Protokoll der Sitzung vom 06.04.2000

Erstens. Wer das Land heute auf den Weg bringt, darf die Entscheidung des Landtages über das Ziel nicht auf morgen vertagen. Durch die Entwicklung, die sich im Lande abzeichnet, kam die PDS zu der Auffassung, daß der Landtag die Entscheidung zu den Grundzügen der kommunalen und Verwaltungsstrukturen nicht auf die nächste Legislaturperiode verschieben kann. Dies gilt für die Eckpunkte der zukünftigen und zukunftsfähigen kommunalen Struktur wie für die Grundzüge der Funktional- und Verwaltungsreform.

Zweitens. Wer das Land reformieren will, muß um die gesellschaftliche Akzeptanz notwendiger Veränderungen ringen. Dazu bedarf es mindestens dreier Voraussetzungen: Das Land muß sich glaubhaft selbst reformieren; die Reform muß verkraftbar und begründbar sowie in gewissem Umfang für Betroffene selbst gestaltbar sein; die notwendigen Schritte müssen rechtlich, inhaltlich, strukturell und zeitlich nachvollziehbar sein.

Auf dieser Grundlage und unter diesen Voraussetzungen unterstellt die PDS unter anderem folgende parlamentarische Vorgehensweise zur Diskussion:

Erstens. Der Landtag verabschiedet noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz, alternativ auch mehrere Einzelgesetze oder ein Artikelgesetz zu den Grundsätzen der Funktional- und Verwaltungsreform.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir wollen kein detailliertes Verwaltungsorganisationsgesetz, das zweifelsfrei am Ende dieses Prozesses steht.

Zu den wesentlichen Inhalten dieses - nennen wir es einmal so - Reformgrundsätzegesetzes sollten aber zählen: die Ziele der Reform, die Grundsätze der sich daraus ergebenden Aufgabenverteilung und die Festschreibung der Grundstruktur der zukünftigen Landesverwaltung, insbesondere die Verfaßtheit der Mittelinstanz, Zwei- oder Dreistufigkeit der Verwaltung. Die Finanzierungsgrundsätze und Zeitfolgen müssen den verbindlichen Rahmen abrunden. Man merkt ja, daß man in diesem Haus bei diesen Fragen eventuell Konsens erzielen könnte.

Zweitens. Der Landtag verabschiedet ebenfalls noch bis zum Ende des Jahres 2000 das bereits in der Diskussion befindliche - sagen wir - Vorschaltgesetz zur kommunalen Strukturreform mit deutlich präzisiertem Inhalt. Wer die Kommunen in die freiwillige Phase für - in Klammern - leitbildgerechte kommunale Strukturen

schickt, hat die Pflicht, den Betroffenen eine klare Zielstellung vorzugeben,

(Zustimmung bei der PDS)

die von einer Mehrheit des Landtages getragen wird. Dabei ist der Verbleib der hauptamtlichen kommunalen Funktionsträgerinnen und Funktionsträger zwar ein Problem, aber nicht das entscheidende. Die Eckpunkte zukünftiger Größen und möglicher Formen der Zusammenschlüsse sind dabei mit zu verabschieden. Die Überlegungen zur drastischen Einschränkung von bürgerschaftlichen Entscheidungsrechten in freiwilligen Phasen sind unseres Erachtens das falsche Signal.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Becker, CDU: Sehr gut!)

- Das beruhigt mich, Herr Becker.

Lassen Sie mich jetzt zu drei wesentlichen Schwerpunkten kommen, die auch in den Ausführungen des Ministerpräsidenten eine Rolle spielten.

Erstens zum Zusammenhang der Modernisierung der Verwaltung und des Aufbaus des Landes. Um die Funktionalität des Landes sicherzustellen, gehört es zu den unmittelbaren Voraussetzungen, daß Klarheit über den Aufbau des Landes besteht. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob wir in unserem Land die Zweistufigkeit anstreben oder die Dreistufigkeit gestalten wollen.

Die Landesregierung und die CDU-Fraktion haben diese Frage jeweils für sich bereits beantwortet. Dies trifft für die PDS-Fraktion, aber sicher auch für einige Parlamentarier in diesem Hause in dieser Schärfe noch nicht zu. Die Vision der PDS ist die Zweistufigkeit. Wir sind aber Realisten und glauben nicht, daß dies dem Land Sachsen-Anhalt als einzigem Bundesland in Gänze gelänge. Ist die Dreistufigkeit erst einmal geschaffen, ist ein Neubau, wie es der Ministerpräsident bildhaft beschrieb, kaum möglich.

(Zustimmung von Frau Schnirch, CDU)

Bevor jedoch jede weitere Umstrukturierung, jeder Abbau, jede Verlagerung oder Umbenennung erfolgt, muß diese Grundsatzfrage geklärt sein. Die Regierungserklärung ersetzt diese Entscheidung des Landtages unseres Erachtens nicht.

(Zustimmung bei der PDS und bei der CDU)

Sie bekräftigt eher die Forderung nach parlamentarischem Einfluß.

Lassen Sie mich das an folgenden Problemen erklären: In dem der Rede beigefügten Papier werden ein Landesamt und zwei Außenstellen als Zielstellung genannt. Das ist schon seit längerem der Fall. Es wurde allerdings in dieser Schärfe noch nicht so deutlich, daß das Landesamt im Kern Bündelungsfunktionen wahrzunehmen hat oder wahrnehmen soll. Kritiker von Landesverwaltungsämtern führen immer wieder die rein additive Aneinanderreihung von nicht zuordnungsfähigen Aufgaben an.

Jetzt würde sich die Funktion jedoch anders gestalten. Bei einem Landesamt als Bündelungsbehörde ergeben sich zwei grundsätzliche Folgen. Zum einen würde die Ebene des Landkreises nach unserem Verständnis nicht in diesem Maße als Bündelungsbehörde in Anspruch genommen werden. Dies hätte unmittelbare Folgen auf die Aufgabenverlagerung und die kreisliche Struktur.

Ähnlich verhält es sich unter diesem Vorzeichen mit den Außenstellen. Sie hätten auch regionale Funktionen und wären nicht nur einfach eine Außenstelle, die in der Fläche ansässig ist. Zum anderen aber - dies sei von uns nicht unterschätzt - würde sich bei der Konzentration auf ein Landesverwaltungsamt mit Bündelungsfunktion eine demokratisch nicht legitimierte und kontrollierte Behörde herausbilden, die, wenn sie ähnliche Vollmachten wie die jetzigen Regierungspräsidien hätte, die Relation zwischen Landesregierung, Parlament und Behörde deutlich verändern würde.

(Zustimmung bei der PDS)

Diese Richtung der Entwicklung lehnt die PDS-Fraktion ab. Es sollte uns zu denken geben, daß andere Länder dabei sind, ein solches Landesverwaltungsamt in Frage zu stellen und umzustrukturieren.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der CDU)

Wir erwarten und werden beantragen, daß die Landesregierung im zeitweiligen Ausschuß dieses Problem umfassend darstellt. Der Ministerpräsident legte dar, daß bis zum Ende des Jahres der Aufbau der künfti- gen Landesverwaltung konzipiert sein soll. Wir betonen nachdrücklich, daß diese Grundsatzentscheidung dann als parlamentarische Entscheidung getroffen werden muß.

Im übrigen, Herr Ministerpräsident, ist Ihre Sorge, daß man uns mit Kopfschütteln begegnen würde, allen voran die Wirtschaft, unbegründet. Keine Gesellschafterversammlung würde sich ohne Zustimmung des Aufsichtsrates wagen, über Grundstrukturen in einem Unternehmen zu entscheiden.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der CDU - Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig!)

Zweitens zum Verhältnis zwischen den Bürgern und dem Aufbau der Verwaltung. Bürgerfreundlichkeit und Bürgernähe wird als oberstes Ziel der Modernisierung der Verwaltung benannt. Der Ministerpräsident beschrieb seine Faszination für Bürgerbüros anläßlich der Eröffnung einer solchen Einrichtung in Wittenberg.

Ich dürfte mich sicherlich nicht mehr in meinem Heimatkreis, insbesondere in der Region Bismark sehen lassen, wenn ich die Leistungen eines Bürgerbüros unterschätzen würde. Lassen Sie mich dennoch auf eine weit verbreitete und auch in der Rede und in dem dazugereichten Papier durchgängig zu findende Auffassung näher eingehen, die unserer Meinung nach ein Irrtum ist.

Es wird davon ausgegangen, daß eine Verwaltung, insbesondere eine Kommunalverwaltung, kundenorientiert arbeiten müsse. Es ist aber falsch und führt nicht zu den richtigen Schlußfolgerungen, die Nahtstelle zwischen der Kommune und den Bürgern ausschließlich als Produkt zu bezeichnen.

Meine Damen und Herren! Der Bürger ist kein Kunde der Verwaltung. Im Vergleich mit der Wirtschaft wird verkannt, daß auf dem Markt Kundenfreundlichkeit als notwendige Atmosphäre benötigt wird, um Gewinn zu erzielen.

(Zustimmung bei der PDS)

Ein freundlicher Umgang ist eine Frage der Motivation, der Begegnungskultur und sicher auch der Fachkompetenz.

(Zustimmung bei der PDS)

Wichtiger als die Dienstleistung, die insbesondere die Kommunalverwaltung zu gewährleisten hat, sind das partnerschaftliche Verhältnis zwischen der Kommune und den Bürgern, die identischen Interessenlagen und die Aktivierung von Einfallsreichtum und Tatkraft der Bürger.

Die Bürgernähe ist somit keine Tuchfühlung, die sich nach Metern und Kilometern berechnen läßt und die mit einem Mausklick hervorgerufen werden kann. Die Bürgernähe muß vielmehr an folgendem gemessen werden - lassen Sie mich aus der Denkschrift zur Modernisierung der Verwaltung Sachsen-Anhalts aus dem Jahre 1992 von Laux und Gross zitieren -:

„Bürgernähe stellt sich so dar, wie es gelingt, den Bürger erkennen zu lassen, daß er in vielfältiger Weise an dieser Verwaltung mitwirken kann und daß dies auch für ihn eine reizvolle Erweiterung seiner staatsbürgerlichen Möglichkeiten sein kann.“

(Beifall bei der PDS)

Das ist sozusagen der Kern, also die Grundidee der kommunalen Selbstverwaltung. Sie zu verinnerlichen ist die Grundvoraussetzung, um sich in die Diskussion über kommunale Strukturen begeben zu können.

Leider fand dieses Grundverständnis von dem Verhältnis zwischen der Verwaltung und den Bürgern in den dargestellten Auffassungen erneut keine Erwähnung. Mit dieser Position wird jedoch die PDS-Fraktion in die Debatte um eine Kommunalreform einsteigen. Dabei ist noch viel Arbeit zu leisten. Das wurde heute erneut deutlich.

Wir sind auch für die Kommunalisierung von Aufgaben. Aber wir warnen gleichzeitig vor der Illusion, daß man die Kommunen mit staatlichen Vollzugsaufgaben bei nicht hinreichender Finanzausstattung überschütten könnte.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Becker, CDU, und von Herrn Schomburg, CDU)

Herr Ministerpräsident, Sie haben richtig erwähnt, daß es einige Bundesratsinitiativen in unserem Land geben muß, um bestimmte kommunalfreundliche und verwaltungsfreundliche Strukturen im Land errichten zu können. Eine dieser Bundesratsinitiativen ist das schon seit langem ausstehende Gemeindefinanzierungsgesetz auf Bundesebene.

(Zustimmung bei der PDS)

Nicht zum erstenmal ist dabei die Frage der Abfolge zwischen der Funktional- und der Verwaltungsstrukturreform ein Streitpunkt. Ich erinnere aber daran, daß die Beantwortung dieser Frage nicht davon abhängen kann, ob man in der Opposition oder in der Regierung sitzt. Das ist vielmehr eine Sachfrage.

Vor einigen Tagen habe ich die Debatten nachgelesen, die im Zusammenhang mit der Kreisgebietsreform geführt worden sind. Es war eine fundamentale Forderung der SPD-Fraktion, die Funktionalität vorzuschalten. Auch in diesem Kontext kam es dann zu dem Entschließungsantrag, auf dessen Grundlage die Funktionalreform unverzüglich folgen sollte.

(Herr Becker, CDU: Das war 1993! - Frau Dr. Sit- te, PDS: Seien Sie doch nicht so kleinlich! - Zuru- fe von der CDU)

- Ja, gut. - Lassen Sie mich jetzt zu einem dritten Punkt kommen, den ich eigentlich als ersten benennen wollte. Ich habe aber den Zettel noch immer nicht gefunden.

(Heiterkeit bei der PDS)