Protokoll der Sitzung vom 06.04.2000

Was das ist, weiß ich nicht genau.

„Ob Sie einen solchen Weg gehen wollen, liegt daran, wie groß Ihre Streitbereitschaft ist und Ihre Fähigkeit ist, eine Regelung, die Sie für richtig halten, durchsetzen zu wollen. Dazu allerdings kann ich Ihnen keine Empfehlung geben.“

Das ist natürlich das Problem. Menschlich kann ich Sie gut verstehen. Ich selbst habe 13 oder 14 Jahre lang Außensprechstunden bedient. Ich habe das gern getan. Als wir noch ein einheitliches sozialistisches Gesundheitswesen mit ausschließlich staatlich angestellten Ärzten hatten, war es Denknorm zu sagen: Bevor sich 20, 30 oder 40 Patienten zu einem Arzt hin bewegen, soll er sich bewegen und zu den Patienten gehen. Deswegen haben wir Schwesternstellensprechstunden oder Sprechstunden in Ambulatorien und ähnliches gemacht.

Das war so schlecht nicht. Aber diese Zeit haben wir nicht mehr. Der Arztberuf ist jetzt ein freier Beruf, bei dem nach dem Kammerrecht das Recht besteht, durch Satzungen vieles, was das Zusammenleben der Berufsangehörigkeit angeht, selbst zu regeln, womit auch Wettbewerbsverzerrungen ausgeschlossen werden sollen.

Wenn Sie jetzt vorschlagen, durch eine Änderung des Kammergesetzes dem einzelnen Arzt eine Sicherstellung der medizinischen Versorgung zu übertragen, so muß ich Ihnen sagen: Das geht schlicht nicht.

Auf alles andere, was Sie hier vorgetragen haben, etwa was die konkurrierende Gesetzgebung betrifft, will ich nicht eingehen. Ich empfehle Ihnen nur, sich die Einzelheiten in den §§ 75 bis etwa 103 des Sozialgesetzbuches V durchzulesen. Dort ist dies alles geregelt. Dort ist geregelt, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen ein Satzungsrecht haben, daß sie intern die einzelnen Regelungen durch die Vertreterversammlung, nicht willkürlich, verabschieden dürfen. Dort ist der Begriff der Überversorgung definiert. Dort ist auch geregelt, wie die Zulassungsverteilung durch Satzungsrecht zu regeln ist.

Wenn Sie jetzt die Frage aufwerfen, wer darüber entscheiden sollte, ob eine Überversorgung oder ein Versorgungsbedürfnis vorliegt, dann sage ich: Um Gottes Willen nicht eine Gesetzgebungskörperschaft, nicht der Landtag, nicht durch ein Gesetz. Vielmehr müssen wir die Entscheidung dort lassen, wo sie die Bundesgesetzgebung untergebracht hat. Jetzt ein konkurrierendes Gesetz zu erlassen, von dem wir jetzt schon wissen - den Brief der Frau Ministerin haben Sie zitiert -, daß es nach dem, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, beim Verfassungsgericht scheitern müßte, macht doch nun wirklich keinen Sinn.

Dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst will ich sagen: Allein deshalb, weil das Wort „Zweigsprechstunden“ noch nicht dezidiert angesprochen worden ist, davon auszugehen, es hätte sich damit noch niemand vertiefend befaßt, ist schlicht nicht richtig. Die Versorgungsdefinition, die Definition dessen, wann eine Überversorgung vorliegt und wann nicht und wann eine Sprechstunde zu genehmigen ist, ist in den Manteltarifverträgen allgemein geregelt. Da hat selbst die KV eines Bundeslandes mit ihrem Satzungsrecht nur einen sehr geringen Entscheidungsspielraum.

Ich darf in diesem Zusammenhang auch an die Ausführungen erinnern, die Herr Staatssekretär Schimanke im Februar vorigen Jahres im Ausschuß gemacht hat. Er hat Zahlen genannt, nach denen in Sachsen-Anhalt mehr Zweigsprechstunden genehmigt worden sind als in anderen neuen Bundesländern.

(Frau Krause, PDS: Das ist nicht wahr!)

Man kann also nicht einmal Vorwürfe erheben, daß die Versorgung ungerecht wäre.

Ich würde mich sehr gern dem Vorschlag anschließen, diesen Gesetzentwurf, der nun einmal da ist und abgearbeitet werden muß, federführend in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales und mitberatend in den Ausschuß für Recht und Verfassung zu überweisen. Ich würde dem Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfehlen, erst das Votum des Rechtsausschusses abzuwarten, bevor er sich damit befaßt. Denn wenn wir schon etwas mit irgendeiner Mehrheit beschließen, dann möge es rechtlich Bestand haben und von der Sache her sinnvoll sein.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP und bei der DVU-FL)

Die DVU-FL-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Nehler.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wurde bereits dargestellt: Die Frage der Zulassung ärztlicher Zweigsprechstunden ist ein Problem des Ostens, speziell aber wohl in Sachsen-Anhalt, scheint es. Es ist inzwischen eine endlose Geschichte, die auch uns im Parlament über alle drei Legislaturperioden hinweg verfolgt hat.

Denn es verursacht immer wieder erheblichen Ärger und Unverständnis bei vielen Menschen, insbesondere in den Dörfern - Bürgermeister und andere Kommunalpolitiker ausdrücklich eingeschlossen -, wenn nach westdeutschen Bräuchen wieder einmal nicht sein darf, was im Osten gut, patientenfreundlich und darüber hinaus auch kostengünstig war: die wöchentlich ein- oder zweimalige Arztsprechstunde auch in einer kleinen Kom- mune im Sinne einer ärztlichen Außenstelle.

Es ist die Kassenärztliche Vereinigung in Sachsen-Anhalt, die ziemlich unsensibel und in der Regel anhand unangemessener und völlig unzureichender formaler Kriterien nach und nach die sogenannten ärztlichen Zweigsprechstunden dichtmacht, vorrangig natürlich im allgemeinmedizinischen Bereich, aber auch in anderen Bereichen.

Daher ist es kein Wunder, daß sich Landespolitiker Gedanken darüber machen, wie man diesen mehr oder weniger willkürlichen Entscheidungen der KV als Selbstverwaltungskörperschaft mit totaler Monopolstellung für die Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung zumindest an dieser Stelle wirkungsvoller begegnen könnte.

Ich stehe dazu, daß auch ich über all die Jahre hinweg anläßlich immer wieder eingehender Petitionen und wiederholter Diskussionen im Sozialausschuß, letztlich auch mit dem im Jahr 1996 unternommenen Versuch, diesbezüglich einen Antrag mehrerer Abgeordneter durch

zubringen, bisher leider vergeblich nach Lösungen oder wenigstens nach einem vernünftigen Kompromiß mit der Kassenärztlichen Vereinigung gesucht habe. Insofern könnte der vorliegende Gesetzentwurf durchaus auch aus meiner Feder stammen.

Ich will Ihnen aus der Chronologie der nicht nachvollziehbaren Entscheidungen der Kassenärztlichen Vereinigung zwei Beispiele darstellen. Es ist aus meiner Sicht geradezu ein systematisch vorangetriebener Widersinn mit nachfolgend in der betroffenen Region regelmäßig spürbarer verschlechterter ambulanter medizinischer Versorgung, vor allem für alte, behinderte und wenig mobile Patienten.

Der Fall Dankerode wurde genannt, der übrigens immer noch im Petitionsausschuß anhängig ist. Er ist seinerzeit über Wochen durch die Medien gegangen, nachdem die Bürger für den Erhalt ihrer Sprechstunde massiv auf die Straße gegangen waren. Gegenwärtig passiert das gleiche in Eickendorf.

Im sogenannten Flecken Weferlingen im Ohrekreis gab es bis 1996 eine gynäkologische Außensprechstunde. Von einer eigenständigen Niederlassung hätte dort bei 2 500 Einwohnern kein Frauenarzt leben können. Dieses wohnortnahe Angebot ermöglichte vielen Patientinnen ohne Auto, die auf zumeist völlig inakzeptable ÖPNVAnbindungen angewiesen waren, regelmäßige Behandlungen und Vorsorgeuntersuchungen unabhängig von langen Warte- und Wegezeiten.

Da auch das nicht mehr sein durfte, hocken nun sozusagen alle Gynäkologen in der Kreisstadt Haldensleben aufeinander. Sie konkurrieren um die dort ansässigen Patientinnen, während die ältere Dame vom Lande, konkret aus dem Flecken Weferlingen, nun zumeist auf eine Arztkonsultation, zumindest aber auf eine regelmäßige Vorsorge verzichtet und erst dann in die Kreisstadt fährt, wenn es möglicherweise schon sehr ernst geworden ist.

Mir ist völlig klar: Selbstverständlich wird man nach einer solchen Argumentation bezüglich der Vorsorge sofort auf mehr gesundheitliche Eigenverantwortung verweisen. Man wird auf die Möglichkeit verweisen, bei akuten Erkrankungen Hausbesuche in Anspruch nehmen zu können.

Letztlich hat die Kassenärztliche Vereinigung natürlich ihre formalen Argumente für die Begründung der Entscheidungen zur Streichung von Außensprechstunden parat. Berufsständische Aspekte und das Wettbewerbsrecht der Ärzte untereinander, auch uralte Zöpfe wie Präsenzpflicht und Residenzpflicht usw. werden herangezogen. Für die Patienten ist dies alles völlig irrelevant.

Vergessen wir nicht, solche Zweigsprechstunden werden auch als Relikt des primitiven und ideologisierten DDR-Gesundheitswesens apostrophiert. Ich denke, über all das, was an sehr gegensätzlichen Argumenten im Interesse der Patienten und einer wirklichen Versorgungsqualität richtig ist, müssen wir ein weiteres Mal im Ausschuß debattieren.

Ein Problem haben wir allerdings gemeinsam mit dem Gesetzentwurf der PDS. Ich muß Frau Dr. Kuppe darin zustimmen, daß bisher nicht abschließend geklärt werden konnte, ob wir in einem Bundesland überhaupt Spielraum für eine diesbezügliche eigene gesetzliche Regelung haben. Wie Ministerin Frau Dr. Kuppe bereits ausführte, stehen hierbei die gutachterlichen Aussagen

des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes gegen die Meinung des Sozialministeriums.

Meine eigenen Bestrebungen, nach Möglichkeiten zu suchen, um zu dieser Fragestellung ein unabhängiges Gutachten zu erhalten, sind bisher leider gescheitert. Ich verstehe die Ministerin durchaus, wenn sie sagt, daß sich das Land Sachsen-Anhalt mit einer landesrechtlichen Regelung zu ärztlichen Zweigsprechstunden nicht blamieren sollte, wenn dafür möglicherweise kein gesetzgeberischer Handlungsspielraum besteht.

Vielleicht kann aber die Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfes in die Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie für Inneres und für Recht und Verfassung als erste und wichtigste Aufgabe die Klärung dieser Frage vorantreiben, um danach über eine Gesetzgebungsinitiative zu entscheiden.

Einen Handlungsbedarf sehe ich nach wie vor in dieser Angelegenheit, um zu einer zukünftig zumindest großzügigeren

Herr Kollege, ich bitte Sie, Ihren letzten Satz zu formu- lieren.

- das ist der letzte Satz -

Das kann ich nicht ahnen.

und an konkreten Kriterien festgemachten Regelung zur Zulassung ärztlicher Zweigsprechstunden zu kommen. Ich bitte um Überweisung in die genannten Ausschüsse und danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD und von Frau Dr. Paschke, PDS)

Herr Kollege Nehler, eine Frage. Die Überweisung in den Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist unstrittig. Der Ausschuß für Recht und Verfassung wurde auch genannt. Habe ich das richtig verstanden, Sie beantragen die Überweisung in den Ausschuß für Inneres?

Danke. - Für die FDVP-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Weich.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer in letzter Zeit die Aktivitäten des Ministerpräsidenten beobachtet hat, der fragt sich: Ist dieser Mensch ein unverdientes Geschenk der Geschichte, und bedarf er eines Marshall-Planes? Um es mit den Worten von Frau Theil zu sagen, „ausgelutscht“ wie ein Bettelmönch wandert er von einem Ort zum anderen und ist immer der letzte - wie das Land Sachsen-Anhalt.

Doch nun zum sogenannten PDS-Gesetzentwurf. Eigentlich lohnt es sich gar nicht, darüber zu reden.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Dann gehen Sie doch!)

Erstens. Es handelt sich, wie so oft, um einen rein populistischen Antrag der Fraktion, der sonst nichts mehr einfällt. Zweitens ist er rechtswidrig. Drittens ist er handwerklich äußerst dilettantisch angefertigt.

(Lachen bei der SPD und bei der PDS)

Doch lassen Sie mich begründen, warum der sogenannte Gesetzentwurf ein Windei, ach, was sage ich, ein Strohei ist.

(Lachen bei der SPD und bei der PDS)

Sicherlich haben Sie alle schon einmal etwas von konkurrierender Gesetzgebung gehört: Bundesrecht bricht Landesrecht, Landesrecht bricht Kommunalrecht usw.

Die Forderung nach ärztlichen Zweigsprechstellen, sprich Ärztefilialen, unterliegt dem Vertragsrecht, genauer gesagt dem Sozialversicherungsrecht. Es ist konkurrierende Gesetzgebung gemäß Artikel 74 Abs. 1 Nr. 12 des Grundgesetzes.

Im einzelnen sind die Regelungen im Bundesmantelvertrag für Ärzte und im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte geregelt. Diese kommen Gesetzen gleich. Zitat der Sozialministerin Frau Kuppe:

„Es muß davon ausgegangen werden, daß die entsprechenden Bestimmungen der Bundesmantelverträge den Landesgesetzgeber daran hindern, eine eigenständige berufsrechtliche Regelung zur Abhaltung von Zweigsprechstunden vorzunehmen.“