Protokoll der Sitzung vom 06.04.2000

(Herr Scharf, CDU: Die Zeit, die Zeit!)

Drittens. Das eigentliche Problem liegt woanders. Ich will jetzt gar nicht auf die Differenzen der verschiedenen Entwürfe eingehen. Das eigentliche Problem liegt darin, daß das, was die Bundesregierung will, im Kern gemacht werden muß. Wir brauchen im internationalen Vergleich ein Steuerrecht, das in seiner Wirkung gar nicht mal entlasten muß, das aber transparenter ist und die scheinbare Zu-hoch-Besteuerung von Großunternehmen im internationalen Vergleich transparent macht. Es wird sich herausstellen, daß wir dann konkurrenz- fähiger sind.

Viertens. Wir müssen auch die unteren Einkommen und den Großteil der Unternehmer entlasten. 75 bis 80 % aller Unternehmen sind in Wahrheit Kleinunternehmer, zum Teil auch mittlere Unternehmer. Die verdienen zum Teil gar nichts; viele von denen - gerade in Ostdeutschland - zahlen überhaupt keine Steuern. Da ist nichts mehr mit Steuerentlastung, weil die schon sehr wenig verdienen. Wenn man denen noch etwas geben will, muß man die Einkommensteuertarife insgesamt am unteren Ende senken. Das tut die Bundesregierung mit ihrem Entwurf.

Fünftens. Dann bleibt das, was Sie immer wie in einem Pawlowschen Reflex als mittelstandsfeindlich bezeichnen, nämlich die Tatsache, daß die mittleren Unternehmen, die keine kleinen und auch keine großen Unternehmen sind, sowohl von der einen wie von der anderen Übung relativ wenig partizipieren. Deshalb sieht die Bundesregierung vor, ihnen durch das Optionsmodell die Möglichkeit zu geben, immer die günstigste Besteuerungsart zu wählen.

Nun hat das viele Risiken, und es gibt Alternativmodelle, die auf Vorschlägen von Brandenburg beruhen und die ich jetzt nicht diskutieren will, die jedenfalls die angebliche Mittelstandsfeindlichkeit beseitigen. Ich will darauf gar nicht weiter eingehen.

Das alles, was die Bundesregierung vorschlägt, kostet, konservativ gerechnet, 44 Milliarden DM an Steuermindereinnahmen im ersten Jahr für Bund, Länder und Gemeinden. 44 Milliarden DM! Die Zahlen sind alle öffentlich, das heißt, durch einfachen Dreisatz herunterzurechnen für unser Land: Über 600 Millionen DM an Steuermindereinnahmen im nächsten Jahr sind damit verbunden.

Wie wir das finanzieren wollen, wissen wir heute nicht. Schon deshalb wird es im Vermittlungsausschuß schwierige Verhandlungen geben zwischen dem Bund auf der einen Seite, der sich das alles offenbar leisten kann, und allen Ländern auf der anderen Seite.

Nun beziehen Sie sich auf den Entwurf der B-Länder oder Ihre eigenen Vorstellungen. Um die Frage des Kollegen Gallert aufzunehmen: Zu den 44 Milliarden DM sollen nach Berechnungen, die wir selbst haben anstellen müssen, weil die CDU/CSU sie nicht herausgerückt hat, noch einmal 27 Milliarden DM hinzukommen - im ersten Jahr. Das heißt, auf die gut 600 Millionen DM Steuermindereinnahmen, die wir im nächsten Jahr nach dem Modell der Bundesregierung haben werden, packen Sie noch einmal 370 Millionen DM drauf.

Nun müssen Sie mir mal erklären, wie wir bei 1 Milliarde DM Mindereinnahmen unseren Haushalt auch nur halbwegs fahren können. Diese Frage, die lassen Sie offen, da sagen Sie: Können wir nicht als Opposition, müssen wir nicht. - Warum packen Sie das Thema denn an, wenn Sie darauf keine Antwort haben? Das würde ich von Ihnen gern noch hören. - Schönen Dank im übrigen.

Herr Minister, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie über sechs Minuten geredet haben. Ich weiß nicht, wie umfangreich Ihr Manuskript nun ist, ob das vier Minuten ausmacht.

Weiß ich nicht.

Dann müßte ich abstimmen lassen.

(Herr Scharf, CDU: Eigentlich ist es unüblich! Entweder man redet oder gibt zu Protokoll!)

- Das wäre für mich die schwierige Frage, das zu entscheiden.

Sollte ich jetzt darauf verzichten, den Rest zu Protokoll zu geben?

Darum geht es jetzt. Es wird beanstandet, daß der Redebeitrag zu Protokoll gegeben wird. Dann muß ich darüber abstimmen lassen. Wer ist damit einverstanden, daß die Rede zu Protokoll gegeben wird? - Nicht. Geschäftsordnung. Ich habe es verstanden. Also, Herr Minister, es geht nicht.

Einverstanden. Dann machen wir Sie nicht schlauer.

Sie haben geredet, es ist klar. Wenn Sie drei Sätze gesagt hätten, wäre es okay, aber Sie haben mehr als drei Sätze gesprochen.

Es gibt noch Anfragen an Sie. - Herr Dr. Bergner, bitte.

Herr Minister, ich wollte nur noch eine Frage stellen. Es ist klar, daß eine gleichmäßige Absenkung der Steuersätze, also auch der Einkommensteuersätze, zu noch mehr Steuerausfällen führt. Nun muß man sagen, wenn man beispielsweise die Petersberger Beschlüsse sieht, daß im Hinblick auf die Erweiterung der Bemessungsgrundlage noch Vorschläge dabei waren, die - das will ich gern zugeben - sich die CDU/CSU aus der Oppositionsrolle heraus nicht zu machen traut. Ich nenne das Beispiel Kilometerpauschale; ich nenne das Beispiel Besteuerung von Nachtarbeitszuschlägen und anderes.

Ich würde, obwohl wir uns in einer etwas vorgerückten Stunde befinden, gern einmal Ihre Meinung zu diesen Vorschlägen hören.

Ich mache das ganz kurz. Wir fangen jetzt nicht an, ein Seminar zu machen. Ich werde im Detail auch nicht auf diesen Vorschlag oder auf andere Vorschläge eingehen, Herr Bergner.

Was nicht geht, ist, zu sagen, wir müssen noch mehr tun, aber bei einzelnen Gegenfinanzierungsvorschlägen - das hat Herr Scharf eben getan - zu sagen, das geht aber nicht. Auf dieser Linie liegt auch das, was Sie jetzt gefragt haben. Darauf werde ich jetzt nicht mehr ein- gehen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Sie hätten sagen kön- nen, es geht!)

- Nein, das sage ich nicht.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Dann hätte ich es viel- leicht sogar unterstützt!)

Danke, Herr Minister. - Das Wort hat jetzt für die PDSFraktion der Abgeordnete Herr Professor Dr. Trepte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wundere mich, daß Sie dies so geduldig ertragen. - Herr Scharf, es ist das alte Lied, es ist der alte Text, und es ist sogar die gleiche Melodie; nur die Quelle ist heute eine andere. Die Quelle ist ein Antrag der CDU in Mecklenburg-Vorpommern - Drs. 3/1137 - vom 1. März 2000. Mit einem Unterschied: Die hiesige CDU hat den Antrag noch etwas unternehmerfreundlicher gestaltet.

Es ist das alte Lied: Der Gefährdung des Standortes Deutschland muß mit steuerlicher Entlastung der Unternehmen begegnet werden.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Aber Ihr Lied ist noch äl- ter, Herr Trepte!)

- Hören Sie doch erst einmal zu! - Es ist der alte Irrtum, wirtschaftlicher Aufschwung würde in der heute alle Volkswirtschaftsbereiche umfassenden, durch Informations- und Kommunikationstechnik geprägten wissenschaftlich-technischen Entwicklungsphase wesentlich zur Entlastung des Arbeitsmarktes beitragen.

Meine Damen und Herren! Die Standortbedrohungslüge wird auch durch ständiges Wiederholen nicht wahrer. Ungebrochen, auch über die Depressionsphase in den 90er Jahren hinweg, wachsen die Gewinne, wachsen sie nach Steuern schneller als vor Steuern, wachsen sie schneller als die Arbeitseinkommen, sinkt also die Lohnquote. Auch die bereinigte Lohnquote sinkt.

Nach Recherchen des konservativen englischen AdamSmith-Instituts bildet Deutschland mit einem Anteil der Unternehmenssteuern am Gesamtsteueraufkommen von 8 % das Schlußlicht aller Industriestaaten.

Eine vor wenigen Tagen publizierte Analyse der Deutschen Bank AG - ich sage es noch einmal: der Deutschen Bank AG - bestätigt, daß auch 1998 die Gewinne des produzierenden Gewerbes, des Handels und des Verkehrs kräftig gewachsen sind, nämlich um sage und schreibe 192 Milliarden DM. Die Umsatzrendite verbesserte sich auf 3,5 % und erreichte damit den Stand in der Hochkonjunkturphase Ende der 80er Jahre. Damit wurde auch der Wiedervereinigungsboom zu Beginn der 90er Jahre weit übertroffen.

Für 1999 und für 2000, meine Damen und Herren, wird sich die Ertragslage der Unternehmen in Deutschland weiter sprunghaft verbessern. Das belegen alle Konjunkturdaten.

Lesen Sie diese Analyse der Deutschen Bank AG, meine Damen und Herren von der CDU, dann werden Sie wissen, wie es um die steuerliche Belastung und die Ertragssituation der Unternehmen in Deutschland steht. Sie werden auch lesen, wie kompliziert es ist, die Unternehmensbesteuerung innerhalb Europas zu vergleichen. Das ist sehr kompliziert, wie aus dieser Analyse hervorgeht.

Die Chefs der Arbeitgeberspitzenverbände, die Herren Henkel, Hundt und Stihl, loben das Konzept der Bundesregierung zur Einkommensteuerreform, und Sie, meine Damen und Herren von der sachsen-anhaltischen CDU, wollen Hundt, Henkel und Stihl noch übertreffen. Ihnen reichen die vorgesehenen Entlastungen der Unternehmen durch die rot-grüne Bundesregierung noch nicht.

Wir von der PDS-Fraktion loben das Konzept der Unternehmenssteuerreform der Bundesregierung nicht. Es ist kein Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit, zur Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, es ist kein Beitrag zu mehr Transparenz.

Zwei Aussagen Ihres Antrages, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, möchten wir zumindest partiell unterstützen. Das ist zum einen: Wir brauchen eine Verbesserung der Akzeptanz und der Transparenz des Steuersystems. Das ist zum anderen: Der Mittelstand - das habe ich in der vorletzten Rede gesagt - muß im Verhältnis zu den großen Kapitalgesellschaften deutlich entlastet werden. Der Mittelstand äußert sich in ganz Deutschland zur Dramatik seiner Lage unter den Bedingungen des aktuellen Steuerkonzepts der Bundesregierung.

Ihren Antrag lehnen wir also ab, aber er hat zumindest für uns den Impuls ausgelöst, eine eigene parlamentarische Initiative auf der Basis des steuerpolitischen Kon

zepts der PDS vorzubereiten und einzubringen. - Danke schön.

(Zustimmung bei der PDS)

Herr Dr. Rehhahn hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Elf Stunden nach Beginn unserer Arbeit ist es natürlich schwierig, dieses Thema noch umfassend zu behandeln. Trotzdem möchte ich auf einige Dinge eingehen.

Herr Scharf, wir haben über Ihren Antrag zu entscheiden, der unter der Überschrift „Steuerreform - die bessere Alternative für Wachstum und Beschäftigung“ steht. Mit diesem Antrag soll die Landesregierung aufgefordert werden - ich zitiere -, „mit einer eigenen Initiative zur deutlichen Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen in Bund und Ländern beizutragen“.

Wie dieser Beitrag im einzelnen aussehen soll, das wird in sechs Punkten akribisch aufgelistet. Das ist, muß ich sagen, wirklich eine Fleißleistung, die von der CDU abgeliefert wurde.

Aber so wichtig dieser Antrag vom Anliegen her auch ist, so überflüssig ist er auch; denn die Steuerreform ist von der rot-grünen Bundesregierung längst in Angriff genommen worden. Das haben Sie gemerkt. Man kann darüber anderer Meinung sein, aber sie ist in Angriff genommen worden, nach 16 Jahren CDU-geführter Regierung übrigens, in denen es mit der Steuer immer nur in eine Richtung ging, nämlich nach oben.

(Herr Scharf, CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Damit sind wir genau an dem Punkt, der mich beim ersten Lesen dieses Antrages ziemlich verwundert hat. Wenn Sie über die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit der Öko-Steuer in diesem Zusammenhang diskutieren, dann hätten Sie das auch etwas ausführlicher machen müssen.

Wenn Sie die Petersberger Beschlüsse erwähnen, die Sie nicht umgesetzt haben - wann die Blockade wirklich kam, ob es eine Blockade war oder ob es nicht in unserem, im sozialdemokratischen Sinne war, das ist etwas völlig anderes. Aber darüber können wir uns an anderer Stelle unterhalten.

Lassen Sie mich trotzdem noch ein paar Dinge anführen. Für mich haben sich zwei Fragen gestellt. Wann hat die CDU erkannt, daß eine Steuerreform mit sinkenden Abgaben die bessere Alternative für Wachstum und Beschäftigung ist?