Protokoll der Sitzung vom 10.02.2000

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Unruhe)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte zwischendurch etwas anderes sagen. Es ist mir unangenehm, die Redner unentwegt unterbrechen zu müssen, weil eine solche Unruhe im Saal ist.

Aber ich denke, Sie möchten genauso wenig wie ich, daß unsere Gäste den Eindruck gewinnen, wir hätten ein relativ wichtiges Thema im Landtag diskutiert, und niemand habe zu gehört. Das kann es auch nicht sein.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Für die SPD-Fraktion wurde kein Redebeitrag angemeldet. Bleibt es dabei?

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Dann rufe ich für die CDU-Fraktion den Abgeordneten Herrn Becker auf. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Offensichtlich ist dies heute der Tag der Schutzwesten. Einigen wird vielleicht entgangen sein, daß in der Fragestunde von der DVU schon über Schutzwesten gesprochen wurde. Ich möchte das Thema damit nicht bagatellisieren, aber darauf hinweisen - dies an die Adresse der antragstellenden Fraktion -, daß wir uns während der Haushaltsberatungen im Innenausschuß, auch auf Betreiben der CDU, intensiv mit dieser Problematik befaßt haben, daß wir damals einen Erweiterungsantrag eingebracht haben, weitere 1 Million DM für Ausrüstungsgegenstände einzusetzen, daß der Innenausschuß diesen Antrag angenommen hat, daß dieser Antrag allerdings im Finanzausschuß mit den Stimmen der SPD und der PDS wieder weggestimmt wurde.

Das ist also in der Tat ein Problem, und wir als CDUFraktion wissen auch aus Gesprächen mit den Vertretern der Polizei, daß in der Tat Probleme bestehen, was körperangepaßte Schutzwesten betrifft. In den Dienststellen und Einsatzfahrzeugen befinden sich zwar Schutzwesten, aber diese sind nicht unbedingt körperangepaßt. Diese Westen entfalten jedoch nur ihre Wirksamkeit, wenn sie dem jeweiligen Körper angepaßt sind. Genau das scheint nicht überall und immer der Fall sein, kann es ja auch nicht sein. Denn mehrere Polizeibeamte müssen sich eine Weste teilen. Im übrigen sind die modernen Schutzwesten wesentlich leichter als jene Anfang der 90er Jahre.

(Zuruf von der DVU: Das ist es!)

Aus Sicherheitsgründen haben sich deshalb inzwischen viele Polizeibeamte privat Schutzwesten angeschafft.

Auch das wissen wir. Angesichts des nicht gerade üppigen Salärs von Polizeibeamten ist dies sicherlich nicht im Sinne der Erfinder.

Das Problem ist also vorhanden. Aber jetzt außerhalb der Haushaltsberatungen zu kommen und so zu tun, als ob das Geld herunterfällt und wir gleichzeitig die Schutzwesten nur noch aus den Autos ziehen müßten, ist Unsinn. Dies zeigt eine recht populistische Betrachtungsweise seitens der DVU. Das muß einmal gesagt werden.

Die Polizei wäre sicherlich glücklich, wenn die Westen ihr einziges Problem im Bereich der Ausrüstung wären. Wenn man aber mit Vollzugsbeamten spricht oder etwa einen Blick in die Machener-Studie wirft, so fällt eine Reihe weiterer Beispiele ins Auge. Ich nenne die unzureichende Krad-Ausrüstung, Herr Minister, den Mangel an solch kleinen Dingen wie Taschenlampen, Verkehrsreglern, Schlipsen mit Gummizug. Letzteres ist bei der Polizei wegen der Gefahr der Strangulierung wichtig. Das muß man einfach auch sehen. - All das gibt es für einzelne Beamte nicht in der notwendigen Weise.

Die Zuweisungen für die Ausrüstung unserer Polizei sind dramatisch gesunken. Im Jahr 1994, unter der CDU-Regierung, waren es noch 52 Millionen DM, im Jahre 2000 sind es 25 Millionen DM. Der Betrag ist also halbiert worden. Dies bringt natürlich Probleme mit sich. Und die Budgetierung, verehrter Herr Innenminister, die Sie immer als großen Wurf darstellen, bringt es natürlich auch nicht.

In diesem Zusammenhang muß ich Sie auf folgendes hinweisen. Das sage ich allerdings auch mit einem gewissen Stolz. Als Vorsitzender eines Abwasserzweckverbandes bin ich Ihnen natürlich dankbar, wenn Sie die Beiträge für das Polizeirevier Nordstraße in Naumburg finanzieren können. Aber es kann und darf doch wohl nicht sein, daß aus der Budgetierungsquote Beiträge an den Abwasserzweckverband Naumburg fließen. Das haben Sie doch nicht gewollt. Bitte sagen Sie Ihren Mitarbeitern im Ministerium: Das muß anders aussehen. Diese Mittel sollten gerade zur Verbesserung der Ausrüstung dienen und nicht für die Abwasserzweckverbände zur Verfügung gestellt werden. Das wäre genau falsch.

Ich bin deshalb der Meinung - und deshalb auch Herrn Gärtner, der darauf hingewiesen hat, dankbar -, daß wir die Betrachtung von den Schutzwesten auf alle Ausrüstungsgegenstände der Polizei - Waffen, Fahrzeuge und anderes - lenken müssen, und bitte deshalb um Annahme unseres Änderungsantrages.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Für die DVU-Fraktion hat noch einmal die Abgeordnete Frau Wiechmann das Wort. Bitte sehr.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst zu Herrn Becker; denn sein Beitrag ist mir gerade noch frisch in Erinnerung. Wenn Sie uns Populismus vorwerfen, dann darf ich Sie einmal an den Ursprung dieses Wortes erinnern. „Populistisch“ kommt von „Populus“; das heißt „Volk“. Martin Luther hätte gesagt: dem Volk aufs Maul schauen, und hierbei meine ich: auch einmal den Polizisten aufs Maul schauen.

Man kann eine solche Forderung nicht als populistisch abtun.

(Herr Scharf, CDU: Luther hat das ein bißchen anders gemeint!)

Wenn Sie, Herr Becker, sagen, außerhalb der Haushaltsberatungen habe das keinen Sinn: Sie haben ja eben von der Niederstimmung Ihrer Anträge gesprochen. Sie glauben doch wohl nicht allen Ernstes, daß bei der nächsten Haushaltsberatung eine andere Abstimmung erfolgen wird, solange diese Regierung mit diesen Mehrheitsverhältnissen so besteht. Davon gehe ich nicht aus. Ich müßte Sie als sehr naiv einschätzen das sind Sie, glaube ich, nicht -, daß Sie das denken könnten.

Jetzt noch ein paar Worte zu Herrn Minister Püchel. Sie haben ein paar interessante Sachen gesagt, auch zu meiner Frage, die ich Ihnen heute früh gestellt habe. Das hängt ja nun ganz eng zusammen, auch wenn es nur - das Wort „nur“ möchte ich mit Anführungsstrichen versehen - den Objektschutz dieses Landtages betrifft. Sie haben gesagt, hier im Landtag stünden dem Objektschutz ausreichend Westen zur Verfügung. Sie seien beim zentralen Einsatzdienst eingelagert. Das heißt doch: Dem Objektschutz stehen sie nicht zur Verfügung.

Denn auf meine Nachfrage haben Sie weiter gesagt, im Bedarfsfall müßten sie für einen bestimmten Einsatz angefordert werden und stünden dann auch zur Verfügung. Jetzt stelle ich an Sie, Herr Minister Püchel, einfach einmal die Frage: Was machen denn die Beamten hier? Sind die nicht im Einsatz?

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Püchel)

Die gehen über den Domplatz, die beschützen das Objekt, die schließen abends die Türen zu. Da ist es teilweise schon ziemlich dunkel, da ist es teilweise mitten in der Nacht.

Jetzt nehme ich einfach einmal das Beispiel aus Bad Hersfeld. Da wird eine Verkehrskontrolle gemacht, und da kommt einfach einer daher, und der Polizist wird mit Herzschuß getötet. Hätte er eine Schutzweste angehabt, wäre er heute noch am Leben. Wenn Sie dann sagen, Herr Minister Püchel, man müsse die Akzeptanz prüfen: Glauben Sie denn allen Ernstes, die Polizisten würden eine Schutzweste nicht akzeptieren? Diese Schutzweste rettet ihnen möglicherweise Leib und Leben. Diese Äußerung entzieht sich, wie gesagt, meiner Logik.

Dann führen Sie noch eines an: Sie führen psychologisch-taktische Gründe an, die man bedenken müsse. Taktische Gründe für das Leben eines Polizisten, und das von einem Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt, das finde ich absolut unglaublich.

(Unruhe bei der SPD und bei der PDS)

Wenn Sie dann noch behaupten, Herr Minister Püchel, die Polizisten wären in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt und würden martialisch aussehen, dann scheinen Sie nicht darüber unterrichtet zu sein, was für Westen es mittlerweile gibt. Es gibt die sogenannten Unterziehwesten. - Eigentlich haben Sie es heute früh schon gesagt. - Diese würden - ich habe auch in meinem Antrag gesagt, daß das zu berücksichtigen ist wirklich kein martialisches Aussehen verursachen. Und selbst wenn ein martialisches Aussehen damit hervor

gerufen würde - wenn es das Leben des Polizisten retten kann, dann muß man selbst das in Kauf nehmen.

Dann haben Sie - jetzt komme ich noch einmal darauf zu sprechen und stelle das in den Zusammenhang mit meiner Frage von heute früh - noch einmal gesagt: sofortiger Zugriff durch die Dienststelle; jederzeit könnten die Polizisten in Gefahrensituationen darauf zurückgreifen. Ja, wann denn, Herr Minister Püchel, weiß der Polizist, wann ihm eine Gefahrensituation bevorsteht? Wenn er das wüßte, wäre es ja schön. Dann könnte er vorher zu der entsprechenden Stelle fahren und könnte sich die Schutzweste holen. Aber leider ist es ja nicht so, daß er das weiß.

Ich möchte aber trotzdem, um das Ganze noch ein bißchen zu unterstreichen, ein paar Beispiele nennen, daß Schutzwesten Polizisten das Leben gerettet haben.

Am 26. Juni 1990 wurde ein Polizeibeamter im RheinMain-Gebiet durch die angelegte Schutzweste vor einem lebensbedrohenden Projektil geschützt. Das Geschoß aus einem selbstgefertigten Revolver, Kaliber 38, wurde aus nächster Nähe auf den Beamten abgeschossen und blieb dann in der Halskrause stecken.

Bereits im Jahr 1989 wurde ein Fall in Europa bekannt, bei dem ein Polizeibeamter aufgrund des Tragens einer Schutzweste einen Pistolenschuß aus nächster Nähe überlebte.

Ich könnte das Ganze noch beliebig lange fortsetzen, aber ich sehe, daß meine Redezeit abgelaufen ist.

Deswegen möchte ich an dieser Stelle nur noch eine kleine Bemerkung zum Änderungsantrag der CDU-Fraktion machen. Auf den ersten Blick wäre er fast eine Erweiterung unseres Antrags. Aber nur auf den ersten Blick; denn in ihm geht es um die Ausrüstung neben Schutzwesten - Herr Becker, Sie haben es gesagt - mit Waffen, Fahrzeugen, Schlipsen mit Gummizug usw.

Herr Becker, auf den zweiten Blick ist es aber keine Erweiterung; denn es wird nur ein Bericht gefordert. Das heißt, ich verlange von der Landesregierung einen Bericht und vielleicht später noch einen. Jetzt muß ich fragen, wie viele Polizeibeamte sollen Ihres Erachtens vielleicht in der nächsten Zeit während der nächsten und übernächsten Berichterstattung ums Leben kommen, und wer will dafür die Verantwortung übernehmen? - Ich bin dazu nicht bereit.

Frau Abgeordnete Wiechmann, Ihre Redezeit ist zu Ende. Abgeordneter Herr Scharf hat eine Frage. Sind Sie bereit, diese zu beantworten? - Bitte schön.

Frau Wiechmann, meinen Sie nicht, daß es, wenn man dem Anliegen folgen würde, für das rein fachlich einiges spräche, der richtige Weg wäre, dafür zusätzliche Mittel einzustellen? Dann müßte man mitten im Haushaltsjahr einen Nachtragshaushalt einbringen und die entsprechende Position im Haushaltsplan verändern. Dann könnten die entsprechenden Anschaffungen getätigt werden.

Wenn man das alles nicht macht, sind solche Anträge einfach nicht umsetzbar. Ich denke, deshalb sind Ihre vielen guten Worte an dieser Stelle falsch, solange Sie sich nicht an die Verfahren halten, die wir benötigen, um materiell etwas zu verändern.

Herr Scharf, wenn wir nach diesem Grundsatz verfahren würden, den Sie dargelegt haben und den Sie bei allen Anträgen unterstellen, dann können wir uns in Zukunft sämtliche Anträge in diesem Landtag sparen, denn es wird immer wieder dazu führen -

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Zu- rufe von der SPD: Richtig!)

Meine Damen und Herren von der SPD! Dabei gehe ich nicht nur von mir oder von meiner Fraktion aus, sondern von allen Fraktionen; denn ich lese Ihre Anträge auch sehr genau. Dann können wir uns die Anträge sparen und brauchen auch den Finanzausschuß nicht damit zu belasten, weil damit immer wieder Mehrkosten verbunden sind, die nicht in den Haushalt eingestellt waren.

(Frau Bull, PDS: Jawohl!)

Dann müssen wir jetzt Möglichkeiten finden. Ich denke, daß bei dieser Thematik Zeitnot besteht. Die Vorfälle der letzten Zeit haben das gezeigt. Die Landesregierung sollte Möglichkeiten finden, das Geld durch Umschichtungen im Haushalt bereitzustellen. Mit etwas gutem Willen - ich habe auch einen Vorschlag gemacht - wäre das möglich.

Ich würde die Verantwortung nicht gern übernehmen wollen, der Ehefrau und den Kindern erklären zu müssen, daß der Mann erschossen wurde, weil wir bis zu den Haushaltsberatungen warten mußten und nur deshalb kein Geld für eine Schutzweste zur Verfügung stand. Es tut mir leid, aber anders kann ich das nicht beantworten.

(Beifall bei der DVU - Frau Budde, SPD: Der Innenminister hat doch ausgeführt, daß Schutz- westen da sind!)

Meine Damen und Herren! Jetzt habe ich zum erstenmal erlebt, daß sogar Fragen zur Geschäftsordnung mit dem Totschlagargument beantwortet wurden.

Die Debatte ist damit abgeschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle zunächst den Änderungsantrag der CDU-Fraktion zur Abstimmung. - Frau Wiechmann, bitte.