Noch nie wurde in diesem Land über einen noch gar nicht vorliegenden Gesetzentwurf so intensiv diskutiert und gestritten. Das hat seine Gründe. Während Innenminister Püchel die Verschärfung für notwendig hält im Kampf gegen Kriminalität, äußert der Datenschutzbeauftragte Klaus-Rainer Kalk verfassungsrechtliche Bedenken, und der Bündnisgrüne Jochen Tschiche spricht von obrigkeitsstaatlichen Rückfällen der SPD, die gerade so tue, als sei in Sachsen-Anhalt der Sicherheitsnotstand ausgebrochen.
Und in der Tat, rückläufige Straftatenzahlen und gestiegene Aufklärungsraten lassen den Schluß zu: Die Polizei hat ausreichende gesetzliche Befugnisse und versieht ihre Arbeit erfolgreich. Dafür sagen wir den vielen engagiert arbeitenden Polizistinnen und Polizisten im Land Sachsen-Anhalt Dank.
In den vergangenen Jahren ist in Sachsen-Anhalt die Anzahl der polizeilich registrierten Straftaten kontinuierlich zurückgegangen. Gleichzeitig ist die Aufklärungsquote erheblich gestiegen. Gegenüber 1995 sank die Zahl der erfaßten Fälle von 319 665 auf knapp über 264 000 im Jahr 1999. Die Aufklärungsquote stieg im selben Zeitraum von 35,8 % auf nunmehr über 50 %.
Nicht zuletzt durch die in der letzten Legislaturperiode durchgeführte und von der PDS unterstützte Polizeistrukturreform, bei der es zu einer Straffung von Polizeistrukturen und zur Verlagerung von Polizeikräften aus dem Verwaltungs- in den operativen Bereich, sprich auf die Straße, kam, konnte eine effektivere und auf mehr Bürger- und Bürgerinnennähe ausgerichtete Polizei- arbeit erreicht werden.
Der Haushalt für die Polizei ist in den letzten Jahren trotz Einsparungen in vielen anderen Bereichen nie ernsthaft gekürzt worden.
Das im Jahr 1991 in Sachsen-Anhalt beschlossene Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalts ist bereits eines der schärfsten Gesetze im Vergleich der Länder.
Trotz der beschriebenen Erfolge bei der Erhöhung der Effizienz der Polizeiarbeit in Sachsen-Anhalt fordert nunmehr die Landesregierung eine massive Verschärfung des Gesetzes mit damit einhergehenden Einschränkungen von Grundrechten. So sieht der Gesetzentwurf unter anderem die Einführung - ich nenne es beim Namen - von verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen auf Bundesfernstraßen, die Einführung eines Aufenthaltsverbotes und die Befugnis zum Videografieren öffentlicher Straßen und Plätze vor.
Die PDS lehnt die genannten Punkte aus verfassungsrechtlichen und aus polizeipraktischen Gründen grundsätzlich ab. Meine Damen und Herren! Das sind Scheinaktivitäten, mit denen Kriminalität letztlich nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich verlagert, aber nicht bekämpft wird und mit denen zudem Grundrechte massiv eingeschränkt werden.
So soll die Polizei künftig auf Bundesfernstraßen Identitätsfeststellungen durchführen sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen können. Zwar soll die Maßnahme nur zulässig sein, wenn aufgrund von Lageerkenntnissen anzunehmen ist, daß Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden; offen bleibt, wie ein besonderes Lagebild definiert wird.
Ort, Zeit und Umfang der Maßnahme sollen nur durch Polizeipräsidenten angeordnet werden dürfen. Das heißt, die Polizei erhält die Ermächtigung und schreibt sich die Voraussetzungen zur Anwendung in Form von Lagebildern gleich noch selbst.
In der Praxis heißt das, daß jeder Mensch ohne Verdacht auf Bundesfernstraßen in Sachsen-Anhalt zu jedem Zeitpunkt kontrolliert werden kann.
Noch im Oktober 1998 hat der SPD-Landtagsabgeordnete Bernward Rothe dazu ausgeführt - ich darf zitieren -:
„Nach bisherigem Recht muß der Bürger dem Staat einen Anlaß geliefert haben, daß mit polizeilichen Mitteln gegen ihn vorgegangen werden kann. Die Einführung verdachtsunabhängiger Kontrollen würde diesen Grundsatz aushöhlen.“
Auch das Landesverfassungsgericht in MecklenburgVorpommern hat sich dieser Position angeschlossen. Es hat die entsprechende Bestimmung in § 29 SOG MV für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das Gericht kritisiert, daß - ich zitiere -„jedermann schon deshalb, weil er sich auf einer Durchgangsstraße bewegt, der Möglichkeit eines polizeilichen Zugriffs ausgesetzt“ ist. Erklärt wird weiter, daß die Identitätsfeststellung kein geringfügiger Eingriff sei und nicht durch die Generalprävention legitimiert sei.
Die beabsichtigte Einführung von Aufenthaltsverboten von bis zu 14 Tagen für ganze Gemeinden findet sich erstmalig seit 1996 im niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz, damals mit der Begründung, gegen die Chaostage in Hannover vorgehen zu wollen.
Das ist auch massiv geschehen. Erste Anwendung fand diese Ermächtigung in polizeilichen Aufenthaltsverboten gegen Punks. Haare und Kleidung genügten oft zur Verhängung. In der Tat können mit dieser Ermächtigung cleane, sprich saubere Innenstädte geschaffen werden, je nach Feindbild gegen Obdachlose, Bettler usw.
Grotesk ist die Situation auch insofern, als das vierzehntägige Aufenthaltsverbot bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, sprich gegen Drogenuser, sprich Drogenbenutzer, beibehalten werden soll.
Nicht die Drogendealer wird es treffen, nein, es wird diejenigen treffen, denen wir helfen müssen, nämlich die Drogenabhängigen. Sie werden durch eine solche Regelung hin- und hergetrieben. Diese Vertreibungspolitik steigert Gewalt und Hektik in der Drogenszene und wirkt sich negativ auf den Gesundheitszustand und das Konsumverhalten der Abhängigen aus.
Damit wird im übrigen auch der Beschluß des Landtages in der letzten Sitzungsperiode zur Prüfung der Einrichtung von Fixerstuben konterkariert und damit natürlich die Sozial- und Gesundheitsarbeit der Drogenhilfe erheblich erschwert.
Zudem wird durch eine solche Regelung nachhaltig in das Grundrecht der Freizügigkeit gemäß Artikel 11 Abs. 1 des Grundgesetzes eingegriffen.
Zur Einführung der Videoüberwachung von sogenannten „verruchten Orten“, was auch immer ein „verruchter Ort/ Platz“ ist, hat sich der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Norbert Spinrath, in der letzten Ausgabe der Mitgliederzeitschrift der GdP wie folgt geäußert - ich darf zitieren -:
„Videoüberwachung gaukelt den Menschen eine Sicherheit vor, die die Polizei aufgrund ihrer Personalsituation nicht garantieren kann, und sie ist geeignet, ein Klima der latenten Unfreiheit zu erzeugen.“
„Verbrecher und damit auch deren Straftaten werden lediglich in nicht videoüberwachte Stadtteile verdrängt.“
Die Erfahrungen der bisherigen Projekte, ob nun in Dresden, Leipzig, Halle oder auch London, beweisen genau das. Gehen bestimmte Delikte an dem überwachten Ort zurück, steigen sie an anderer Stelle an. Das ist die Erfahrung aus London, wo die gesamte Innenstadt überwacht wird. Dort ist in den letzten Jahren die Kriminalität in bestimmten Deliktsbereichen in den Außenbezirken stetig angestiegen.
Nehmen wir das Beispiel Halle: Knapp 110 000 DM kostet den Steuerzahler und die Steuerzahlerin die Installation der Kameras auf dem Markt. Die 30 000 DM Zuschuß für die Nachttaxis für Frauen wurden zum selben Zeitpunkt im Haushalt der Stadt Halle in Frage gestellt. Das ist doch schizophren.
In Dresden sitzen zwölf Beamtinnen und Beamte 24 Stunden vor dem Bildschirm und schauen sich das Geschehen auf der Prager Straße an. Meine Damen und Herren! Diese zwölf Beamtinnen und Beamte gehören im Schichtdienst nicht vor den Bildschirm, sondern nach unserer Auffassung auf die Straße.
Damit wird das individuelle Sicherheitsempfinden von Bürgerinnen und Bürgern gestärkt, nicht mit der Installation von irgendwelchen Kameras. Letztlich wird die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt, und es wird der Logik gefolgt, zunächst alle Bürgerinnen und Bürger als potentielle Straftäter zu sehen. Die Frage ist nicht, ob jemanden die Kamera nicht stört, weil er nichts zu verbergen hat, sondern ob jemand überwacht werden darf, der nichts getan hat. Die Praxis wird es beweisen.
Es wird nicht ein Gramm Drogen weniger gedealt oder konsumiert, wenn einzelne Plätze überwacht werden.
Zwangsläufig hat die Videoüberwachung dann die Tendenz zur Ausweitung auf immer mehr öffentliche Plätze. Der nicht überwachte Raum wird für den einzelnen schwinden. Die ausufernde Videoüberwachung wird zu einem enormen Druck zur Verhaltensanpassung führen. Statt freier und selbstbestimmter Bewegung im öffentlichen Raum bewegen sich Menschen so, wie ein gedachter Überwacher es erwarten möge. So artikulierte sich auch die 59. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 14. bis 15. März 2000.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß mit allen drei genannten Vorhaben der Grundsatz außer Kraft gesetzt wird, daß die Ermittlung und die Verfolgung erst nach einer Straftat einsetzen. Letztendlich wird die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil verkehrt. Unterschiedslos und ohne konkreten Anlaß oder Verdacht werden jeder Bürger und jede Bürgerin zunächst zu potentiellen Kriminellen erklärt.
Damit ist die Kriminalität nicht einzudämmen. In der Logik des starken Staates, der sogenannten inneren Sicherheit der CDU, aber auch der Landesregierung, sind Bürgerinnen- und Bürgerrechte weniger wert als Ermächtigungsparagraphen.
Ohne Akzeptanz von Rechtsgrundsätzen und Bürgerrechten sind Ursachen und Bedingungen von Kriminalität jedoch nicht einzugrenzen. Dauerhaft sicher wird nicht die überwachte Gesellschaft. Nur Demokratie, Wahrung von Rechtsgrundsätzen, Emanzipation und soziale Gerechtigkeit werden die Ursachen der Kriminalität eindämmen können.
Es muß uns deshalb nicht um die innere Sicherheit eines starken Staates, sondern um die persönliche und öffentliche Sicherheit von Menschen gehen. Die PDSFraktion lehnt die Schaffung gesetzlicher Regelungen ab, die eine Einschränkung von Bürgerinnenrechten bedeuten.