisches Strukturwandelfördergesetz – die Drucksachennummer muss ich Ihnen nicht mitteilen –, und zwar explizit auf den Punkt 11.
Im Übrigen: Der komplette Entwurf wurde von den Expertinnen und Experten hochgelobt. Wenn wir generell über Strukturwandel sprechen wollen, dann müssen wir auch die letzten 30 Jahre in den Blick nehmen, denn auch 1990 und danach hat es Fehlentscheidungen gegeben. Natürlich sprechen wir dabei auch über die Treuhand, und, Frau Dietzschold, ganz ehrlich: Ein paar Rechtsverstöße – das kann nicht Ihr Ernst sein.
Der MDR hat 2018 in seinem Magazin „Zeitreise“ Folgendes berichtet – ich zitiere –: „Unter teils dubiosen Umständen verscherbelte die Treuhand rund 50 000 Immobilien, knapp 10 000 Firmen und mehr als 25 000 Kleinbetriebe. Dass sie in zahllosen Fällen weder die Bonität der Käufer prüfte noch die Einhaltung der Verträge überwachte, ist aktenkundig. Die DDR war in diesen Jahren ein riesiger Schnäppchenmarkt. Die Treuhandanstalt ist hilflos gegenüber der Vielzahl von Vorwürfen, die überwiegend berechtigt sind. Das gab selbst der Treuhandchef Rohwedder 1991 unumwunden zu.“
(Martin Modschiedler, CDU: Aber gab es eine Alternative dazu, gnädige Frau? Gab es eine Alternative?)
Dass Sie ständig darstellen, dass es alternativlos war und ist – so kann man nicht miteinander umgehen. Das ist Quatsch. Das sind für mich keine Argumente, ob es eine Alternative gegeben hat oder nicht.
Trotz alledem kann man doch einmal zur Kenntnis nehmen, dass damals Dinge schief- und falschgelaufen sind. Nicht einmal das tun Sie.
Auch der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg Henning Voscherau spricht 1996 in der „Welt“ vom „größten Bereicherungsprogramm für Westdeutsche, das es je gegeben hat“. Das muss man zur Kenntnis nehmen, und ich finde, dass die ostdeutsche Wirtschaft bis heute darunter leidet. Deshalb braucht es endlich eine unabhängige Kommission, die genau das aufarbeitet, was die Treuhand damals fabriziert hat.
Klar – es ist nun wirklich an der Zeit, mit verschiedenen anderen Ungerechtigkeiten aus dem Einigungsprozess aufzuräumen. Sprechen wir doch einmal über die sogenannten Altschulden ostdeutscher Wohnungsunternehmen. Wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow
zu Recht bemerkte, sind diese, bei rechtem Licht besehen, überhaupt keine Schulden. Auch der Direktor des VDW Sachsen Rainer Seifert spricht von „schuldlosen Schulden“, die eine gigantische Last seien und Investitionen hemmten. Das betrifft besonders die ländlichen Kommunen, weil dort der Leerstand höher ist und dies die Schuldentilgung erschwert.
Aber wie sind diese angeblichen Schulden denn entstanden? Zweckgebundene Zuweisungen aus dem Staatshaushalt der DDR wurden nach 1989 durch die Treuhandanstalt als Kredite zugewiesen. Allerdings hat es dazu nie einen Kreditvertrag gegeben. Diese willkürlich erzeugten Schulden sind dann später an Privatbanken verkauft worden. Das Ergebnis war eine Begünstigung der Banken durch Treuhandanstalt und Bundesregierung. Die Lasten aber tragen andere, nämlich noch immer die ostdeutschen Wohnungsunternehmen sowie die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Deshalb gehören diese Altschulden unserer Meinung nach gestrichen.
Und ja, die Liste weiterer Ungerechtigkeiten bleibt lang. Meine Kollegin Susanne Schaper hat bereits auf einige Missstände bei der Anerkennung von Rentenansprüchen hingewiesen. Ich möchte noch ein Beispiel hinzufügen. In der DDR durften die sogenannten mithelfenden Ehefrauen in den Handwerksbetrieben keinen Lohn erhalten, aber die Eheleute haben zusammen gearbeitet. Doch bis heute bekommen diese Ehefrauen keine Rente zuerkannt. Das ist doch ein Unding! Wenn nicht anerkannt wird, dass manches in der DDR anders war, und danach aber Nachteile daraus erwachsen, dann wird das zu Recht als ungerecht empfunden; das ist logisch.
Dies betrifft auch die Datschen- und Garagenbesitzer im Osten. Diese kämpfen seit der Einführung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes gegen eine völlig ungerechte Regelung. Es gibt nämlich keinen besonderen Kündigungsschutz mehr. Ihr Eigentum geht im besten Fall nur zwangsweise über, oder sie bezahlen am Ende auch noch die Kosten für die Beseitigung ihrer Datsche. Das ist doch keine Art! Deshalb braucht es einen angemessenen Ausgleich.
Natürlich haben alle diese Dinge auch Folgen; denn neben Gehalts- und Rentenlücken erleben die Menschen im Osten oft auch eine weitere Lücke: die der Repräsentanz – und damit beispielsweise auch der Anerkennung von 120 Abteilungsleitern. Deshalb ist es nicht richtig, was Sie sagten, Frau Dietzschold: dass es hierbei nur um Standorte von Bundesbehörden gehe. Von 120 Abteilungsleitern, die es in den 14 Bundesministerien gibt, kommen drei aus Ostdeutschland – nur drei! Und wenn von allen Universitätsrektorinnen und -rektoren nicht eine bzw. einer aus dem Osten stammt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Karrierechancen ungleich verteilt sind. Ich finde, dass dies eines weiteren Punktes in unserem Antrag würdig ist. Das hat überhaupt nichts mit Jammern zu tun. Aber um nach vorn zu denken und Lösungen zu finden, braucht es eine ordentliche Darstellung des Istzustandes. Das hilft alles nichts, und da müssen Sie durch.
Ich denke, dass sich der Landtag in Zeiten wie diesen, wenn sogar die Staatsregierung, Staatsministerin
Köpping, Veranstaltungen unter dem Begriff der Kolonialisierung durchführt – im Übrigen kann ich nur sagen, ich halte diesen Begriff für nicht besonders tauglich; aber sie finden eben statt –, mit dieser Grundsätzlichkeit nach 1989 oder 1990 beschäftigen sollte.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch einige Worte, Worte einer fast 39-Jährigen, die sowohl in der DDR als auch im Osten von Deutschland groß geworden ist. Wir – auch wir in diesem Hause – haben doch eine Frage zu beantworten: Warum werden die Konflikte im Osten und explizit auch in Sachsen viel härter ausgetragen als im Westen? Das hat sicher viele Ursachen. Jede einzelne Ursache findet sich so ähnlich auch anderswo; aber wenn wir verstehen wollen, was hier los ist, müssen wir begreifen, dass anscheinend im Osten und in Sachsen irgendwie alles kumuliert. 1990 wurde die Auflösung eines Staates und dessen Beitritt zu einem anderen beschlossen. Nicht trotz, sondern wegen dieses Fakts sollten die Menschen im Osten ihre Erfahrungen und Eindrücke einbringen und auch vertreten wissen.
Menschen haben 40 Jahre lang in einem Staat gelebt, den sie an Stellen geliebt, gehasst, verachtet, geschätzt, ertragen, bekämpft oder dafür gekämpft oder diesen Staat gar verlassen haben. Trotzdem bleibt es Teil ihres Lebens, und es bleibt auch Teil des Lebens ihrer Kinder, Enkel und Urenkel, Freundinnen und Freunde. Solange diese Erinnerung existiert, steht diese sehr oft im Gegensatz zu dem, was ihnen Politik von Forschung und Geschichte erzählt.
Ich finde, das ist ein Problem. Es geht um Anerkennung. Diese Erinnerung ist ebenso auch Teil der Leute, die nach 1989 in den Osten gekommen sind, und denjenigen, die in den Westen gegangen sind. Damit ist es die Geschichte von Menschen über die innerdeutsche Grenze hinaus.
Wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen, besonders von der CDU, nicht begreifen, dass es falsch ist, den Einzelnen als Bezugspunkt von allem zu erklären, und wir heute eher eine Stimmung der Enttäuschung über diese Idee haben, weil die Leute zu Recht fragen, was uns denn das alles gebracht habe, dann frage ich mich: Um Himmels willen, was war denn gut daran? Vielmehr sollte es wieder eine Politik geben, die nicht nur vom Einzelnen ausgeht, sondern von einem Raum der Solidarität. Das sollte doch tatsächlich in unser aller Interesse sein.
Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann spricht jetzt die Staatsregierung. Das Wort ergreift Frau Staatsministerin Klepsch.
Menschen in Sachsen haben, je älter sie heute sind, großartige Lebensleistungen vorzuweisen. Denken Sie an die heute noch lebende Kriegsgeneration. Unter ihnen sind viele, die Flucht und Vertreibung erlitten haben. Diese Generation hat über viele Jahre die Kriegsfolgen beseitigt, und gemeinsam mit der Nachkriegsgeneration haben sie nach dem Fall der Mauer wieder neu angefangen. Mit Energie, Zuversicht und hohem Anpassungswillen haben die Menschen auch diese Herausforderungen bewältigt. Bis heute, 30 Jahre nach der friedlichen Revolution, sind diese Menschen bereit, sich den Erfordernissen einer sich rasant wandelnden Welt zu stellen.
Dies schicke ich voraus, wenn ich nun auf einige wesentliche Punkte des Antrages eingehe, die in ganz verschiedenen Ressorts der Staatsregierung bearbeitet wurden.
Ich beginne bei den Ansiedelungen von Behörden in ostdeutschen Bundesländern. Ja, hier haben wir einige Erfolge aufzuweisen. Es gibt einen weiteren Senat des Bundesgerichtshofes in Leipzig; Hannelore Dietzschold ist schon darauf eingegangen. Davon wird auch die Dienststelle des Generalbundesanwaltes in Leipzig profitieren, deren Mitarbeiterstab aufgrund des weiteren Strafsenats in Leipzig zu verstärken ist.
Eine weitere Einrichtung wird in Sachsen angesiedelt: das Forum Recht. Das hat der Deutsche Bundestag Ende März mit dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung Forum Recht beschlossen.
Ja, aber auch wir sind der Auffassung, dass es noch genug Luft nach oben gibt, und die Staatsregierung wird sich deshalb mit Nachdruck für die Einrichtung einer zusätzlichen Dienststelle des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof in Leipzig einsetzen.
Ein weiteres Thema des Antrages sind die Renten und Rentenüberleitungen der Ostrentner. Mit dem Rentenüberleitungsabschlussgesetz wurde geklärt, dass die Rentenwerte in Ost und West schrittweise bis 2025 oder vielleicht sogar bis 2024 angeglichen werden. Diesem Hohen Haus ist aber auch bekannt, dass die Staatsregierung eine frühere Angleichung gerade nicht forciert hat, im Gegenteil. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass mit der Angleichung der Rentenwerte zwangsläufig auch die rentenrechtliche Höherwertung der Löhne und Gehälter in den neuen Länder entfallen wird. Es ist eben gerade nicht so, dass von einer in Ost wie West einheitlichen Berechnung der Rente alle Bürgerinnen und Bürger im Osten profitieren. Wenn – wie nun ab 2025 – der Hochwertungsfaktor entfällt, dann ist das für die künftigen Rentnerinnen und Rentner von Nachteil und nicht generationengerecht.
Ein weiterer Punkt. Nicht zuletzt prüft die Bundesregierung unter Einbeziehung der neuen Länder derzeit, unter welchen Voraussetzungen jene ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner, die sich durch die Rentenüberleitung benachteiligt sehen, in Härtefällen einen Ausgleich außerhalb des Rentenrechts erhalten. Hier soll ein Ausgleich außerhalb des Rentenrechts gewährt werden. Ja, im Antrag aufgeführt, teile ich Ihre Auffassung, dass die
ostdeutschen Länder nunmehr zügig entlastet werden müssen bei den Erstattungen an die Rentenversicherung für die DDR-Zusatz- und -Sonderrenten. Hier haben die ostdeutschen Regierungschefs und die Regierungschefin bereits mehrmals – zuletzt erst am 3. April dieses Jahres – gefordert, dass die Bundesregierung endlich zu ihrer Aussage im Koalitionsvertrag stehen muss.
Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Punkt 7 des Antrages möchte ich Folgendes ausführen: Die Überführung der Rechts- und Eigentumsverhältnisse der ehemaligen DDR in das System des bürgerlichen Gesetzbuches wie auch die Bodenreform sind zweifellos Ursache für viele Verwerfungen. Dennoch meine ich, dass der Antrag der Fraktion DIE LINKE in diesem Punkt kein geeigneter Anstoß sein kann, die Diskussion wieder neu zu eröffnen. Die Staatsregierung teilt insbesondere nicht die Auffassung, dass eine materielle Gerechtigkeit das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen und den Rechtsfrieden zu wahren vermag.
Denn welches Ausmaß der materiellen Gerechtigkeit würde es denn brauchen, um Rechtsfrieden zu schaffen?
Der zuständige Bundesgesetzgeber hat seinerzeit sowohl mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz als auch mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz ein sehr ausdifferenziertes System geschaffen, mit dem die Eigentumslage endgültig geklärt werden sollte.