„Es muß davon ausgegangen werden, daß die entsprechenden Bestimmungen der Bundesmantelverträge den Landesgesetzgeber daran hindern, eine eigenständige berufsrechtliche Regelung zur Abhaltung von Zweigsprechstunden vorzunehmen.“
Wir als FDVP-Fraktion müssen uns dieser Rechtsauffassung anschließen, nicht weil sie von der Landesregierung vertreten wird, sondern weil wir, im Gegensatz zur PDS, geltendes Recht in einem Rechtsstaat respektieren.
Werte Linkspopulisten! Verehrte Damen und Herren! Eine Gesetzgebungszuständigkeit des Landes können wir gemäß Artikel 72 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht erkennen. Da der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, besteht kein Raum für ein Landesgesetz. Beim nächsten mal erkundigen sich die PDS-Abgeordneten sinnvollerweise einmal bei einem Jurastudenten.
Der sogenannte Gesetzentwurf ist offensichtlich von einem Sechstklassenschüler angefertigt worden - so der Eindruck der Körperschaften des öffentlichen Rechts, die wir konsultiert haben.
Artikel 1 des Gesetzentwurfs soll das Heilberufsgesetz in § 19 Abs. 2 so fassen, daß die niedergelassenen Ärzte das Recht besitzen, Zweigsprechstunden zu errichten und abzuhalten, wenn ihnen dies zum Zweck der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ihrer Patienten geboten erscheint, bzw. sollen niedergelassene Ärzte und Zahnärzte zukünftig ihre Berufstätigkeit eigenverantwortlich gestalten können.
Mit dieser Regelung würde der Sicherstellungsauftrag von der Kassenärztlichen Vereinigung auf den Vertrags
arzt übertragen werden. Der Sicherstellungsauftrag ist gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB jedoch den Kassenärztlichen Vereinigungen zugewiesen worden. Ist Ihnen, von dieser Rechtsverletzung einmal abgesehen, eigentlich klar, was es bedeutet, wenn niedergelassene Ärzte als Freiberufler machen können, was sie wollen?
Weiterhin vertreten wir die Überzeugung, daß es den Ärzten selbst aus verschiedenen Gründen nicht zuzumuten ist, künftig auch noch nach Gutdünken darüber zu entscheiden, ab wann die Sicherstellung der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung der Patienten geboten ist und wann nicht.
Das, verehrte PDS-Abgeordnete, überlassen Sie bitte weiterhin der Sachaufsicht der kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Experten, die im übrigen der Rechtsaufsicht der Landesregierung unterstehen; denn der komplette Stand der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung kann dem einzelnen oft nur schwerlich bekannt sein.
Doch weiter in der Amateurpolitik der PDS. Sie kennt offensichtlich nicht den Unterschied zwischen einer ärztlichen Anzeigepflicht und dem kassenärztlichen Genehmigungsrecht.
Wie sonst können die Termini „anzeigen“ und „Genehmigung“ im § 20 Abs. 1 Buchstabe c nahezu synonym kunterbunt vermischt werden? Wir schlagen vor, daß sich die PDS inkompetenterweise heraushalten sollte, wenn es um genehmigungsrechtliche, noch dazu bundesrechtlich geregelte Vertragsangelegenheiten geht.
Doch weiter in der Aufzählung haarsträubender Mängel. Nach § 3 Abs. 2 Buchstabe b dürfe eine Genehmigung nicht versagt werden, wenn mindestens 5 % der Einwohner infolge einer Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder multimorbiden Erkrankung in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt sind. Vollkommener Schwachsinn. Wenn derartig schwerwiegende Krankheiten vorliegen, meine Damen und Herren, dann kommt generell der Hausarzt zu Ihnen nach Hause, eine Praxis, die wir von der FDVP übrigens favorisieren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Ministerin Kuppe! Ich kann jetzt nicht lachen und kann Ihre Fröhlichkeit nicht teilen.
Ich stehe für einen Präzedenzfall der Schließung einer Zweigstelle in einer Harzgemeinde im Jahre 1997. Durch Anträge zur Wiedereröffnung an die Kassenärztliche Vereinigung, umfangreichen Briefwechsel mit der Frau Ministerin, zwei Kleine Anfragen an die Landesregierung und zwei Beratungen im Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Beisein eines Vertreters der KV habe ich diesen erbärmlichen Prozeß des Rückbaus der ärztlichen Versorgung vor Ort begleitet. Dabei ist mir die Entscheidungspraxis der KV Sachsen-Anhalts, der keinerlei objektivierbare Entscheidungskriterien für die Errichtung von Zweigpraxen zugrunde liegen und die weitgehend als subjektive Ermessensentscheidungspraxis zu bewerten ist, mehrfach und deutlich vor Augen geführt worden.
Das Land ist bisher seiner Rechtsaufsichtspflicht nicht nachgekommen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll dieser Zustand beendet werden.
Meine Damen und Herren! Was geschieht in diesem Land? Es ist ein Rückzug der ärztlichen Versorgung aus der Fläche. Das letzte Beispiel dieser katastrophalen Entwicklung ist die Schließung der Zweigstelle in Eickendorf. Sie können in der „Volksstimme“ vom 3. April nachlesen, was da geschehen ist. Betroffen sind insbesondere ältere Bürger, multimorbide Patienten und sozial schwache Patienten, denen zugemutet wird, über größere Distanzen auf Dauer instabile Busverbindungen in Anspruch zu nehmen, um den Arzt am Niederlassungsort aufzusuchen.
Dieser Rückbau geschieht, durch keinerlei zwingende Notwendigkeit begründet, in einem sozialdemokratisch regierten Bundesland. Im Königreich Sachsen dagegen stieg die Zahl der Zweigpraxen von 370 in 1992 auf 527 am 15. Januar 1998 an - ein Stand, der von Herrn Menger, Kassenärztliche Vereinigung, aus Anlaß einer Ausschußsitzung am 17. Dezember 1998 mit 208 unbefristeten Zweigstellen sicherlich bewußt falsch angegeben worden ist.
Wenige Argumente zur Sache will ich noch anfügen. Die KV ermittelt auf der Grundlage eines sogenannten Bedarfsplanes für den Planungsbereich den rechnerischen Versorgungsgrad, der die Grundlage für eine Schließung bzw. die Nichtgenehmigung einer Zweigpraxis ist. Liegt der rechnerische Versorgungsgrad um 100 %, so wird seitens der KV geschlußfolgert, daß eine quantitative Versorgungslücke nicht vorliegt und eine Zweigpraxis nicht erforderlich ist.
Frau Kuppe und Herr Böhmer, das haben Sie offenbar nicht verstanden: Mit der Errichtung einer Zweigpraxis wird die Arztdichte in einem Planungsraum in keiner Weise verändert, wie die Kassenärztliche Vereinigung argumentiert. Es werden die ärztlichen Versorgungsleistungen in der Summe keineswegs erweitert; es erfolgt lediglich die Verlagerung eines Teils des Angebotes kassenärztlicher Betreuung an den Ort der Nachfrage, und das insbesondere für alte und multimorbide Patienten. Insofern ist eine Zweigpraxis aus der Sicht der finanziellen Belastung für die Kassen völlig irrelevant.
Die KV entscheidet über die Errichtung von Zweigstellen in Abhängigkeit von dem Vorliegen eines sogenannten
örtlichen Sicherstellungsbedürfnisses. Dieses ist leider weder definiert, noch meßbar durch nachvollziehbare Kriterien untersetzt. Ablehnungen von Zweigpraxen erfolgen also auf der Grundlage eines nach Auffassung der KV nicht vorhandenen örtlichen Sicherstellungsbedürfnisses, und das ist in keiner Weise definiert. Dieser rechtlose Zustand - und das ist einer - muß beseitigt werden.
Das Sicherstellungsbedürfnis wird in der Entscheidungspraxis durch Abschriften von Fahrplänen von Autobussen und von Bahnen untersetzt. Über die Zumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsverbindungen für alte und kranke Bürger wird natürlich kein Wort verloren, und der Anteil dieser Patienten an den Einwohnern betroffener Gemeinden spielt schon gar keine Rolle. - Ich lasse einiges weg.
Frau Ministerin, Sie haben Bedenken, ob ein Bundesland überhaupt Spielraum für eine eigene gesetzliche Regelung hat. Herr Nehler teilt diese Bedenken. Frau Kuppe, Sie haben diese Bedenken seit über einem Jahr, und Sie bemühen sich unzureichend, diese Bedenken auszuräumen.
Die Frage ist doch, ob Sie dieser restriktiven und subjektiv determinierten Entscheidungspraxis der KV objektive Entscheidungskriterien zugrunde legen wollen oder nicht. Die Frage ist, ob Sie dem Rückbau der ärztlichen Versorgung, dem Rückzug aus der Fläche als SPDMinisterin etwas entgegensetzen wollen oder nicht.
Sie ziehen sich auf juristische Spitzfindigkeiten zurück, mit denen Sie die Angelegenheit erfolgreich verschleppen. Sie sehen, Frau Ministerin, die Angelegenheit nicht politisch, Sie sehen sie nicht sozialpolitisch, und das ist das Schlimme an der ganzen Sache.
Da von seiten des Präsidiums der übereinstimmende Wunsch nach Überweisung festgestellt werden konnte, kann ich mir die Abstimmung über die Ausschußüberweisung als solche sparen. Es wurde vorgeschlagen, diesen Gesetzentwurf in die Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales, für Recht und Verfassung sowie für Inneres zu überweisen. Die Federführung soll beim Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales liegen. Darf ich darüber insgesamt abstimmen lassen? - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Wer stimmt der Überweisung in die genannten Ausschüsse mit der genannten Federführung zu? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen ist dem Überweisungsantrag gefolgt worden. Wir haben den Tagesordnungspunkt 10 beendet.
Meine Damen und Herren! Ich weiß, die Zeit ist weit fortgeschritten; aber wir müssen den folgenden Tagesordnungspunkt heute noch behandeln. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
- Meine Damen und Herren! In Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde möchte ich Sie um Fairneß und darum bitten, den Lärmpegel auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Abschluß noch einmal ein bißchen schwerere Kost, aber ich denke, das muß sein im Parlament. Wir müssen uns über die Grundfragen unserer Zeit unterhalten.
Nach meiner festen Überzeugung werden wir uns noch soviel über mehr oder weniger sinnvolle Anträge zur Einzelförderung im Wirtschaftsbereich streiten können; wenn es uns nicht gelingt, Deutschland mit einer neuen Steuerreform durchgehend Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung zu geben, werden wir unsere wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Ziele letztlich doch nicht erreichen.
Gerade die letzten Monate waren durch rasantes Wachstum in einigen neu gegründeten Unternehmen gekennzeichnet. Ich denke dabei zum Beispiel an einige boomende Branchen des E-Commerce. Aber Experten haben vorausgesagt, daß diese Unternehmen die nächsten Jahre nicht überleben werden, wenn wir nicht gemeinsam den Leviathan, den Staat dazu bringen können, sich zu bändigen, daß er die Früchte dieses Aufbauwerkes nicht sogleich wieder durch Steuern verspeist.
Legt man der Steuerreform ein paar einfache Grundsätze zugrunde, so ließe sich die Situation verbessern. Diese Grundsätze wären zum Beispiel: Der Staat soll sich nicht mehr Einnahmen verschaffen, als er tatsächlich braucht. Kurz gesagt, der Staat dreht an der Steuerschraube und er erstickt damit den Leistungswillen der Bürger.