Protokoll der Sitzung vom 07.04.2000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aussprache zur Großen Anfrage der CDU-Fraktion zu Hochschulen und zur Hochschulentwicklung im Land Sachsen-Anhalt birgt angesichts zahlreicher umstrittener und ungeklärter Probleme die Verlockung und - man möchte fast sagen - den Reiz, sich in der eigenen Positions

bestimmung stärker auf die Behandlung eher grundsätzlicher Fragen dieses Prozesses zu konzentrieren.

Liest man die Antworten jedoch genauer, stellt man fest, daß alle heute in der Diskussion stehenden Probleme bundesdeutscher Wissenschafts- und Forschungsentwicklung auftauchen. Es macht daher Sinn, dem unbequemen Auftrag „Aussprache zur Großen Anfrage“ nachzukommen.

Wir haben in den nächsten Jahren auf folgenden Gebieten Entscheidungen zu treffen: Aufgaben der Hochschulen, gesellschaftlich relevante Bildungs- und Forschungsprioritäten sowie Weiterbildung, Ausdifferenzierung des Hochschulsystems, Umgang mit hochschulinternen Problemlagen, Organisation und Leitungsstrukturen, Paradigmenwechsel in der Hochschulfinanzierung, Hochschulzugänge, Durchlässigkeit zwischen Hochschulen insbesondere unter dem Blickwinkel der Fortführung der Qualifizierung, Struktur des Studiums und inhaltliche Diskussion der Studienreform, Zugänge zu einzelnen Abschnitten von Studiengängen, qualitative Vergleichbarkeit von nationalen und internationalen Abschlüssen und letztlich studienorganisatorische und soziale Rahmenbedingungen zur Gewinnung von Abschlüssen.

Einige Probleme möchte ich aus unserem Blickwinkel untersetzen. In den Vorbemerkungen zu der Antwort bleibt außer acht, daß die Umgestaltung unter der CDUFDP-geführten Landesregierung im wesentlichen nach dem Muster und unter dem Blickwinkel von Gestaltern westdeutscher Hochschulentwicklung erfolgte. Daraus resultierte auch eine weitgehende Übernahme dieser Strukturen.

Wir meinen, daß die spezifischen Entwicklungs- bzw. Innovationspotentiale vor dem Hintergrund der Notwendigkeit dieses neuen Bundeslandes zu wenig gewichtet wurden. Dieses Defizit belastet die Landesentwicklung bis heute. Eine, wenngleich sehr wichtige, Ausnahme bleibt die Entscheidung zur Fortführung der Forschung an den Fachhochschulen.

Bemerkenswert ist durchaus, daß die Fragestellerin den Zeitraum von 1992 bis 1995 außer Betracht läßt, obwohl in diesen Jahren die Grundsätze künftiger Hochschulentwicklung nicht nur beschlossen, sondern bereits umgesetzt wurden. Der Wandlungs- und Anpassungsprozeß hat sich auch unter starker politischer Prägung vollzogen.

Als eine gravierende Fehlannahme hat sich der Optimismus der Fachleute hinsichtlich der Geburtenzahl erwiesen. Die Zahl echter in den neuen Bundesländern geborener Bürger ist überschätzt worden, so daß ohnehin eine Korrektur notwendig ist.

Natürlich können auch Erkenntnisse hinsichtlich des Bildungsverhaltens nicht ungebrochen hochgerechnet werden. Aus den Antworten läßt sich meines Erachtens auch ablesen, daß das nicht geschehen ist. Dennoch bedarf es weiterer Erklärungen, wie die Berechnung der Zwischenausbauzielzahl erfolgt ist, bevor man sich seinerseits hochschulpolitisch festlegen kann.

Ich teile die Position der Landesregierung nicht, mit der sie die Ablehnung bezüglich der Aufstellung eines Hochschulentwicklungsplans begründet. Einzelne Zielvereinbarungen können einen solchen nicht ersetzen; denn diese müssen auch einer Gesamtsicht Rechnung tragen. Daß man mit einem Hochschulentwicklungsplan

nur Zuwächse, wie dort erwähnt, effektiv planen könne, stellt letztlich jeden Landeshaushaltsplan in Frage.

An einer anderen Stelle wird ausgeführt, daß die Freiheit von Forschung und Lehre durch das Setzen von landeseigenen Schwerpunkten beeinträchtigt werden könnte. Auch das sehe ich differenzierter. Es ist ein legitimes Recht und eine Pflicht des Landes und der Hochschulen, Entwicklungstrends mit einer spezifischen Schwerpunktsetzung zu bestimmen und ins Verhältnis zu allgemeinen Trends zu setzen. Die Hochschulentwicklungspläne der einzelnen Einrichtungen tragen dem auch Rechnung; schließlich geht es nicht um Glasperlenspiele, sondern um wesentliche Momente beiderseitiger Zukunftsfähigkeit.

Das ist ein wohl kaum zu bestreitender Grundansatz, der sich aktuell auch in den Anhörungen und Diskussionen der Enquete-Kommission „Zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt“ zeigt. Den gewählten Betrachtungsansatz und Horizont, angefangen bei den Universitäten über die Fachhochschulen bis zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, hält die PDS-Fraktion für richtig.

Auch die PDS-Fraktion geht davon aus, daß in den kommenden Jahren inhaltliche Ausdifferenzierungen in Forschung und Lehre nach fachlichen Traditionen und regionalen wissenschaftlichen Problemzügen mit formalen Angleichungsprozessen zwischen den Hochschulen kombiniert werden können.

Im Unterschied zur Landesregierung halten wir es aber für notwendig, das Verhältnis zwischen Geistes-, Technik- und Naturwissenschaften grundsätzlich und in den Zielvereinbarungen zu klären, wenn letztlich für inhaltliche Ausgewogenheit gesorgt werden soll. Erst in diesem Kontext sollten Grundlagen für Kooperationsentscheidungen gefällt werden.

Der wiederholte und berechtigte Verweis auf die Finanzierbarkeit des Hochschulwesens erfolgt natürlich auch mit inhaltlichen und mit materiell einschränkenden Wirkungen. Das kann man nun gut oder schlecht finden, was bleibt, ist die Notwendigkeit, sich mit den praktischen Folgen nicht nur defensiv auseinanderzusetzen.

Der Verweis auf die Mobilisierung zusätzlicher Einnahmen aus EFRE-Mitteln über operationelle Programme erscheint nach wie vor sehr hypothetisch. Ich verweise hierzu auf den entsprechenden Entschließungsantrag aus der letzten Haushaltsberatung.

Aus unserer Sicht laufen wir Gefahr, einen Standortvorteil der Fachhochschulen Sachsen-Anhalts zu verlieren, wenn es nicht gelingt, früher als es die Landesregierung offensichtlich beabsichtigt, das Forschungspotential der Fachhochschulen in den Katalog der Leistungsbewertung von deren Haushaltsbudgets aufzunehmen und das dafür notwendige Personal des sogenannten Mittelbaus zu stärken.

Einige Aspekte der Anfrage bleiben auch deshalb hypothetische Rahmen, weil - -

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Jawohl. Ich wußte, daß das Problem auf mich zukommt. Das müßte ich noch irgendwie hinkriegen.

Einiges wird ohnehin erst verständlich, wenn man auch ein Papier hinzuzieht, das derzeit heimlich und unheimlich an den Hochschulen kursiert und die Weiterentwicklung der Wissenschaftslandschaft in Sachsen-An-halt konzipiert. Das wäre es eigentlich, worüber wir heute reden müßten. Das soll demnächst im Ausschuß geschehen. Ich hoffe darauf, und ich meine, daß der Dialog mit den Hochschulen an dieser Stelle aus der Sicht des Landtages intensiviert werden sollte; denn schließlich wollten die Hochschulen, daß der Gesetz- geber sich entscheidet. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Herr Ernst das Wort.

Ich fange an, sobald die Anzeige für meine Redezeit auf Null gestellt ist. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Aussprache zur Großen Anfrage der CDU-Fraktion hat neben vielen positiven Aspekten auch einen Nachteil: Man wird einiges von dem, was anläßlich der Debatte zur Einbringung der Hochschulgesetznovelle in der letzten Landtagssitzung bereits gesagt worden ist, wiederholen müssen. Im Grunde genommen macht das soviel nicht aus, und manches kann man, glaube ich, nicht oft genug - -

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Wir verstehen kein Wort! - Herr Dr. Keitel, CDU: Kein Wort!)

- Höher kriege ich das Mikrofon nicht.

Ein bißchen dichter ans Mikrofon!

Das muß so gehen. Dann muß ich mich tiefer beugen.

Ich wollte gerade der CDU-Fraktion meinen Dank für ihre Große Anfrage aussprechen. Das meine ich ehrlich. Ich widerspreche allerdings der Aussage, die gelegentlich zu hören ist, daß diese Anfrage Ursprung und Richtschnur für die Überlegungen seitens des Kultusministeriums zu der neuen Hochschulplanung war bzw. ist. Dieser Prozeß wurde bereits mit Beginn dieser Legislaturperiode eingeleitet, und seine inhaltliche Prägung erfährt er durch die Notwendigkeit der Anpassung von Planungen des Jahres 1992 an die Realität der Jahre 2000 und folgende. Es wäre auch fatal für eine Landesregierung, wenn sie sich bei einem solch schwerwiegenden, weitgreifenden und notwendigen Entwicklungsplan von der Opposition treiben lassen müßte.

Nichtsdestotrotz zeigen allein der Umfang und die Vielfalt der Fragen allen Abgeordneten des Landtages, wie kompliziert und explosiv dieses Thema ist. In den Antworten bzw. noch mehr in den Antworten, die noch nicht gegeben werden konnten, zeigt sich sehr deutlich der Prozeßcharakter des Verfahrens zur Weiterentwicklung der Wissenschaftslandschaft in Sachsen-Anhalt.

Mit dem heutigen Tag könnten bereits wesentlich mehr Fragen seitens des Kultusministeriums beantwortet werden. In zwei Monaten werden es noch mehr sein; in einem halben oder einem dreiviertel Jahr werden es dann alle Fragen sein - zumindest alle, die notwendig sind, um konzeptionelle Schlüsse ziehen zu können.

Es sind allerdings auch Fragen dabei, Herr Remmers, - jedenfalls ist das meine Meinung - bei denen Aufwand und Nutzen, das heißt die Frage, was ich eigentlich mit der Antwort anfange, die zu kriegen so extrem schwierig war, in keinem vernünftigen Verhältnis stehen. Vielleicht läuft das unter dem Motto: Es kann nicht schaden, wenn ich das auch noch weiß.

Etlichen von Ihnen, meine Damen und Herren, ist die ursprünglich nur als Kabinettsvorlage gedachte Fassung der Vorlage „Weiterentwicklung der Wissenschaftslandschaft in Sachsen-Anhalt“ bekannt. In ihr werden erste Lösungsansätze vorgestellt. Diese Ansätze und die Weiterentwicklung dieser Ansätze sind es, die wir im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zum Thema machen müssen. Aus diesem Grund hat die SPD-Frak-tion einen Antrag eingereicht, der unter dem Tagesordnungspunkt 4 b in die Debatte mit einfließen soll.

Meine Damen und Herren! Sie werden aus der Antragsformulierung bemerken - eigentlich hatte ich gedacht, daß wir das deutlich zum Ausdruck gebracht haben -, daß die SPD-Fraktion nicht etwas in Gang setzen will, was ohnehin schon begonnen hat. Es geht in diesem Antrag um die notwendige Einbeziehung des Parlaments in den Prozeß der Hochschulentwicklungsplanung. Wenn diesem Antrag stattgegeben wird, erhält der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als der zuständige Fachausschuß des Landtages

(Herr Scharf, CDU: Das wird ja immer verrück- ter!)

Einsicht bzw. Kenntnis und in gewisser Weise auch ein Mitspracherecht über in diesem Prozeß laufende Vorgänge. Das ist auch insofern sinnvoll und notwendig, als der Landtag spätestens bei der Haushaltsberatung das entsprechende Finanzvolumen bereitstellen muß. Soweit zum Antrag.

Genau zu dieser Vorlage des Kultusministeriums zur Wissenschaftslandschaft gehört - da wiederhole ich mich in bezug auf die letzte Landtagssitzung - der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sozusagen wie der Deckel zum Topf.

Ich möchte mich nun einigen Fragenkomplexen widmen, ohne zu sehr auf Einzelheiten einzugehen.

Zum Komplex I hat Minister Harms bereits ausführlich Stellung genommen.

Zum Komplex II - Investitionen und Lehrsituation - möchte ich Ihr Augenmerk unter anderem auf die Antworten zu den Fragen II.2 und II.3 richten. Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung wird eine Fortschreibung der Baumittel in Höhe von 200 Millio- nen DM pro Jahr festgeschrieben.

Interessant ist auch ein Blick in die Tabellen zum Komplex II. Tabelle II.1 gibt den Ausstattungsgrad einzelner Fachbereiche der Hochschulen an. Er schwankt beispielsweise bei der Martin-Luther-Universität zwischen 27 % im Bereich Chemie und 125 % in den Bereichen Mathematik, Informatik sowie Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften. Allerdings muß ich sagen, daß mich die entsprechenden Verhältnisse auch an der Magdeburger Universität und an den nicht aufgezeigten Fachhochschulen interessiert hätten.

Auch ein Blick in die Betreuungsverhältnisse ist aufschlußreich. Hier gibt es enorme Diskrepanzen innerhalb der Hochschulen, wobei die Differenzen innerhalb der

Fachhochschulen geringer sind als innerhalb der Universitäten.

An der Universität Halle schwankt das Betreuungsverhältnis - ich habe den Ist-Wert des gesamten in dieser Fakultät beschäftigten Personals, also Hochschullehrer, wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Personal, in ein Verhältnis zu den betreuten Studierenden gesetzt - von 1 : 1,1 im Bereich Chemie - das heißt, auf einen Studierenden kommt eine besetzte Stelle in dieser Fakultät; im Bereich Landwirtschaft sieht es mit einem Verhältnis von 1 : 2 auch nicht wesentlich besser aus - bis hin zu einem Verhältnis von 1 : 26,4 bei den Juristen. In Magdeburg liegt das Verhältnis zwischen 1 : 1,6 im Bereich Verfahrenstechnik und 1 : 18,6 in den Wirtschaftswissenschaften.

Noch interessanter ist allerdings ein Vergleich zwischen den einzelnen Hochschulen. Nimmt man den Fachbereich Maschinenbau, erkennt man, daß dieser in unserem kleinen Land an vier Standorten existiert. Nimmt man die Universität Magdeburg einmal heraus, bleiben die drei Fachhochschulen Anhalt, Magdeburg/ Stendal und Merseburg. Diese haben in der genannten Reihenfolge ein Betreuungsverhältnis, nach dem gleichen Schlüssel ausgerechnet, von 1 : 8, 1 : 24 und 1 : 10.

Weiter zur E-Technik, wieder in der Reihenfolge Fachhochschule Anhalt, Magdeburg/Stendal und Merseburg: 1 : 14, 1 : 12 und 1 : 7.

Da kommen schon Fragen auf. Warum ist an der Fachhochschule Anhalt im Fachbereich Maschinenbau dreimal mehr Hochschulpersonal pro Student beschäftigt als an der Fachhochschule Magdeburg/Stendal? Oder zur E-Technik: Warum ist in Merseburg doppelt soviel Hochschulpersonal pro Student eingestellt wie in der Fachhochschule Anhalt? Ganz abgesehen von den vielen Standorten ist das eine untersuchenswerte Angelegenheit.

Zum Komplex III, Fragen III.5 und III.6 ist aus meiner Sicht zu sagen, daß wir die Ergebnisse der vom Kultusministerium eingesetzten Planungs- und Steuerungsgruppe im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft sehr aufmerksam verfolgen werden, wenn unser Antrag eine Mehrheit bekommt.

Die Tabellen auf den Seiten 47 und 48 zur Beantwortung der Fragen V.4 und V.5 betreffs der Studienwilligkeit von Hochschulzugangsberechtigten weisen eindringlich noch einmal darauf hin, daß das Erreichen der Zielzahl von 33 000 im Jahr 2010 nichts, aber auch gar nichts mit Studentenabbau zu tun hat. Ganz im Gegenteil, das ist ein hohes Ziel - der Minister wies vorhin auch darauf hin -, und es wird etliche Anstrengungen kosten, um diese Zahl zu erreichen. Bis dahin muß der Negativsaldo gedreht werden, das heißt, es müssen mehr Hochschulzugangsberechtigte aus anderen Bundesländern bei uns studieren als Landeskinder woanders.

Das kann aber nur gelingen - ich bete das schon fast gebetsmühlenartig herunter -, wenn wir unsere Hochschulen noch attraktiver machen als bisher. Wir befinden uns nämlich im Konkurrenzkampf mit anderen neuen Bundesländern, die bekanntlich den gleichen demographischen Einbruch und logischerweise auch die gleichen Probleme an ihren Hochschulen haben.