Protokoll der Sitzung vom 10.02.2000

Warum aber, meine Damen und Herren, ist dieses Spektrum so komplex? Da die Beamten im Streifendienst die zahlenmäßig größere Gruppe stellen, sind auch mehr Schutzwesten erforderlich. Angestrebt werden sollte, daß jede Funkstreifenbesatzung mit körperangepaßten Schutzwesten ausgestattet ist. Das Ausmaß der Gefährdung läßt sich aber praktisch nicht voraussagen. Statistische Durchschnittswerte mögen jedermann hilfreich sein, nur nicht - darin werden Sie mir zustimmen - demjenigen, dessen Tod oder dessen schwere Verletzung in die Statistik eingeht.

Die Korrelation zwischen Schutzwirkung und Tragekomfort ist im aktiven Streifendienst von überragender Bedeutung. Wenn eine Schutzweste nicht bequem ist, wird sie nämlich auch nicht getragen, mögen noch so viele Anordnungen zur Tragepflicht im Raum stehen. Eine Ausbildung im sorgfältigen Umgang mit der Weste und in der Wartungsdisziplin ist besonders kritisch, auch hier wieder wegen der größeren Zahl der betroffenen Beamten. Disziplin und Ausbildung müssen daher dafür sorgen, daß die Regeln für einen sorgfältigen Umgang eingehalten werden, daß die Weste nicht im Büro oder im Fahrzeug liegengelassen wird.

Meine Damen und Herren! Streifenbeamte formen das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit. Die Schutzweste muß zu einem positiven öffentlichen Image beitragen, entweder durch Unauffälligkeit beim Tragen unter der Uniform oder durch vernünftiges, ansprechendes Aus

sehen, wenn sie darüber getragen wird. Entwurf und Zuschnitt sind teuer, und für die zahlreichen weiblichen Beamtinnen sind auch abweichende Entwürfe notwendig.

(Anhaltende Unruhe - Frau Bull, PDS, lacht)

Herr Präsident, ich kann mich so nicht mehr verständlich machen. Es tut mir leid.

Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt ein Problem. Erstens sind da die Schwierigkeiten mit dem Telefonieren. Wenn man mit dem Gerät nicht umgehen kann, ist es natürlich nicht einfach, den richtigen Knopf zu finden. Das ist aber inzwischen geklärt. Aber auch ansonsten muß ich Sie um mehr Ruhe bitten. Das sind wir uns gegenseitig schuldig.

Zur Situation in Deutschland und im Lande: In Deutschland wird heute nicht zum erstenmal über die Frage der umfassenden Ausstattung von Polizeibeamten mit Schutzwesten debattiert, nachdem einige ungeschützte Polizeibeamte auf verbrecherische Weise getötet worden sind. Beispielhaft genannt seien der Polizeihauptkommissar Klaus Eichhöfer, der eine Frau und zwei Kinder hinterläßt, der Polizeihauptwachtmeister Torsten Schwalm, der ebenfalls eine Familie zurückgelassen hat, sowie der Polizeihauptwachtmeister Pauli und viele andere. Etwa 2 000 tote Polizeibeamte sind zu beklagen, 2 000 Mütter, Väter, Frauen und Kinder sind betroffen. Wer nimmt sich ihres Leides und ihrer Tränen an?

Meine Damen und Herren! Ein Blick in das europäische Ausland: Die meisten anderen europäischen Länder haben bereits alle Funkstreifenwagenbesatzungen und Polizeivollzugsbeamten des Einzeldienstes mit Schutzwesten ausgerüstet.

Wenn die Ausgabe von Schutzwesten an Polizeibeamte Leben retten kann, dann sind der Dienstherr und die Polizeibehörden doch sicher juristisch aus Fürsorgegründen und darüber hinaus auch moralisch dazu verpflichtet. Wenn das bedeutet, meine sehr verehrten Damen und Herren, jeden Polizeibeamten in Deutschland und vielleicht auch anderswo mit einer Schutzweste auszurüsten, frage ich Sie: Warum denn dann nicht?

Zumindest würde das den Polizeibeamten und ihren Familien das Gefühl geben, daß ihr Wohlergehen auch von den jeweils Verantwortlichen ernst und wichtig genommen wird. Schließlich würde damit auch der unzweckmäßigen und weitgehend unkontrollierten individuellen Beschaffung von Schutzwesten aus unterschiedlichen Quellen ein Ende gesetzt, wie sie heute noch in vielen Bereichen anzutreffen ist.

Wenn Polizeibeamte in Gegenden oder Lagen eingesetzt werden, wo sie Leben und Gesundheit riskieren, müssen sich die verantwortlichen Polizeibehörden ständig fragen, ob sie ihren Pflichten gegenüber diesen Beamten nachkommen, und zwar in ausreichendem Maße, oder ob sie das nicht tun. Das ist nicht mehr, als wenn der Geschäftsführer einer Firma die Ausgabe von Schutzkleidung verlangt, wenn Maschinen oder Produkte eine potentielle Gefahr für die Mitarbeiter darstellen.

Wenn die Erfüllung dieser Sicherheitsvorschriften, meine Damen und Herren, teuer und schwierig ist, dann sei

es drum, dann ist das ein Teil der Kosten für dieses Produkt.

Ich frage Sie: Welches wichtigere Produkt kann es geben als Ruhe und Frieden auf unseren Straßen? Wenn die Kosten für dieses Produkt der Schutz der Beamten sind, die dazu beitragen, dann sei es drum nach unserer Auffassung.

Aus der Sicherheitslage folgt: Alle Polizeivollzugsbeamten des Landes Sachsen-Anhalt sind mit Schutzwesten auszurüsten. Die Kosten können und dürfen an dieser Stelle keine Rolle spielen. Nur über zynische Hochrechnungen gelangt man in eine Kostendiskussion.

Die 5 500 uniformierten Beamten und die 600 Kriminalbeamten haben aus Gründen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn einen Anspruch auf die Ausstattung mit körperangepaßten Schutzwesten; denn der Dienstherr hat nach § 79 des Beamtengesetzes für das Land Sachsen-Anhalt im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl des Beamten zu so rgen.

Aus der Fürsorgepflicht ergibt sich für den Dienstherrn ferner die Pflicht, die betroffenen und gefährdeten Beamten anzuweisen, körperangepaßte Schutzwesten während des Dienstes zu tragen. Die betroffenen Beamten wären im Rahmen der Gehorsamspflicht nach § 55 Satz 2 des Beamtengesetzes für das Land SachsenAnhalt gehalten, die vom Dienstherrn erlassenen Anordnungen auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu beachten.

Die Anordnung der Tragepflicht könnte ministeriell vorgenommen werden. Es wäre aber auch unbedenklich, den Polizeidirektionen oder den Polizeieinrichtungen ein solches Anordnungsrecht einzuräumen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der DVU)

Vielen Dank. - Zu diesem Antrag ist im Ältestenrat eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Vor der Debatte der Fraktionen hat der Herr Innenminister Dr. Püchel um das Wort gebeten. Bitte schön.

(Unruhe)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Polizei des Landes Sachsen-Anhalt sind im Interesse einer möglichst wirkungsvollen Sicherheitsstrategie in den Jahren 1992 bis 1999 ballistische Schutzwesten beschafft worden. Mit den derzeit vorhandenen 1 306 Westen liegen wir im Schnitt aller Bundesländer. Von diesen 1 306 Westen sind 747 Überziehschutzwesten und 559 Unterziehschutzwesten.

Eine Vorgabe für die Polizeibehörden bezüglich einer Ausstattungsobergrenze ist nicht erfolgt. Damit wird den Behörden der Freiraum gelassen, um eigenverantwortlich und der Lage angepaßt weitere Schutzwesten zu beschaffen.

Die Westen sind auf die einzelnen Polizeireviere und zentralen Dienste der Polizeidirektionen verteilt worden. Somit ist ein sofortiger Zugriff sichergestellt.

Die Polizei kann entsprechend der polizeilichen Lage jederzeit ihre im Streifendienst befindlichen Beamten mit Westen ausstatten bzw. diese kurzfristig auf die Dienstfahrzeuge verteilen, so daß die Beamten sie beim

Eintreffen am Ereignisort anlegen können bzw. schon angelegt haben können. Nur die Angehörigen der Spezialeinheiten der Polizei verfügen aufgrund ihrer speziellen Aufgaben über eine persönliche Ausstattung.

Bei der Erörterung der Frage, ob jeder Beamte und jede Beamtin mit einer eigenen Weste ausgestattet werden sollte, ist neben dem Erfordernis auch die Akzeptanz zu prüfen. Eine weitergehende Verpflichtung, wie sie gerade gefordert wurde, zum ständigen Tragen von Schutzwesten ist weder aus praktischen noch aus psychologischen, taktischen oder ästhetischen Gründen umsetzbar und vertretbar.

Die allgemeine Sicherheitslage im Lande begründet auch keine ständige Bedrohung von Leben und Gesundheit unserer Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten.

Die Erfahrungen in den Bundesländern zeigen, daß eine ballistische Schutzweste von den Beamten in keiner Weise als ein ständiger Bestandteil der Dienstbekleidung eines im Außendienst befindlichen Beamten anerkannt wird. Selbst Berufsverbände stehen einer generellen Trageverpflichtung ablehnend gegenüber.

Die Ursachen dafür sind in den ungünstigen Trageeigenschaften zu sehen. Die Westen weisen im Schnitt ein Eigengewicht von 5 bis 6 kg auf. Außerdem ist das Material relativ steif und unflexibel, so daß die Polizeibeamten durch die Schutzweste in ihrer Beweglichkeit erheblich eingeschränkt werden und einer überdurchschnittlich hohen körperlichen Belastung unterliegen.

Außerdem ist zu bedenken, daß eine ballistische Schutzweste je nach Art des Schutzpaketes nur den Oberkörper eines Polizeibeamten bzw. einer Polizeibeamtin schützt. Ausnahmen bilden nur die Überziehschutzwesten, die durch einen Tiefschutz und einen ballistischen Kragen ergänzt werden können. Jedoch bleiben bei allen ballistischen Schutzwesten die Gliedmaßen und vor allen Dingen der Kopf ungeschützt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das äußere Erscheinungsbild unserer Polizei. Das Tragen von Schutzwesten im täglichen Dienst würde unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ein martialisches Aussehen verleihen. Man erinnert sich dann an Kriegsgebiete, in denen ständig Gefahren lauern und die Polizeibeamten mit solchen Westen ausgestattet sein müssen. Dies ist wohl kaum die wünschenswerte Art, wie uns die Beamtinnen und die Beamten im Dienst gegenübertreten sollten.

Abschließend möchte ich bemerken, daß Fälle, bei denen Polizeivollzugsbeamte aufgrund einer Schußverletzung im Bereich des Oberkörpers tödlich verunglücken, einen nach wie vor verschwindet geringen Anteil an den Gesamttodesfällen von Polizeibeamten in Ausübung des Dienstes ausmachen. Der Anteil der Beamten, die bei Verkehrsunfällen und anderen Ereignissen ums Leben kommen, ist viel höher.

Nach der Meinung der Fachleute ist die Polizei unseres Landes mit einer ausreichenden Anzahl von Schutzwesten ausgestattet. Der sofortige Zugriff ist durch die Lagerung in den Dienststellen und durch ablauforganisatorische Maßnahmen jederzeit sichergestellt, so daß sich unsere Beamtinnen und Beamten bei Gefahrensituationen jederzeit mit einer Schutzweste schützen können.

Die Diskussion über die in Rede stehende Thematik wird seit Jahren immer wieder dann besonders emotio

nal geführt, wenn spektakuläre Ereignisse dazu Anlaß geben. Dies verkenne ich nicht. Gerade die Ereignisse der letzten Wochen haben das Gespräch noch einmal darauf gebracht.

Ich verkenne auch nicht, daß bei einzelnen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten das Sicherheitsbedürfnis besonders stark ausgeprägt ist. Deshalb denken wir zur Zeit für diese Beamten über eine flexible Lösung unter Einbeziehung des Kleidergeldes nach. Einen besonderen Erlaß zum Tragen von Schutzwesten halten wir für nicht erforderlich.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Stolfa, PDS, und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die Debatte der Fraktionen wird in folgender Reihenfolge durchgeführt: PDS-, SPD-, CDU-, DVU-Fraktion. Für die PDS spricht jetzt der Abgeordnete Herr Gärtner. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Lesen des Papiers der antragstellenden Fraktion hatte ich den Eindruck, daß hiermit versucht wird, Öffentlichkeitseffekte zu erzielen, ohne daß man sich etwas genauer mit der Materie beschäftigt hat.

(Herr Kühn, SPD: Wie immer!)

Angesichts der Sensibilität des Themas halte ich das für nicht richtig. Den Mord an einem Polizisten sollte man nicht für seine politischen Zwecke benutzen.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Wolf, DVU: Das kann doch wohl nicht wahr sein! - Zuruf von Frau Wiechmann, DVU - Unruhe)

Im ersten Teil des Antrags der DVU-Fraktion wird suggeriert, daß Sachsen-Anhalt momentan keine Schutzwesten besitzt. Das ist nachweislich falsch. Der Innenminister hat das in seinem Redebeitrag bereits deutlich gemacht.

So gibt es beispielsweise im Bereich der Polizeidirektion Magdeburg nach meiner Kenntnis zum heutigen Zeitpunkt insgesamt etwas mehr als 300 Schutzwesten. Diese sind in Überzieh- und Unterziehwesten unterteilt. Bei ungefähr 1 200 Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten ist das meines Erachtens in der jetzigen Situation natürlich nicht ausreichend. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie hierbei trotz Zeiten knapper Kassen Schritt für Schritt eine Veränderung in positiver Hinsicht bewirkt werden kann; denn eine qualitativ hochwertige Weste, die die Schutzklasse 1 bzw. 1 a haben muß, kostet 1 000 bis 1 500 DM.

Ich begrüße den Vorschlag des Innenministers, darüber nachzudenken, ob die ca. 400 DM Kleidergeld, die ein Beamter oder eine Beamtin pro Jahr für die Beschaffung von Dienstkleidung zur Verfügung gestellt bekommt, bei Nichtinanspruchnahme mit für die Beschaffung einer entsprechenden Schutzweste eingesetzt werden kann. Das sollte in Absprache mit den Berufsverbänden nochmals diskutiert und unbürokratisch geregelt werden.

Auch der zweite Teil des DVU-Antrags ist nicht sachgerecht; denn Sie wollen doch nicht ernsthaft für jeden Polizeivollzugsbeamten und jede Polizeivollzugsbeamtin zu jedem Zeitpunkt eine Schutzwestentragepflicht ein

führen. Das wäre hier als Frage zu stellen. Der Herr Innenminister hat auf die Nachteile hingewiesen.

Zusammenfassend formuliert: Dieser Antrag ist ein nicht überlegter und nicht durchdachter Schnellschuß und wird aus diesem Grunde von uns angelehnt. Ich denke, daß der Innenminister in seinem Redebeitrag im Grunde genommen das erfüllt hat, was die CDU in ihrem Änderungsantrag gefordert hat. Daher, denke ich, kann man auf diesen Änderungsantrag verzichten. Wir sollten diesen Antrag ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Unruhe)