Protokoll der Sitzung vom 24.05.2019

Ich möchte aber zum Schluss kommen. Ja, für Europa, diesen wunderbaren Kontinent vom Atlantik bis zum Ural, mit seinen Wurzeln in griechischer Philosophie, römischem Recht, christlichem Glauben sowie dem Erbe der Aufklärung, lohnt es sich Politik zu machen.

(Wolfram Günther, GRÜNE: Sie haben keine Ahnung!)

Dies schließt den starken Bund in besonderer Weise ein. Deshalb bitte ich von hier aus alle sächsischen Bürger – ungeachtet ihrer persönlich-politischen Differenzen – darum, am Sonntag zur Wahl zu gehen.

Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Wird von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort noch einmal gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Gibt es noch weitere Redewünsche von den Fraktionen? – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Somit erteile ich Herrn Staatsminister Schenk das Wort.

Oliver Schenk, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von vielen Seiten hört man, dass der kommende Sonntag ein Schicksalstag und das Jahr 2019 ein Schicksalsjahr für Europa sei. Die EU als weltweit einmaliges Projekt für Frieden, Freiheit und Wohlstand sei durch Nationalisten und Populisten in Gefahr, welche die europäischen Werte wie Gerechtigkeit und Solidarität mit Füßen treten.

Ja, es ist richtig, wir sehen, wie in Parlamenten, aber auch virtuell im Internet Populisten und radikale Meinungsmacher mit scheinbar plausibler Kritik auf Stimmenfang gehen. Sie sagen EU. Sie sagen Klein gegen Groß. Bevölkerung gegen Institutionen. Sie meinen aber Europa, dieses grandiose Menschenwerk, ein Werk von uns allen, das zu Recht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Es ist ein großes Friedens- und Wohlstandsprojekt, zu dem sich unsere europäischen Nationen aufgemacht haben – ja, auch um den Preis nationaler Gesetze, nie aber um den Preis unserer Identität. Diese Kräfte möchten uns glauben machen, dass wir etwas an Europa verlieren. Ich sage aber Folgendes: Wir gewinnen an Sichtbarkeit, Wirkmacht, im Politischen sowie im Wirtschaftlichen, an Freundschaft und Zusammenhalt.

(Beifall des Abg. Wolfram Günther, GRÜNE)

Warum ist das so wichtig, gerade in diesen Tagen? Ich gebe Ihnen einige Beispiele: der Austritt Großbritanniens, die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, der Handelskonflikt zwischen den USA und China, die Migrationsbewegungen aus Afrika und Asien und die Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Diese Reihe ließe sich fortsetzen. Nur die EU hat die Instrumente und Ressourcen, um mit all diesen Herausforderungen fertig zu werden. Dazu gehört auch das Europäische Parlament, über dessen Zusammensetzung wir Bürger Europas am kommenden Sonntag abstimmen dürfen.

Wie das Parlament und die anderen europäischen Institutionen mit den anstehenden Herausforderungen umgehen und was das für Sachsen bedeutet, hängt maßgeblich von dieser Wahl am Sonntag ab. Es steht viel auf dem Spiel: Die EU und die USA müssen sich dringend auf neue Regeln für einen fairen Handel einigen. Wir müssen einen Umgang mit China und der von dort stringent verfolgten Seidenstraßenstrategie finden. Auf diese Herausforderungen gibt es keine sächsische, keine deutsche Antwort, dafür braucht es eine Antwort Europas.

Wir brauchen ebenso eine massive Investitionsoffensive hier bei uns wie bei den Partnern in aller Welt. Die Plattformdominanz einiger Internetgiganten stellt mehr und mehr die Freiheit des Internets und die soziale Marktwirtschaft in Europa auf die Probe. Noch einmal möchte ich Folgendes betonen: Wenn es auf diese Dominanz eine Antwort gibt, dann kann das keine allein sächsische oder deutsche Antwort sein. Nur gemeinsam als Europäer können wir entschlossen unsere Vorstellungen und Lösungen entgegensetzen.

Die EU hat darauf bereits entschlossen reagiert, auch wenn es einigen in diesem Hause nicht gefallen mag: mit der Datenschutz-Grundverordnung, der Urheberrechtsrichtlinie und den Kartellstrafen für Facebook und Google. Das wird inzwischen sogar in Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit und anderswo in der Welt als vorbildlich angesehen. Das ist „die EU, die schützt“, wie der französische Präsident Macron das nennt.

Die EU muss noch stärker werden, um die Freiheit, Sicherheit und den Wohlstand von über 500 Millionen Menschen in Europa zu sichern. Nicht nur in Großbritannien treten bei der Europawahl Parteien an, die aus der EU herausmöchten, die die EU sogar zerschlagen wollen. Nigel Farage und seine deutschen Freunde möchten mit der EU auch Deutschland schwächen. Damit schwächen sie auch unseren Freistaat Sachsen.

Was werden kann, wenn wir uns für das europäische Wohl einsetzen, erkennt man, wenn man sich anschaut, was wir in Sachsen, im Herzen Europas, mithilfe der EU alles erreicht haben. Sachsen hat seit 1990 über 20 Milliarden Euro an Fördermitteln von der EU erhalten. Ich habe diese schier unglaubliche Zahl bald einige Male erwähnt. Wir haben sie in kluge Köpfe, leistungsfähige Infrastruktur und Netze, Forschungseinrichtungen und zukunfts

trächtige Unternehmensansiedlungen investiert. Was ist das Ergebnis all dieser Aktivitäten? Das Ergebnis sind eine deutlich höhere Wirtschaftskraft als vor 30 Jahren, die mittlerweile niedrigste Arbeitslosenquote seit der Einheit und eine überaus positive Beschäftigungsquote.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Sachsen, unser Freistaat, ist heute wieder Autoland und einer der größten Cluster für Mikro- und Nanoelektronik in Europa. Meine Damen und Herren! Das alles wissen Sie. An diese Erfolge möchten wir nach dem Jahr 2020 mit der EU-Förderung auf höchstmöglichem Niveau anknüpfen. Wir brauchen auch in Zukunft eine kräftige EU-Förderung, damit der Aufholprozess weitergeht und Dynamik gewinnt. Das bleibt auch weiterhin unsere Linie und unser stetes Plädoyer gegenüber der Kommission. Eine starke EU für einen starken Freistaat Sachsen – diese braucht es aber nicht nur bei der Förderung von Wirtschaft und Klimaschutz, sondern vor allem auch bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Kooperation.

Meine Damen und Herren! Im Kern geht es vor allem darum bei der anstehenden Wahl: Sachsen als Land im Herzen Europas versteht sich als Mittler zwischen West und Ost. Wir bauen die Brücken zwischen den alten und neuen Mitgliedern der EU.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Unser Bestreben ist es, in der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn Polen und Tschechien das Beste aus beiden Welten zu einem neuen Stück zusammenzubinden, zu einem starken Stück Zukunft in Europa. Wir stehen nicht nur mit Blick auf die Weltlage vor den gleichen Herausforderungen, sondern auch bei ganz alltäglichen Fragen des Zusammenlebens. Wir alle möchten Schutz vor Kriminellen und Umweltzerstörung, eine gute Kinderbetreuung und Bildung, Arbeit in erfolgreichen innovativen Unternehmen und eine moderne öffentliche Infrastruktur, Straßen und Brücken, aber auch Glasfaserkabel und Mobilfunkmasten. Das können wir jeder für uns allein schon ganz gut. Noch besser ist es aber, wenn wir diese Aufgabe gemeinsam anpacken. Umwelteinflüsse wie Kriminalität machen an Grenzen nicht halt. So arbeiten die sächsische, bayerische und tschechische Polizei zusammen, um Kriminellen das Handwerk zu legen. Das ist nur ein Beispiel.

Allein die Anzahl der Partnerschaften von Schulen und Hochschulen liegt mittlerweile im dreistelligen Bereich. Das ist ein tolles und starkes Signal für die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. Hunderte weitere von Kommunen, Behörden, Vereinen und Verbänden, Kultureinrichtungen und Unternehmen kommen hinzu. Aus vielen Fäden haben wir ein zivilgesellschaftliches und politisch starkes Band gewebt, das unsere Länder verbindet.

Ich bin dankbar für die deutliche und überzeugende Unterstützung aus diesem Haus. Gemeinsam mit Ihnen setzen wir uns dafür ein, die enge Zusammenarbeit mit

unseren Nachbarn weiter zu vertiefen und Europa so bei uns in Sachsen zu leben.

Meine Damen und Herren! Europa ist ein Beitrag für eine bessere Welt, sagte einst der Karlspreisträger Jean Monnet. Wir brauchen heute mehr denn je diesen Idealismus, der die Gründergeneration inspiriert, die europäische Einigung ins Werk zu setzen. Lassen wir uns gemeinsam weiter an der Zukunft Sachsens in einem starken und

vereinten Europa arbeiten. Lassen Sie uns am Sonntag Europa wählen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Damit ist die erste Aktuelle Debatte abgeschlossen. Ich rufe auf

Zweite Aktuelle Debatte

Froschlöffel und Kratzdistel, Hochmoor-Gelbling und Wildkatze retten –

die Warnung des Weltbiodiversitätsrates gilt auch für Sachsen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die einreichende Fraktion spricht zuerst. Danach folgen die CDU, DIE LINKE, SPD, AfD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Herr Günther, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Aktuelle Debatte steht unter folgendem Titel: „Froschlöffel und Kratzdistel, Hochmoor-Gelbling und Wildkatze retten – die Warnung des Weltbiodiversitätsrates gilt auch für Sachsen“. Es kommen ganz kleine Dinge zusammen – mit solchen, die ganz groß klingen. Genau das ist das Problem bei diesem Thema. Dabei ist häufig von einzelnen Arten die Rede, wo der eine oder andere denkt: Das habe ich noch nie gehört, brauche ich nicht, hat mir bisher nicht gefehlt. Was soll es? Gleichzeitig summieren sich aber viele solche kleinen Dinge zu einer ganz großen Angelegenheit, die uns alle angeht. Deshalb auch so eine Warnung des Weltbiodiversitätsrates.

2008 hatten wir schon einmal eine Krise. Mit der Lehman-Brothers-Pleite ging die Bankenkrise los. Da war das Schlagwort immer „too big to fail“ – zu groß zum Scheitern. Einzelne Bankhäuser müssen unbedingt gerettet werden, damit nicht das große System insgesamt zusammenbricht. Dafür wurden weltweit Milliarden ausgegeben. Die Zahlen für Deutschland: ungefähr 68 Milliarden Euro.

Jetzt haben wir hier eine ökologische Krise. Da ist das Artensterben nicht die einzige, der Klimawandel ist die andere große Krise. Jetzt ist die Frage: Was ist uns das wert? Was ist hier „too big to fail“? Welche einzelne Art löst welche Kettenreaktion aus? Es geht tatsächlich ums Eingemachte bei uns.

Der Weltbiodiversitätsrat hat – im übertragenen Sinne – eine Biodiversitätsbilanz mit tiefroten Zahlen für unsere industrialisierte Welt vorgelegt. Von den weltweit vorkommenden acht Millionen Arten wird innerhalb weniger Jahrzehnte eine Million verschwunden sein. Mit ihnen sterben ganze Lebensräume. Die Frage ist immer: Wann kommt der Kipppunkt? Das ist eine Bewegung, die sich

selbst verstärkt. Je mehr Arten verschwinden, umso weniger widerstandsfähig sind Lebensräume, sind Arten. Nahrungsketten werden unterbrochen. Das ist eine Bewegung, die immer dramatischer wird. Es wird davon gesprochen, dass wir seit den letzten zehn Millionen Jahren ein zehn- bis hundertfach stärkeres und sich beschleunigendes Artensterben haben. Das wird von den Biologen tatsächlich nur noch mit der Zeit verglichen, als die Dinosaurier ausgestorben sind.

Was heißt das für uns in Sachsen? Wir müssen uns nur die Roten Listen anschauen, die unser Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie erstellt. Von den hier heimischen Brutvogelarten sind 7 % bereits ausgestorben – nur noch die Hälfte hat keinen Gefährdungsstatus. Von den Tagfaltern sind schon 14 % ausgestorben – nur noch ein Viertel hat keinen Gefährdungsstatus. Von den Lurchen und Kriechtieren sind schon 8 % ausgestorben – nur noch ein Drittel hat keinen Gefährdungsstatus. Von den Säugetieren sind 11 % ausgestorben – nur noch ein Drittel bis ein Fünftel hat keinen Gefährdungsstatus. Von den Farnen und Samenpflanzen sind 9 % ausgestorben. Nur ein Drittel hat keinen Gefährdungsstatus. Man könnte die Liste fortsetzen.

Was ist da so verschwunden? Bei den Pflanzen sind das etwa die Ackerringelblume und das Wanzenknabenkraut. Das sind Pflanzen, die früher einmal üblich waren. Beim Auerhuhn gab es 1997 die letzte Brut. Bei der Großtrappe hatten wir 1994 den letzten Nachweis. Der Große Brachvogel hat 1999 das letzte Mal ein Revier besetzt. Von den Wirbeltieren ist es zum Beispiel der Gartenschläfer. Hier gab es 2006 den letzten Nachweis. Bei uns ist das europäische Ziesel ausgestorben. Ebenso betrifft das den europäischen Nerz. Er ist ganz wichtig für unsere Kulturgeschichte. Früher war bei sämtlichen Fürsten die Staatsbekleidung aus diesem Fell.

Vom Aussterben sind solche Arten wie die Weißtanne, die Edelschafgarbe, der Grasblättrige Froschlöffel, Frauenmantel, Adonisröschen, drei Eisenhutarten, vier Glockenblumenarten, 14 Seggenarten, drei Kratzdistelarten, fünf Nelkenarten. Das kann man beliebig fortsetzen.

Von den Säugetieren sind bedroht der Feldhamster, die Wildkatze – noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Von den Faltern ist es unter anderem der Hochmoor-Gelbling.

Wir haben da eine ganz schlimme Tendenz. Man kann zum Beispiel bei den Vogelarten sehen, wie die Gefährdung regelmäßig steigt. 1999 stand auf den letzten Roten Listen die Bekassine als nur stark gefährdet. 2015 ist sie schon vom Aussterben bedroht. Dasselbe gilt für die Haubenlerche. Auch sie ist von stark gefährdet auf vom Aussterben bedroht gewechselt, ebenso der Kiebitz, das Rebhuhn. Der Kuckuck war damals noch auf der Vorwarnliste. Jetzt ist er schon gefährdet. Diese Namen ließen sich endlos fortsetzen. Wir könnten noch die verschiedensten Entenarten erwähnen oder den Steinkauz, die Kornweihe, das Birkhuhn, die Ringdrossel. Die Entwicklung ist dramatisch. „Too big to fail“ – wo wird der Punkt sein, an dem es für uns kein Zurück mehr gibt?

5 Minuten meiner Redezeit sind um. In der zweiten Runde werde ich Weiteres ausführen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Hippold.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Günther, es ist richtig, der Bericht des Weltbiodiversitätsrates ist in vielen Teilen beunruhigend und erschreckend. Wir sind uns hoffentlich darüber einig, dass wir das diskutieren und es wissenschaftlich fundiert in die Öffentlichkeit bringen müssen.

Umweltschutz – damit haben Sie recht – ist eine Generationenaufgabe, für die wir die unterschiedlichsten Ansätze brauchen.